Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

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