In Quarten, hoch über dem Walensee, verschmelzen im Zentrum Neu-Schönstatt unterschiedliche Welten: Da ist das bekannte Seminarzentrum mit dem neurenovierten Digitalhotel. Hier leben aber auch die Schönstätter Marienschwestern.
Es hat fast schon etwas Kitschiges, als wir uns an diesem sonnigen Septembertag die Strasse entlang hinauf nach Quarten schlängeln und sich vor unseren Augen ein erhabenes Panorama auftut. Mitten in dieser Idylle zwischen Churfirsten und Walensee liegt das Zentrum Neu-Schönstatt, dessen Gebäude sich terrassenartig an die Hügel schmiegen. Gerade geniesst eine Motorrad-Gruppe im Gartenrestaurant die Kaffeepause, während am Nebentisch Schwester Claire-Lise freudestrahlend alte Bekannte begrüsst. Etwas abseits brüten im Grünen Kadermitarbeiter von Ikea über neuen Ideen für den Möbelriesen. Auch die Wegweiser auf dem Gelände wie «Urheiligtum », «Provinzhaus», «Seminare» oder «Hotel» machen klar: In Neu-Schönstatt verschmelzen heterogene Welten zu einem stimmigen Kosmos. Da ist zum Einen das Hotel, das vor wenigen Wochen nach einer Kernsanierung wieder eröffnet wurde und deren Gastgeberinnen Bianca Andreatta Küng und Monika Monaco sind.

Die zweite Säule bildet das Seminarzentrum, das von Philipp Pudimat geleitet wird. Und dann sind da noch die Besitzerinnen des Zentrums: die Schönstätter Marienschwestern. In ihrem Auftrag vertritt Schwester M. Monja Schnider die
Anliegen der Schönstatt-Bewegung und des Segensortes als geistliches Zentrum. Die Gastgeberin des Hotels, der Leiter des Seminarzentrums und Schwester Monja verantworten als Dreier-Gespann die operative Leitung des Ganzen.
In der Badewanne übernachtet
Auf der Website der Schönstätter Marienschwestern wird beschrieben, was diesen Fleck mit der eindrücklichen Aussicht so besonders macht: «Das Zentrum Neu-Schönstatt bietet ein Zuhause und Entfaltungsraum für die Schönstattbewegung
sowie für verschiedenste Gruppen und Einzelgäste. Das Immaculata-Heiligtum als Mitte des Zentrums prägt die Atmosphäre. In der Begegnung mit Maria kommt vieles in den Herzen und Beziehungen ins Lot. Das ist das Geheimnis dieses Ortes.» Ein Blick in die Geschichte des Zentrums Neu-Schönstatt zeigt, dass das Säkularinstitut von Anfang an eine Herberge für Menschen war, die nach dem tieferen Sinn des Lebens suchten. 1948 kamen mit dem Kauf der «Villa Ray» die ersten Marienschwestern nach Quarten. War damals die Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten sehr gross, überliessen die Schwestern ihre Zimmer schon mal den Gästen und übernachteten selbst in Bade- oder Bügelzimmern. In den 70er-Jahren wurde die erste Schweizer Niederlassung der Schönstattbewegung durch den Bau eines Bildungszentrums und eines Hotels ergänzt. Seither checken hier Menschen verschiedenster Couleur aus dem In- und Ausland ein, um hoch
über dem Walensee Weitsicht für neue Perspektiven zu finden.



Grosser finanzieller Brocken
Auch wenn die Grundausrichtung des Zentrums seit über siebzig Jahren dieselbe ist, will man sich den Bedürfnissen der Gäste von heute anpassen. Mit der Sanierung und Neueröffnung des Hotels haben sich die Leitungsaufgaben im Zentrum verändert. Der Umbau stellt für die Schwestern als Besitzerinnen des Zentrums einen grossen finanziellen Brocken dar, der nur mit einer gewissen Rentabilität zu stemmen ist. «Jeden Franken Gewinn investieren wir umgehend in unser Angebot.
So wollen wir in einem nächsten Schritt das Restaurant sowie unsere Seminar- und Banketträume renovieren», sagt Zentrumsleiter Philipp Pudimat. Digitalhotel und Gastlichkeit «Vor der Sanierung haben wir verschiedenste Szenarien und Umnutzungen eingehend geprüft. Abschliessend zeigte sich, dass unser angestammtes Angebot durchaus zukunftsfähig ist, vorausgesetzt, die Infrastruktur wird den heutigen Bedürfnissen angepasst», hält Schwester Monja fest. So reifte der Entscheid, den 50-jährige Hoteltrakt innerhalb eines Jahres in ein Digitalhotel zu verwandeln. Nun empfangen in der Lobby zwei Bildschirme die ankommende Gäste zum Check-in. Vergleichbar ist dieses Prinzip mit den Selfscanning-Kassen bei den Lebensmittel-Grossisten. Mit ein paar wenigen Wischbewegungen ist das gewünschte Zimmer oder Appartement gebucht und die Zimmerkarte in den Händen. Auch der Snackautomat und die Kaffeemaschine im Eingangsbereich funktionieren
im Selbstbedienungsprinzip. Und was machen potenzielle Gäste, die weniger technikaffin sind? Monika Monaco,
Gastgeberin im Hotel, beruhigt: «Ab 14 Uhr oder bei Gruppenankünften ist immer jemand persönlich vor Ort und steht mit Rat und Tat zur Seite. Auch telefonische Reservierungen sind nach wie vor möglich und im Notfall helfen auch die Marienschwestern gerne weiter.»


Niederschwellig und freiwillig
Der Gang durch die Räume des Zentrums gleicht einer architektonischen Zeitreise. Während die Seminar- und Speiseräume seit den 70er-Jahren so gut wie unverändert geblieben sind, trumpft das Hotel mit 59 modernen Zimmern und 6 Appartements in zeitlosen Materialien auf. «Bei uns soll sich der Velofahrer ebenso wohl fühlen wie die Familie mit Kleinkindern, der Businessoder der Klausurgast», betont Monika Monaco. Dank der weitläufigen, hybriden Infrastruktur könne man all den verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden. «Wer möchte, kann hier völlig anonym und in aller Ruhe eine Auszeit nehmen. Gleichzeitig verfügen wir aber auch über einen Spielplatz, einen Velo- und einen Skiraum sowie diverse Seminarräume. Bei uns darf sich jeder Gast so viel Interaktion und Gesellschaft herauspicken, wie er möchte.» Schwester Monja ergänzt: «Alles was wir anbieten, präsentieren wir niederschwellig. Wir sind hier nicht am Missionieren und wollen den Gästen in keiner Weise unser Gedankengut und unsere Philosophie aufdrücken. Es steht jedem völlig frei, ob sie oder er an den Heiligen Messen, an den Impulsreferaten, Workshops oder Abendandachten teilnehmen möchte oder nicht.» Ein Blick in die Online-Kritiken zeigt, dass dieses Konzept ankommt: «Super nettes Team und ein sehr besonderes Ambiente, wo man direkt zur Ruhe kommt» lautet einer der Kommentare.

Selfies mit Bikerclub
Und wie gehen die 24 Schwestern, die mitten auf dem Areal leben, mit all diesen verschiedenen Besuchern um? «Während der Planungs- und Bauphase äusserten manche Schwestern ihre Angst, dass mit dem digitalisierten Hotel der Kontakt und das Persönliche für die Gäste zu kurz komme. Diese Bedenken waren völlig unbegründet. Im Gegenteil: Das Gros der Mitschwestern geniesst inzwischen wieder den Kontakt mit den unterschiedlichen Gästen. Da posiert schon mal eine Schwester für ein Selfie mit dem Bikerclub oder wir bieten jederzeit spontan ein offenes Ohr für persönliche Gespräche über Gott und die Welt», erzählt Schwester Monja.

Schwester «Troubleshooter»
Während die 57-Jährige von «ihrem» Zentrum erzählt,wird deutlich: Das Anforderungsprofil für Schwester Monjas Job ist dem eines Top-Managers ebenbürtig. Mit einer bewundernswerten Leichtigkeit jongliert sie zwischen den Teilbereichen
Hotel, Seminare und Events sowie ihrer Verantwortung, dass diesen Teilbereichen nicht verloren geht, was ein geistliches Zentrum ausmacht und an einem Segensort zu erwarten ist. Wie ihr diese Mammutaufgabe gelingt? «Ich bin mit der
Aufgabe gewachsen. Ursprünglich habe ich eine kaufmännische Lehre absolviert und später kam eine Religionspädagogische Ausbildung dazu. Dieses Wissen dient mir auch heute noch als eine gute Basis. Der Rest ist Tag für Tag dazulernen, ein verlässliches und engagiertes Team hinter sich zu wissen, funktionierende Strukturen aufbauen
und natürlich eine grosse Portion Gottvertrauen.» Und schliesslich sei das Energietanken kaum an einem anderen Ort so einfach und selbstverständlich wie hier mit dieser prächtigen Aussicht und der Marienkapelle im «Hintergrund». Ein Monteur, der während Monaten an der Hotelsanierung mitwirkte, beschrieb die Aura von Neu-Schönstatt so: «Ich bin zum Arbeiten hier hergekommen und jetzt ist auch ein Teil meines Herzens hier. Ich werde diese Zeit mein Leben lang nicht mehr vergessen. Hier konnte ich Einfachheit, Geradlinigkeit und Ruhe förmlich spüren.»

DIE SCHÖNSTATTSCHWESTERN
Die Bewegung der Schönstätter Marienschwestern, gegründet 1926 in Schönstatt, Deutschland, war eines der ersten
Säkularinstitute (Weltinstitute) der katholischen Kirche. Die Schönstatt-Bewegung ist in unterschiedliche Gemeinschaften
unterteilt, ähnlich einem Verein mit verschiedenen Riegen. Die Schönstätter Marienschwestern sind dabei ein elementarer Teil der Bewegung. Sie leben die christlichen Werte in einer zeitgemässen Art und bringen sie in der Gesellschaft ein. Mittlerweile stammen die Schönstätter Marienschwestern aus 35 Nationen und sind auf sämtlichen Kontinenten
und in 29 Ländern vertreten. In der Schweiz gibt es neben Quarten auch in Brig eine Niederlassung und in Weesen ist das Alters- und Pflegeheim für die betagten Schwestern sowie das Wohnheim St. Josef für erwachsene Frauen mit geistiger- und körperlicher Beeinträchtigung. Anders als klösterliche Ordensgemeinschaften sind die Marienschwestern nicht durch ein Gelübde gebunden. Marienschwestern haben die Möglichkeit, jederzeit den Vertrag mit der Gemeinschaft zu kündigen.