Einen Weg zur Trauer finden

Der gebür­ti­ge Heri­sau­er Autor Ivo Knill verar­bei­tet in seinem neuen Buch den Suizid seines Bruders Fran­co. Im Inter­view erzählt er, was ihm bei der Trau­er­ar­beit am meis­ten gehol­fen hat und welcher Trost im Bild des Himmels steckt.

Ivo Knill, was war das Schwie­rigs­te nach dem Suizid Ihres Bruders?

Mich hat der Suizid im Inners­ten erschüt­tert. Da waren Zwei­fel, ob ich über­haupt noch vor Menschen treten kann, wenn ich es nicht einmal geschafft habe, meinen Bruder vor dem Suizid zu bewah­ren. Am schlimms­ten waren diese quälen­den Fragen: Haben wir etwas über­se­hen? Hätten wir mehr nach­fra­gen können?

Was hat Ihnen geholfen?

Manchen helfen die Besu­che auf dem Fried­hof oder ande­re Ritua­le, für mich war es das Schrei­ben. Wenn man jeman­den durch Suizid verliert, reagiert das Umfeld oft mit Schwei­gen. Viele sind über­for­dert, mit einem darüber zu spre­chen. Meine Trau­er war unter dem Schock begra­ben. Das Schrei­ben hat mir gehol­fen, einen Weg zur Trau­er zu finden. Gleich­zei­tig konn­te ich durch das Schrei­ben wieder eine Spra­che für das Erleb­te und die Gefüh­le finden.

Sie haben sich einfach hinge­setzt und haben ange­fan­gen zu schreiben?

Es ist schon lange mein Morgen­ri­tu­al, zwei Seiten von Hand zu schrei­ben, über das, was mich gera­de bewegt. Ursprüng­lich habe ich einfach für mich geschrie­ben. Oft verstand ich selbst nicht, was ich da schrieb. In den Geschich­ten, die daraus entstan­den, tauch­ten italie­ni­sche Onkel, eine Frau im roten Over­all, ein Avatar oder eine imagi­nä­re Reise­ge­sell­schaft in der Appen­zel­ler­bahn auf – und immer wieder auch Erin­ne­run­gen an meinen Bruder. In diesem lite­ra­ri­schen Raum fand ich Abstand und Zugän­ge, zu dem, was mich bewegte.

Das Bild vom Himmel kommt nicht nur im Titel, sondern auch im Buch vor. Warum hat für Sie der Himmel etwas Tröstendes?

Als ich ein Kind war, starb mein Gross­on­kel Don Agos­ti­no. Für mich war klar, dass er direkt in den Himmel kam. Ich stell­te mir das ganz konkret vor: Sein Sarg, samt den vielen Blumen, unter­wegs in einen Himmel aus Marmor. Als Erwach­se­ner tut man sich mit solch einer Vorstel­lung dann natür­lich schwer. Aber um mit dem Tod meines Bruders einen Frie­den zu finden, muss­te ich jenseits ihn suchen. Es war ein tiefs­ter Wunsch, für ihn einen Ort zu finden, an dem er sein kann. Ich stiess im Nach­lass meines Bruders auf eine Foto­se­rie, mit der er den tägli­chen Ausblick auf die Hund­wi­ler Höhe und den Säntis doku­men­tiert hat. Diese Fotos illus­trie­ren nun meine Kurz­ge­schich­ten im Buch und geben ihnen einen wunder­ba­ren Himmel. Es ist für mich eine Form, Fran­co zu würdigen.

Wie stel­len Sie sich diesen Himmel vor?

Es ist für mich ein Ort, wo alles zur Ruhe kommt, ein Ort der Erlö­sung: Dort löst sich alles – alle Konflik­te, alles, was nicht gut war, die Zwei­fel, das Immer-mehr-Wollen, das Schei­tern. Die Formu­lie­rung «Jemand ist jetzt im Himmel» heisst ja so viel wie: Jetzt ist es gut so.

Suizid wurde in den letz­ten Jahren vermehrt in Büchern, Filmen und Seri­en zum Thema gemacht. Trotz­dem tun sich noch immer viele schwer im Umgang mit Hinter­blie­be­nen. Was hätten Sie sich damals gewünscht?

Ich kann nur für mich spre­chen. Jeder hat ande­re Bedürf­nis­se. Deshalb habe ich mein Buch auch nicht als Ratge­ber geschrie­ben. Ich gebe Einbli­cke in meine Gedan­ken. Suizid ist in unse­rer Gesell­schaft nach wie vor ein Tabu. Körper­li­che Nähe wie zum Beispiel eine Umar­mung tut in solchen Situa­tio­nen gut. Mir hat es gehol­fen, über die Bezie­hung zu meinem Bruder spre­chen zu können.

Inter­view: Stephan Sigg

Bild: zVG

Veröf­fent­li­chung: 6. Janu­ar 2025

Der Himmel meines Bruders

Ivo Knill (60) wuchs als sechs­tes von sieben Geschwis­tern in Heris­au auf. Heute lebt er in Burg­dorf und arbei­tet als Lehrer, Jour­na­list und Autor. Er wird in den kommen­den Mona­ten das Buch bei Lesun­gen vorstel­len und sich mit dem Zuhö­re­rin­nen und Zuhö­rern auf ein Gespräch über Suizid und Trau­er einlassen.

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