Eine neue Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Religiosität und Engagement und kommt zum Schluss, dass religiös praktizierende Menschen stärker freiwillig tätig sind.
«Freiwillige gesucht», «Haben Sie Zeit und wollen sich einbringen?», «Wollen Sie sich ehrenamtlich engagieren?» Wer im Internet über Organisationen oder Vereine recherchiert, stösst oft auf solche Aussagen. Nicht zuletzt die Organisatoren von kirchlichen Veranstaltungen, wie etwa den Rorate-Frühstücken (im Bild: Altstätten), sind auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen. Die Bereitschaft ist in der Bevölkerung vorhanden. Doch wer ist eigentlich bereit, sich für die Gemeinschaft zu engagieren? Dieser Frage geht der Luzerner Religionssoziologe Anastas Odermatt in einer Studie nach. Unter dem Titel «Religion und Sozialkapital in der Schweiz. Zum eigenwilligen Zusammenhang zwischen Religiosität, Engagement und Vertrauen» untersucht der gebürtige St. Galler unter anderem, inwieweit das soziale Engagement von der Religiosität beeinflusst wird. Odermatt kommt zum Schluss: Religiosität und freiwilliges Engagement sind positiv korreliert. Vor allem die religiöse Praxis, insbesondere der Gottesdienstbesuch, verstärkt das freiwillige Engagement. Zudem zeigt die Studie, dass religiös praktizierende Menschen sowohl im religiösen als auch im säkularen Bereich stärker freiwillig tätig sind.
Teil einer Gruppe sein
Doch ist es wirklich so einfach? Engagieren sich gläubige Menschen mehr? «Ja», sagt Jürg Wüst, Pfarreibeauftragter aus Gommiswald, auf Nachfrage. «Die Bereitschaft für freiwilliges Engagement ist in den Pfarreien grundsätzlich gross. Das spüren wir schon.» Kirchgänger oder Menschen, die sich in Pfarreien engagieren, suchten die Interaktion mit der Gemeinschaft. «Sie suchen den Kontakt und wollen Teil einer Gruppe sein, in die sie sich einbringen können», so Wüst. Nach den Gottesdiensten biete sich dafür eine gute Gelegenheit. Ähnliche Erfahrungen hat Susanne Baumgartner von der ökumenischen Gemeinde St. Gallen-Halden gemacht. Im Nähcafé stellen freiwillige Helferinnen Interessierten ihre Zeit zur Verfügung. «Tendenziell engagieren sich bei uns mehr die Menschen mit religiösem Hintergrund freiwillig. Das hat auch mit der Kernaussage des Christentums zu tun, dass wir unsere Mitmenschen lieben sollen wie uns selbst», sagt Baumgartner. Das Wir-Gefühl sei davon unabhängig, auch durch den ökumenischen Gedanken, in den vergangenen Jahrzehnten in der Pfarrei stark gewachsen. «Bei uns im Quartier herrscht ein grosses Gemeinschaftsgefühl. Die Bereitschaft zur Unterstützung ist extrem gross. Unabhängig davon, ob die Menschen gläubig sind oder nicht.» Auf die Mithilfe von Freiwilligen ist auch Niklaus Fürer angewiesen. Fürer organisiert in der Pfarrei Abtwil-St. Josefen die Seniorentreffs mit Kaffeestube. Diese wird von Freiwilligen betreut. «Es sind alles religiös-engagierte Frauen. Auf ihre Unterstützung kann ich immer zählen», sagt Fürer. Er selber organisiert ehrenamtlich das Programm des Seniorentreffs, unter anderem Vorträge, Ausflüge und andere Zusammenkünfte. «Für mich ist es eine Befriedigung, wenn ich älteren Menschen interessante Themen und ein gemütliches Beisammensein anbieten kann.»
Bereitschaft gross
Benevol, die Fachstelle für freiwilliges Engagement, registriert laut Projektmanager Ueli Rickenbach pro Monat rund 100 neue Freiwillige auf benevol-jobs.ch. «Die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, ist nach wie vor gross», sagt Rickenbach. Entscheidend seien dabei die Stossrichtungen der einzelnen Gruppierungen, welche Anreize diese setzten und wie die Zusammenarbeit funktioniere. «Die Verbundenheit mit einer Organisation, das Teilen derselben Werte und das gemeinsame Bewegen sind Förderfaktoren. Diese sind sicherlich auch in der Kirche anzutreffen», sagt Rickenbach und ergänzt: «Beliebt sind Aufgaben, die zeitlich flexibel sind. ‹Lebenslange› Jobs sind weniger gefragt.» Entsprechend würden die Organisationen heute auch mehr auf Projektbasis arbeiten. Auch Jürg Wüst sagt: «Für Einzeleinsätze finden wir schneller Freiwillige. Bei längeren Einsätzen oder Dauereinsätzen ist es schwieriger. Anscheinend wollen sich die Leute heute nicht mehr allzu lang binden.»
Text: Alessia Pagani
Bild: Pfarrei Altstätten, R. Hangartner
Veröffentlichung: 4. Oktober 2023