Geschenke von den Sternen

Zu tradi­tio­nell polni­schen Weih­nach­ten gehö­ren zwölf Gerich­te. Geschen­ke kann nebst dem Christ­kind auch ein Stern brin­gen. Und wie in Polen üblich, lässt Magda­le­na Jenek zusam­men mit ihrer Fami­lie am Weih­nachts­tisch immer einen Platz für einen uner­war­te­ten Gast frei.

«Weih­nach­ten war für mich als Kind immer wie ein Märchen», sagt Magda­le­na Jenek. «All die Vorbe­rei­tun­gen, der Schnee und die Mitter­nachts­mes­se in der Kirche, zu der das ganze Dorf mit Later­nen unter­wegs war.» Die 39-jährige gebür­ti­ge Polin sitzt an ihrem Esstisch im Thur­gaui­schen Stein­ebrunn. Sie zeigt auf ihren Arm und sagt: «Wenn ich nur schon an Weih­nach­ten denke, bekom­me ich Gänse­haut.» In der Ostschweiz lebt Magda­le­na Jenek seit 20 Jahren. Sie enga­giert sich im Bistum St. Gallen als polni­sche Vertre­tung im Missi­ons­rat St. Gallen-Thurgau und besucht in der Kapel­le Unte­re Waid in Mörsch­wil die polni­schen Gottes­diens­te. In die Ostschweiz gezo­gen ist sie, weil sie sich während eines Besuchs bei ihrem Onkel, der Pries­ter in Flums ist, in ihren späte­ren Mann verlieb­te. «Und weil mein Mann eben­falls ursprüng­lich aus Polen ist, teilen wir all die vielen polni­schen Weih­nachts­tra­di­tio­nen», sagt sie.

Versöh­nung, Liebe und Frieden

Obwohl es noch ein paar Wochen bis Weih­nach­ten dauert, hat Magda­le­na Jenek extra für das Inter­view eini­ge polni­sche Obla­te besorgt. Die dünnen Teig­plätt­chen, auf denen Maria, Josef und das Jesus­kind in der Krip­pe abge­bil­det sind, dürf­ten an Weih­nach­ten auf keinen Fall fehlen. «Es ist eine der wich­tigs­ten Tradi­tio­nen», sagt sie und erzählt, wie sich an Heilig­abend die ganze Fami­lie am Tisch versam­melt. Es wird eine Caritas-Kerze ange­zün­det, gebe­tet und im Evan­ge­li­um gele­sen. Danach verteilt das Fami­li­en­ober­haupt an alle Anwe­sen­den Obla­te. «Alle gehen mit ihrer Obla­te zu den ande­ren Fami­li­en­mit­glie­dern, brechen ein Stück ab und wünschen ihrem Gegen­über etwas. Das ist ein Zeichen von Versöh­nung, Liebe und Frie­den», sagt sie. Anschlies­send beginnt das Weih­nacht­es­sen, das aus zwölf verschie­de­nen Gerich­ten besteht. «Und dieses Essen hat man sich verdient», sagt Magda­le­na Jenek und erzählt, wie man in Polen am 24. Dezem­ber tags­über fastet und schon früh am Morgen mit der Zube­rei­tung der Spei­sen beginnt. Der Baum muss geschmückt und der Tisch spezi­ell gedeckt werden: Die weis­se Tisch­de­cke liegt auf Heu, das daran erin­nern soll, dass Jesus arm in einem Stall zur Welt kam. Zudem bleibt immer ein Platz für einen uner­war­te­ten Gast frei. «Niemand soll an Weih­nach­ten allei­ne sein. Ausser­dem erin­nert uns der freie Platz einer­seits an jene Perso­nen, die verstor­ben sind. Ande­rer­seits lässt er uns an Maria und Josef denken, die nirgendwo einen Unter­schlupf fanden», sagt sie.

Für jeden Apos­tel ein Gericht

Auf die zwölf Gerich­te ange­spro­chen, lacht Magda­le­na Jenek und sagt: «Ja, zwölf Gerich­te müssen es sein, denn sie symbo­li­sie­ren die zwölf Apos­tel.» Nach Suppen, Teig­ta­schen, Sauer­kraut, Hering­salat, Knödel, Trocken­früch­te­kom­pott und vielem mehr werden Weih­nachts­lie­der gesun­gen und Geschen­ke verteilt. «Bei uns können entwe­der Engel, das Christ­kind, ein Stern oder ein Weih­nachts­mann Geschen­ke brin­gen. In meiner Fami­lie war es immer der Stern», sagt sie. Wird es Zeit für die Mitter­nachts­mes­se, macht sich die Fami­lie gemein­sam auf den Weg. «In meinem Heimat­ort Nosow waren das immer zwei Kilo­me­ter, die wir durch Dunkel­heit und Kälte liefen. Aber unse­re Herzen waren voller Freu­de und Wärme, weil Gott so nah bei uns war. Das war immer ein wunder­schö­nes Erlebnis.»

Einen Platz freihalten

Der erste und zwei­te Weih­nachts­tag werden in der Fami­lie verbracht und an jedem Tag wird eine Messe besucht. «Wir Kinder führ­ten dann jeweils jedes Jahr ein Krip­pen­spiel auf», sagt Magda­le­na Jenek. Nach Weih­nach­ten habe der Pries­ter alle Fami­li­en besucht. «Es wurde gere­det, gebe­tet und das Haus geseg­net. Man lern­te sich besser kennen, was die Gemein­schaft stärk­te.» Dann erin­nert sie sich spon­tan daran, wie der Pries­ter jeweils die Hefte der Kinder aus dem Religions­unterricht anschau­te und lobte. In Polen ist der Gross­teil der Bevöl­ke­rung katho­lisch. «Und in meinem Dorf waren wohl prak­tisch alle katho­lisch und die Weih­nachts­tra­di­tio­nen stark veran­kert. Weih­nach­ten ist das Fest, das uns daran erin­nert, dass Gott Mensch wurde und für uns gebo­ren, gestor­ben und aufer­stan­den ist», sagt Magda­le­na ­Jenek. Viele Weih­nachts­tra­di­tio­nen versucht sie auch heute in der Ostschweiz zusam­men mit ihrem Mann und Sohn weiter­zu­füh­ren. «Wir haben auch immer einen Platz für einen uner­war­te­ten Gast und vor zwei Jahren kam tatsäch­lich ein Nach­bar vorbei», sagt sie. Und natür­lich begin­nen wir das Weih­nachts­fest, wie in Polen üblich, dann, wenn am Himmel der erste Stern erscheint.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 23. Novem­ber 2024

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