Renzo Andreani war glücklich in seinem Job und hätte ihn gerne noch länger gemacht. Doch nicht er selber, sondern andere haben entschieden: 2019 wurde der heute 67-Jährige überraschend als Gemeindepräsident abgewählt.
Er musste innerhalb von knapp zwei Monaten seinen Schreibtisch räumen, stand plötzlich und ungewollt ohne Berufsalltag da: Renzo Andreani wird den 17. März 2019 nie mehr vergessen. An diesem Tag wurde er unerwartet abgewählt als Gemeindepräsident von Herisau. Die Stimmberechtigten bevorzugten einen in der Gemeinde kaum bekannten Verwaltungsmitarbeiter – quasi ein Angestellter Andreanis.
Lied hilft aus dem ersten Tief
Für den Abgewählten, aber auch für sein nahes Umfeld kam alles völlig überraschend. «Es war, als würde ich mit dem Auto gegen eine Betonwand fahren. Es hat eine Zeit gebraucht, bis ich das einordnen konnte», sagt Andreani rückblickend. Richtig realisiert habe er seine Abwahl aber erst abends im Bett. «Als es ruhig um mich herum wurde und ich alles sacken lassen konnte.» Im ersten Moment hat ihn vor allem seine Frau aufgefangen. Sie war für ihn da und hatte ein offenes Ohr. Und sie hatte ein Lied parat für den gläubigen Christen: «Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand» von Arno Pötzsch. Es hat Renzo Andreani aus dem ersten Tief herausgeholt. Er sagt: «In Krisenmomenten kommt man Gott wieder näher.»
«Definieren uns über Leistung»
Von hundert ungewollt auf null. Renzo Andreani musste zwangsläufig einen ganz neuen Weg einschlagen. Die Monate nach der Abwahl waren schwierig für den 67-Jährigen. «Menschen und ich denke vor allem wir Männer definieren uns gerne über unsere Leistung. Wenn man so etwas erlebt, ist das nicht einfach. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis ich wieder Tritt gefunden habe und zuversichtlich nach vorne blicken konnte.» Ganz offen spricht er heute über diese Zeit und seine damalige Gefühlslage. «Mittlerweile kann ich das gut. Das war nicht immer der Fall.»

Neue Aufgaben übernommen
Wie schwer ihm die Abwahl anfangs fiel, zeigt ein erstes kurzes Statement in der Appenzeller Zeitung: Er müsse das Resultat zuerst verarbeiten und sich Gedanken über seine Zukunft machen. Mittlerweile hat er diese wieder gestaltet und verplant: Der gelernte Architekt arbeitet heute als Berater im Immobilienbereich. Seit zwei Jahren ist er stellvertretender Präsident der reformierten Kirchgemeinde Appenzeller Hinterland und hat in dieser Funktion bei der Fusion von vier Kirchgemeinden mitgeholfen. Ausserdem ist er Mitglied im Kantonsrat Appenzell-Ausserrhoden. Renzo Andreani liebt es, mitzugestalten und mitzudenken. Gerne hätte er noch vier Jahre als Gemeindepräsident angehängt und Projekte vorangetrieben. Es lag nicht in seiner Hand.
Frage nach dem Wesentlichen
Heute, mit mehreren Jahren Abstand, ist Renzo Andreani glücklich, so wie es ist, und spricht vom Besten, das ihm hätte passieren können. «Wir arbeiten, gehen voran und immer läuft alles gut. Manchmal vergisst man da das Wesentliche», sagt er und fährt fort: «Nach der Abwahl war ich gezwungen, meinen Wertekatalog zu hinterfragen und zu überlegen, was denn für mich wichtige Werte sind – nämlich Familie und Freunde. Ich habe wieder einmal gelernt, dass Beziehungen das Wichtigste sind. Und plötzlich merkt man: Das Leben bezieht sich nicht nur auf Leistung.» Mittlerweile nimmt Renzo Andreani das Leben etwas ruhiger: Er geniesst seine zusätzlichen Stunden Freizeit, verreist in den Sommermonaten mit seiner Frau und geht gerne mit ihr in den Alpstein. «Ich liebe und schätze es, Grossvater zu sein und Zeit mit der Familie und meiner Frau zu verbringen», sagt er. Mit sechs Kindern und fünf Enkelkindern geht Renzo Andreani hier die «Arbeit» nicht so schnell aus.
Text: Alessia Pagani
Bild: Urs Bucher
Veröffentlichung: 25. März 2025