Lichtensteig hat den Wakkerpreis 2023 des Schweizer Heimatschutzes erhalten. Was ist so besonders am Städtchen im Toggenburg? Auf Spurensuche vor Ort.
Es ist ein wunderschöner Sommertag Ende August. Die Sonnenstrahlen wärmen die Haut schon in den frühen Morgenstunden. Im Städtchen Lichtensteig am Fusse der Wasserfluh hat der Tag längst begonnen. Passantinnen und Passanten queren auf leisen Sohlen die Strasse, Ladenbesitzer wischen ihre Vorplätze, auf den Balkonen der Wohnhäuser werden die Pflanzen gegossen. Über den verwinkelten Gässlein der Altstadt liegt an diesem Morgen eine idyllische Ruhe. Einzig ein Auto durchbricht dann und wann die Stille. Reger Betrieb herrscht derweil bereits im Café Huber am Ortseingang. Die Plätze auf der Terrasse sind restlos belegt, die Angestellten haben alle Hände voll zu tun. Das Städtli – wie Lichtensteig liebevoll genannt wird – ist ein beliebtes Ausflugsziel. Und es war in den vergangenen Wochen vermehrt im Gespräch. Denn: Lichtensteig hat den Wakkerpreis 2023 erhalten. Der Heimatschutz Schweiz hat das Städtchen für seinen «Mut zur innovativen Belebung von leerstehenden Räumen» geehrt. Dadurch habe es zu einem «neu belebten Selbstbewusstsein» gefunden. Besonders gewürdigt werden dabei der Einbezug der Bevölkerung sowie die vielfältigen Umnutzungen von historischen Gebäuden.
Verwaltung macht Kultur Platz
Bei einem Spaziergang durch die Altstadt – im Inventar schützenswerter Ortsbilder der Schweiz enthalten – fallen den Besucherinnen und Besuchern diese schönen und meist liebevoll sanierten Altbauten direkt ins Auge. Arkaden und Bogengänge lassen einen in längst vergessene Zeiten eintauchen. Viele kleine Handwerkerbetriebe und Verkaufslädeli bieten ihre Waren und Dienstleistungen an. Das Angebot ist gross und vielfältig. Auch die Regionalität fehlt nicht. Darauf, so scheint es, wird ein grosses Augenmerk gelegt. Der Schweizer Heimatschutz nennt als positives Beispiel für die Stadtentwicklung die UBS-Filiale und das Rathaus. Das Rathaus aus dem 17. Jahrhundert diente dereinst der Stadt als Sitz der Verwaltung. Um allen Menschen den Zugang zu ermöglichen, wurde vor einigen Jahren ein Lifteinbau evaluiert. Aufgrund der Kosten und des starken Eingriffs in die historische Substanz entschied sich die Stadt allerdings dafür, nicht in die Renovation, sondern in den Erwerb des benachbarten UBS-Gebäudes zu investieren. 2018/2019 bezog die Stadtverwaltung die neuen Räume, das bisherige Rathaus wurde zum «Rathaus für Kultur». Dieses bietet seither Platz für Kreativwirtschaft und beherbergt verschiedene Ausstellungen. Als weiteres Beispiel hebt der Heimatschutz die Umnutzung des ehemaligen Postgebäudes hervor. Nach dem Auszug der Post 2016 wurde aus dem stattlichen Gebäude das Macherzentrum Toggenburg. In den Räumen werden heute Coworking-Plätze angeboten. Ein Angebot, das den heutigen Arbeitsanforderungen entspricht.

Neue Menschen anziehen
Mit seiner aktiven Politik nutze Lichtensteig die Möglichkeit, auf die bauliche Entwicklung Einfluss zu nehmen und die Nutzung in eine zukunftsfähige Richtung zu lenken, so der Heimatschutz. Es gelinge, neue Menschen anzuziehen, Eingesessene zu halten, Kultur zu ermöglichen und so den Charakter eines urbanen Zentrums auf dem Land wieder zu stärken. Mit der Strategie «Mini.Stadt 2025» stützt sich Lichtensteig gemäss eigener Aussage für seine zukünftige Entwicklung auf ihre vorhandenen Potenziale. Augenmerk wird dabei auf die «einmalige Architektur, das kulturelle Angebot, das Unternehmertum sowie auf die mutigen und innovativen Bürgerinnen und Bürger» gelegt. Und diese lassen sich immer wieder etwas einfallen. Etwa einen Pop-up-Manufakturladen mit verschiedensten Produkten von Schweizer Herstellerinnen und Herstellern und regionalen Produzenten.
Preis als Wertschätzung
Die Stadt Lichtensteig geht selbstbewusst mit dem Wakkerpreis um. Auf der Website wird in grossen Lettern und an prominenter Stelle darauf verwiesen. Und das Bewusstsein ist auch in der Bevölkerung vorhanden. «Natürlich wissen wir Lichtensteigerinnen und Lichtensteiger, dass wir den Wakkerpreis erhalten haben. Es freut uns sehr», sagt eine Passantin. Die Ehrung des Heimatschutzes sei eine Wertschätzung für sie und mache sich auch an den Besucherzahlen bemerkbar. «Wir hatten schon immer viele auswärtige Besucherinnen und Besucher. In diesem Jahr aber noch mehr. Das spüren wir schon. Aber wir Lichtensteigerinnen und Lichtensteiger waren schon immer sehr innovativ» ruft die Frau noch zu, bevor sie in einem Hauseingang verschwindet.
Text: Alessia Pagani
Bilder: Ana Kontoulis
Veröffentlichung: 25. September 2023