Reformen bei der Rolle der Frau und beim Umgang mit LGBTQI+-Personen, Geschiedenen und Wiederverheirateten, aber auch eine stärkere Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Normen – die Umfrageergebnisse machen sichtbar, wo Katholikinnen und Katholiken im Bistum St.Gallen Reformbedarf sehen. Am 11. Februar stellte gfs.Bern zusammen mit dem Bistum St.Gallen die Ergebnisse in Wil vor.

«Es gibt kein Zurück» — Was macht das Bistum St.Gallen jetzt mit den Ergebnissen?
Interview mit Dominik Michel-Loher (21. April 2022) Zum Interview
«Die Ergebnisse in den drei Bistümern ähneln sich sehr stark», sagte Cloé Jans vom Meinungs- und Marktforschungsinstitut gfs.Bern bei der Präsentation der Ergebnisse im katholischen Pfarreizentrum in Wil SG. Zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus den Pfarreien, Kirchgemeinden und kirchlichen Organisationen hatten den Weg nach Wil gefunden. Im Rahmen der der Bischofssynode, die 2023 in Rom stattfindet, rief Papst Franziskus die Bistümer weltweit auf, sich an einer Umfrage zur Synodalität zu beteiligen. Die Bistümer St.Gallen, Basel und Chur lancierten im vergangenen Herbst eine gemeinsame Umfrage. Im Bistum St.Gallen nutzten 1000 Personen die Möglichkeit, am Dialogprozess der römisch-katholischen Kirche teilzunehmen.«Die Umfrage ist nicht repräsentativ, aber da es sich um eine Dialogsbefragung handelt, haben die Ergebnisse trotzdem eine grosse Aussagekraft und sind hochgradig interpretierbar», hielt Cloé Jans fest. «Es wird sichtbar, dass die christlichen Grundwerte und gemeinsamen Rituale eine starke Basis für das Leben vieler sind und einen wichtigen gemeinsamen Nenner darstellen.»

«Der Dialogprozess sprach vor allem Leute an, die schon in der Kirche engagiert oder in irgendeiner Weise involviert sind.»
Cloé Jans, gfs.Bern
Das Berner Institut hat die Umfrage im Auftrag des Bistums durchgeführt und ausgewertet. Der Abschlussbericht umfasst 53 Seiten. «Die Beiträge aus den Dialoggruppen zeugen dabei in ihrer Gesamtheit von der zentralen Rolle, die der Glaube im Leben der Teilnehmer:innen spielt und der tiefen Verbundenheit mit und der Relevanz von Gott für jede Person einzeln», schreibt g.f.s in seiner Zusammenfassung. Neben Offenheit und Nächstenliebe als zentrale Werte werde immer wieder «der unvergleichlich grosse Stellenwert der Freiwilligkeit und freiwilligen Arbeit» betont. Für viele sei das soziale Engagement ein «Identifikationsanker» und eine «Quelle der Freude und Zufriedenheit».
«Sind das nicht Ergebnisse, die man so erwarten konnte? Gibt es etwas, das überraschte?»
Hans Hüppi, pensionierter Seelsorger, Ernetschwil
Gottesdienste verbinden
65 % der Teilnehmenden bezeichnen den gemeinsamen Glauben und den Gottesdienste als verbindende Elemente. Doch offensichtlich sehen hier einige Reformbedarf. Denn nur 35 % gaben an, dass «die Liturgie (Gebet) zeitgemäss gestaltet» wird. Obwohl die Umfrage das nicht so beabsichtigt habe, haben laut g.f.s die Teilnehmenden in ihren Voten konkrete Inputs, Forderungen und Wünsche formuliert. Es falle auf, «dass diese Inputs unabhängig von der eigentlichen Frage immer wieder sehr ähnlich sind. Dazu gehört insbesondere die Rolle der Frau in der Kirche, der Umgang mit Minderheiten oder Lebensformen, die nicht einer traditionellen Vorstellung entsprechen (LGBTQI+, Geschiedene, Wiederverheiratete), oder auch die Art und Weise, wie eine zeitgemässe Gestaltung von Riten und Feiern möglich ist. Auch Personen mit Beeinträchtigungen oder mit einem anderen kulturellen oder sprachlichen Hintergrund werden zu wenig miteinbezogen.»
«Die synodale Arbeit ist im Bistum verankert und wird weitergehen.»
Franz Kreissl, Leiter Pastoralamt des Bistums St.Gallen
Vom Bistum zu wenig gehört
Ein Umfragebereich beinhaltete auch den Dialog zwischen Bistumsleitung und Basis. Hier sehen die Katholikinnen und Katholiken im Bistum St.Gallen offensichtlich Optimierungsbedarf: 53 % gaben an «Führungspersonen im Bistum nehmen uns nicht wahr und verstehen uns nicht». Doch im Vergleich mit anderen Bistümern schneidet St.Gallen hier eindeutig besser ab:. Cloé Jans betont bei der Präsentation: «Die Dialoggruppen im Bistum St. Gallen, verglichen mit den Bistümern Basel und Chur, fühlen sich von den Führungspersonen im Bistum deutlich eher gehört und verstanden.»
Die Ergebnisse werden schweizweit gesammelt und im März nach Rom geschickt. Das Bistum St.Gallen will mit den Erkenntnissen aus der Umfrage arbeiten, wie Franz Kreissl (Leiter Pastoralamt des Bistums St.Gallen) betonte: «Die synodale Arbeit ist im Bistum verankert und wird weitergehen.»
Bericht des Bistums St.Gallen über die Umfrage-Ergebnisse
Text + Fotos: Stephan Sigg
11. Februar 2022
