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«Du bist ja schliesslich ein Mann»

I. B.* (64) aus dem Bistum St. Gallen steht mit beiden Beinen fest im Leben, bis er durch die Schei­dung in arge Schwie­rig­kei­ten gerät. Sein Lohn wird gepfän­det und er lebt jahre­lang am Exis­tenz­mi­ni­mum. Wie findet er aus der Krise heraus? 

In seinen guten Jahren hat I. B. Freu­de im Beruf. Er enga­giert sich in der Berg­ret­tung und bei der Feuer­wehr. In der Frei­zeit ist er viel in den Bergen unter­wegs, am liebs­ten in Klet­ter­aus­rüs­tung an einer Fels­wand. Nach priva­ten und finan­zi­el­len Proble­men folgt eine persön­li­che Grat­wan­de­rung, die viel von ihm abver­langt. Der Mann aus den Bergen ist in einfa­chen Verhält­nis­sen ober­halb der Nebel­gren­ze aufge­wach­sen. «Wir lebten sehr abge­schie­den. Wir hatten keinen Strom und einen langen Schul­weg. Aber wir hatten immer genug zu essen und wir erleb­ten dort oben eine gute Jugend­zeit», erin­nert er sich. Nach der Schu­le schliesst er eine Ausbil­dung auf dem Bau ab und arbei­tet über länge­re Zeit im Hoch­bau. Später nimmt er eine Saison­stel­le im Gast­ge­wer­be an und baut im Sommer jeweils Natur­stein­mau­ern. Zu dieser Zeit ist er auch Mitglied der alpi­nen Berg­ret­tung und im Kader der örtli­chen Feuer­wehr. Zudem chauf­fiert er als Mili­tär verschie­de­ne Bundes­rä­te und rang­ho­he Poli­ti­ker. «Das waren inter­es­san­te Begeg­nun­gen, die ich nicht missen möch­te», erzählt er weiter. Auch sein Privat­le­ben scheint stabil zu sein: Er ist verhei­ra­tet und Familienvater. 

Abwärts­spi­ra­le

Finan­zi­el­le und ande­re Proble­me, auf die er nicht weiter einge­hen möch­te, führen schliess­lich zur Schei­dung von seiner Ehefrau. Eine Laien­be­hör­de entschei­det, dass sein Lohn fort­an gepfän­det wird. «Nach der Schei­dung 1997 ging es abwärts. Ich muss­te nur noch zahlen und hatte selbst nichts mehr», beschreibt er seine dama­li­ge Situa­ti­on als geschie­de­ner Mann und Vater. Er leidet, erfüllt kaum mehr Pflich­ten und weicht Proble­men aus. Wenn er in seinem Umfeld nach Hilfe fragt, bekommt er etwa zur Antwort: «Du schaffst das schon, du bist ja schliess­lich ein Mann!» Der Kontakt zur Fami­lie bricht ab. Er verliert das Vertrau­en in Ämter, weil er sich ihnen ausge­lie­fert fühlt. Die Abwärts­spi­ra­le zieht ihn weiter nach unten. Das Gefühl, versagt zu haben, wird immer grös­ser. Bis zum Moment, an dem er allen Mut zusam­men­nimmt und beim Kirch­li­chen Sozi­al­dienst anklopft. «Ich dach­te, entwe­der gehst du jetzt zu dieser Tür rein oder du stürzt irgend­wo in den Bergen ab.»

Der Wende­punkt

Beim Kirch­li­chen Sozi­al­dienst bekommt I. B. die drin­gend nöti­ge Hilfe. Hier sei er endlich ernst genom­men worden und er habe sich verstan­den gefühlt. «Es ist kein Amt, die Atmo­sphä­re ist persön­li­cher, ange­neh­mer.» Die Sozi­al­ar­bei­te­rin unter­stützt ihn auf dem Weg zurück in ein gere­gel­tes Leben. «Sie hat mich zu den Ämtern beglei­tet und mir gehol­fen, wieder einen festen Wohn­sitz zu finden und meine Auswei­se zurück zu erlan­gen.» So einfach sei es aber nicht gewe­sen. Entschei­dend ist für ihn, dass er – nach langem Kampf – eine Berufs­bei­stän­din erhält. Seit­her regelt sie die Finan­zen und schreibt alle Behör­den­brie­fe für ihn. «Das ist eine enor­me Entlas­tung für mich», sagt er dank­bar. «Ich habe zwar ein siche­res Auftre­ten und kann gut Leute führen, aber gewis­se Sachen kann ich einfach nicht.» Die Beistän­din steht ihm zur Seite und führt die Korre­spon­denz mit verschie­de­nen Ämtern. Sie kann bewir­ken, dass ihm nebst seinen beschei­de­nen Erwerbs­ein­nah­men ein verläss­li­ches Grund­ein­kom­men zusteht. Eine IV-Rente erhält I. B. aufgrund einer Diagno­se, die nach seinem Schlag­an­fall zufäl­lig entdeckt wird. I. B. hat sich erstaun­lich gut von diesem Vorfall erholt und kann mit Medi­ka­men­ten gut damit leben. 

Gute Gesund­heit

Heute geht I. B. einem gere­gel­ten Alltag nach und steht auch finan­zi­ell wieder auf eige­nen Beinen. Er lebt in einer Wohn­ge­mein­schaft in einem Bauern­haus und kümmert sich um leich­te Arbei­ten auf dem Hof und im Haus. Er fühlt sich nach wie vor stark zu den Bergen und zur Natur hinge­zo­gen. Ab und zu besucht er einen Freund auf seiner Alphüt­te und geniesst dort oben das Berg­pan­ora­ma. Wenn er zurück­schaut auf die schwie­ri­ge Zeit, empfin­det er tiefe Dank­bar­keit für die Hilfe, die er bekom­men hat. Für die Zukunft wünscht er sich gute Gesund­heit und dass er immer ein biss­chen etwas zu arbei­ten hat. «Und viel­leicht gehe ich auch wieder einmal auf eine einfa­che Klet­ter­rou­te», fügt er schmun­zelnd an. 

*Der Name ist der Redak­ti­on bekannt. Auf Rück­sicht gegen­über der Privat­sphä­re wird auf persön­li­che Anga­ben verzichtet.

Text: Katja Hongler 

Bild: Ana Kontoulis

67 Jahre mit Kerzen verbunden

Im Leben von Elsa Egger (83) dreht sich alles um Kerzen und Fami­lie. Im Gespräch erzählt die Patro­nin der Hong­ler Kerzen in Altstät­ten, warum sie immer noch täglich in der Firma ist und worauf sie bei Kerzen kritisch achtet.

«Wenn es auf Weih­nach­ten zugeht, müss­te ja nicht unbe­dingt ich als Person, sondern mehr die Kerzen und das Licht im Vorder­grund stehen», sagt Elsa Egger zur Begrüs­sung. Sie stellt sich nicht gerne in den Mittel­punkt. Dennoch hat sie im Unter­neh­men eine star­ke Präsenz und ist immer noch opera­tiv im Geschäft des Kerzen-Unternehmens tätig. Sie steht im engen Austausch mit Mitar­bei­ten­den und Kunden. «Ich bin schon sehr einge­bun­den in der Firma», bemerkt sie. Es sei ihr aber auch bewusst, dass sie in einem sensi­blen Alter sei und nie wisse, in welche Rich­tung es weiter­ge­he. Im Moment ist sie im Schuss, denn es herrscht Hoch­be­trieb. Nebst der Weih­nachts­aus­stel­lung locken das Kerzen­ca­fé und das Kerzen­zie­hen zusätz­li­che Besu­che­rin­nen und Besu­cher an. Weite­re Höhe­punk­te im Geschäfts­jahr sind Licht­mess und Ostern, daran habe sich bis heute nichts geän­dert. «Beliebt ist momen­tan auch das Zelt für den Rampen­ver­kauf. Leute kaufen aufgrund der drohen­den Energie-Knappheit vermehrt Kerzen für den Notvor­rat ein», erklärt die Geschäftsfrau. 

Elsa Egger absol­vier­te 1955 die KV-Lehre bei Hong­ler Kerzen.

Mit der Firma verheiratet

1955 hat Elsa Egger die KV-Lehre bei Hong­ler Kerzen absol­viert und 1962 folg­te die Heirat mit dem dama­li­gen Geschäfts­füh­rer. Mit dem Eintritt ihrer drei Söhne in die Firma gab es einen Umbruch. Der Hand­werks­be­trieb, der haupt­säch­lich Kerzen für Kirchen herstell­te, entwi­ckel­te sich zu einem moder­nen Unter­neh­men mit neuer Produk­ti­ons­hal­le, Verkaufs­la­den und Online-Shop. «Es grenzt wirk­lich an ein Wunder, dass wir schon so viele Jahre mitein­an­der arbei­ten und alle am selben Strick ziehen», sagt sie und ergänzt aus mütter­li­cher Sicht: «Meine Kinder sind alle drei so unter­schied­lich und trotz­dem funk­tio­niert es.» Eine gute Unter­neh­mens­kul­tur ist Egger sehr wich­tig. Sie ist erfreut, dass ihre Söhne die elter­li­che Philo­so­phie weiter­tra­gen: «Uns geht es nicht nur um den Profit, wir möch­ten auch einen Sinn hinter der Arbeit sehen.» 

Die Heim­os­ter­ker­zen sind noch immer beliebt.

Im Wandel der Zeit

Bei den Rohstof­fen für die Kerzen­pro­duk­ti­on ist eini­ges im Wandel. «Wir testen immer wieder Alter­na­ti­ven zu Paraf­fin, beispiels­wei­se mit Soja‑, Raps- und Oliven­wachs. Aufgrund der beschränk­ten Ressour­cen und Halt­bar­keit blei­ben diese aller­dings Nischen­pro­duk­te.» Bienenwachs-Kerzen sind nach wie vor gefragt, vor allem bei den litur­gi­schen Kerzen. Für diese bestehe nach dem Kirchen­recht eine Kult­vor­schrift von 55 Prozent Bienenwachs-Anteil, «früher waren es noch 100 Prozent», erin­nert sie sich. «Allge­mein sind Altar­ker­zen weni­ger gefragt, weil weni­ger Messen statt­fin­den. Ritua­le mit Kerzen­licht haben aller­dings zuge­nom­men, auch geseg­ne­te Kerzen sind nach wie vor beliebt. Ein wich­ti­ges Produkt ist die Heim­os­ter­ker­ze – eine Kopie der gros­sen Oster­ker­ze. Diese sind sehr beliebt und werden oft für den Heim­ge­brauch als Tisch­ker­ze oder Geschenk gekauft.» 

Emotio­na­les Produkt

Die Kerze als Produkt eines alten Hand­werks hat für Egger eine beson­ders emotio­na­le Bedeu­tung: «Es leuch­tet und es hat einen Auftrag.» Sie betrach­tet das Kerzen­licht berufs­be­dingt auch immer ein biss­chen kritisch wegen der Brenn­qua­li­tät. Kerzen beglei­ten Menschen durch das ganze Leben von Geburt bis zum Tod. «Wir haben entspre­chend viele Anfra­gen für indi­vi­du­el­le Verzierungs-Wünsche, diese werden von unse­ren ­Mitar­bei­ten­den mit viel ­Liebe zum Detail umge­setzt», sagt sie stolz. 

«Wachs klebt – so lautet ein altes Kerzenmacher-Sprichwort und meint, dass man oft ein Leben lang mit seiner Arbeit ­verbun­den bleibt.»

Elsa Egger
Elsa Egger fühlt sich wohl umge­ben von Kerzen und Menschen: «Ich bin sehr gut aufge­ho­ben in diesem gros­sen Team und möch­te noch so lange weiter­ma­chen, wie es die Gesund­heit erlaubt.»

Text: Katja Hong­ler (es besteht keine verwandt­schaft­li­che ­Bezie­hung zur Hong­ler Kerzen AG)

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht am 24.11.2022

Ein Frustrierter bricht auf

Inspi­riert durch Pilge­rin­nen und Pilger und deren Erleb­nis­se hat die Rorscha­ch­e­rin ­Beatri­ce Mock das ­Thea­ter­stück ­«#JAKOB S WEG – ein Pilger­stück» geschrie­ben. Die Komö­die ­beleuch­tet die unter­schied­li­chen Pilger-Beweggründe. Im Novem­ber ist Premiere. 

Die Theo­lo­gin und Thea­ter­schaf­fen­de Beatri­ce Mock wurde vom Verein Pilger­her­ber­ge Sankt Gallen ange­fragt, ein Pilger­thea­ter zu entwi­ckeln. «Ein Stück zwischen Klamauk, Komö­die und spiri­tu­el­lem Gebet, etwa so laute­te der Auftrag», erklärt Beatri­ce Mock mit Schalk in ihrer Stim­me. Von Seite des Vereins Pilger­her­ber­ge sagt Erika Pert­zel, Ideen­ge­be­rin und OK-Präsidentin für das Pilger­thea­ter: «Wir möch­ten bewusst auch Leute ausser­halb der Pilger-Szene anspre­chen und die Pilge­rei noch bekann­ter machen.»

Stephan Bitsch spielt die Haupt­rol­le Ambros.

Eine intel­lek­tu­el­le Reise

Mock hat den Jakobs­weg noch nicht unter die eige­nen Füsse genom­men, dennoch ist sie faszi­niert vom Pilgern. «Wir alle sind stän­dig unter­wegs von einem Ort zum andern, von einer Szene zur nächs­ten. Beim Pilgern möch­ten viele den Alltag hinter sich lassen und sich neu besin­nen.» Bei ihrer inten­si­ven Recher­che hat sie erstaun­li­che Eindrü­cke und Fakten über das Pilgern erhal­ten und rasch gemerkt, dass die Asso­zia­tio­nen zum Pilgern sehr viel­sei­tig sind. Nach der Lektü­re von Studi­en und Büchern folg­te der prak­ti­sche Teil: An fünf Tref­fen mit Bekann­ten aus ihrer «Theater-Bubble» und Jakobsweg-Interessierten hat sie indi­vi­du­el­le Erfah­run­gen und Ansich­ten von Pilgern­den und Ange­hö­ri­gen einge­holt. Sie haben disku­tiert, warum sich jemand auf eine Pilger­rei­se begibt und was das Gehen auslöst. Eine wich­ti­ge Inspi­ra­ti­ons­quel­le war auch die Ausstel­lung von Johann Kralew­ski mit 17 lebens­gros­sen Skulp­tu­ren. Das Credo des Künst­lers laute­te: «Ich will bewe­gen, dies gilt sowohl auf körper­li­cher Ebene wie auch in intel­lek­tu­el­ler Hinsicht.» Ihre gesam­mel­ten Inputs hat Mock zu einer Geschich­te verar­bei­tet. Das fina­le Dreh­buch schrieb sie in Vezelay – einem male­ri­schen Dorf im fran­zö­si­schen Burgund, wo Pilgern­de aus ganz Euro­pa vorbei­zie­hen. «Durch einen Facebook-Post bin ich zu einer Unter­kunft an diesem Pilger-Hotspot gekom­men», sagt Mock. 

Beatri­ce Mock hat das Stück geschrie­ben und sie wirkt auch als Regis­seu­rin mit.

Hash­tag bedeu­tet Stress

Nicht selten ist eine Krise der Auslö­ser für eine Pilger­rei­se. So auch beim Haupt­dar­stel­ler Ambros. Er ist ein Jour­na­list der alten Schu­le, der mit seiner geplan­ten Story «Jakob ist weg» versagt. Frus­triert über den ober­fläch­li­chen und schnell­le­bi­gen Online-Journalismus, bricht er aus seinem Hams­ter­rad aus und geht auf den Jakobs­weg. Ange­spro­chen auf den Hash­tag im Titel des Stückes, erklärt Mock: «Damit symbo­li­sie­ren wir die moder­ne Welt des Jour­na­lis­mus, die Jagd nach «Klicks» und «Views» als Kontrast zur seriö­sen, fakten­ori­en­tier­ten Bericht­erstat­tung, wie sie unser Ambros betreibt.» Im Stück spie­len zwei weite­re pilgern­de Figu­ren mit: eine älte­re Dame, die ihre Reise auf dem Jakobs­weg als spiri­tu­el­le Schluss­auf­ga­be vor dem Tod sieht und eine junge Bike-Pilgerin, die stän­dig neue, aben­teu­er­li­che Trails sucht. «Viele pilgern heute aus sehr unter­schied­li­chen Beweg­grün­den, das wollen wir mit diesem Thea­ter aufgrei­fen. Die Fragen rund um das Thema Pilgern sind sehr mensch­lich, aktu­ell und kultur­über­grei­fend.» Ob sie auch reli­giö­ser Natur sind, über­las­se sie dem Publikum. 

Das Ensem­ble probt einmal bis zwei Mal pro Woche in Rorschach.

Keine einfa­che Hauptrolle

Das Theater-Ensemble besteht aus sechs Laien-Schauspielende und einer profes­sio­nel­len Spre­che­rin. «Die gröss­te Heraus­for­de­rung besteht darin, passen­de Proben­ter­mi­ne zu finden», gesteht Mock. Für Stephan Bitsch, der die Haupt­rol­le Ambros spielt, bedeu­ten die ein- bis zwei­mal wöchent­li­chen Proben und die Ausein­an­der­set­zung mit der Rolle einen gros­sen Zeit­auf­wand. Er selbst arbei­tet als Sozi­al­päd­ago­ge und hat vor sechs Jahren die Ausbil­dung zum Thea­ter­päd­ago­gen absol­viert. Er freut sich, mit dieser Rolle nun auch Bühnen­er­fah­rung als Schau­spie­ler sammeln zu können: «Es ist aller­dings keine einfa­che Rolle, ich muss­te mich zuerst in die Gefühls­la­ge des frus­trier­ten Typen in seiner Lebens­kri­se hinein­ver­set­zen bis ich merk­te, dass ein klei­ner Teil in mir auch unzu­frie­den ist. In der Rolle kann ich nun diese eige­ne Unzu­frie­den­heit ausle­ben, was sehr befrei­end ist. Gleich­zei­tig bin ich froh, dass Ambros in diesem Stück auch eine Wand­lung durch­macht.» Pilgern kennt Bitsch aus eige­ner Erfah­rung: «Ich war schon drei­mal auf dem Pilger­weg in der Schweiz, einmal auch fastend, was das Erleb­nis noch inten­si­ver mach­te». Die Auffüh­run­gen im Novem­ber sollen erst der Anfang sein, die Thea­ter­crew will mit ihrem Stück auf Tour gehen.

Das Theater-Ensemble besteht aus sechs Laien-Schauspielende und einer profes­sio­nel­len Sprecherin

Weite­re Infos Pilgertheater

Text: Katja Hongler

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 14.11.2022

Auf eigene Bedürfnisse achten

Was tun, damit die Lebens­qua­li­tät für Perso­nen mit Demenz, deren Ange­hö­ri­ge und Betreu­en­de möglichst gut bleibt? Ute Latuski-Ramm, Leite­rin der ökume­ni­schen Fach­stel­le «Beglei­tung in der letz­ten Lebens­pha­se» (BILL) sagt, wie wich­tig ein gutes Netz­werk ist. 

Wenn Ute Latuski-Ramm, Leite­rin BILL, einen konkre­ten Ratschlag an pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge von Demenz-Betroffenen gibt, dann diesen: «Holt euch Hilfe, um euch bei der Betreu­ungs­ar­beit zu entlas­ten. Man kann nicht auf allen Gebie­ten Exper­te sein.» In der Erschöp­fung sieht die refor­mier­te Pfar­re­rin denn auch die gröss­te Gefahr für die Ange­hö­ri­gen. Häufig leben Demenz­kran­ke mit ihrem Part­ner oder ihrer Part­ne­rin zusam­men. Mit der Krank­heit ändert sich die Bezie­hung grund­le­gend: «Die Rollen sind nicht mehr diesel­ben, die gemein­sa­men Akti­vi­tä­ten sind einge­schränk­ter, die Selbst­be­stim­mung ist für beide nicht wie zuvor. Die Pati­en­ten sind oft unru­hig, auch nachts», erklärt sie. Die Situa­ti­on der Ange­hö­ri­gen kann auch mit Unsi­cher­hei­ten, Zukunfts­ängs­ten, Schuld­ge­füh­len oder Druck von aussen belas­tet werden. Damit die Abwärts­spi­ra­le gestoppt werden kann, empfiehlt die Fach­stel­len­lei­te­rin, auf eige­ne Gren­zen und Bedürf­nis­se zu achten: «Nicht ohne Grund spricht man bei Ange­hö­ri­gen von ‹Pati­en­ten zwei­ter Ordnung›. Oft ist der Leidens­druck bei ihnen nicht weni­ger gross als bei den Betrof­fe­nen, aber sie sind weni­ger sicht­bar.» Darum sei es zentral, dass Ange­hö­ri­ge auf ein Netz­werk von Fach­leu­ten, Insti­tu­tio­nen und Frei­wil­li­gen zurück­grei­fen können. Punk­to Unter­stüt­zung für Ange­hö­ri­ge weist Latu­ski darauf hin, dass die BILL-Website demnächst mit einer Liste aller Hilfs­an­ge­bo­te verlinkt wird. «Mitt­ler­wei­le besteht ein gros­ses Ange­bot von profes­sio­nel­len Insti­tu­tio­nen, Pfar­rei­en und Frei­wil­li­gen, die Treff­punk­te, Ausflü­ge oder auch Feri­en­be­treu­ung für Demenz-Patienten mit oder ohne Ange­hö­ri­gen organisieren.»

Kurse für Ange­hö­ri­ge 

Im Aufbau­kurs der BILL-Kursreihe «Nahe sein in schwe­rer Zeit» lernen die Teil­neh­men­den viel über die Pallia­tiv­pfle­ge. Nebst ethi­schen Fragen zu Krank­heit und Ster­ben wird der Umgang mit an Demenz erkrank­ten Menschen thema­ti­siert. Für die einzel­nen Modu­le zieht die Fach­stel­len­lei­te­rin weite­re Fach­per­so­nen wie eine Psych­ia­te­rin, Geron­to­lo­gin oder Juris­tin bei. Sie selbst deckt den seel­sor­ge­ri­schen Bereich ab. «Bei der spiri­tu­el­len Beglei­tung von Demenz-Patienten ist mir wich­tig, dass man den Menschen in seiner Persön­lich­keit und Würde nicht vernach­läs­sigt.» Dabei spie­le die nonver­ba­le Kommu­ni­ka­ti­on eine zentra­le Rolle. Gera­de wenn sich die Betrof­fe­nen mit Worten schwer­tun würden, müsse man einen ande­ren Weg finden. Zum Beispiel mit der basa­len Stimu­la­ti­on: «Durch Gerü­che, Berüh­run­gen oder Musik werden verschie­de­ne Sinne akti­viert. So kann man Menschen trotz­dem nahe sein und den Moment erleb­ba­rer machen.» Auch reli­giö­se Ritua­le können hilf­reich sein. Es gelte stets auf die Bedürf­nis­se, die Biogra­phie und die Spiri­tua­li­tät der an Demenz erkrank­ten Person zu achten. Da müsse man sehr offen sein und die eige­ne reli­giö­se Prägung bewusst zurückstellen. 

Die Liebe im Zentrum

Latu­ski weiss aus ihrer Tätig­keit, dass die Bedürf­nis­se nach Liebe und Wert­schät­zung bei Demenz-Betroffenen oft ganz tief da sind. Damit diese Gefüh­le fass­ba­rer werden, verweist sie auf die Bedürf­nis­blu­me von Tom Kitwood und erklärt anhand von zwei Beispie­len: «Beim gemein­sa­men Betrach­ten von Fotos erkennt sich die demenz­kran­ke Frau viel­leicht wieder als junges Mädchen auf dem Hoch­zeits­bild, obwohl sie sich im Spie­gel schon länger nicht mehr erkennt. Oder mit Fragen wie: Erzähl doch mal, wie war das früher? kann man die Iden­ti­tät von Demenz­kran­ken stär­ken. Wert­schät­zung bedeu­tet auch, dass man einer Person mit Demenz weiter­hin wert­schät­zend und empa­thisch zuhört, auch wenn sie schon zum x‑ten Mal diesel­be Aussa­ge macht. Es hilft nicht, wenn man ihr entgeg­net, dass sie dies gera­de eben schon erzählt habe.» Diese Metho­de nennt man Vali­da­ti­on: Statt zu korri­gie­ren und auf die Fehler hinzu­wei­sen, erkennt man die Gefüh­le und bestä­tigt, dass diese gerecht­fer­tigt sind. 

Aufbau­kurs «Nahe sein in schwe­rer Zeit»

Der Aufbau­kurs «Nahe sein in schwe­rer Zeit» geht auch auf den Umgang mit ­Demenz­kran­ken ein. Behan­delt werden ­folgen­de Themen: Vorsor­ge, Ange­hö­ri­ge gut beglei­ten, Demenz und spiri­tu­el­le Beglei­tung, nonver­ba­le und verba­le Kommu­ni­ka­ti­on. Ute Latuski-Ramm leitet die ökume­ni­sche Fach­stel­le seit Septem­ber 2022. Sie hat Theo­lo­gie studiert und den­Lehrgang «Pallia­ti­ve Care» absol­viert. Weite­re Infor­ma­tio­nen: www.bill-sg.ch

Text: Katja Hongler

Fotos: zVg.

Veröf­fent­licht: 24.10.2022

Sr. Gloria spricht in Oberriet über ihre Entführung in Mali

Ordens­frau Gloria Ceci­lia Narváez wurde in Mali von Dschi­ha­dis­ten ­entführt und vier Jahre und acht Mona­te gefan­gen gehal­ten. Im Fran­zis­kus­heim in Ober­riet, wo sie vor ihrer Missi­on zwei Jahre gelebt hatte, sprach sie mit dem Pfar­rei­fo­rum über den Terror in der Sahara.

Sr. Gloria erzählt beim Tref­fen im Fran­zi­kus­heim in Ober­riet von ihren trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen in der Gefangenschaft.

Sr. Gloria, vor knapp einem Jahr wurden Sie befreit. Wie geht es Ihnen heute?

Sr. Gloria: Ich habe mich nach der Befrei­ung in meiner Heimat in Kolum­bi­en erholt. Ich bin Gott und allen, die für mich gebe­tet haben, unend­lich dank­bar, dass ich diese Zeit seelisch und körper­lich über­lebt habe. Ich bin auch dank­bar für ­diese Erfah­rung und möch­te mit meiner Geschich­te ande­re Menschen in Not ermutigen.

Wie muss man sich diese ­Gefan­gen­schaft vorstellen?

Sr. Gloria: Wir waren vier Frau­en, die von etwa 30 Terro­ris­ten in der Wüste Saha­ra gefan­gen gehal­ten wurden. Sie woll­ten uns mit Gewalt vom Chris­ten­tum zum Islam bekeh­ren. Zwei Chris­tin­nen (eine Fran­zö­sin, die für UNICEF arbei­te­te und eine Kana­die­rin) konver­tier­ten und wurden anschlies­send besser behan­delt. Die Schwei­ze­rin und ich haben immer gesagt, dass wir Chris­ten seien und blei­ben werden. Während der Gefan­gen­schaft muss­te ich die 75-jährige Fran­zö­sin betreu­en. Morgens habe ich jeweils gebe­tet und Tee gekocht. Ich bekam ein biss­chen Mehl, damit ich für uns einen Teig zube­rei­ten konn­te. Mittags gab es ein wenig Reis oder Pasta, danach nichts mehr. Wir beka­men täglich einen klei­nen Behäl­ter mit Wasser zum Trin­ken und Kochen. Wenn ein biss­chen übrig blieb, konn­ten wir uns damit waschen. Wir haben immer in der frei­en Natur über­nach­tet. Umge­ben von Schlan­gen, Spin­nen und ande­ren Wild­tie­ren. Ich war jeden Morgen dank­bar, dass ich noch lebte. Die Kana­die­rin und die Fran­zö­sin wurde nach drei Jahren frei­ge­las­sen, muss­ten sich aller­dings verpflich­ten, in Mali einen Mann zu heira­ten und wohn­haft zu blei­ben. Die Schwei­ze­rin wurde umgebracht.

Wie ist man mit Ihnen ­umge­gan­gen? Gab es auch mensch­li­che ­Momen­te mit den Geiselnehmern?

Sr. Gloria: Weil wir nicht zum Islam konver­tier­ten, haben sie uns geschla­gen, gede­mü­tigt und gefol­tert. Die Terro­ris­ten haben sich auch mit Drogen voll­ge­pumpt und wurden sehr aggres­siv. Waffen waren allge­gen­wär­tig. Ich habe fünf Mal versucht zu flie­hen, doch es gab keinen Ausweg aus der Wüste. Nach den Flucht­ver­su­chen wurde ich mona­te­lang an den Füssen ange­ket­tet. Einmal hat mich einer gefes­selt und mir eine Waffe an den Kopf gehal­ten. In diesem Moment kam ein ande­rer Terro­rist, der viel grös­ser war und sagte zu ihm: «Warum willst du sie umbrin­gen, sie hat dir ja gar nichts ange­tan?» Darauf­hin hat er mich gehen lassen. Es gab auch ande­re, klei­ne Zeichen von Mitge­fühl. Manch­mal warf mir einer nachts ein Stück Brot oder ein biss­chen Milch in einer Plas­tik­tü­te zu.

Konn­ten Sie einschät­zen, ob und wann Sie befreit werden? 

Sr. Gloria: Nein, ich hatte keine Ahnung was mir geschah. Ich hatte nie Kontakt zur Aussen­welt. Die ganze Situa­ti­on war sehr ange­spannt und von Gewalt geprägt, immer wieder kreis­ten Heli­ko­pter und Droh­nen über uns. Die Terro­ris­ten wurden verfolgt und hatten auch Angst. Wir muss­ten mehre­re Male flüch­ten und umzie­hen. Es gab auch Schies­se­rei­en und wir muss­ten uns in Sand­grä­ben verste­cken. Am Tag der Befrei­ung kam ein hoher Mili­tär von Mali vorbei und sagte, ich solle in sein Auto stei­gen. Anfangs habe ich mich gewehrt, weil ich ihm nicht trau­en konn­te. Ich bin dann doch mitge­fah­ren und er hat mich tatsäch­lich befreit. Er brach­te mich zum Präsi­den­ten von Mali und dieser schenk­te mir zur Begrüs­sung ein gelbes Kleid. Bis zu diesem Tag hatte ich immer densel­ben brau­nen Habit getra­gen, dessen Stoff sich nach so gerau­mer Zeit wie Leder anfühl­te. Dass hinter dieser Befrei­ungs­ak­ti­on unzäh­li­ge Verhand­lun­gen mit verschie­de­nen Regie­run­gen (insbe­son­de­re Mali) und dem Vati­kan steck­ten, erfuhr ich später.

Sr. Gloria (hier im Garten des Fran­zis­kus­hei­mes in Ober­riet) wurde in Mali von Dschi­ha­dis­ten entführt und vier Jahre und acht Mona­te gefan­gen gehalten.

Wie haben Sie dieser ­seeli­schen und körper­li­chen Belas­tung Stand gehal­ten? Was hat Ihnen geholfen?

Sr. Gloria: Ich habe sehr viel gebe­tet und konn­te durch den Glau­ben immer wieder neue Kraft und Hoff­nung schöp­fen. Ich hatte vier wich­ti­ge Glücks­brin­ger dabei: Einen Rosen­kranz, zwei Hals­ket­ten, eine mit einem Medail­lon und eine mit einem Tau-Anhänger sowie der Finger­ring vom Franziskanerinnen-Orden. Sie haben mich beschützt und wenn ich nachts beson­ders viel Angst hatte, umklam­mer­te ich das hölzer­ne Tau-Zeichen mit meiner Hand. Ich habe auch immer die Terro­ris­ten in mein Gebet einge­schlos­sen. Tags­über haben wir versucht, uns mit einfa­chen Spie­len abzu­len­ken. In beson­ders schwie­ri­gen Situa­tio­nen habe ich immer zu mir gesagt: «Ich bin in den Händen von Gott und er hilft mir.» Ich habe einfach nie verstan­den, warum sie uns unschul­di­ge Frau­en, die nur Gutes tun woll­ten, so tyran­ni­siert haben. Wir hatten perma­nent Angst, umge­bracht zu werden, nur unse­rer Reli­gi­on wegen.

Viele haben für Sie gebe­tet, insbe­son­de­re die Fran­zis­ka­n­er­schwes­tern von Ober­riet. ­Haben Sie diese ­Unter­stüt­zung gespürt?

Sr. Gloria: Ich glau­be, dass diese Gebe­te von den Schwes­tern und ande­ren Menschen aus der ganzen Welt eine Wirkung zeig­ten. Irgend­wo­her hatte ich diese unglaub­li­che, inne­re Kraft, um das Ganze durch­zu­ste­hen. Es gab so viele lebens­be­droh­li­che Situa­tio­nen, die ich ohne diese mora­li­sche Unter­stüt­zung und ohne meinen Glau­ben nicht über­lebt hätte. Dank meiner Hoff­nung und Zuver­sicht konn­te ich auch die ande­ren Geiseln trös­ten und ermutigen. 

Wie gehen Sie mit diesen ­trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen um? Kann man das mit der Zeit ­irgend­wie verarbeiten?

Sr. Gloria: Nach meiner Rück­kehr in Kolum­bi­en habe ich mich die ersten drei Mona­te schwei­gend zurück­ge­zo­gen. Ich habe alles aufge­schrie­ben und viel gebe­tet, um mich selbst zu heilen. Später haben mir die Begeg­nun­gen mit ande­ren Schwes­tern sehr gehol­fen. Ich habe auch mit vielen Menschen gespro­chen, die Hunger leiden oder in Kriegs­ge­bie­ten um ihr Leben kämp­fen. Mit meiner Erfah­rung konn­te ich sie trös­ten und ermu­ti­gen. Ich kann ihnen nach­füh­len und durch den Glau­ben neue Hoff­nung schenken. 

Sr. Gloria möch­te wieder in die Missi­on gehen und Menschen in Not helfen.

Wie geht es den Frau­en und Kindern heute in Mali? Und wie geht es mit den ­Projek­ten vor Ort weiter?

Sr. Gloria: Das ist das Schöns­te an dieser Geschich­te: Die Projek­te laufen weiter. Die Frau­en in Mali haben das weiter­ent­wi­ckelt, was wir aufge­baut haben. Sie haben Koope­ra­tio­nen gegrün­det, haben dank Mikro-Krediten eige­ne Geschäf­te gegrün­det und sind mitt­ler­wei­le finan­zi­ell eigen­stän­dig. Die ande­ren Fran­zis­ka­n­er­schwes­tern sind zwar nach der Entfüh­rung aus dem Schwes­tern­haus ausge­zo­gen, leben aber immer noch in der Nähe und besu­chen die Frau­en regel­mäs­sig vor Ort. Ich selbst möch­te auch wieder auf Missi­on gehen. Es gibt so viele Menschen in so vielen Ländern, die drin­gend unse­re Hilfe benötigen.

Missi­ons­fran­ziskane­rin­nen in Oberriet

Sr. Gloria, gebo­ren 1962 in Kolum­bi­en, war sieben Jahre in Benin und sieben Jahre in Mali als Missi­ons­fran­zis­ka­ne­rin zur Unter­stüt­zung von Frau­en und Fami­li­en im Einsatz. ­Zusam­men mit ande­ren Fran­zis­ka­n­er­schwes­tern hat sie in Mali ein Waisen­haus und ein ­Gesund­heits­zen­trum gegrün­det, Schu­len und Arbeits­plät­ze für Frau­en aufge­baut. Diese ­Projek­te wurden finan­zi­ell von der Missi­ons­pro­ku­ra unter­stützt. Mali ist ein musli­misch ­gepräg­tes Land, wobei die Fran­zis­ka­n­er­schwes­tern laut eige­nen Anga­ben nie versucht ­haben, Musli­me zu bekeh­ren. Sr. Gloria war die trei­ben­de Kraft vor Ort, bis im Febru­ar 2017 Dschi­ha­dis­ten im Schwes­tern­haus eindran­gen und sie entführ­ten. Trotz inten­si­ver ­Suche auf höchs­ten Regie­rungs­ebe­nen blieb Sr. Gloria verschol­len. Am 9. Okto­ber 2021 konn­te sie ­befreit werden.

Inter­view: Katja Hongler

Fotos: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 26. Septem­ber 2022

Reisebüro Linth

Mit dem Schiff in die USA

Warum migrie­ren Menschen? Das «Reise­bü­ro Linth» nimmt die Besu­chen­den mit auf eine emotio­na­le Reise. Die Ausstel­lung regt mit über­ra­schen­den ­Inter­ak­tio­nen und Insze­nie­run­gen an, die Perspek­ti­ve von Migran­tin­nen und Migran­ten einzunehmen.

In den Ausstel­lungs­räu­men des Reise­bü­ros Linth dreht sich alles um die Suche nach Glück, Heimat­ge­fühl, Flucht, Aben­teu­er, Fern­weh und frem­de Kulturen.

«Auswan­de­rung und Einwan­de­rung sind allge­gen­wär­tig. Wir wollen aufzei­gen, was sich im Kopf der Menschen abspielt, wenn sie sich entschei­den, die Heimat für immer zu verlas­sen», sagt Peter Brun­ner (54), Leiter des Reise­bü­ros Linth und Präsi­dent der Kultur­kom­mis­si­on Kalt­brunn. «Was sind ihre Gedan­ken? Wie stark muss der Wunsch oder die Not sein, um in die Ferne aufzu­bre­chen und das Vertrau­te hinter sich zu lassen?» In den Ausstel­lungs­räu­men dreht sich alles um die Suche nach Glück, Heimat­ge­füh­le, Flucht, Aben­teu­er, Fern­weh und frem­de Kultu­ren. «Wir beschrän­ken uns nicht auf einen histo­ri­schen Rück­blick, sondern bear­bei­ten auch aktu­el­le Gesche­hen und möch­ten die Diver­si­tät sowie einen respekt­vol­len Umgang mit frem­den Kultu­ren fördern.»

Nach­den­ken und Nachfühlen

Im 19. Jahr­hun­dert gab es im Linth­ge­biet drei gros­se Auswan­de­rungs­wel­len. Damals sind unzäh­li­ge Menschen aufge­bro­chen in der Hoff­nung auf ein besse­res Leben. Viele von ihnen sind unter menschen­un­wür­di­gen Verhält­nis­sen nach Ameri­ka gereist. Die meis­ten mit dem Schiff – je nach sozia­lem Status in unter­schied­li­chen Klas­sen: Reisen­de der drit­ten Klas­se wurden in schä­bi­gen Schiffs­ka­bi­nen einge­pfercht. Dieses bedroh­li­che Gefühl wird den Besu­chen­den im authen­tisch insze­nier­ten Schiffs­raum vermit­telt. Dabei wird die räum­li­che Wahr­neh­mung mit Geräu­schen eines stür­mi­schen Meers verstärkt. Brun­ner betont: «Es ist uns wich­tig, dass unse­re Gäste nicht nur konsu­mie­ren, sondern sich auch über­le­gen, was die Menschen in diesen Situa­tio­nen gefühlt haben.» Reisen­de der ersten und zwei­ten Klas­se genos­sen nicht nur an Bord beson­de­ren Service. Sie wurden auch von den Einwan­de­rungs­be­hör­den in New York bevor­zugt behan­delt, während die Passa­gie­re der drit­ten Klas­se mit Booten nach Ellis Island verfrach­tet wurden. Von dort wurden sie – teil­wei­se aus dubio­sen Grün­den – entwe­der direkt ins Heimat­land zurück­ge­schickt oder ihnen stand ein schwie­ri­ger Start in einem frem­den Land bevor. Letzt­lich war es reine Glücks­sa­che, wie und ob man als Einwan­de­rin oder Einwan­de­rer in einem frem­den Land aufge­nom­men wurde. Dieser Moment der Entschei­dung wird in der Ausstel­lung mit einem Glücks­rad symbolisiert.

Reisebüro Linth
Die Einwan­de­rungs­be­hör­den in New York behan­del­ten nicht alle Einwander*innen gleich.

Sonder­aus­stel­lung Flucht

Das Reise­bü­ro Linth wurde im Okto­ber 2021 eröff­net. «Vorher haben wir in diesem Haus ein klas­si­sches Feld-Wald-Wiesen-Museum mit wech­seln­den Ausstel­lun­gen betrie­ben.» Das neue Konzept und der neue Name fokus­sie­ren auf das Mono-Thema Migra­ti­on. Nebst der Dauer­aus­stel­lung gibt es im Dach­ge­schoss eine Sonder­aus­stel­lung mit Werk­ko­pien des Kalt­brun­ner Auswan­de­rers Ferdi­nand Arnold Brader. Der talen­tier­te Zeich­ner verliess 1870 seine Heimat in Rich­tung Ameri­ka. Während er in der Schweiz unbe­kannt blieb, entwi­ckel­ten sich seine Werke auf dem ameri­ka­ni­schen Kunst­markt zur gros­sen Attrak­ti­on. «Diese Ausstel­lung war dank des Kontak­tes zur Präsi­den­tin der Schwei­zer Auswan­de­rer in Ameri­ka möglich», bemerkt Brun­ner. Für die Sonder­aus­stel­lung «Flucht», die aufgrund des aktu­el­len Ukraine-Konfliktes in kürzes­ter Zeit reali­siert wurde, war sein Netz­werk eben­falls von gros­sem Nutzen. «Auch dank Leih-Exponaten aus dem Lager des Histo­ri­schen und Völker­kun­de­mu­se­ums St. Gallen konn­ten wir das Projekt so rasch umset­zen», ergänzt er. Brun­ner, der zeit­le­bens in Kalt­brunn wohnt und arbei­tet, amtet im Auftrag der Poli­ti­schen Gemein­de als Leiter des Reise­bü­ros. Doch sein fünf­köp­fi­ges Team und er leis­ten gröss­ten­teils Fron­ar­beit. Die nächs­te Sonder­aus­stel­lung ist schon geplant: «Immi­gra­ti­on der Italie­ne­rin­nen und Italie­ner in die Schweiz.» 

→ www.reisebuero-linth.ch

Peter Brun­ner, Leiter Reise­bü­ro Linth
Reisebüro Linth
Reisebüro Linth
Reisebüro Linth

Text: Katja Hongler

Fotos: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 25.09.2022

Wie und wie besser nicht?

Es gibt Momen­te, da fehlen schlicht die rich­ti­gen Worte. Wir fühlen uns gehemmt, ­über­for­dert oder unwohl, wenn wir einem Menschen begeg­nen, der etwas Tragi­sches erlebt hat oder gera­de in einer schwie­ri­gen Lebens­pha­se steckt. Wie reagieren?

DO

Mitge­fühl zum Ausdruck brin­gen: «Es tut mir leid, dass …»

An eige­ne Erfah­run­gen denken: Was würde uns selbst in einer ­solchen Situa­ti­on guttun? ­Viel­leicht waren wir schon in ­einer ähnli­chen Situa­ti­on und ­erin­nern uns an ­Reak­tio­nen von ande­ren Menschen, die uns ­aufge­mun­tert haben.

Zuver­sicht verbrei­ten: «Ich hoffe, dass es bald besser wird.»

Hilfe anbie­ten: «Was kann ich für dich/euch tun?»

In Kontakt blei­ben: Kurze ­Nach­rich­ten schi­cken, via Handy oder per Post.

Gren­zen akzep­tie­ren: Wer nicht ­antwor­tet oder nicht weiter­sprechen mag, soll­te Verständ­nis ­erwar­ten dürfen.

Trau­ern­den Zeit lassen. Auch wenn der Alltag uns rasch ­einholt, Trau­er braucht Zeit.

Auf profes­sio­nel­le Hilfs­an­ge­bo­te ­hinwei­sen, wenn jemand ­über­for­dert wirkt.

Eine selbst­ge­schrie­be­ne Karte ist noch eine Stufe persön­li­cher: Mit dem Sujet und der ­Hand­schrift ­können noch mehr Herz­lich­keit ­ausge­drückt werden. 

Beim Karten­text persön­li­che ­Gedan­ken einbrin­gen, ­gemein­sa­me Erleb­nis­se erwäh­nen, auf Stär­ken und beson­de­re Eigen­schaf­ten hinweisen.

Der Inhalt ist viel­leicht weni­ger ­entschei­dend als die Reak­ti­on an und für sich. In einer distan­zier­ten Bezie­hung soll­ten die Worte ­entspre­chend gewählt werden. Oft genügt ein kurzer Text im ­Sinne von «Es tut uns sehr leid zu hören, dass …» oder «Wir ­wünschen viel Kraft». 

Es gibt auch unzäh­li­ge Zita­te die helfen, Gefüh­le zu umschrei­ben und Zuver­sicht zu wecken. Als ­Inspi­ra­ti­on kann man auch auf ­Text­vor­la­gen aus dem Inter­net ­zugrei­fen und diese anpassen. 

Ein passen­des Foto, etwas ­Symbo­li­sches wie ein Glücks­bringer, eine schö­ne Muschel oder Feder beilegen. 

Wer sich mit Schrei­ben schwer­tut, kann sein Mitge­fühl auch mit ­einem Zeichen oder einer guten Tat ausdrücken. 

Je enger die Bezie­hung zu einer ­Person ist, desto besser können wir spüren, was im Moment ­hilf­reich sein könn­te: Ein Besuch? Ein Anruf? Ein Gebet? Ein Blumen­gruss vor der Haus­tü­re? Etwas Süsses zur Aufmun­te­rung? Eine Kinder­zeich­nung? ­Zusam­men ausge­hen? ­Gemein­sam Musik hören? Für ­jeman­den eine Kerze anzünden? 

Ange­mes­se­ne Distanz bewah­ren: Bei nicht nahe­ste­hen­den Menschen ­Mitge­fühl zeigen, ohne aufdring­lich zu wirken.

Realis­tisch blei­ben: Wir können ­Sorgen, Schmer­zen und ­Verlus­te von ande­ren Menschen nicht ­einfach wegbla­sen. Manch­mal ist ­profes­sio­nel­le Hilfe unabdingbar.

Zurück­hal­tend sein beim Einsatz von Emojis. Emojis können schnell fehl­in­ter­pre­tiert werden

Ange­mes­se­ne Distanz bewah­ren: Bei nicht nahe­ste­hen­den Menschen ­Mitge­fühl zeigen, ohne aufdring­lich zu wirken.

Auf Verletz­lich­keit achten: ­Menschen in einer labi­len Lebens­situation nicht noch ­zusätz­lich mit ­eige­nen ­Bedürf­nis­sen belasten.

Per Whats­App?

Auf Whats­App wird heute über alles kommu­ni­ziert, aber ist es auch der Kanal, wenn es um exis­ten­zi­el­le Themen geht? Entschei­dend ist wohl in erster Linie, wie nahe wir der betref­fen­den Person stehen. Ist es ein Fami­li­en­mit­glied, ein enger Freund oder eine enge Freun­din, kann eine lange Umar­mung oder ein fester Hände­druck ein erster guter Trost sein. Körper­li­che Nähe kann Halt und Gebor­gen­heit geben. Erfährt man etwas Trau­ri­ges aus dem erwei­ter­ten Umfeld, viel­leicht von einem Arbeits­kol­le­gen oder einer ‑kolle­gin, soll­te man mit ange­mes­se­nen Worten darauf reagie­ren. Dabei spielt es sicher­lich eine Rolle, wie und in welcher Form man die Nach­richt erhal­ten hat: Per Whats­App, via E‑Mail oder durch eine Dritt­per­son? Liegt eine schrift­li­che Nach­richt vor, soll­te man auf demsel­ben Kanal reagie­ren. Auch wenn es unper­sön­lich erschei­nen mag, haben elek­tro­ni­sche Meldun­gen auch Vortei­le: Die Betrof­fe­nen können die Nach­richt in Ruhe lesen, wenn es für sie der rich­ti­ge Zeit­punkt erscheint. Sie können selbst entschei­den, wie und ob sie antwor­ten möchten.

Text: Katja Hongler

Veröf­fent­licht: 29. August 2022

Barfuss über Sand und Heu

Seit Juni gibt es beim Psych­ia­tri­schen Zentrum Appen­zell (PZA) in Heris­au einen ­Barfuss­weg. Finan­ziert wird das Projekt vom Appen­zel­li­schen Hilfs­ver­ein für Psychisch­kran­ke, der sich seit Jahr­zehn­ten für deren Heilung und Inte­gra­ti­on enga­giert. Bis heute sind Vorur­tei­le ­gegen­über psychi­schen Krank­hei­ten weit verbreitet.

Inspi­ra­ti­on für den öffent­li­chen Barfuss­weg war eine Post­kar­te mit dem Zitat «Im Herzen barfuss», die Jürgen Kaes­ler, Klinik­seelsorger, im vergan­ge­nen Sommer erhielt. «Ich hatte schon länger den Wunsch, ein nieder­schwel­li­ges Ange­bot mit und ohne thera­peu­ti­sche Beglei­tung zu schaf­fen», sagt er und erklärt weiter: «Der Weg ist für alle zugäng­lich und soll auch ein Treff­punkt für die Bevöl­ke­rung sowie Besuch und Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten des Psych­ia­tri­schen Zentrums sein.» Das Projekt hat Kaes­ler mit der Klinik­lei­tung konkre­ti­siert und mit der inter­nen Gärt­ne­rei gestal­tet und umge­setzt. Dabei haben auch Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mitge­hol­fen, die bei der Gärt­ne­rei arbei­ten. Dem Klinik­seel­sor­ger ist die inte­gra­ti­ve Arbeit mit ande­ren Abtei­lun­gen wich­tig: «Der Barfuss­weg ist auch ein neues Element für die Ergo- oder Beschäftigungstherapie.» 

Barfussweg Herisau

«Sand im Getriebe»

Der rund 20 Meter lange Barfuss­weg erstreckt sich zwischen Tages­klink und Restau­rant entlang des bestehen­den Spiel­plat­zes. Das neue Terrain fügt sich harmo­nisch in das bestehen­de Areal mit altem Baum­be­stand ein. Der Barfuss­weg ist jeweils von Mai bis Septem­ber begeh­bar. Der Weg wird im Spät­herbst abge­baut und im Früh­ling wieder neu instal­liert. «Wir möch­ten eine gepfleg­te Anla­ge, deshalb erneu­ern wir den Barfuss­weg jede Saison», erläu­tert Kaes­ler. Entlang des Barfuss­we­ges, der mit Holz­wol­le und Holz­schnit­zel ausge­legt ist, stehen zehn Kisten mit unter­schied­li­chem Füll­ma­te­ri­al wie etwa Sand, Tannen­zap­fen, Rinden­mulch, Heu oder Ästen. Sie laden ein, diese mit den nack­ten Füssen zu ertas­ten. Bei jeder Stati­on steht eine Tafel mit Gedan­ken zum jewei­li­gen Rohstoff. Bei der Sand­kis­te ist beispiels­wei­se zu lesen: «Sand ist, neben Luft und Wasser, die meist­ge­nutz­te, natür­li­che Ressour­ce auf der Erde. Sand findet sich in vielen Rede­wen­dun­gen wie etwa Sand im Getrie­be als Meta­pher für einen gestör­ten Ablauf. Sand ist jedoch auch sehr anpas­sungs­fä­hig.» Die körper­li­che und geis­ti­ge Wahr­neh­mung wird noch inten­si­ver, wenn man beim Gehen die Augen schliesst: «Dann verschärft sich der Tast­sinn und man spürt die Verbun­den­heit zur Erde noch stär­ker», sagt der Barfussweg-Initiant.

«Im Appen­zel­ler­land wurden psychi­sche Krank­hei­ten lange totge­schwie­gen und leider werden Menschen mit einer psychi­schen Erkran­kung bis heute noch stig­ma­ti­siert. Gera­de in länd­li­chen Regio­nen geht man lieber zum Ortho­pä­den als zum Psychiater.»

Jürgen Kaes­ler

Unbü­ro­kra­ti­sche Hilfe

Der Barfuss­weg ist dank der finan­zi­el­len Unter­stüt­zung des Appen­zel­li­schen Hilfs­ver­eins für Psychisch­kran­ke entstan­den. Kaes­ler steht diesem Verein seit letz­tem Jahr vor. Der Verein hat eine lange Geschich­te: 1877 wurde der Appen­zel­li­sche Verein zur Unter­stüt­zung «armer Geis­tes­kran­ker» in Heiden gegrün­det. Seit­her setzt er sich für die Verbes­se­rung der Lebens­si­tua­ti­on von psychisch kran­ken Menschen ein. Zu oft erhiel­ten diese nicht die Hilfe, die sie benö­ti­gen: «Im Appen­zel­ler­land wurden psychi­sche Krank­hei­ten lange totge­schwie­gen und leider werden Menschen mit einer psychi­schen Erkran­kung bis heute noch stig­ma­ti­siert. Gera­de in länd­li­chen Regio­nen geht man lieber zum Ortho­pä­den als zum Psych­ia­ter», stellt Kaes­ler fest. Ein wich­ti­ges Ziel des Vereins ist nach wie vor, die Gesell­schaft auf psychi­sche Erkran­kun­gen zu sensi­bi­li­sie­ren und Vorur­tei­le abzu­schaf­fen. Der Verein ist mit verschie­de­nen Sozi­al­in­sti­tu­tio­nen gut vernetzt: «So können wir Betrof­fe­nen direkt und unbü­ro­kra­tisch helfen oder exter­ne Unter­stüt­zung orga­ni­sie­ren. Manch­mal sind es auch klei­ne­re Herzens­an­ge­le­gen­hei­ten wie zum Beispiel ein kran­kes Haus­tier zum Tier­arzt bringen.»

Text: Katja Hongler

Bild: zVg.

27.06.2022

Ein Ort mit eigner Kraft

Lehre­rin Judith Wüst aus Appenzell-Steinegg ist zusam­men mit Thomas Signer und seiner Schwes­ter Maria ­Signer als Mesme­rin für die Bruder­klaus­kapelle am Seealp­see verant­wort­lich. Nebst ­Ordnung und Sauber­keit gehö­ren auch orga­ni­sa­to­ri­sche Aufga­ben dazu, damit die Berg­got­tes­diens­te ­statt­fin­den können. Im Gespräch vor Ort wird rasch klar: Diese Kapel­le ist ihr ans Herz gewachsen.

«Wenn ich jeweils hier­her komme, schät­ze ich die Ruhe. Man spürt, dass dieser Ort eine eige­ne Kraft ausstrahlt», erzählt Judith Wüst. Die Mesme­rin, die als Fach­lehr­kraft Texti­les Gestal­ten an der Primar­schu­le in Stein­egg unter­rich­tet, ist im Sommer­halb­jahr jedes Wochen­en­de hier. Ihre Toch­ter ist Junior-Chefin im Restau­rant «Forel­le», welches sich nur weni­ge Meter neben der Kapel­le befin­det. «Ich kümme­re mich um die drei Gross­kin­der und bin deshalb oft und gerne hier. Der Seealp­see ist ein beson­de­rer Bezugs­ort für die Fami­lie und die Natur zeigt uns immer neue, faszi­nie­ren­de Stim­mungs­bil­der», sagt die junge Grossmutter.

Belieb­te Berg­got­tes­diens­te 

Von Anfang Juni bis Ende Septem­ber findet jeden Sonn­tag um 10.30 Uhr ein Gottes­dienst statt. Jeweils am letz­ten Septem­ber­sonn­tag wird das Kapell­fest zu Ehren des heili­gen Bruder Klaus gefei­ert. Für das Mesmer-Team bedeu­ten die Berg­got­tes­diens­te eine alljähr­li­che Planung, damit für jeden Gottes­dienst ein Pries­ter und eine musi­ka­li­sche Beglei­tung einge­teilt werden kann. «Viele von ihnen kommen jedes Jahr sehr gerne wieder.» Gesang und Musik reichen von Alphorn­blä­sern, Jodler­clubs bis zu Volks­chö­ren. Alphorn­blä­ser haben ihr schon vorge­schwärmt, dass hier oben das Alphorn am aller­schöns­ten klin­ge. Dies habe offen­bar mit dem beson­de­ren Wider­hall und dem Echo zu tun, meint sie. Beim Gottes­dienst ist immer eine Mesme­rin oder ein Mesmer anwe­send und als Lektor und Kommu­ni­on­hel­fer im Einsatz. Dass die Kapel­le zu den Mess­fei­ern immer hübsch mit Blumen geschmückt ist, dafür sorgt auch das Mesmer-Team. «Ich stel­le immer einen Strauss mit frischen Blumen auf den Altar, manch­mal finde ich sie in nächs­ter Umge­bung oder pflü­cke sie in meinem Garten in Steinegg.»

Judith Wüst enga­giert sich jeden Sommer als Mesme­rin am Seealpsee

Schö­ne Begegnungen

Judith Wüst weiss um die Bedeu­tung und Entste­hung der Kapel­le, deshalb ist es ihr auch wich­tig, dass dieser Ort entspre­chen­de Pfle­ge und Respekt verdient: «Bevor die Kapel­le 1967 erbaut werden konn­te, stand am Wegrand zum Seealp­see ein Bild­stöck­li mit einer Statue des heili­gen Bruder Klaus, welches die dama­li­ge Forellen-Wirtin nach einem fami­liä­ren Schick­sals­schlag im Jahr 1949 errich­ten liess. Ihre Absicht war, mit dem Bild­stöck­li Geld zu sammeln, um später damit eine Kapel­le zu finan­zie­ren.» Weiter erklärt sie, dass die Berg­wir­te von den Gast­häu­sern «Seealp­see» und «Forel­le», diver­se Unter­neh­men sowie die Sennen während der Baupha­se viel Fron­ar­beit geleis­tet hätten. Noch heute kämen die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner der umlie­gen­den Alpen gerne hier­her, um zu beten oder einfach ein biss­chen Ruhe zu finden. Sie schätzt den Kontakt zu den Einhei­mi­schen eben­so wie zu den auswär­ti­gen Kapel­len­be­su­che­rin­nen und ‑besu­chern: «Es gibt immer wieder schö­ne Begeg­nun­gen und inter­es­san­te Gesprä­che, wenn man sich hier trifft.»

Über­sicht Berg­got­tes­diens­te 2022: 

www.pfarreiforum.ch/berggottesdienste/

Text: Katja Hongler

Foto: Ana Kontoulis

03.06.2022

Ethikbistro Buchs SG

Von Schwarmintelligenz profitieren

Wie finden wir einen gemein­sa­men Weg, obwohl wir geteil­ter Meinung sind? Diese Frage wurde am 13. Mai 2022 beim Ethik-Bistro in Buchs SG debat­tiert. Vorab hat das Pfar­rei­fo­rum mit den beiden Podi­ums­teil­neh­me­rin­nen über konstruk­ti­ve Lösungs­an­sät­ze gesprochen.

«Zumin­dest eine Frage stellen»

 Alex­an­dra Gloor (rechts auf dem Bild): «Streit­punk­te gibt es über­all. Am Fami­li­en­tisch, am Arbeits­ort, im Verein und in der Poli­tik. Ich sehe in meinem Arbeits­all­tag in verschie­de­ne Konflikt­be­rei­che hinein. Es sind persön­li­che Konflik­te, oft auch Team-Konflikte bezüg­lich Hier­ar­chie oder inter­ne Kommu­ni­ka­ti­on. Im Business-Coaching geht es in erster Linie darum, das Unter­neh­men voran­zu­trei­ben. Mein Ziel ist es, Führungs­kräf­te und ihre Teams ins Handeln und Umset­zen zu brin­gen. Für die Lösungs­fin­dung gilt im Prin­zip für alle Berei­che dassel­be: Zuhö­ren ohne zu inter­pre­tie­ren ist das Aller­wich­tigs­te und macht in der Media­ti­on rund 80 Prozent aus. Das akti­ve Zuhö­ren ist aller­dings für viele Menschen enorm schwie­rig und anstren­gend, weil sie sich selbst zurück­neh­men müssen und nicht vorschnell antwor­ten oder urtei­len dürfen. Dann folgt die soge­nann­te ‹Spie­ge­lung›. Das heisst, man versucht die Situa­ti­on des ande­ren nach­zu­voll­zie­hen und in eige­ne Worte zu fassen oder bei Unver­ständ­nis nach­zu­fra­gen, bis man zum eigent­li­chen Kern des Problems durch­dringt. Durch diese Selbst­klä­rung ist eine gemein­sa­me Konflikt­lö­sung erst möglich. Natür­lich gibt es auch sehr emotio­na­le Streit­punk­te. Über­stei­gen die Emotio­nen ein gewis­ses Level, macht es neuro­lo­gisch gese­hen keinen Sinn mehr weiter zu disku­tie­ren. Dann ist Denken unmög­lich, weil sich ein Teil des Gehirns ausschal­tet. Gegen­sei­ti­ges Verständ­nis kann nur durch steti­ges Nach­fra­gen, Erklä­ren und Zuhö­ren entste­hen. Was ich persön­lich vermis­se in unse­ren alltäg­li­chen Debat­ten, ist das Nach­fra­gen. Jeder hat sofort eine Meinung. Aber jeder Mensch hat Grün­de warum er tut, was er tut. Dafür soll­te man sich inter­es­sie­ren. Man soll­te zumin­dest eine Frage stel­len, bevor man sich eine Meinung über einen Menschen bildet oder ihn gar verurteilt.»

Alex­an­dra Gloor, Grün­de­rin und Mitin­ha­be­rin des Zentrums für Media­ti­on und Konflikt­management (ZMK) in Buchs SG, coacht ­inter­na­tio­nal Führungs­kräfte und leitet Wirtschaftsmediationen.

«Grund­la­gen unse­rer Demokratie»

Petra Näf: «Akti­ves Zuhö­ren ist für mich der Schlüs­sel zu einer konstruk­ti­ven Kommu­ni­ka­ti­on. Das heisst, ich versu­che zu verste­hen, worum es dem Gegen­über wirk­lich geht. Mir hilft es dabei, meine Perspek­ti­ve zu wech­seln und mich in die Situa­ti­on und Gefüh­le der Konflikt­par­tei hinein­zu­ver­set­zen. In meiner Funk­ti­on als Stadt­rä­tin vertre­te ich die Bürge­rin­nen und Bürger mit ihren unter­schied­li­chen Inter­es­sen, Blick­win­keln und Wert­vor­stel­lun­gen. Das birgt Konflikt­po­ten­zi­al, deshalb ist es essen­ti­ell, sich auf den Gesprächs­part­ner einzu­las­sen. Das Inter­es­se an Menschen war meine Haupt­mo­ti­va­ti­on für den Einstieg in die Poli­tik. Ich gehe offen auf Menschen zu, denn mir ist wich­tig, die Bedürf­nis­se der Bevöl­ke­rung zu kennen. Im Stadt­rat sind wir sieben Räte aus unter­schied­li­chen Partei­en. Das ist gut so, denn es sollen möglichst viele unter­schied­li­che Stand­punk­te vertre­ten sein. Gäbe es keine kontro­ver­se Ausein­an­der­set­zung, würden wir die Themen­viel­falt einschrän­ken und nur einen klei­nen Teil der Inter­es­sen aus der Bevöl­ke­rung vertre­ten. Eine faire Streit­kul­tur und das Ringen um vernünf­ti­ge Kompro­mis­se bilden die Grund­la­ge unse­rer Demo­kra­tie. Ich bezeich­ne diese Viel­schich­tig­keit gerne als Schwarm­in­tel­li­genz, denn verschie­de­ne Ideen und Kompe­ten­zen führen letzt­lich auch zu brei­ter abge­stütz­ten Lösun­gen. Mir scheint, dass es bei Konflikt­si­tua­tio­nen oft nur zwei Möglich­kei­ten gibt. Entwe­der die Fron­ten verhär­ten sich oder einer der Gesprächs­part­ner blockiert und weicht dem Gespräch aus. Ich denke, das grün­det in der Einstel­lung, dass bei jeder Diskus­si­on ein Gewin­ner und ein Verlie­rer hervor­ge­hen müssen. Wich­tig wäre, strei­ten nicht als Kampf, sondern als einen koope­ra­ti­ven Prozess anzu­se­hen. Oder kurz gesagt: eine gelun­ge­ne Kommu­ni­ka­ti­on ist konstruk­tiv, sach­lich und unmissverständlich.»

Petra Näf ist Betriebs­wirt­schaf­te­rin und ist seit 2021 Stadt­rä­tin von Buchs SG. Sie leitet das ­Resort Gesund­heit und Alter.

Diskurs im Ethik-Bistro 

Das Podi­um — mode­riert von Thomas Walli­mann (siehe Bild oben) — zum Thema «Gesun­der ­Umgang mit Meinungs­ver­schie­den­hei­ten» wurde von Cari­tas St. Gallen-Appenzell, der Seel­sor­ge­ein­heit Werden­berg und der Christ­li­chen Sozi­al­be­we­gung KAB SG organisiert. 

Text: Katja Hongler

Bild: Hans­pe­ter Thurnheer

12.05.2022

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
Webergasse 9
9000 St.Gallen

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