Über 2500 Personen aus dem ganzen Bistum St.Gallen haben bereits die Erklärung “So nicht!» der Katholischen Kirche in der Stadt St.Gallen unterzeichnet. Angesichts der Missbrauchsfälle fordert die Bewegung einen Kultur- und Strukturwandel in der Kirche.
2514 Personen haben auf reformenjetzt.ch die Aktion «So nicht» unterzeichnet (Stand Redaktionsschluss 13. Oktober). Darunter Menschen aus urbanen Pfarreien wie Rapperswil oder Wil, aber auch aus ländlichen Regionen wie dem Walensee oder Sarganserland. «In der Erklärung nennen wir mehrere Punkte, die zu einem Kulturwandel in der Katholischen Kirche führen sollen», sagt Ann-Katrin Gässlein, eine der Initiatinnen. “Wir stellen die Machtfrage, die Sexualmoral, das Priesterbild, die Rolle der Frau und die Ausbildungs- und Personalpolitik in Frage, weil wir wissen, dass Kirche auch anders sein kann.» Ann-Katrin Gässlein ist katholische Theologin und Religionswissenschaftlerin. Sie arbeitet für das Ressort «Kultur und Bildung» der Katholischen Kirche im Lebensraum St. Gallen. Anfangs richtete sich die Bewegung an Gläubige, freiwillig Engagierte und kirchliche Mitarbeitende in der Stadt St. Gallen. Das Echo war gross, deshalb wurde sie für Menschen im ganzen Bistum geöffnet.
Nicht gegen Kirchenrecht
Eines fällt beim Blick in die Reformvorstösse gleich auf: Ganz heisse Eisen wie das Pflichtzölibat oder die Zulassung der Frauen zum Priesteramt kommen nicht vor. «Das Pflichtzölibat wird oft als erstes genannt”, räumt Ann-Katrin Gässlein ein, “diese Entscheidung liegt jedoch beim Papst. Unabhängig davon, ob solche Anliegen berechtigt sind, man kann es sich damit auch einfach machen: Man delegiert es an “die da oben”. Wir setzen auf einen anderen Stil: Wir werden als Basis aktiv.” Sie persönlich sei skeptisch, ob die Abschaffung des Pflichtzölibats das dringendste Anliegen sei. “Viel drängender sind Themen wie die Gleichstellung von Mann und Frau, Transparenz und Mitsprachemöglichkeiten der Gläubigen, unserer katholischen Basis.”
Teil der Lösung sein
Die St. Galler Reformaktion ist nicht der erste Versuch: Initiativen wie «Kirche mit* den Frauen», das schweizweite “Gebet am Donnerstag” für die Gleichstellung, die deutsche Aktion “Maria 2.0”, die auch in der Schweiz Sympathisant*innen mobilisierte, oder die “Allianz gleichwürdig katholisch” haben schon vor Jahren versucht, Bischöfe und den Papst zum Umdenken zu bringen. Konkretes ist wenig passiert. Ist bei «So nicht!» der Frust nicht vorprogrammiert? “Diese Initiativen waren und sind wichtig”, so Ann-Katrin Gässlein, “Unsere Reformvorstösse fokussieren auf Anliegen, die nach aktuellen kirchenrechtlichen Vorgaben auch realistisch sind. Um sie umzusetzen, braucht es nur Mut vonseiten der Bischöfe und der verantwortlichen Gremien – sowie den Druck von der Basis, weder ein neues Konzil noch einen neuen Papst.» Ann-Katrin Gässlein hält fest: “Wir wollen nicht gegen den Bischof agieren. Wir überlegen uns schon im Vorfeld, was im Bistum konkret umsetzbar ist. Wir wollen Teil der Lösung sein.” Darüber hinaus pocht sie auf die Verantwortung der Leitungsebene: „Wir erwarten, dass unsere Schweizer Bischöfe in Rom Spielraum für die Gestaltung neuer Strukturen in der Ortskirche hartnäckig einfordern.“
Feier in der Kathedrale
Anfang Oktober wurden die ersten Vorstösse bei Bischof Markus Büchel, aber auch anderen Verantwortungsträgern wie dem Domdekan oder dem Katholischen Administrationsrat eingereicht. “Wir machen das öffentlich und erwarten auch eine öffentliche Antwort”, sagt Ann-Katrin Gässlein. Unabhängig davon seien in den nächsten Monaten verschiedene Aktionen geplant. Und die Bewegung ist spirituell verankert: Am Sonntag, 10. Dezember 2023, um 16 Uhr findet eine Feier in der Kathedrale St. Gallen statt. Geleitet wird sie von den beiden Theologinnen Hildegard Aepli und Stefania Fenner sowie Dompfarrer Beat Grögli. Im Reformprozess geht es laut den Verantwortlichen auch darum, zusammen zu stehen, sich zu stärken und zu verbinden. Alle Mitfeiernden sind eingeladen, eine Kerze mitzubringen. Aktuell werden laut Ann-Katrin Gässlein bereits weitere Reformvorstösse ausgearbeitet – unter anderem zum Thema Privatleben: “Das Bistum soll künftig die partnerschaftlichen Beziehungen der Gläubigen und der Seelsorgenden respektieren. Konkret: Bei den Gesprächen und Formularen, mit denen Seelsorgende bei der Berufseinführung im Bistum St.Gallen konfrontiert werden, sollen die partnerschafltichen Beziehung kein Kriterium für die Zulassung mehr sein.” So schnell wird es also nicht ruhig um die St.Galler Bewegung “So nicht!”.
Text: Stephan Sigg
Bild: zVg.
Veröffentlicht: 13. Oktober 2023
Zeitungsinserat, Trauerfeier und Online-Petition
Der Missbrauchsskandal und das Verhalten der St.Galler Bischöfe Markus Büchel und Ivo Fürer hat Betroffenheit und Wut ausgelöst. Die Katholische Kirche St. Gallen setzte neben der Online-Petition «So nicht!» auch mit einer Trauerfeier und einem Zeitungsinserat ein Zeichen: Rund 500 Gläubige trafen sich am 18. September zu einer Art Trauerfeier in der Kathedrale St. Gallen und teilten Enttäuschung und Wut, aber auch Hoffnung. Im St. Galler Tagblatt forderten kirchliche Mitarbeitende in einem ganzseitigen Inserat einen Strukturwandel – das Inserat wurde darauf auf Facebook und Instagram in der ganzen Deutschschweiz geteilt. Einige Pfarreien aus dem Bistum St. Gallen veröffentlichten das Plakat in ihren Social-Media-Kanälen und auf ihren Websites.