News

«Haustiere geben uns Halt»

In fast der Hälf­te aller Schwei­zer Haus­hal­te lebt ein Haus­tier. Im Inter­view spricht Tier­ethi­ker und Präsi­dent des Arbeits­krei­ses Kirche und Tiere Chris­toph Ammann über die Heraus­for­de­run­gen bei der Haus­tier­hal­tung und den Balan­ce­akt zwischen unter­schied­li­chen Bedürfnissen.

Chris­toph Ammann, ­wieso halten wir uns Haustiere?

Chris­toph Ammann: Verein­facht gesagt haben wir Menschen seit jeher einen tiefen Drang nach Bezie­hun­gen und Gemein­schaft. Wir wollen unser Leben mit ande­ren teilen, wollen nicht einsam und allei­ne sein. Wir brau­chen den Austausch und die Inter­ak­ti­on mit ande­ren. Das hält uns lebendig.

Sind Haus­tie­re also einzig zu unse­rer Belus­ti­gung da?

Für viele Menschen sind Haus­tie­re wich­ti­ge Lebens­be­glei­ter. Sie sind Bezugs­punkt und Wegge­fähr­ten. Es tut uns gut, uns um sie zu kümmern, und sie tun uns gut. Haus­tie­re sind treu und verläss­lich. Sie geben uns Halt und Struk­tur. Grund­sätz­lich ist daran nichts falsch und es ist eigent­lich etwas Schö­nes. Proble­ma­tisch wird es da, wo wir Tiere nur zur Befrie­di­gung unse­rer eige­nen Bedürf­nis­se halten und wo die Abhän­gig­keit extrem wird. Wir müssen uns bewusst sein, dass Tiere eige­ne Bedürf­nis­se haben, aber abhän­gig von uns Menschen sind. Tiere haben weni­ger Möglich­kei­ten, sich zu wehren. Wir Menschen befin­den uns in einer Macht­stel­lung und haben ethisch gese­hen eine beson­de­re Verant­wor­tung. Wir haben die Pflicht, uns um die Tiere zu kümmern. Das ist eine hohe Anfor­de­rung, die leider nicht über­all erfüllt wird. Über­all wo es solche Struk­tu­ren gibt, kann es zu Macht­miss­brauch kommen.

«Tiere sind nicht nur da, um unse­re Bedürf­nis­se zu befrie­di­gen. Es ist ein Balan­ce­akt zwischen unse­ren Bedürf­nis­sen und dem Respekt gegen­über dem Tier.»

Als Tier­ethi­ker fordern Sie ein würde­vol­les Leben für Tiere. Was ist das?

Es ist ganz einfach: Ein würde­vol­les Leben ist ein Leben, in dem das Tier genü­gend Frei­raum erhält und in dem die Bedürf­nis­se der Tiere gleich gewich­tet werden wie jene von uns Menschen. Tiere sind nicht nur da, um unse­re Bedürf­nis­se zu befrie­di­gen. Es ist ein Balan­ce­akt zwischen unse­ren Bedürf­nis­sen und dem Respekt gegen­über dem Tier. Bevor man sich ein Haus­tier anschafft, soll­te man sich gut über­le­gen, ob man bereit ist, die nöti­ge Zeit und zum Beispiel im Krank­heits­fall auch das nöti­ge Geld aufzubringen.

Wie hat sich das Verhält­nis zu unse­ren Haus­tie­ren verändert?

Früher hat man sich aus Haus­tie­ren tenden­zi­ell weni­ger gemacht. Sie waren einfach da, und eine Katze war zum Beispiel zum Mäuse­ja­gen nütz­lich. Seit der Nach­kriegs­zeit ist die Bezie­hung der Menschen zu ihrem Haus­tier emotio­nal inten­si­ver gewor­den. Der Stel­len­wert der Haus­tie­re hat stän­dig zuge­nom­men. Das merken wir vor allem in den städ­ti­schen Gebie­ten. Für viele ist das Tier mitt­ler­wei­le ein festes Fami­li­en­mit­glied. Manche spre­chen von einem Kinde­r­er­satz. Es gibt Hundekrip­pen, Katzen­coif­feu­re, Tier­gym­nas­tik. Die Haus­tier­hal­tung ist ein riesi­ger Markt gewor­den. Das ist nicht per se nega­tiv. Es zeigt, dass die Tiere einen grös­se­ren Stel­len­wert haben. Es ist aber nach wie vor so, dass viele Menschen nicht merken, dass es nicht selbst­ver­ständ­lich ist, dass wir ein Tier halten dürfen und welche Verant­wor­tung sie damit einge­hen. Wir müssen uns bewusst sein, dass es komplett etwas ande­res ist, sich einen Hund anzu­schaf­fen als ein neues Handy zu kaufen.

Sie spre­chen damit die ­Objek­ti­vie­rung von Tieren an.

Viele merken das gar nicht. Heute kann man insbe­son­de­re im Inter­net alles kaufen. Wir können unse­re Velos nach unse­ren Wünschen konfi­gu­rie­ren oder zwischen Pull­over­far­ben wählen. Alles ist immer verfüg­bar. Unse­re Gesell­schaft hat sich daran gewöhnt nach dem Motto: Das gefällt mir, das kaufe ich. Dies ist sicher­lich auch ein Grund, warum vermehrt Rasse­hun­de nach­ge­fragt und entspre­chend ange­bo­ten werden. Wir können quasi unse­re Wunsch­hun­de aussu­chen. Ethisch gese­hen ist das sehr proble­ma­tisch und beför­dert die Menta­li­tät, Tiere nur als Objekt zu sehen und auch viel zu schnell ein herzi­ges Tier­chen quasi als Gadget anzuschaffen.

Was tut sich in den Kirchen in Sachen Tierwohl?

Es kommt eini­ges in Bewe­gung. Es gibt zum Beispiel gera­de in katho­li­schen Kontex­ten Tier­seg­nun­gen. In Zürich wurde vor zwei Jahren das erste Mensch-Tier-Grabfeld eröff­net. Tiere sind aller­dings immer noch ein Thema, mit dem sich die Kirchen schwer­tun. Es ist eine Knack­nuss, die Kirchen dazu zu bewe­gen, die Tiere erns­ter zu nehmen. Wir merken aber, dass gesamt­ge­sell­schaft­lich die Bedeu­tung der Tiere in den vergan­ge­nen fünf bis zehn Jahren stark zuge­nom­men hat. Auch die Pfar­rei­en sind sensi­bi­li­sier­ter. Es gibt nach wie vor Wider­stän­de, aber wir von AKUT werden weni­ger belä­chelt und unse­re Arbeit wird erns­ter genommen.

Text: Ales­sia Pagani

Bild: zVg.

Veröf­fent­licht: 23.08.2024

Kirche und Tiere

Chris­toph Ammann ist refor­mier­ter Pfar­rer in Zürich Witi­kon und Tier­ethi­ker. Er ist Präsi­dent des Arbeits­krei­ses Kirche und Tiere (AKUT). Der Verein setzt sich seit zwan­zig Jahren für einen würde­vol­le­ren, acht­sa­me­ren und gerech­te­ren Umgang mit Tieren ein. AKUT hat unter ande­rem die Selbst­ver­pflich­tung «Tier­freund­li­che Kirche» lanciert und gibt den Pfar­rei­en Tipps für die Umset­zung im Alltag, beispiels­wei­se im Reli­gi­ons­un­ter­richt oder in den Gottesdiensten.

Ein Leben für die Tiere

Carmen ist berufs­tä­ti­ge Mutter und setzt sich für herren­lo­se Tiere ein. Mehr­mals wöchent­lich geht sie mit den Listen­hun­den des Vereins Bull­staff Hilfe Schweiz spazie­ren. Es sind Hunde, die meist aus Beschlag­nah­mun­gen stam­men und so eine zwei­te Chan­ce erhalten.

Das erste Gesicht, das sie sehen, prägen sie sich immer ein», sagt Carmen. Die junge Frau,  die nur beim Vorna­men genannt werden möch­te, steht am Ufer der Sitter zwischen St. Gallen und Engel­burg. An der Leine ihr Schütz­ling Kalama­zoo. Der blaue Ameri­can Staf­ford­shire Terri­er ist 2022 gebo­ren und eine rich­ti­ge Wasser­rat­te, wie er auf dem Wald­spa­zier­gang zeigt. «Er muss noch viel lernen. Er ist noch ein Jung­spund. Aber er macht das super», sagt Carmen. Sie nennt Kalama­zoo mitt­ler­wei­le beim Spitz­na­men Malou. Die Bezie­hung der beiden ist gut. Immer wieder orien­tiert sich der junge Rüde an seiner Beglei­te­rin. Das ist keine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Carmen und Malou kennen sich erst seit weni­gen Tagen. Malou lebt im Tier­heim Sitter­höf­li in Engel­burg. Carmen, obwohl berufs­tä­tig und Mutter eines Klein­kin­des, hat sich Malou ange­nom­men. Und nicht nur ihm: Fast täglich opfert sie mehre­re Stun­den ihrer Frei­zeit und geht mit den Listen­hun­den aus dem Tier­heim spazie­ren. In diesen Stun­den schenkt sie ihnen Liebe und Zunei­gung und lehrt ihnen, was sie für das Hunde­le­ben wissen müssen. Manch­mal fehlt die Hunde­schul­aus­bil­dung, manch­mal stehen Gänge zum Tier­arzt an. Immer können sich die Tiere auf Carmen verlas­sen. Sich für Tiere einset­zen, die es nicht so schön im Leben hatten, nennt sie es selber. «Den Tieren zu helfen, macht mich glück­lich. Was immer ich machen kann, versu­che ich zu machen. Und auch wenn es für das Gesam­te nur ein Trop­fen auf den heis­sen Stein ist, kann es für das einzel­ne Tier das ganze Leben bedeuten.»

Hunden neue Chan­ce geben

Carmen enga­giert sich als Privat­per­son und als Mitglied  der Bull­staff Hilfe Schweiz, die sich für die Vermitt­lung von Listen­hun­den einsetzt. Und Listen­hun­de wie Malou landen leider oft im Tier­schutz oder in Tier­hei­men. «Es sind Massen an Hunden, die abge­ge­ben werden. Zu viele. Wir können dieser Menge gar nicht gerecht werden», sagt die gebür­ti­ge Mörschwi­le­rin. Das Problem: Listen­hun­de zählen zu den poten­zi­ell gefähr­li­chen Hunden, deren Haltung in gewis­sen Kanto­nen verbo­ten oder bewil­li­gungs­pflich­tig ist. Eine Vermitt­lung ist entspre­chend  noch schwie­ri­ger als bei «norma­len» Hunden. Über die Vorge­schich­te der Hunde erfährt Carmen aus Daten­schutz­grün­den wenig – die meis­ten stam­men aus Beschlag­nah­mun­gen. Es inter­es­siert sie auch nicht. Wich­tig ist ihr einzig, dass die Hunde eine neue Chan­ce bei neuen Besit­zern erhal­ten. Auch urtei­len will sie nicht. Sie sagt nur so viel: «Es gibt Menschen, die die Tiere aus Liebe zum Tier abge­ben. Und dane­ben gibt es wohl viele, die sich Tiere unüber­legt anschaf­fen und sich nicht bewusst sind, was es heisst, ein Tier zu halten.» Carmen hat schon Hunder­te von Hunden betreut und hat auch zu Hause einen Hund aus dem Tier­schutz. Sie weiss: Jedes Tier ist indi­vi­du­ell und der Charak­ter anders. «Viele suchen sich die Hunde nur nach dem Aussehen aus, anstatt nach den Wesen­zü­gen und Charak­ter. Das kann zu Proble­men führen, denn die Gene­tik darf man nie ganz ausser Acht lassen.»

Tränen beim Abschied

Obwohl es für Malou bereits Inter­es­sen­ten gab, hat es mit einer Vermitt­lung bisher nicht funk­tio­niert. Und auch wenn Carmen die gemein­sa­me Zeit schätzt, wünscht sie sich nichts mehr, als dass Malou endlich ein neues Zuhau­se findet. «Es ist das Schöns­te für mich, wenn die Tiere einen Besit­zer finden, der sie mindes­tens genau­so liebt  wie ich.» Dass es bei Abschie­den auch schon mal Tränen gege­ben hat, verschweigt sie nicht. «Natür­lich gewöh­ne ich mich an sie und es tut weh. Aber es ist die einzi­ge Möglich­keit, die die Hunde noch haben.» Das Wort «unver­mit­tel­bar» will Carmen nicht in den Mund nehmen. Sie spricht lieber von schwie­ri­gen Fällen. «Dann ist es die Suche nach der Nadel im Heuhau­fen. Aber es gibt für jedes Tier den passen­den Besit­zer.» Aufge­wach­sen ist Carmen in einer tier­lie­ben Fami­lie. «Bei uns hatten Menschen und Tiere densel­ben Wert. Ich glau­be, das prägt einen», sagt die 30-Jährige. In Anbe­tracht der vielen Tierheim-Tiere würde sie sich wünschen, dass mehr Menschen sich enga­gie­ren. «Alle können etwas machen, wenn sie denn wollen.» Mitglied­schaft im Tier­schutz­ver­ein, Paten­schaf­ten, Boten­gän­ge, Spazier­gän­ge, Zeit für Strei­chel­ein­hei­ten – Möglich­kei­ten gäbe es viele, auch nicht-monetäre. «Wenn alle einen klei­nen Beitrag leis­ten würden, hätten es die Tiere viel schö­ner.» Carmen schaut zu Malou hinun­ter. Seine Zunge hängt ihm aus dem Mund. Der Spazier­gang und das Herum­tol­len haben ihren Tribut gefor­dert. Dann und wann dürfen Malou und die ande­ren Hunde auch bei Carmen auf Über­nach­tungs­be­such – raus aus der Tierheim-Umgebung, rein in ein Fami­li­en­le­ben. Das Enga­ge­ment von Carmen wird so schnell nicht enden. «Tiere sind mein Leben. Sie geben mir so viel und gehö­ren für mich zur Familie.»

Text: Ales­sia Pagani

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 23.08.2024

Papageienhof Mogelsberg

Von seinem ­Hocker aus kann Finn alles ­beob­ach­ten und über­bli­cken. Der rothaa­ri­ge Kater darf gemein­sam mit 14 Artge­nos­sen seinen ­Lebens­abend im Katzen­al­ters­heim des Büsi- und ­Papa­gei­en­hofs in Mogels­berg verbringen.

Fast täglich nimmt der Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg herren- und schutz­lo­se Tiere auf. ­Aktu­ell betreu­en Marcel Jung und sein Team im Tier­heim über 350 Schütz­lin­ge. Sie alle ­haben ein unter­schied­li­ches Schick­sal und meist eine schwie­ri­ge Zeit hinter sich. Was sie ­verbin­det? Der Gross­teil wartet auf ein neues schö­nes Plätzchen.

Stolz und erha­ben thront Finn auf seinem Hocker und mustert die Gäste. «Diva» schiesst einem durch den Kopf, wenn man den rothaa­ri­gen Kater so sitzen sieht. Doch Finn erbarmt sich. Er macht einen Schritt auf die Gäste zu und schon ist das Eis gebro­chen. Es folgt eine 30-minütige Strei­chel­ein­heit mit vielen Lieb­ko­sun­gen. Nach Finn möch­te Garga­mel schmei­cheln. Der lang­haa­ri­ge Kater kam erst vor weni­gen Tagen via Tier­schutz in den Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg. Garga­mel wurde auf einem Bauern­hof gefun­den, vernach­läs­sigt und verfilzt. Mitt­ler­wei­le ist er frisch frisiert. Mit dem Einzug ins Tier­heim ist auch sein Schick­sal besie­gelt: «Er bleibt bis zum Lebens­en­de bei uns», sagt Heim­lei­ter Marcel Jung. Finn und Garga­mel sind Bewoh­ner des Katzen­al­ters­heims im Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg. Das heisst, sie werden nicht vermit­telt und werden ihren Lebens­abend im Tier­heim verbrin­gen. Momen­tan leben 15 Katzen im Katzen­al­ters­heim. Wie Finn und Garga­mel landen jähr­lich Tausen­de von Tieren in Schwei­zer Tier­hei­men. Gemäss Statis­tik des Schwei­zer Tier­schut­zes wurden 2022 über 13 000 Tiere abge­ge­ben. Im Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg kümmert sich Marcel Jung um rund 350 solcher Tiere, darun­ter mehre­re Hunde und Katzen, unzäh­li­ge Nager wie Meer­säu­li und Kanin­chen sowie Schild­krö­ten und rund 200 teils exoti­sche Vögel. Das Tier­heim soll aller­dings nur Zwischen­sta­ti­on sein. Der Gross­teil der Katzen, die Hunde und die Nager warten im Necker­tal auf ein neues schö­nes Zuhau­se mit liebens­wür­di­gen Besit­zern. Was die Tiere eint: Sie haben oft ein schlim­mes Schick­sal hinter sich und nieman­den mehr, der sich um sie kümmert. Sie wurden ausge­setzt oder wurden vernach­läs­sigt. Sie wurden verges­sen oder verlas­sen. Es sind Tiere, die aus Privat­haus­hal­ten kommen und frei­wil­lig abge­ge­ben wurden oder die Tier­schutz und Poli­zei in die Obhut des Tier­heims gebracht haben. So auch Lilly­fee und Mika. Die beiden Hunde tollen freu­dig in der Aussen­an­la­ge umher und begrüs­sen die Gäste aufgeregt.

Tausen­de Tiere landen jähr­lich im Tierheim.

Kastra­ti­ons­pflicht gefordert

Die beiden klei­nen Racker sind schon länge­re Zeit im Zwin­ger des Tier­heims. Unfrei­wil­lig, wie Marcel Jung erklärt. Gerne würde er die Hünd­chen an einen schö­nen Ort vermit­teln, aber er darf nicht – aus einem absur­den Grund: Nach dem Tod des Besit­zers kamen die beiden Hunde gemäss Gesetz in die Erbmas­se. Das Ganze zieht sich in die Länge. Marcel Jung geht nicht davon aus, dass sie vor ihrem Tod den Tier­heim­zwin­ger noch verlas­sen können. «Das ist sehr scha­de für die beiden.» Mit ihnen warten vier weite­re Hunde auf eine Vermitt­lung. Wir Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer lieben Haus­tie­re. Über 40 Prozent der Haus­hal­te besit­zen mindes­tens einen Hund, eine Katze oder Fische, Vögel und Nager. In der Schweiz lebten 2022 rund 0,5 Millio­nen Hunde und rund 1,8 Millio­nen Katzen. Doch nicht immer schaf­fen wir es, unse­re Verpflich­tung gegen­über den Tieren wahr­zu­neh­men. Das merken auch die Verant­wort­li­chen: «Die Zahl der abge­ge­be­nen Tiere ist in den vergan­ge­nen Jahren immer stär­ker gestie­gen», sagt Marcel Jung.

«Die Zahl der abge­ge­be­nen Tiere ist in den vergan­ge­nen Jahren immer stär­ker gestie­gen», sagt Marcel Jung.

Gebüh­ren schre­cken ab

Im vergan­ge­nen Jahr hat der Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg Schlag­zei­len gemacht. Es war die Rede von einer Katzen­schwem­me und von einem drohen­den Aufnah­me­stopp. Ende 2023 waren 40 Samt­pfo­ten in der Vermitt­lung. Mitt­ler­wei­le habe sich die Situa­ti­on beru­higt und die Zahl abge­ge­be­ner Tiere sei gerin­ger als im Vorjahr, sagt Marcel Jung. «Aber gera­de zur Feri­en­zeit merken wir leider immer einen Anstieg.» Das Problem: Heute verlan­gen Tier­hei­me nicht selten Aufnahme- und Abga­be­ge­büh­ren. Damit sollen Kosten wie Futter und Tier­arzt­rech­nun­gen bezahlt werden. Für ein Tier­heim, das ausschliess­lich von Spen­den und Lega­ten lebt, ein notwen­di­ger Zustupf. «Viele Leute verste­hen das nicht und weigern sich, etwas zu zahlen. Sie scheu­en sich deshalb, das Tier ins Tier­heim zu brin­gen», erklärt Jung. Dies führe nicht selten dazu, dass die Besit­zer die ihnen über­drüs­sig gewor­de­nen Tiere vor der Feri­en­rei­se im Wald «entsor­gen». Von den 13 000 im Jahr 2022 in Schwei­zer Tier­hei­men abge­ge­be­nen Tieren waren rund 5128 Findel­tie­re. Marcel Jung kennt das leider nur zu gut. Erst vor weni­gen Tagen habe er wieder Meer­säu­li aufge­nom­men, die in einer Karton­schach­tel ausge­setzt wurden.

Im Büsi- und ­Papa­gei­en­hof in Mogels­berg warten viele Katzen auf ein neues Zuhause.

Verant­wor­tung fehlt

Ein Problem sieht Marcel Jung auch in der raschen Fort­pflan­zung der Katzen. Schät­zungs­wei­se 100 000 bis 300 000 Katzen in der Schweiz sind herren­los. Eine Kastrations- oder Chip-Pflicht gibt es bei uns nicht. «Eine solche wäre wünschens­wert», sagt Jung. Gera­de Bauern­hof­kat­zen würden sich oft unkon­trol­liert vermeh­ren. Dadurch sei auch die Gefahr der Über­tra­gung von Krank­hei­ten gross, was zu hohen Folge­kos­ten führen könne. Dies wieder­um stei­ge­re die Gefahr, dass Katzen ausge­setzt würden. Ein Teufels­kreis. Proble­ma­tisch sieht Marcel Jung auch die «Tren­di­sie­rung» bestimm­ter Rassen, spezi­ell bei Hunden. Durch Filme oder Social Media würden Tren­d­ras­sen entste­hen, die dann in kurzer Zeit aus «Pres­ti­ge­grün­den» vermehrt nach­ge­fragt werden, bis sie von neuen Tren­d­ras­sen abge­löst werden. Als Beispiel nennt Jung Mopse oder Pitbulls. Einen Hype hatte Anfang der 2000er-Jahre auch Hotel­er­bin Paris Hilton geschaf­fen, als sie ihren Chihua­hua über­all hin mitnahm und so den Begriff des Hand­ta­schen­hünd­chens präg­te. Marcel Jung verur­teilt solche Trends, zeigt aber auch Verständ­nis: «Wenn wir Menschen etwas unbe­dingt wollen, setzt manch­mal unser Verstand aus.» Gegen­über den Züch­tern hat Jung ein ambi­va­len­tes Verhält­nis: «Viele sind nicht seri­ös und über­schwem­men den Markt. Meist stehen mone­tä­re Inter­es­sen im Vorder­grund und nicht die Tiere.» Marcel Jung hat schon vieles gese­hen und trotz­dem gehen ihm die Geschich­ten immer noch nahe: «Ich würde mir so sehr mehr Verant­wor­tung von den Menschen gegen­über den Tieren wünschen.»

Ein Teufels­kreis: Durch Filme und Social Media werden immer wieder Tier­ras­sen gehypt.

Bezie­hun­gen aufbauen

Der Rund­gang im Tier­heim neigt sich lang­sam dem Ende zu. In den Gängen des Vogel­hau­ses kommt uns Laris­sa Gribi entge­gen. Sie nimmt sich Zeit für Kaka­du Julio. Zu diesem hat sie ein ganz beson­de­res Verhält­nis. Stolz sitzt er auf Gribis Schul­ter, zeigt seine schö­ne Haube in voller Pracht und nagt genüss­lich an der Lese­bril­le seiner Pfle­ge­rin. Für die Tiere ist der Kontakt zu den Menschen wich­tig. «Aber es sind nicht alle so zutrau­lich wie er», sagt Laris­sa Gribi und bringt Julio zurück zu seinen Artge­nos­sen in die Volie­re. Draus­sen im Zwin­ger bellt derweil ein schö­ner schwar­zer Misch­ling. Er ist nervös und springt am Gitter hoch. Tier­pfle­ge­rin Jenny Nigg sperrt ihn für eini­ge Minu­ten in sein Zimmer ein. «Zur Beru­hi­gung», wie sie sagt. Er sei sich noch nicht an die verän­der­te Umge­bung gewohnt. Auch der Rüde hat kein einfa­ches Leben hinter sich. Die Poli­zei hatte den Hund vorbei­ge­bracht, mit der Aussa­ge, der Besit­zer werde ihn am kommen­den Tag abho­len. Das war vor mehre­ren Mona­ten. Zwischen­zeit­lich hat der Besit­zer ange­ru­fen, er könne sich nicht mehr um den Hund kümmern. Eine Verzichts­er­klä­rung unter­schrieb er nicht, der Hund verbleibt entspre­chend im Tier­heim. «Ich kann nicht verste­hen, wie man eine solche Tatsa­che wegschie­ben und solche Entschei­dun­gen tref­fen kann», sagt Marcel Jung. Und Jenny Nigg fügt hinzu: «Es ist schon trau­rig, was man alles sieht, und die Menschen und ihr Verhal­ten machen mich nach­denk­lich.» Es sind alles Schick­sa­le, die die Tier­pfle­ger betrof­fen machen. «Was würden wir denn machen, wenn es keine Tier­hei­me mehr gibt?», fragt Marcel Jung rheto­risch. Das Tier­heim Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg ist unab­hän­gig und privat geführt. Um die Kosten zu decken, ist es auf Feri­en­gäs­te ange­wie­sen. «Wenn ich an die Sorgen und Proble­me denke, würde ich das alles nicht mehr machen. Aber es geht ums Tier. Und dafür würde ich das Risi­ko und die Heraus­for­de­run­gen immer wieder auf mich nehmen», sagt Jung, der sich für einen obli­ga­to­ri­schen Tier­schutz­fran­ken stark macht. «1 Fran­ken pro Jahr und Erwach­se­ner, das würde doch nieman­dem wehtun und würde den Tieren so viel brin­gen.» Jung ist sich sicher: «Dies würde auch die Frage nach der Verant­wor­tung gegen­über unse­ren Haus­tie­ren wieder mehr in den Fokus rücken.»

Marcel Jung star­te­te vor 20 Jahren mit einem Papageienhof.

Büsis brin­gen Geld

Ange­fan­gen hat alles vor genau 20 Jahren mit Papa­gei Pepi­to. Diesen hatte der gelern­te Plat­ten­le­ger unver­hofft geschenkt bekom­men. Nach und nach kamen weite­re – meist exoti­sche Vögel – in die Obhut von Marcel Jung. Die Volie­ren wurden mehr, das Geld weni­ger. Ein neuer Plan muss­te her, denn: «Mit Vögeln lassen sich keine Spen­den gene­rie­ren. Sie haben keinen Jöh-Effekt wie etwa Katzen», sagt Jung. So nahm er dann auch mit diesem Hinter­ge­dan­ken den ersten Fell­knäu­el bei sich auf – ein drei­bei­ni­ges, im Wald ausge­setz­tes Kätz­chen. Damit war der Start­schuss für das Tier­heim gelegt. Heute ist der Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg gemäss Jungs Aussa­gen das einzi­ge Alters­heim für Papa­gei­en in der Schweiz und die einzi­ge Auffang­sta­ti­on, welche nicht züch­tet und handelt. Es ist mitt­ler­wei­le später Vormit­tag. Jenny Nigg war den ganzen Morgen damit beschäf­tigt, die Räume im Katzen­haus zu säubern und die Samt­pfo­ten zu verpfle­gen. Nun hat sie Pause. Diese verbringt sie mit ihrem eige­nen Vier­bei­ner. Auch Fusel fand über den Tier­schutz den Weg ins Tier­heim und schliess­lich zu seiner lieben­den neuen Besit­ze­rin. Und das drei­bei­ni­ge Kätz­chen? Es streift heute noch übers Areal und ist somit die ältes­te Mitbe­woh­ne­rin im Katzen­al­ters­heim, wo es umsorgt seinen Lebens­abend verbrin­gen darf.

Text: Ales­sia Pagani

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 23.08.2024

«Viele Betroffene ermutigt»

Vor rund einem Jahr ist die schweiz­wei­te Pilot­stu­die zur Aufar­bei­tung der ­Miss­bräu­che im kirch­li­chen Umfeld erschie­nen. Der Schock über die Ergeb­nis­se ist bis heute gross, Rufe nach Mass­nah­men wurden laut. Was ist der aktu­el­le Stand?

«Seit Septem­ber 2023 hat sich eini­ges getan», hält Vreni Pete­rer aus Schlatt AI fest. Sie ist Präsi­den­tin der IG‑M!kU, einer Gemein­schaft von Miss­brauchs­be­trof­fe­nen im kirch­li­chen Umfeld, und selbst Betrof­fe­ne. Nach­dem am 12. Septem­ber 2023 die Vorstu­die der Univer­si­tät Zürich präsen­tiert wurde, hat Vreni Pete­rer in zahl­rei­chen Inter­views Betrof­fe­nen eine öffent­li­che Stim­me gege­ben. In den vergan­ge­nen zwölf Mona­ten hat sie auch an vielen Sitzun­gen und Gesprä­chen mit den verschie­dens­ten kirch­li­chen Gremi­en teil­ge­nom­men. «Einer­seits gibt es Betrof­fe­ne, die davon berich­ten, dass sie nun endlich ernst genom­men werden und ihnen zuge­hört wird. Ande­re erle­ben, dass sie nach wie vor für ihr Recht kämp­fen müssen. Ich kenne Betrof­fe­ne, die sogar einen Juris­ten einschal­ten muss­ten.» Die Katho­li­sche Kirche hat verschie­de­ne Mass­nah­men beschlos­sen, um Miss­brauch aufzu­de­cken und zu verhin­dern. «Es ist ein Prozess der klei­nen Schrit­te», sagt Vreni Pete­rer und fügt hinzu: «Wir sind noch lange nicht am Ziel.» Als posi­ti­ve Entwick­lung nennt sie, dass nun auch dem spiri­tu­el­len Miss­brauch die nöti­ge Beach­tung geschenkt wird. «Nicht immer handelt es sich bei Über­grif­fen um sexu­el­le Gewalt, das wuss­ten viele bisher nicht. Auch Macht­miss­brauch oder Mani­pu­la­ti­on sind Formen von Über­grif­fen, die verhee­ren­de Folgen im Leben Betrof­fe­ner haben können.»

Am 13. Septem­ber 2023 stell­ten sich Bischof Markus Büchel und Vreni Pete­rer in St. Gallen den Fragen der Medi­en zu sexu­el­len Über­grif­fen im Bistum St. Gallen und den Mass­nah­men, die künf­tig psychi­sche und physi­sche Grenz­ver­let­zun­gen verhin­dern sollen.

Mass­nah­men umsetzen

Die Mass­nah­men rich­tig umzu­set­zen, sei ein anspruchs­vol­les Unter­fan­gen, sagte der Churer Bischof Joseph Bonn­emain bei einer Medi­en­kon­fe­renz am 27. Mai. Eine der Mass­nah­men ist die Tren­nung der Bera­tung von Betrof­fe­nen und Melde­struk­tu­ren. Betrof­fe­ne sollen künf­tig an kanto­na­le Opfer­hil­fe­stel­len verwie­sen werden. Vreni Pete­rer: «Diese Stel­len sind etabliert, deshalb macht das auch Sinn und es ist auch schon Reali­tät, dass Betrof­fe­ne dort­hin verwie­sen werden.» Derzeit sind die Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz (SBK), die kath. Kanto­nal­kir­chen (RKZ) und die kath. Ordens­ge­mein­schaf­ten (Kovos) im Gespräch mit diesen Stel­len, um sich am Mehr­auf­wand finan­zi­ell zu betei­li­gen. Eben­so werden kirch­li­che Informations- und Koor­di­na­ti­ons­stel­len als Support für die Opfer­be­ra­tung geschaf­fen. Und es gibt eine Weiter­ent­wick­lung der kirchen­in­ter­nen Melde- und Fall­be­ar­bei­tungs­struk­tu­ren. Ziel ist es, im Janu­ar 2025 eine unab­hän­gi­ge Melde­stel­le zu haben. «Natür­lich wünsch­te ich mir, dass solche Mass­nah­men möglichst schnell konkret umge­setzt werden», räumt Vreni Pete­rer ein. Ihr sei in den vergan­ge­nen Mona­ten jedoch bewusst gewor­den: Damit die Mass­nah­men künf­tig wirk­lich gut funk­tio­nie­ren, soll nicht über­stürzt gehan­delt werden. «Aber viele Betrof­fe­ne haben sich nach dem 12. Septem­ber 2023 gemel­det. Sie benö­ti­gen jetzt offe­ne Ohren und Unter­stüt­zung. Aktu­ell kann dies nicht immer opti­mal gebo­ten werden.» Die Zeit dränge.

Erfah­re­nes aufschreiben

Seit Septem­ber 2023 berich­ten die Medi­en regel­mäs­sig über die Aufar­bei­tung der Miss­bräu­che im kirch­li­chen Umfeld. Dies ist laut Vreni Pete­rer nicht ohne Wirkung geblie­ben: «Das Thema ist in der Öffent­lich­keit. Dies hat viele Betrof­fe­ne ermu­tigt, zum ersten Mal über das erfah­re­ne Leid zu spre­chen oder sich zu melden.» Bei der IG‑M!kU haben sich über fünf­zig Betrof­fe­ne gemel­det. Vreni Pete­rer erzählt auch von Nach­rich­ten, die sie auf Insta­gram bekom­men hat. «Es war diesen Betrof­fe­nen ein Anlie­gen, das Erfah­re­ne aufschrei­ben zu können», sagt sie. «Wir hoffen, dass sich noch mehr Betrof­fe­ne melden. Jede Geschich­te trägt dazu dabei, das Gesche­he­ne aufzu­ar­bei­ten.» Die IG‑M!kU will auch mit Info­aben­den in der ganzen Deutsch­schweiz einen Beitrag zur Aufar­bei­tung leis­ten und gleich­zei­tig Betrof­fe­ne ermu­ti­gen. Der erste Abend wird am 1. Okto­ber in Chur statt­fin­den und gleich­zei­tig online via Zoom übertragen.

«Es ist ein Prozess der klei­nen Schrit­te», sagt Vreni Pete­rer knapp ein Jahr nach Präsen­ta­ti­on der Pilot-Studie und fügt hinzu: «Wir sind noch lange nicht am Ziel.» (Archiv­bild Septem­ber 2023)

Psycho­lo­gi­sches Assessment

Die SBK, RKZ und Kovos haben weite­re Mass­nah­men beschlos­sen: Künf­tig sollen alle Seel­sor­gen­den vor dem Einstieg in eine kirch­li­che Tätig­keit ein psycho­lo­gi­sches Assess­ment durch­lau­fen. Dies soll auffäl­li­ge Persön­lich­keits­struk­tu­ren aufzei­gen. Für die Umset­zung dieser Mass­nah­me hat sich die Kirche Unter­stüt­zung bei Rund­stedt, einem dafür spezia­li­sier­ten Unter­neh­men, geholt. Eine drit­te Mass­nah­me umfasst die Stan­dards für Perso­nal­dos­siers und Infor­ma­ti­ons­aus­tausch. Täter zu verset­zen, war in der Vergan­gen­heit möglich, da zu wenig Austausch statt­ge­fun­den hat. Derzeit werden Stan­dards entwi­ckelt für die Führung der Personaldossiers.

Text: Stephan Sigg

Bild: Regi­na Kühne (Archiv, 13. Septem­ber 2023)

Veröf­fent­licht: 16.08.2024

«Leider herrscht sehr viel Unwissenheit»

Der Israel-Palästina-Konflikt beschäf­tigt. Dies zeigen nicht zuletzt die gestie­ge­nen Besu­cher­zah­len im Jüdi­schen Muse­um Hohen­ems. Muse­ums­di­rek­tor Hanno Loewy und sein Team ­versu­chen, mit Wissens­ver­mitt­lung ihren Beitrag gegen Anti­se­mi­tis­mus zu leisten.

«Wir waren vorbe­rei­tet – sofern man auf so etwas über­haupt vorbe­rei­tet sein kann», sagt Hanno Loewy. Der 63-Jährige spricht mit ruhi­ger und beson­ne­ner Stim­me. Loewy muss seine Antwor­ten nicht abwä­gen. Es sind Antwor­ten, die er schon zigmal gege­ben hat. Aber es sind auch Antwor­ten auf Fragen, auf die es eigent­lich keine oder sicher­lich keine einfa­chen Antwor­ten gibt: Fragen zum Israel-Palästina-Konflikt, der am 7. Okto­ber mit dem Über­fall der Hamas auf Isra­el auf furcht­ba­re Weise eska­liert ist und die bis heute dauern­de mili­tä­ri­sche Offen­si­ve Isra­els im Gaza­strei­fen zur Folge hatte. Vom Konflikt ist Hanno Loewy direkt betrof­fen. Er ist seit 2004 leiten­der Direk­tor des Jüdi­schen Muse­ums Hohen­ems und war von 2011 bis 2017 Präsi­dent der Asso­cia­ti­on of Euro­pean Jewish Muse­ums. Loewy ist über­zeugt: Das Muse­um Hohen­ems kann durch Wissens­ver­mitt­lung seinen Beitrag gegen den gestie­ge­nen Anti­se­mi­tis­mus und ande­re radi­ka­le Reak­tio­nen auf den Konflikt leis­ten. «Leider herrscht sehr viel Unwis­sen­heit in diesem Bereich. Wir versu­chen, mit unse­ren Ausstel­lun­gen einen unge­wohn­ten und viel­leicht uner­war­te­ten Blick auf die jüdi­sche Geschich­te zu werfen.» Mit «guter Vorbe­rei­tung» meint er die aktu­el­le Ausstel­lung «A Place of Our Own. Vier junge Paläs­ti­nen­se­rin­nen in Tel Aviv», die noch bis Ende August zu sehen ist. Eine Ausstel­lung, die die paläs­ti­nen­si­sche Minder­heit Isra­els ins Zentrum stellt.

Unter­schied­li­che Konflikte

Das Muse­um Hohen­ems macht seit seiner Eröff­nung im Jahr 1990 mit Ausstel­lun­gen und nieder­schwel­li­gen Projek­ten jüdi­sche Geschich­te und Gegen­wart, und auch die wider­sprüch­li­che Reali­tät Isra­els und Paläs­ti­nas, greif­bar. Und dies ist nicht ganz einfach. Jüdi­sche Geschich­te ist viel­fäl­tig. «Es gab immer wieder frucht­ba­re Koexis­ten­zen. Und es gab Unter­drü­ckung und Migra­tion», sagt Loewy. 

Im Jüdi­schen Muse­um Hohen­ems möch­te Hanno Loewy die jüdi­sche Geschich­te und Gegen­wart, und auch die wider­sprüch­li­che Reali­tät Isra­els und Paläs­ti­nas, greif­bar machen.

Heute ist das Land Isra­el gespal­ten. Loewy spricht von vier unter­schied­li­chen Konflik­ten in und um Isra­el: Einer­seits dem Konflikt zwischen Isra­el und seinen arabi­schen Nach­barn, zwei­tens dem Konflikt um die Besat­zung, drit­tens dem Konflikt um Gleich­be­rech­ti­gung oder Diskri­mi­nie­rung der israe­li­schen Paläs­ti­nen­ser und schliess­lich dem inner­jü­di­schen Konflikt, ob Isra­el ein säku­la­rer oder reli­gi­ös domi­nier­ter Staat sein soll. «Inzwi­schen fragen sich viele kriti­sche Israe­lis, ob Isra­el die besetz­ten Gebie­te nun annek­tie­ren wird  oder ob umge­kehrt die Sied­ler in den besetz­ten Gebie­ten Isra­el beherr­schen. Diese Konflik­te können nur gemein­sam und von den Menschen vor Ort gelöst werden», sagt Loewy.

Inte­grie­ren, nicht ausgrenzen

Von der viel­fäl­ti­gen Geschich­te Isra­els zeugt auch die heuti­ge Bevöl­ke­rung. 1948, nach dem Rück­zug der Briten aus dem Mandats­ge­biet, gegrün­det, leben heute rund 1,8 Millio­nen Paläs­ti­nen­se­rin­nen und Paläs­ti­nen­ser im klei­nen Staat zwischen Mittel­meer und Jordan. Dies macht rund 20 Prozent der Bevöl­ke­rung Isra­els aus. Eben­falls rund 20 Prozent gehö­ren dem musli­mi­schen Glau­ben an. «Dies sind weder Zuge­wan­der­te noch Frem­de», sagt Hanno Loewy. Ein Umstand, der oft verges­sen werde. «Isra­el wird diese Menschen als inte­gra­len Teil der Gesell­schaft begrei­fen müssen, nicht als ausge­grenz­te Minder­heit.» Genau hier setzt das Muse­um an. Auch die kommen­de Ausstel­lung wird diese pola­ren Iden­ti­täts­po­li­ti­ken infra­ge stel­len. Sie handelt von der Erin­ne­rung und Gegen­wart arabisch-jüdischer Lebens­wel­ten aus der Perspek­ti­ve von sieben Künst­le­rin­nen und ihrem arabisch-jüdischen Hinter­grund. «Wir wollen Menschen zeigen, die im Konflikt zwischen den Stüh­len sitzen und an die die wenigs­ten denken.»

Gros­ses Interesse

Die Situa­ti­on rund um den Gaza­krieg und den auch in der Schweiz gestie­ge­nen Anti­se­mi­tis­mus macht nicht nur Hanno Loewy betrof­fen. Dies zeigt sich auch an den Besu­cher­zah­len im Jüdi­schen Muse­um Hohen­ems. Das Inter­es­se ist gross. Mit mehr als 20 000 Eintrit­ten verzeich­ne­te das Muse­um im vergan­ge­nen Jahr die höchs­te Zahl seit Eröff­nung. «Wir wurden gera­de­zu über­rannt», sagt der Muse­ums­di­rek­tor. Noch steht vor ihm eini­ges an Arbeit. Die Wissens­ver­mitt­lung ist noch längst nicht been­det. Ein Projekt beschäf­tigt die Muse­ums­ver­ant­wort­li­chen seit eini­ger Zeit – und steht nun kurz vor dem Start. Gemein­sam mit dem Kanton St. Gallen plant das Jüdi­sche Muse­um Hohen­ems in Diepold­sau ein Vermitt­lungs­zen­trum zum Thema Flucht und Gren­ze in den Jahren 1938–1945.

Veröf­fent­li­chung: 9. August 2024
Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Wenn nicht der Tod sie scheidet

Nach einer Tren­nung wieder neuen Lebens­mut finden? Das ist schwie­rig, aber möglich, wenn man die vier Phasen der Tren­nung bewusst durch­wan­dert. Hilfe bietet das kirch­li­che Semi­nar «Trennung/Scheidung». Das Pfar­rei­fo­rum war am Abschluss­abend in Sargans dabei.

Das Semi­nar ist vorbei. Quint­essenz: Alle haben Kraft­quel­len gefun­den, neue Schrit­te gewagt und neuen Mut gefasst. Auch der Kontakt unter­ein­an­der hat sie berei­chert und gestärkt. Kein Wunder, immer­hin haben alle das glei­che Schick­sal erlit­ten, wenn auch in unter­schied­li­cher Prägung. Während bei B. die psychi­sche Erkran­kung der Part­ne­rin verbun­den mit einer Sucht­pro­ble­ma­tik zur Tren­nung führ­te, hat dies bei den ande­ren ande­re Grün­de. Matthi­as Koller Filli­ger, einer der beiden Semi­nar­lei­ter, legt am Boden noch­mals die vier Trau­er­pha­sen aus. In der Betrach­tung machen sich die Teil­neh­men­den bereits Gedan­ken, in welcher Phase sie jetzt stecken. Bei R. ist immer noch viel Wut mit im Spiel. «Das ist doch feige, dass er das Tele­fo­nat nicht entge­gen­nimmt, wenn ich anru­fe», sagt sie. A. hatte zwar ein gutes Tele­fo­nat mit ihrem ehema­li­gen Schwie­ger­va­ter, möch­te aber derzeit lieber keinen Kontakt mehr mit ihm. Nach­dem sie mehr­mals dessen Anru­fe nicht entge­gen­ge­nom­men hatte, wurde vorwurfs­voll nach den Grün­den gefragt. «Muss ich mir denn Dinge über meinen Ex anhö­ren, die ich gar nicht wissen möch­te?», fragt sie rheto­risch. Verge­bung – auch sich selbst zu verge­ben, das ist ein Prozess der Zeit braucht. «Die Lösung liegt in euch selbst», gibt Matthi­as Koller Filli­ger allen mit auf den Weg, nach­dem er ihre eige­nen Worte zitiert hat.

Matthi­as Koller Filli­ger legt die vier Phasen der Tren­nung offen. Nach der Phase des «Nicht-Wahrhaben-Wollens» und der Tren­nung folgt die Phase der aufbre­chen­den Gefühle. 

Nie leicht­fer­tig

Zu einer gelin­gen­den Bezie­hung gehö­ren immer zwei. Wenn sich – für Aussen­ste­hen­de über­ra­schend – ein lang­jäh­ri­ges Paar trennt, wird oft mit Unver­ständ­nis, Vorver­ur­tei­lung, Mitleid oder hilf­lo­sen Trost­ver­su­chen reagiert. Dies alles bringt Betrof­fe­ne nicht weiter. Leicht­fer­tig tren­nen sich lang­jäh­ri­ge Paare nie. Es steckt immer eine Leidens­ge­schich­te dahin­ter. Diese sorgt letzt­lich für Verlet­zun­gen bei allen Betei­lig­ten. Freund­schaf­ten bröckeln weg. Die Ange­hö­ri­gen müssen sich mit der Situa­ti­on arran­gie­ren. Die Erwerbs­ar­beit muss allen­falls aufge­stockt werden und manch­mal entgleist die finan­zi­el­le Situa­ti­on trotz­dem. Das alles zehrt an den Nerven und frisst Ener­gie. Da sind Gott­ver­trau­en und Kontak­te zu verständ­nis­vol­len Menschen in ähnli­cher Situa­ti­on eben­so hilf­reich wie profes­sio­nel­le Hilfe. Das Semi­nar «Trennung/Scheidung» kann der erste Schritt in eine neue selbst­be­wuss­te und eigen­stän­di­ge Rich­tung sein. Es sorgt für Klar­heit und Perspektiven.

Matthi­as Koller Filli­ger (Bild) und Sonja Kroiss haben die Teil­neh­men­den auf ihrem Weg begleitet.

Alle vier Phasen durchleben

Das Trennungs-/Scheidungsseminar gibt es seit eini­gen Jahren nicht nur im Sargan­ser­land. Gelei­tet wird es durch den Theo­lo­gen und Erwach­se­nen­bild­ner Matthi­as Koller Filli­ger von der Fach­stel­le PEF Partnerschaft-Ehe-Familie des Bistums St. Gallen in Zusam­men­ar­beit mit der Katho­li­schen Kirche in der Regi­on Sarganserland-Werdenberg. Als Kontakt­per­son vor Ort beglei­te­te die Seel­sor­ge­rin und Wangs­er Theo­lo­gin Sonja Kroiss die Grup­pen. Auch an ande­ren Orten im Bistum ist der Ablauf so wie in Sargans. Nach einem Einstiegs­abend mit Vorstel­lungs­run­de und Stand­ort­be­stim­mung folgt das Tages­se­mi­nar, in welchem die Betrof­fe­nen dank fach­li­cher Hilfe­stel­lung Perspek­ti­ven für ihr Leben ohne Part­ner oder Part­ne­rin entwi­ckeln können. Dazu legt Matthi­as Koller Filli­ger die vier Phasen der Tren­nung offen. Nach der Phase des «Nicht-Wahrhaben-Wollens» und der Tren­nung folgt die Phase der aufbre­chen­den Gefüh­le. Sie ist allen­falls geprägt von Wut oder Hass auf den oder die Ex. Zugleich kommen Selbst­zwei­fel und Minder­wer­tig­keits­ge­füh­le auf. Einsam­keit und Trau­er machen sich breit. Die Phase der Neuori­en­tie­rung bringt Hoff­nung. Man nimmt das Leben wieder aktiv in die Hand und das Selbst­wert­ge­fühl gesun­det lang­sam. Mit der letz­ten Phase kann ein neues Lebens­kon­zept wach­sen, die eige­nen Stär­ken kommen wieder zum Vorschein. Eine Abkür­zung gibt es auf diesem teils jahre­lan­gen Weg nicht, wohl aber Umwe­ge und Rück­fäl­le. Heute, ein halbes Jahr nach dem Tages­se­mi­nar, sagt B.: «Ich wäre gern ganz normal mit ihr befreun­det.» Doch aus seinen Worten wird auch klar: Bis dahin scheint es noch ein langer Weg zu sein. Ende offen.

Text und Bild: Kath­rin Wetzig

Veröf­fent­licht: 2. August 2024

Semi­nar Trennung/ Schei­dung in ­St. Gallen

Das nächs­te Mal wird das Semi­nar in St. Gallen ange­bo­ten am 4. Novem­ber 2024, 18.30 bis 21 Uhr, 16. Novem­ber 2024, 9 bis 18 Uhr, Mai 2025 Nach­tref­fen, Leitung: Urszu­la Pfis­ter, Seel­sor­ge­rin, Heilig­kreuz St. Gallen, und Matthi­as Koller Filli­ger, Fach­stel­le PEF, Ort: DAJU, Weber­gas­se 15, St. Gallen. Die Anzahl Teil­neh­men­de ist beschränkt, Anmel­dung bis 28. Okto­ber: Urszu­la Pfis­ter, Fede­r­erstr. 12, 9008 St. Gallen, Tel. 071 224 07 34, urszula.pfister@kathsg.ch. Teil­nah­me­bei­trag: Fr. 50.– pro Teil­neh­mer (inkl. Mittag­essen am Sams­tag). Bei finan­zi­el­len Fragen bitte an Urszu­la Pfis­ter wenden. Es sind nur Einzel­an­mel­dun­gen möglich, keine getrenn­ten Paare.

Treffen mit der ganzen Welt

Wenig Gepäck, dafür aber umso mehr Erin­ne­run­gen: Das möch­te Mary Kretz aus Wolferts­wil von der ­inter­na­tio­na­len Romwall­fahrt mit nach Hause brin­gen. Sie ist eine von 50 000 Minis­tran­tin­nen und Minis­tran­ten welt­weit, die sich in diesem Jahr auf dieses Erleb­nis einlassen.

Auf den Moment, in dem sie mit 50 000 Minis­tran­tin­nen und Minis­tran­ten aus der ganzen Welt auf dem Peters­platz im Vati­kan den Papst sehen wird, freut sich Mary Kretz am meis­ten. «Erstens war ich noch nie in Rom und zwei­tens noch nie an einem so gros­sen inter­na­tio­na­len Tref­fen», sagt die 18-Jährige in ihrem Zuhau­se, einem Bauern­hof ober­halb von Wolferts­wil. Gera­de hat sie ihre Matu­ra an der Kantons­schu­le St. Gallen abge­schlos­sen und für die Zulas­sungs­prü­fung für ein Studi­um der Zahn­me­di­zin gelernt. Nach einer Woche Feri­en in Irland, der Heimat ihrer Mutter, steht nun noch die einwö­chi­ge Romwall­fahrt rund um den 1. August auf dem Programm. Mitrei­sen können alle Minis ab 14 Jahren. Die Reise ist Beloh­nung und Moti­va­ti­on für den Dienst und wird hier­zu­lan­de von der Deutschwei­ze­ri­schen Arbeits­stel­le für Ministrantinnen-/Ministranten-Pastoral alle vier Jahre organisiert.

Nebst Sonnen­schutz und lufti­ger Klei­dung findet sich in Mary Kretz’ Koffer immer Platz für einen Rosen­kranz. «Diesen dabei zu haben, gibt mir die Gewiss­heit, dass ich nie allei­ne bin», sagt sie.

Erfah­rung als Jubla-Leiterin

Für den Mini-Dienst entschied sich Mary Kretz nach ihrer Erst­kom­mu­ni­on als Dritt­kläss­le­rin. «Es hat mir sofort gefal­len, dadurch aktiv in den Gottes­dienst einge­bun­den zu sein und den Ablauf besser verste­hen zu können», sagt sie. Ausser­dem sei es für sie eine Möglich­keit gewe­sen, den Glau­ben zu stär­ken und Teil einer Gemein­schaft zu sein. Aus letz­te­rem Grund enga­giert sich Mary Kretz auch als Leite­rin bei Jung­wacht Blau­ring. Auch während der Romrei­se ist sie als Hilfs­be­glei­te­rin der Grup­pe der Pfar­rei­en aus Jonschwil, Schwar­zen­bach und Wolferts­wil mit zwölf Minis mit dabei. «Ich wurde kurz­fris­tig nach meiner Anmel­dung für die Reise ange­fragt, ob ich das machen will, und sagte spon­tan zu», sagt sie und erzählt von ihren Aufga­ben in dieser Posi­ti­on wie dem Zusam­men­stel­len der Kennen­lern­spie­le, Unter­stüt­zen der Grup­pen­lei­tung sowie Ansprech­per­son für die ande­ren Minis zu sein.

Freund­schaf­ten knüpfen

Nebst dem Besuch beim Papst auf dem Peters­platz stehen unter ande­rem auch Ausflü­ge ans Meer, Führun­gen durch Rom sowie ein Besuch bei der Schwei­zer Garde auf dem Programm. 400 Minis und Begleit­per­so­nen sind es aus der Schweiz, die über Nacht per Car anrei­sen. Über schlaf­lo­se Stun­den im Bus macht sich Mary Kretz keine Sorgen. «Ich weiss durch unse­re Matu­ra­rei­se nach Prag, dass ich so eine Busfahrt schon wegste­cke», sagt sie. In Rom sind die Minis in gemisch­ten Grup­pen unter­wegs, sodass sie sich kennen­ler­nen können. Gera­de die vielen Begeg­nun­gen und Bekannt­schaf­ten machen die Romrei­se für Mary Kretz zu einem einma­li­gen Erleb­nis. Symbo­lisch dafür bekom­men alle Minis spezi­el­le Schlüs­sel­an­hän­ger geschenkt, die sie unter­ein­an­der tauschen können.

Text und Bild: Nina Rudnicki

Veröf­fent­li­chung: 27. Juli 2024

«Heute geht es oft um Klicks»

21 Jahre präg­te Sabi­ne Rüthe­mann die Kommu­ni­ka­ti­on des Bistums St. Gallen. Kurz vor ihrer Früh­pen­sio­nie­rung blickt sie zurück auf prägen­de Begeg­nun­gen, Krisen und die Zusammen­arbeit mit zwei Bischö­fen. Von der gesell­schaft­li­chen Rele­vanz der Kirche bleibt sie überzeugt.

Ich passe hier nicht rein», so beschreibt Sabi­ne Rüthe­mann schmun­zelnd ihre Beden­ken vor dem Wech­sel zum Bistum St. Gallen im Dezem­ber 2003. Es war eine frem­de Welt, die die Toggen­bur­ge­rin als Kommu­ni­ka­ti­ons­be­auf­trag­te des Bistums St. Gallen kennen­lern­te. Die Erfah­run­gen als Jour­na­lis­tin während und nach dem Krieg in Bosni­en und Herze­go­wi­na weck­ten bei ihr den Wunsch, den Studi­en­gang Theo­lo­gie zu absol­vie­ren. 20 Jahre später sagt sie: «Meine Aufga­ben beim Bistum und die Begeg­nun­gen mit vielen Menschen haben mich bereichert.»

Sabi­ne Rüthe­mann arbei­te­te 21 Jahre lang als Kommu­ni­ka­ti­ons­be­auf­trag­te des Bistums St.Gallen

Extrem beschleu­nigt

Die Website des Bistums muss­te über­ar­bei­tet werden, von Social Media sprach noch fast keiner. Sabi­ne Rüthe­mann erkann­te schnell, welche Chan­cen in den digi­ta­len Medi­en stecken, und baute sie auf. Heute sind sowohl Website als auch Facebook- und Instagram-Profil wich­ti­ge Kanä­le für die Kommu­ni­ka­ti­on des Bistums. Die Verän­de­rung der Ostschwei­zer Medi­en­land­schaft mit dem Verschwin­den diver­ser loka­ler Zeitun­gen oder der Zusam­men­le­gung zu Gross­re­dak­tio­nen erleb­te sie haut­nah mit: «Die Medi­en­welt hat sich extrem beschleu­nigt. Bei Inter­views mit dem Bischof oder ande­ren kirch­li­chen Perso­nen stell­ten Medi­en­leu­te häufi­ger tief­grün­di­ge Fragen als heute, wo es oft um Klicks geht», sagt sie. Im Gespräch mit dem Pfar­rei­fo­rum betont Sabi­ne Rüthe­mann, dass sie viel Unter­stüt­zung erfah­ren habe von ihren Kolle­gin­nen und Kolle­gen inklu­si­ve der beiden Bischö­fe Ivo Fürer und Markus Büchel. «Gefreut hat mich immer das immense Enga­ge­ment unzäh­li­ger Frei­wil­li­ger in der Kirche.»

Inter­ne Machtkämpfe

Immer mehr beschäf­tigt haben die Kommu­ni­ka­ti­ons­fach­frau in den letz­ten Jahren inner­kirch­li­che Diffe­ren­zen. «Kritik und offe­ne Diskus­sio­nen sind wich­tig. Aber wie zuwei­len in den Medi­en und auf Social Media gegen die Bischö­fe geschos­sen wird, gera­de auch von kirch­li­chen Mitar­bei­ten­den, das befrem­det mich und scheint mir nicht diffe­ren­ziert.» Auch Sabi­ne Rüthe­mann unter­stützt Refor­men wie Gleich­be­rech­ti­gung für Frau­en oder den frei­wil­li­gen Zöli­bat. «Wir dürfen aber nicht verges­sen, welche Schrit­te die Schwei­zer Kirche und das Bistum St. Gallen in den letz­ten Jahren gemacht haben. Fokus­sie­ren wir uns doch genau­so auf posi­ti­ve Themen – es gibt viele!» Zudem sei die Kirche heute eine Migran­ten­kir­che: Rund vier­zig Prozent haben Migra­ti­ons­hin­ter­grund. «Für diese Katho­li­kin­nen und Katho­li­ken sind oft ande­re Fragen rele­vant. Die vielen Gemein­schaf­ten berei­chern die Kirche und fordern sie gleich­zei­tig heraus.»

In den letz­ten Jahren haben Sabi­ne Rüthe­mann die inner­kirch­li­chen Diffe­ren­zen nach­denk­lich gestimmt.

Histo­risch einordnen

Stark gefor­dert war Sabi­ne Rüthe­mann als Kommu­ni­ka­ti­ons­be­auf­trag­te vor einem Jahr, als die Pilot­stu­die zu kirch­li­chen Miss­bräu­chen publi­ziert wurde. «Jeder Über­griff ist einer zu viel. Wir müssen alles dafür tun, das Gesche­he­ne aufzu­ar­bei­ten und künf­ti­ges Leid zu verhin­dern.» Umso mehr betont sie, was das Bistum St. Gallen und die ande­ren Schwei­zer Bistü­mer in den letz­ten 20 Jahren in die Präven­ti­on und Aufar­bei­tung von sexu­el­len Über­grif­fen inves­tiert haben. «Mir hat bei der Bericht­erstat­tung über die Studie auch die histo­ri­sche Einord­nung gefehlt. Die wenigs­ten Medi­en haben aufge­zeigt, dass ein Gross­teil der Über­grif­fe mehre­re Jahr­zehn­te zurück­liegt oder dass die Kirche selbst die Studie in Auftrag gege­ben hat.»

Sabi­ne Rüthe­mann wird sich künf­tig im Vorstand von Cari­tas Schweiz engagieren.

Diako­nie als Stärke

Ein wich­ti­ges Anlie­gen war und bleibt für Rüthe­mann die Verant­wor­tung für die Schöp­fung. So hat sie den Aufbau der Arbeits­grup­pe «Lauda­to si» (Kirche, Umwelt, Schöp­fung) des Bistums St. Gallen aktiv mitge­prägt. Ende August geht Sabi­ne Rüthe­mann in Früh­pen­si­on. «Ich freue mich auf mehr Privat­le­ben, Zeit mit unse­rem Hund, spon­ta­ne Unter­neh­mun­gen, Reisen, darauf, Zeit für Neues zu haben.» Eine frei­wil­li­ge Aufga­be hat sie bereits ange­nom­men: Sie enga­giert sich im Vorstand von Cari­tas Schweiz. Die Arbeit dieser kirch­li­chen Insti­tu­ti­on und die Diako­nie allge­mein sieht Sabi­ne Rüthe­mann als Stär­ke der Kirche: «Die kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen tun so viel für die verschie­dens­ten Ziel­grup­pen, vor Ort, aber auch über­re­gio­nal: für Jugend­li­che, für Senio­ren … Das ist ein unver­zicht­ba­rer Beitrag an das gesell­schaft­li­che Leben. Dafür will ich mich auch nach der Pensio­nie­rung engagieren.»

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 26.07.2024

Damit wir bekommen, was wir uns erträumen

Braucht man sich tatsäch­lich etwas nur ganz fest zu wünschen und dann wird es real? ­Mani­fes­tie­ren heisst dieser Trend, der längst nicht mehr nur Promis begeis­tert. Doch was steckt hinter unse­ren Wünschen nach Reich­tum, Erfolg oder der gros­sen Liebe? Das ­Pfar­rei­fo­rum hat bei dem Theo­lo­gen und Podcas­ter Cars­ten Wolfers nachgefragt.

Cars­ten Wolfers, Sie sind ­Theo­lo­ge. Wurde schon einmal eines Ihrer Gebe­te erfüllt?

Ja, klar. Vor eini­gen Jahren befand ich mich beispiels­wei­se in einer fest­ge­fah­re­nen Situa­ti­on und wuss­te nicht, wie ich meine inne­re Haltung posi­ti­ver ausrich­ten soll­te. Mir hat es gehol­fen, Emotio­nen und Erleb­tes mit ins eige­ne Gebet zu nehmen und zu erfah­ren, dass auch ande­re Menschen mit mir fühlen und beten. Dadurch konn­te ich mich mit meiner Einstel­lung ausein­an­der­set­zen und mich zuver­sicht­li­cher stimmen.

Sich in einer posi­ti­ven ­Einstel­lung zu üben, ist auch Bestand­teil des ­Mani­fes­tie­rens. Was denken Sie über diesen Trend?

Mir stel­len sich die Fragen, weshalb es so viele verschie­de­ne Perso­nen anspricht und was da für ein Bedürf­nis dahin­ter­steckt. Das zu begrei­fen, ist für die eige­ne seel­sor­ge­ri­sche Praxis ein wich­ti­ger Punkt. Ich muss heraus­fin­den, wo ich Antwor­ten auf dieses Bedürf­nis zu mani­fes­tie­ren in der eige­nen Gemein­de, Kirche oder Spiri­tua­li­tät erken­ne. Aus diesem Grund höre ich auch regel­mäs­sig in verschie­dens­te Podcasts hinein, um mich darüber zu infor­mie­ren, was es alles auf dem spiri­tu­el­len Markt gibt. Zudem inter­es­sie­ren mich Podcasts, in denen es um das Mind­set geht, also eben darum, sich posi­tiv auf oder für etwas einzu­stel­len. So bin ich auch erst­mals auf das Mani­fes­tie­ren aufmerk­sam geworden.

Was bevor­zu­gen Sie, beten oder manifestieren?

Als Theo­lo­ge bevor­zu­ge ich es, zu beten. Aber man könn­te sich vom Mani­fes­tie­ren auch etwas abschau­en. Ich denke dabei etwa an Fürbit­ten in Gottes­diens­ten. Manch­mal sind diese so allge­mein formu­liert, dass ich hinter­her nicht wissen kann, ob Gott jetzt gehol­fen hat oder nicht. Und wenn ich etwas so allge­mein formu­lie­re, dann bedeu­tet  das unter Umstän­den auch, dass ich gar nicht erwar­te, dass Gott hilft. Ich plädie­re dafür, dass wir unse­re Wünsche und Hoff­nun­gen doch sehr viel konkre­ter vor Gott brin­gen soll­ten. So sagte auch Jesus: Schüt­te Gott dein Herz aus, klop­fe an und dir wird aufgetan.

Persön­li­che Wünsche in einer Fürbit­te vor der Gemein­de ­vorzu­brin­gen, erfor­dert aber schon Mut. Viel­leicht ist es uns auch pein­lich und daher blei­ben wir lieber allgemein?

Da frage ich mich wirk­lich, wieso soll uns das pein­lich sein? In Gottes­diens­ten beten wir darum, im Glau­ben zu wach­sen und vorwärts­zu­kom­men. Wieso machen wir das nicht auch an konkre­ten Dingen fest? Ein Beispiel wäre Frie­den: Wir beten für die Ukrai­ne, weil der Krieg in den Nach­rich­ten ist und wir die Menschen dort nicht verges­sen wollen. Aber genau­so könn­te mein Herz in diesem Moment von einem Streit in der Nach­bar­schaft belas­tet sein. Dann könn­te ich in der Fürbit­te doch formu­lie­ren: Wir bitten für Frie­den, gera­de in unse­rer Stras­se. Was Gott daraus macht, ist ihre oder seine Sache. Wenn ich einen Wunsch habe, soll­te ich konkret blei­ben und das nicht verallgemeinern.

Cars­ten Wolfers ist Diakon in Seve­len und Podcas­ter bei sternenglanz.ch

Was ist mit Wünschen nach Geld, Ruhm und Erfolg: Was würde Gott dazu sagen?

Durchs Mani­fes­tie­ren kann ich lernen, dass ich diese Wünsche in der Tat habe. Durchs Gebet kann ich lernen, dass ich diese Wünsche getrost vor Gott plat­zie­ren kann. Denn was Gott damit macht, können wir nicht beein­flus­sen. Zudem kommt durchs Beten das Element der Selbst­kor­rek­tur dazu. Das macht einen wesent­li­chen Unter­schied zum Mani­fes­tie­ren aus. Ein Beispiel: Beim Mani­fes­tie­ren spre­che ich zum Beispiel «Ich werde reich sein» und warte dann darauf, dass es passiert. Im Gebet formu­liert man eher «Guter Gott, mach mich reich» und fügt dann etwas hinzu. Das kann zum Beispiel der Wunsch sein, sozi­al abge­si­chert zu sein oder sich wegen der finan­zi­el­len Situa­ti­on nicht immer Sorgen machen zu müssen. Oder es kann die Bitte sein, die Hilfs­be­dürf­ti­gen nicht verges­sen zu lassen. Die Nächs­ten­lie­be ist immer Bestand­teil des Gebets, schon allei­ne dadurch, dass ich Gott liebe. Ich kann mich also nicht wie beim Mani­fes­tie­ren in einer Auto­sug­ges­ti­on verlieren.

Als Gebets­an­fän­ger könn­te man nun etwas verun­si­chert sein, wie das Ganze funk­tio­niert. Welches Gebet empfeh­len Sie jenen, die Beten einmal auspro­bie­ren wollen?

Man könn­te einen Satz oder ein paar Worte aus einem bekann­ten Gebet wie dem Vater­un­ser heraus­grei­fen wie «Gib mir täglich Brot» und dann mit etwas Persön­li­chem ergän­zen. Gera­de für einen Anfän­ger darf das sehr exis­ten­zi­ell und konkret sein. Daher würden sich wohl auch ein Herzens­ge­bet oder ein Stoss­ge­bet gut eignen, etwa in dem ich in einer bestimm­ten Situa­ti­on nur bete «Gott, hilf mir».

Um zurück aufs Mind­set und das Mani­fes­tie­ren zu kommen. Macht uns Beten eben­falls positiver?

Natür­lich. Voraus­set­zung ist aber, dass der Glau­be mit Frie­de, Verzei­hung, Liebe, Hoff­nung, Gelas­sen­heit und Zuver­sicht gefüllt ist.

Mani­fes­tie­ren ist unter ande­rem auch im Trend, weil sich viele Menschen durch die Pande­mie und Krisen fremd­be­stimmt fühl­ten. Wie ist das beim Beten: Stel­len Sie ange­sichts der aktu­el­len Krisen fest, dass mehr Menschen beten?

Das ist schwie­rig fest­zu­ma­chen, weil Beten haupt­säch­lich im Priva­ten geschieht. In den Kirchen können wir aber gut fest­stel­len, dass mehr Kerzen ange­zün­det werden. Wenn diese Hand­lung von der Hoff­nung oder Sehn­sucht beglei­tet ist, dass Gott für uns Licht sein möge, dann ist das Anzün­den von Kerzen übri­gens auch ein Gebet, das  sich für alle eignet.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Thomas Egger/Filmacherei für Sternenglanz

Veröf­fent­li­chung: 25. Juli 2024

Mit Visionen eine Diskussion anregen

Eine Ausstel­lung im Seifen­mu­se­um St. Gallen beschäf­tig­te sich kürz­lich mit der Zukunft des ÖV in St. Gallen und wirft die Frage nach einem Gratis-Konzept in den Raum. Noch ist es eine Utopie. Dass aus einer Visio­nen aber Reali­tät werden kann, zeigen verschie­de­ne Beispiele.

Wir alle haben Visio­nen und Träu­me. Sie halten uns bei der Stan­ge und helfen uns, unse­re Ziele zu verfol­gen. Der erfolg­rei­che deut­sche Fuss­ball­tor­hü­ter Oliver Kahn sagte einst über die Visi­on, die seine Karrie­re begrün­de­te: „Meine Visi­on, und sie stand schon sehr früh für mich fest, war folgen­de: Ich woll­te der beste Torhü­ter der Welt werden.“ Kahns Biogra­fie zeigt: Aus einer Visi­on kann Reali­tät werden. Davon zeugen seine drei Titel als Welt­tor­hü­ter des Jahres. Wer Visio­nen hat, arbei­tet darauf hin und kann diese mit der nöti­gen Stra­te­gie viel­fach auch errei­chen. Kürz­lich hat sich eine Ausstel­lung im Seifen­mu­se­um St. Gallen mit dem Thema Visio­nen ausein­an­der­ge­setzt. Genau­er mit der Visi­on eines Gratis-ÖV in St. Gallen.

Zahl­rei­che Besu­che­rin­nen und Besu­cher fanden den Weg ins Seifen­mu­se­um St. Gallen.

Unter­schied­li­che Vorstellungen

An der Ausstel­lung der Juso St. Gallen haben fünf Künst­le­rin­nen und Künst­ler teil­ge­nom­men. Diese haben sich der Frage ange­nom­men, wie ein St. Gallen mit kosten­lo­sem ÖV ausse­hen würde und welche Auswir­kun­gen ein solches auf die Bevöl­ke­rung hat. Die Werke könn­ten unter­schied­li­cher nicht sein: Eini­ge zeigen einfa­che Lini­en oder geben Kurz­sät­ze wieder, ande­re sind kompak­ter und farben­froh. Dies zeigt: Nicht nur unse­re Visio­nen unter­schei­den sich, sondern auch unse­re Vorstel­lun­gen und Blick­win­kel auf Dinge. Wir alle setzen unse­re eige­nen Schwer­punk­te und wir ordnen anders ein. Der St.Galler Künst­ler Beni Bischof bringt das in einem seiner gezeig­ten Werke gut zum Ausdruck.

Beni Bischof weiss: Unse­re Vorstel­lun­gen klaf­fen manch­mal stark auseinander.

Maj Lisa Dörig setzt in ihren Werken das Augen­merk auf ihre persön­li­chen Busfahr­ten und verwebt in den klein­tei­li­gen Zeich­nun­gen Wirk­lich­keit und Traum miteinander.

„Der ÖV lässt nieman­den kalt“

Künst­le­rin Kata­lin Deér drückt ihre Gedan­ken mit einem Farb­fo­to aus. Es zeigt eine Stras­sen­sze­ne in Neapel im Jahr 2006. Zwei kurz nach­ein­an­der aufge­nom­me­ne Bilder — ein Gewu­sel an Menschen, Vespas und Autos. Kurz: Ein Durcheinander.

Kata­lin Deérs Farb­fo­tos zeigt eine Stras­sen­sze­ne in Neapel im Jahr 2006.

Anna Harb zeigt uns ihren Blick aus dem Zugfens­ter auf Mogels­berg und Linus Lutz hat für die Ausstel­lung ein Bus-Mobile gefer­tigt. „Es ist für uns sehr inter­es­sant zu sehen, dass alle Künst­le­rin­nen und Künst­ler einen ande­ren Zugang zum Thema Gratis-ÖV haben“, sagt Muse­ums­di­rek­tor Vasco Hebel. 

Anna Harb zeigt uns ihren Blick aus dem Zugfenster.

Dass er für die Ausstel­lung in Rekord­zeit namhaf­te Künst­le­rin­nen und Künst­ler mobi­li­sie­ren konn­te, freut ihn. „Das Thema ÖV lässt nieman­den kalt. Alle haben eine Meinung und alle haben einen Berührungspunkt.“

Raum für Diskus­sio­nen schaffen

Das Seifen­mu­se­um hat zum ersten Mal eine Kunst­aus­stel­lung orga­ni­siert. Vasco Hebel erklärt: „Als Muse­um sehen wir unse­re Aufga­be auch darin, Räume zu schaf­fen, in denen Diskus­sio­nen statt­fin­den. Wir wollen im Seifen­mu­se­um den Meinungs­aus­tausch möglich machen.“ Für den 21-Jährigen ist klar: Künf­tig soll es mehr Ausstel­lun­gen und Anläs­se dieser Art im Seifen­mu­se­um geben. Das Muse­um soll auch Möglich­keit bieten, um über Ideen, Visio­nen oder Proble­me in ganz verschie­de­nen Berei­chen zu disku­tie­ren und so einen neuen Zugang zu gesell­schaft­li­chen oder poli­ti­schen Themen zu erlangen. 

An der Vernis­sa­ge lausch­ten über 50 Perso­nen einem Podi­ums­ge­spräch über die Chan­cen und Heraus­for­de­run­gen eines Gratis-ÖV.

Die Ausstel­lung sei, auch im Hinblick auf die Besu­cher­zah­len, ein Erfolg gewe­sen, so Vasco Hebel. Dass an der Vernis­sa­ge über 50 Perso­nen anwe­send waren und über die Chan­cen und Heraus­for­de­run­gen eines Gratis-ÖV disku­tiert haben, freut ihn beson­ders. „Es gibt kein rich­tig oder falsch. Es geht darum, den Diskurs brei­ter und für alle zugäng­lich zu machen.“

Verstoss gegen über­ge­ord­ne­tes Recht

Und wie sieht es nun mit dem Gratis-ÖV aus? Die Juso St. Gallen spre­chen noch von „einer Utopie für ein St. Gallen der Zukunft“. 

Linus Lutz fertig­te für die Ausstel­lung ein Bus-Mobile.

Sie wissen: Die recht­li­chen Hürden für die Umset­zung von Gratis-Bus und ‑Bahn sind in der Schweiz nicht gege­ben. Der Grund: Ein Gratis-ÖV würde gegen die Schwei­zer Verfas­sung verstos­sen. Dort steht, dass die Kosten des öffent­li­chen Verkehrs zu einem ange­mes­se­nen Teil von den Nutze­rin­nen und Nutzern über­nom­men werden müssen. Dennoch fordert die Juso St. Gallen Mobi­li­tät für alle Menschen als Grund­recht. In der Ausstel­lung zeigt sie auch mögli­che Wege dahin, unter ande­rem die Finan­zie­rung durch höhe­re Steu­ern auf hohe Einkom­men und Vermö­gen oder die Umnut­zung von Flächen, die heute den Autos gehö­ren, hin zu Frei­räu­men für alle Menschen.

Die Visi­on eines Gratis-ÖV soll zur Diskus­si­on anregen. 

Dass das System eines Gratis-ÖV umsetz­bar ist und funk­tio­nie­ren kann, zeigt das Ausland. Wer etwa in der fran­zö­si­schen Gross­stadt Mont­pel­lier lebt, fährt seit Dezem­ber 2023 gratis mit dem Öffent­li­chen Verkehr. Wie der Tages-Anzeiger schreibt, hat die ÖV-Nutzung seit­her um gut einen Vier­tel zuge­nom­men. Finan­ziert wird das Projekt durch zusätz­li­che Einnah­men aus der Mobi­li­täts­steu­er für Firmen. In Tallinn, der Haupt­stadt von Estland, können Bürge­rin­nen und Bürger bereits seit 2013 kosten­los den öffent­li­chen Nahver­kehr nutzen. Mitt­ler­wei­le kennen verschie­de­ne euro­päi­sche Städ­te das System. Aber auch Staa­ten haben bereits landes­weit flächen­de­ckend den Gratis-ÖV einge­führt. 2020 war Luxem­burg das erste Land der Welt, das den gesam­ten öffent­li­chen Verkehr kosten­frei mach­te. 2022 folg­te Malta. Im klei­nen Insel­staat fahren die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner kosten­los Bus. Ob die Hürden für einen Gratis-ÖV auch in der Schweiz dereinst abge­baut werden können und ein solcher in St. Gallen n wird, steht in den Ster­nen. Noch ist es eine Vision.

Beni Bischof
Beni Bischof ist in Widnau im St.Galler Rhein­tal aufge­wach­sen. Nach dem Vorkurs an der Hoch­schu­le für Gestal­tung in Zürich folg­te 2004 der Abschuss der Grafik­fach­klas­se an der Schu­le für Gestal­tung in St. Gallen. Beni Bischof hat zahl­rei­che Stipen­di­en erhal­ten und Prei­se gewon­nen, unter ande­rem drei Mal einen Werk­bei­trag des Kantons St. Gallen sowie zwei Mal den Eidge­nös­si­schen Preis für Kunst.

Anna Harb
Anna Harb ist Psychologie-Studentin an der Univer­si­tät Zürich und arbei­tet neben­bei an der Uni im Insti­tut für Rechts­me­di­zin. Ihre gros­se Leiden­schaft ist das Zeich­nen. Seit ihrer Schul­zeit an der Kantons­schu­le am Burg­gra­ben in St. Gallen liegt ihr Fokus auf anime- und comic­ar­ti­gen Charak­te­ren. Anna Harb inter­es­sie­ren an Kunst­wer­ken vor allem die Geschich­te und die Ideen hinter dem Werk und sie analy­siert gerne deren Farben und Ästhe­tik. Dadurch bekommt sie immer wieder Inspi­ra­tio­nen für die eige­nen Werke.

Maj Lisa Dörig
Maj Lisa Dörig hat in Luzern Illus­tra­ti­on studiert und ist momen­tan an der Royal Drawing School in London. In ihren Bildern verwe­ben sich Reali­tät und Traum zu einem Ganzen. Für Maj Lisa Dörig ist Zeich­nen ein Dialog zwischen Zeich­nungs­stift und Gedan­ken, und eine Metho­de, um in das komple­xe Gewe­be der Welt einzu­tau­chen.

Kata­lin Deér
Kata­lin Deér ist in Palo Alto in den USA gebo­ren und lebt und arbei­tet seit 2004 in St. Gallen. Ihre Werke werden regel­mäs­sig an Ausstel­lun­gen im In- und Ausland gezeigt. 2007 erhielt Kata­lin Deér einen Werk­bei­trag der Stadt St. Gallen, 2012 einen Werk­bei­trag des Kantons St. Gallen und 2013 einen Förder­preis der Stadt St. Gallen.

Linus Lutz
Linus Lutz unter­sucht in seiner Praxis handels­üb­li­che sowie indus­tri­el­le Rohstof­fe unter­schied­li­cher Herkunft und setzt diese neu zusam­men. Er stellt sie in skulp­tu­ra­ler sowie instal­la­ti­ver Form gegen­über und macht sie so sicht­bar. Mit dem GAFFA Kollek­tiv St. Gallen hat Linus Lutz 2019 und 2022 einen Werk­bei­trag der Stadt St. Gallen erhalten.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: zVg.
Veröf­fent­li­chung: 18. Juli 2024

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
Webergasse 9
9000 St.Gallen

+41 71 230 05 31
info@pfarreiforum.ch