Als Pilgerinnen Neues in ­Altbekanntem entdecken

Flache Stre­cken können anstren­gen­der sein als hüge­li­ge. Und während des Gehens lassen sich beson­ders gut neue Bekannt­schaf­ten knüp­fen: Diese Erfah­run­gen haben Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo aus St. Gallen auf ihrer ersten Pilger­rei­se gemacht. Zusam­men mit 200 ande­ren Perso­nen haben sie beim Bistums­pil­gern mitgemacht.

Jetzt sehe ich sie dann alle nicht mehr.» Dieser Gedan­ke ging Tosca Wetzel nach drei Tagen, in denen sie zu Fuss unter­wegs gewe­sen war, durch den Kopf. Zusam­men mit über 200 Perso­nen hatte sie beim Bistums­pil­gern (siehe Info unten) mitge­macht und war von St. Gallen nach Magden­au, von Nieder­uz­wil nach Drei­brun­nen und von Bazen­heid nach Libin­gen gepil­gert. «Diese kurze Zeit hat ausge­reicht, uns als Grup­pe zusam­men­zu­schweis­sen», sagt sie. Unter­wegs beglei­tet wurde sie von ihrer Schwes­ter Nadia Maciariello.

«Während des Pilgerns wird das Klei­ne gross und alle ­Sinne sind geschärft.»

Zusam­men sitzen die beiden St. Galle­rin­nen nun am heimi­schen Küchen­tisch. Sie spre­chen darüber, was Pilgern ausmacht und wie es ist, in Altbe­kann­tem Neues zu entde­cken. Die Idee, sich darauf einzu­las­sen, hatte Nadia Macia­ri­el­lo. Über einen Bekann­ten hatte sie vom Bistums­pil­gern erfah­ren. Er sagte ihnen auch, dass noch Perso­nen gesucht wurden, die mithel­fen und unter­wegs verschie­de­ne Aufga­ben über­neh­men würden wie etwa Stras­sen sichern oder das Schluss­licht bilden. «Da wir beide noch nie gepil­gert sind, das aber schon seit länge­rem einmal auspro­bie­ren woll­ten, haben wir uns ange­mel­det», sagt Nadia Maciariello.

Direkt von zuhau­se aus losge­hen können, das ist es, was Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo am Pilgern gefällt. (Bild: Ana Kontoulis)

Dass flache, mono­to­ne Stre­cken anstren­gen­der sein können als hüge­li­ge Etap­pen: Das ist eine Erfah­rung, die Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo während des Pilgerns gemacht haben. «Auch die Offen­heit der Teil­neh­men­den hat mich über­rascht. Ich bin immer mit jeman­dem ins Gespräch gekom­men und habe inter­es­san­te Lebens­ge­schich­ten erfah­ren», sagt Tosca Wetzel. Nadia Macia­ri­el­lo ergänzt: «Es ist gut möglich, dass das Gehen ein Rede­be­dürf­nis auslöst oder dass wir nach der langen Coro­na­zeit einfach Lust auf neue Kontak­te haben. Und dann ist da sicher noch das Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl der Pilger­ge­mein­schaft, dass einen offe­ner werden lässt.» Berüh­rend habe sie es auch gefun­den, dass in einer ­Pilger­grup­pe alle Perso­nen unab­hän­gig von ­Herkunft, Alter oder sozia­lem Hinter­grund gleich seien. Fami­li­en mit Kindern und Senio­rin­nen und Senio­ren, Promis und Norma­los, Betgrup­pen und nicht reli­giö­se Perso­nen seien zu Wegge­fähr­tin­nen und Wegge­fähr­ten gewor­den. «Unser Vater, der eben­falls mitge­kom­men ist, entdeck­te unter den Pilgern­den eine bekann­te Person aus der Medi­en­welt und fand das bemer­kens­wert» sagt Nadia Macia­ri­el­lo. «Aber nach einer Weile war es dann eben einfach nicht mehr so wich­tig, mit wem man unter­wegs war.»

Während des Pilgerns werde das Klei­ne gross, sagt Nadia Macia­ri­el­lo. Und Tosca Wetzel fügt an: «Defi­ni­tiv. Ausser­dem sind alle Sinne geschärft.» Als Beispie­le nennt sie das Farben­spiel in den Kirchen oder all jene Ortschaf­ten entlang der Route, die man sonst kaum besu­chen würde, in denen es aber viele Beson­der­hei­ten zu entde­cken gebe. Für beide ist klar: Wandern und Pilgern unter­schei­det sich vor allem durch das Spiri­tu­el­le, das ein wesent­li­cher Bestand­teil vom Pilgern sei. Beim Bistums­pil­gern sind es etwa der besinn­li­che Einstieg in den Tag und der Abschied am Tages­en­de sowie eine Stun­de täglich, in der die gesam­te Grup­pe schwei­gend pilgert.

«Ohne Erwar­tun­gen sein und sich über­ra­schen lassen, das ist es, was Losge­hen und ­unter­wegs sein ausmacht.»

Die beiden Mitte 40-Jährigen sind sich einig, dass sie sich auch in Zukunft gerne im Pilgern versu­chen möch­ten, dann aber viel­leicht in einer klei­ne­ren Grup­pe und auf einem länge­ren Wegstück. Im Wandern hinge­gen sind sie erfah­ren. Ob mit ihren Fami­li­en, als Lehre­rin­nen in der St. Galler Primar­schu­le Bopparts­hof oder früher mit Jungwacht-Blauring: «Es ist etwas, das wir immer gerne und regel­mäs­sig gemacht haben» sagen sie.

Gast­freund­schaft überrascht

Mit Wander­stö­cken, gutem Schuh­werk und vor allem mit einem mit Verpfle­gung gefüll­ten Ruck­sack haben sich Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo daher auch auf die Bistums­pil­ger­rei­se bege­ben. Zwar wuss­ten sie, dass das Bistums­pil­gern durch die 33 Seel­sor­ge­ein­hei­ten führt. Nicht erwar­tet hätten sie aber die Gast­freund­schaft, Freu­de und das Glocken­ge­läut, mit denen sie dort jeweils empfan­gen worden seien. «Zum Teil gab es Musik und Gesang oder einen klei­nen Imbiss wie etwa eine Suppe vom Feuer», sagt Tosca Wetzel. Und Nadia Macia­ri­el­lo fügt an: «Ohne Erwar­tun­gen sein und sich einfach über­ra­schen lassen, das ist es, was Losge­hen und unter­wegs sein für mich ausmacht.» (nar)

Für Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo unter­schei­den sich Wandern und Pilgern durch das Spiri­tu­el­le. (Bild: Ana Kontoulis)

Info: Das Bistum pilgernd kennenlernen

Spiral­för­mig geht es derzeit in 17,5 Tagen durchs Bistum St. Gallen: So viele Tage braucht es, um alle 33 Seel­sor­ge­ein­hei­ten pilgernd zu durch­que­ren oder zu strei­fen. Anlass dafür ist das 175-Jahr-Jubiläum des Bistums. Über 200 Perso­nen waren es, die beim Start der Akti­on Mitte März von St. Gallen über Heris­au nach Magden­au pilger­ten. Im April ging es unter ande­rem von Watt­wil nach St. Gallen­kap­pel. Von Juni bis Septem­ber stehen weite­re Etap­pen wie etwa von Buchs nach Salez oder von Spei­cher nach Rehe­to­bel an. Inter­es­sier­te können sich für eine oder gleich mehre­re Routen anmel­den. «Die Idee des Bistums­pil­gerns ist, dass man auf Etap­pen in jenen Gegen­den mitpil­gert, die man nicht gut kennt oder die man neu entde­cken möch­te», sagt Ines Scha­ber­ger, Geschäfts­füh­re­rin des Bistums­ju­bi­lä­ums. «Auf diese Weise können wir unse­re eige­ne Heimat neu kennen­ler­nen und im schein­bar Unschein­ba­ren das Beson­de­re entdecken.» 

Dass diese Idee gut ankommt, zeigen die Rück­mel­dun­gen: Den Teil­neh­men­den gefal­le, dass nicht die gros­sen Pilger­stät­ten Ziel der Reise sind, sondern ganz norma­le Orte zu Pilger­stät­ten werden. «Ausser­dem ist es ein schö­ner Prozess, gemein­sam mit verschie­dens­ten Menschen unter­wegs zu sein», sagt sie. Der Alters­un­ter­schied zwischen der jüngs­ten und der ältes­ten Person habe zuletzt 75 Jahre betra­gen. Auch hat sich das Bistums­pil­gern laut Ines Scha­ber­ger beina­he schon zu einer Degus­ta­ti­ons­tour entwi­ckelt. Viele Seel­sor­ge­ein­hei­ten erwar­te­ten die Pilge­rin­nen und Pilger mit Suppen, Kuchen und Kaffee. «Es gibt also genug Möglich­kei­ten, neue Bekannt­schaf­ten zu schlies­sen», sagt sie. Aber abge­se­hen davon ermög­li­che das Bistums­pil­gern vor allem schö­ne Erfah­run­gen in der Natur – ein Ort, an dem Gottes Schön­heit sicht­bar werde. (nar)

→ Infos und Anmel­dung Bistums­pil­gern: www.bistum-stgallen.ch/175jahre/pilgern

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