Das erste Feldgebet für muslimische Armeeangehörige Ende Juni hat für Aufmerksamkeit gesorgt. Armeeseelsorger Stefan Staub über die Hintergründe und die Kritik.
Als «missverständlich» bezeichnet Stefan Staub das Foto von betenden muslimischen Armeeangehörigen. «Das Bild kann falsche Assoziationen auslösen.» Das Foto ist Ende Juni in der Ostschweiz entstanden und zeigt eine Premiere: das erste offizielle Feldgebet für Armeeangehörige mit muslimischem Glauben in der Schweiz. Anlass war eines der höchsten islamischen Feste, Bayram, mit dem das Ende des Fastenmonats gefeiert wird. Es fand auf Wunsch einiger Armeeangehöriger in einer Pause statt. Durch das Gebet führte der Armeeseelsorger mit muslimischem Hintergrund und ausgebildete Iman Muris Begovic. Er hat – mit zwei Seelsorgern mit jüdischem Hintergrund – Anfang Jahr den Dienst aufgenommen. Durch das Foto nahm auch die breite Öffentlichkeit erstmals Kenntnis davon – und es hat medial viel Aufmerksamkeit generiert. «Damit war zu rechnen», sagt Stefan Staub. Der Teufener ist seit 17 Jahren Armeeseelsorger und war als Dienstchef Territorialdivision 4 am besagten Gebet zugegen. Das Thema beschäftigt die Bevölkerung. Stefan Staub hat teilweise Verständnis. «Der Islam und die staatliche Organisation ‹Schweiz› vertragen sich manchmal etwas schwer. Es sind noch immer viele Ängste vorhanden», so der 55-Jährige. «Islam, Islamismus, Extremismus – wir werfen manchmal alles in den gleichen Topf, was falsch ist. Manchmal steht die Globalisierung unserer Welt im Widerspruch zu unseren Erfahrungen und Emotionen.» Für Staub ist klar: «Der Islam gehört auch zur Schweiz.»
Erstmals eigene Seelsorge
Stefan Staub kann die Aufregung um die knienden Soldaten nicht verstehen. Dass in diesem Jahr ein Armeeseelsorger mit muslimischem Hintergrund den Dienst aufgenommen hat, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit: «Mit welcher Begründung und welchem Recht wollen wir Muslimen denn weiterhin vorenthalten, dass auch ihr Hintergrund in der Armeeseelsorge vertreten ist?» Es gehe um Wertschätzung gegenüber anderen Menschen. «Menschen, die notabene Schweizer Bürgerinnen und Bürger sind.» Die Armeeführung habe sich explizit für mehr Toleranz und Akzeptanz ausgesprochen. «Die Armee will keine starre Formation sein, sondern die gesellschaftlichen Entwicklungen mittragen. Wir müssen die Menschen mit muslimischem Glauben in die Gemeinschaft aufnehmen. Wir dürfen als Gesellschaft nicht die Augen davor verschliessen, dass es Menschen gibt, die eine andere Spiritualität pflegen.» Das 20-minütige Gebet bezeichnet Staub als «unspektakulär». «Es hatte nichts Extremistisches an sich, war sehr berührend und stand in Bezug zum Dienst an der Schweiz.»

Die Thematik von betenden Muslimen in der Armee hat Kritik laut werden lassen. Staub wird emotionaler: «Es ist nicht fair und nicht fein, wenn ein Gebet dazu benutzt wird, um Menschen zu manipulieren. Das ist ein Missbrauch der Religion und der Menschen.» Für Aussagen wie «es braucht keine muslimische Seelsorge», hat er kein Verständnis. «Es handelt sich um Menschen, die Militärdienst leisten und sich für die Sicherheit und Freiheit in unserem Land einsetzen. Wenn sie das nachvollziehbare Bedürfnis haben, ihre Religion im Rahmen des Möglichen auch in der Armee zu leben, gebührt ihnen das gleiche Recht dazu wie Angehörigen anderer Religionen auch.»
Dieselben Anliegen
Müssen die Kritiker nun Angst haben, dass die Muslime in der Armee fünfmal täglich den Gebetsteppich ausrollen? Stefan Staub beschwichtigt: «Sie machen den Dienst wie alle anderen auch.» Das Beten in der Armee sei keinesfalls neu. Man habe immer schon Rahmenbedingungen geschaffen, dass Armeeangehörige – egal welchen Glaubens – ihre Religion leben können, sofern sie den Dienstbetrieb nicht beeinträchtigen. Das Feldgebet wird denn wohl auch keine einmalige Sache bleiben. Staub verweist auf den Stellenwert des Festes. «Ich kann mir gut vorstellen, dass das Bedürfnis sich wiederholen wird.»

Wenn Staub als Armeeseelsorger tätig ist, erreichen ihn die unterschiedlichsten Anfragen. Ob Christ oder Muslim, die Sorgen sind dieselben. Rund 80 Prozent der Anfragen beziehen sich auf Beziehungsprobleme oder Probleme in der Lebensführung. «Es sind selten religiöse Themen», so Staub. Aber gerade bei solchen sei ein Fachmann sehr hilfreich. Die Coronapandemie, der Ukraine-Krieg, die veränderten Lebensbedingungen – gemäss Stefan Staub ist die Seelsorge wichtiger denn je. Die Anfragen steigen. «Der Mensch ist ein seelisches Wesen und hat nicht nur psychische und körperliche Einheiten. Dieser Dimension des Menschseins gilt es, Rechnung zu tragen. Die Seelsorge ist eine riesige Chance für uns alle.»
Am 17. September, 10 Uhr, empfängt Stefan Staub in der katholischen Kirche Teufen den ersten ausgebildeten Seelsorger mit muslimischem Hintergrund zum «Gespräch an der Kanzel». Thema: «Gleiche Wurzeln und doch unterschiedlich gewachsen: Islam und Christentum in der Schweiz».
Text: Alessia Pagani
Bild: Ana Kontoulis
Veröffentlichung: 23. August 2023