15 bis 20 Fälle bearbeitet die Ombudsstelle des Bistums St. Gallen im Jahr. «Ursachen für Konflikte sind oft ungeklärte Rollen oder Zielvorgaben», sagt Ombudsperson Kathrin Hilber. Das Angebot steht kirchlichen Mitarbeitenden und freiwillig Engagierten zur Verfügung.
«Viele, die mit uns Kontakt aufnehmen, melden sich relativ spät», sagt Kathrin Hilber, «die Konfliktdynamik ist schon weit vorangeschritten und die Not deshalb gross. Wenn möglich, versuchen wir, in solchen Fällen auch den Erstkontakt innerhalb 24 Stunden zu realisieren.» Für die Betroffenen sei es zunächst mal wichtig, dass ihnen jemand zuhört. «Als Ombudsperson können wir keine Wunder vollbringen. Wir unterstützen als Coach. Unsere Rolle besteht darin, zu beraten und Mut zu machen. Wir möchten die Ratsuchenden befähigen, wenn immer möglich ihren Konflikt selber zu lösen. Vorgesetzte haben meist keine Freude dran, wenn Ombudspersonen auftreten.» So probieren sie zum Beispiel verschiedene Verhaltensmöglichkeiten aus und besprechen, welche unterschiedliche Dynamiken damit ausgelöst werden.

Ungeklärte Fragen
«Bis jetzt haben sich praktisch alle Berufsgruppen, die im kirchlichen Umfeld tätig sind, gemeldet: Priester, Seelsorgerinnen und Seelsorger, Messmerinnen und Mesmer, Reinigungskräfte …», so Kathrin Hilber. Die Ombudsstelle steht auch für freiwillig Engagierte offen. «Von diesen hat sich bis jetzt kaum jemand gemeldet», sagt Kathrin Hilber, «denn freiwillig Engagierte legen meist ihr Ehrenamt nieder, wenn sie unter einem Konflikt leiden.» Etwas beobachtet Kathrin Hilber bei ihren Ratsuchenden immer wieder: «Die Menschen, die zu mir kommen, brennen für die Kirche. Trotz der Konflikte stellen sie ihre Berufung nicht infrage.» Oft komme es zu Konflikten, weil einiges zu wenig genau geklärt ist: Wer hat welche Kompetenzen? Was steht genau im Stellenbeschrieb? «Immer wieder geht es auch um die Erfahrung, nicht gehört zu werden, oder es fehlt an echter Wertschätzung.» Manchmal umfasst ein Fall einfach nur ein Beratungsgespräch am Telefon, manchmal trifft man sich zu mehreren Terminen. Was auf der Ombudsstelle besprochen wird, ist vertraulich. «Jeder Schritt passiert nur mit dem Einverständnis des Klienten. Wir beraten unabhängig und neutral. Die Ombudsstelle ist niemandem gegenüber zu einer Auskunft verpflichtet und entscheidet selbst, ob und in welcher Form sie tätig sein will.» Wird es gewünscht, leitet die Ombudsperson ein Gespräch mit allen Betroffenen ein. Durch ihre Arbeit als Ombudsfrau sei ihr bewusst geworden, was für ein besonderes System das duale Kirchenmodell sei: «Dass das Miteinander von kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Gremien funktioniert, hängt von den konkreten Personen ab.» Kirchliche Mitarbeitende haben meist zwei Vorgesetzte – den Bischof und die Kirchenverwaltung.
Innovativer Schritt
2017 haben das Bistum St. Gallen und der Katholische Konfessionsteil die Ombudsstelle eingerichtet. «Das war im kirchlichen Bereich ein innovativer Schritt», sagt Kathrin Hilber. Die ehemalige St. Galler Regierungsrätin ist seit Anfang an dabei. Sie wird unterstützt von Tino Bentele, Wittenbach, und Alexandra Gloor, Buchs. «Die Betroffenen sollen auswählen können und zudem sind mit der Juristin Alexandra Gloor noch weitere Kompetenzen vertreten. Oft sind bei unseren Fällen schnell juristische Fragen im Spiel.» Fünfzehn bis zwanzig Fälle bearbeitet die Ombudsstelle im Jahr. Laut Kathrin Hilber, die auch Erfahrung als Ombudsfrau von anderen Institutionen mitbringt, ist das überraschend wenig. «Woran das liegt, lässt sich schwer sagen. Ich vermute, dass die Hemmschwelle, sich zu melden, bei vielen noch gross ist.» Sie ermutigt alle, die Ombudsstelle auch präventiv in Anspruch zu nehmen. «Oft lassen sich Konflikte für alle Beteiligten viel einfacher lösen, wenn man sich professionell beraten und begleiten lässt, bevor sich eine negative Dynamik in Gang gesetzt hat.»
Anliegen werden gehört
Alle zwei Jahre treffen sich die Ombudspersonen mit ihren Auftraggebern, dem Bistum und dem Katholischen Konfessionsteil. «Beobachten wir, dass gewisse Themen immer wieder vorkommen, dann machen wir unsere Auftraggeber darauf aufmerksam, wo Handlungsbedarf besteht.» Das können zum Beispiel das Angebot von Weiterbildungen oder Anpassungen bei den Anstellungsbedingungen sein. «Auch bei diesen Gesprächen erlebe ich die kirchlichen Verantwortungsträger als offen und konstruktiv. Wir werden mit unseren Anliegen gehört.» Die Ombudsstelle des Bistums St. Gallen wird schweizweit wahrgenommen: Jüngst hat Kathrin Hilber von einem anderen Bistum den Auftrag erhalten, das Konzept für eine Ombudsstelle zu entwickeln.
Kontaktaufnahme mit Kathrin Hilber
Text: Stephan Sigg
Bild: Regina Kühne
Veröffentlicht: 12. 04. 2023