Gotte oder Götti als lebenslange Bezugspersonen? Eine solche Patin oder einen solchen Paten zu erhalten gleicht ein wenig einer Lotterie. Yannou Bantle aus Steinegg hat diesbezüglich den Jackpot geknackt.
Seine Gotte reiste mit ihm als Teenager nach London, besuchte mit ihm einen persischen Kochkurs und beschenkt den 23-Jährigen auch heute noch. Mirta Ammann aus Steinegg ist eine unkonventionelle Gotte – «im besten Sinn», betont ihr Göttibub Yannou Bantle. Er ist eines von insgesamt 15 Patenkindern der Rhythmiklehrerin, Liedermacherin und Clownin. Hinzu kommen noch die vier ihres Mannes, die wie die eigenen Patenkinder behandelt werden. Hat sich die 59-Jährige jemals überlegt, welche Art von Gotte sie sein möchte? «Nein, ich versuche, jedes Kind so zu nehmen wie es ist, mit all seinen Eigenschaften und Interessen. Da wir keine eigenen Kinder bekommen durften, können wir unseren Patenkindern auch mehr Zeit für gemeinsame Erlebnisse schenken», hält Mirta Ammann fest.

Einmal abgelehnt
Das erste Mal «Ja» zum Amt als Gotte sagte Mirta vor 37 Jahren, als sie eine Cousine anfragte. «Das Gotte-Sein brachte uns als Familie wieder näher zusammen und hat ein Band gewoben, das bis heute hält», freut sich die gebürtige Thurgauerin. Nur einmal lehnte sie eine Anfrage ab. «Das war bei einer Schulkollegin, die mich nur unter der Voraussetzung als Gotte ihres Kindes wollte, wenn ich der Heilsarmee beitreten würde. Die Heilsarmee, so viel Gutes diese Organisation auch leistet, war mir zu militärisch strukturiert und die Gotte-Hürde zu hoch, um einzuwilligen.» Davon abgesehen kennt Mirta Ammann nur wenig Berührungsängste. «Ich habe katholische, reformierte und auch konfessionslose Patenkinder. Erst kürzlich wurde ich von einer ehemaligen Rhythmikschülerin wieder angefragt, ob ich ihre Firmgotte werden möchte.» Firmgotte zu sein, hat für Mirta Ammann einen anderen Stellenwert, als derjenige der Taufpatin. «Bei der Firmung entscheiden die jungen Erwachsenen selbst und nicht die Eltern, wen sie an ihrer Seite haben wollen. Wenn dir dann eine 17-Jährige sagt, sie möchte gerne dich als Firmgotte, weil sie sich von dir immer verstanden gefühlt hat, geht das ans Herz», gibt Mirta Ammann zu.
London, Paris, Barcelona
Inzwischen sind fast alle Gottenkinder von Mirta Ammann erwachsen. Nichts desto trotz melden sich die «Kinder» regelmässig bei ihrer Gotte und fragen sie ab und zu um Rat in schulischen oder beruflichen Belangen. «Ich selbst war keine gute Schülerin und wählte auch danach selten den direkten Weg. Vielleicht fühlt sich dadurch das eine oder andere Patenkind bei mir reflektiert und verstanden.» Yannou Bantle sieht und hört seine Gotte regelmässig. Seine Mutter wählte Mirta, weil sie eine der engsten Freundinnen ist. Gefragt danach, inwiefern denn seine Patin so unorthodox sei, zählt der Aviatik-Student einige Beispiele auf: «Im Kindergartenalter durfte ich mit anderen Gottenkindern für eine CD von Mirta Chlaus-Sprüchlein im Tonstudio aufnehmen und im Gästebad von Mirta hat sich jedes Patenkind auf einer selbstgestalteten Kachel verewigt. Wann immer meine Gotte auf Reisen ist, schickt sie auch heute noch allen Patenkindern eine Karte und ein originelles Souvenir von der jeweiligen Destination. Zudem besuchte sie mit mir zusammen vor einigen Jahren einen persischen Kochkurs. Und als ich 13 Jahre alt war, durfte ich zusammen mit drei weiteren Gottenkindern für vier Tage nach London reisen. Diese Erlebnisse werde ich mein Leben lang in bester Erinnerung behalten.» Eine solche Reise unternimmt Mirta jeweils einmal mit jedem Patenkind. «Wir nehmen dann drei, vier Kinder mit. Neben London reisten wir nach Barcelona, Paris und Griechenland. Meistens kennen sich vorab die Patenkinder untereinander nicht gut, was eine spannende Dynamik gibt», resümiert die ausgebildete Clownfrau. Eine kleine Anekdote gibt Yannou preis: «In London machten wir eine Sightseeing-Tour in einem klassischen Doppeldeckerbus. Am Schluss mussten wir Teenager Mirta, die überall schlafen kann, wach rütteln, sonst hätte sie vermutlich nochmals eine Touristenrunde durch die Stadt gemacht.»

Adventskalender im Militär
Ebenfalls legendär sind die Adventskalender von Mirta Ammann. Zu den besten Zeiten waren es deren zwölf, die bereits im Spätsommer zusammengestellt wurden, damit all die Säckchen rechtzeitig Ende November bei den Kindern waren. Ob nun eine besonders originelle Haarbürste, lustige Socken, eine Tube Vermicelles oder Gewinnlose: Die Überraschungen in den Kalendern sind jeweils individuell auf die Vorlieben der Beschenkten abgestimmt. Diese Präsente können auch schon mal für Aufregung sorgen: So lief bei Yannou einmal ein Honigglas aus und ein Wecker tickte im Säckchen Tag und Nacht munter vor sich hin. Weil Yannou auch als 23-Jähriger die Kalender seiner Gotte nicht missen möchte, hat Mirta Ammann für ihn eine Ausnahme gemacht. Er muss auch im Erwachsenenalter nicht auf einen Adventskalender verzichten und nahm ihn sogar während seines Militärdienstes mit in die Kaserne.
Unterstützung von Seitenlinie
Früher war die eigentliche Hauptaufgabe der Patinnen und Paten, dass diese als erziehungsberechtigte Personen einspringen, wenn den Eltern etwas zustossen sollte. Auch diese Seite des Gotte-Seins kennt Mirta Ammann. Die Mutter ihrer Patentochter Ronja starb, als diese im Kindergartenalter war. Nach diesem Schicksalsschlag ist Mirta für Ronja bis heute eine wichtige Bezugsperson, die sie häufig an den Wochenenden und in den Ferien besuchte. «Ich bin ein wenig zu ihrer Ersatzmutter geworden. Seit einigen Jahren nennt sie mich auch ‹Mutti›, was mich natürlich sehr rührt», so Mirta Ammann. Mit Ronja unternahm sie denn auch eine ganz spezielle Reise: «Sie wünschte sich zu ihrem 20. Geburtstag, dass wir auf der selben Route durch Indien reisen, wie ich sie vor über dreissig Jahren mit ihrer Mutter gemacht habe.» Solche Abenteuer und Erinnerungen sind es, die für Mirta Ammann das Gotte-Sein gehaltvoll und bereichernd machen. Patin zu sein, bedeutet für sie aber auch, bei Bedarf ein offenes Ohr zu schenken, die Kinder, so verschieden sie sind, anzunehmen und sie in ihren Plänen und Träumen zu bestärken. «Ich verstehe dieses Amt als Ehre und die Möglichkeit, spannende Persönlichkeiten auf ihrem Lebensweg von der Seitenlinie her zu unterstützen.»
Text: Rosalie Manser
Bilder: Ana Kontoulis