In einem ehemaligen Wattwiler Café haben die katholische und die evangelisch-reformierte Kirche vor knapp einem Jahr einen innovativen Begegnungsort eröffnet. «Der b’treff füllt eine Nische», sagt Marlis Kaufmann, die Präsidentin der katholischen Kirchgemeinde Wattwil, «er bringt verschiedene soziale Angebote zusammen. So können wir und andere Beteiligte Menschen noch viel besser helfen.»
Im ersten Stock findet an diesem Montagmorgen gerade Deutschunterricht (siehe Titelbild) statt, im Erdgeschoss bespricht eine Handvoll Freiwillige ihren nächsten Einsatzplan und sichtet die Spiele, die für die Café-Gäste zur Verfügung stehen. «Als Kirchgemeinde helfen wir vor Ort Menschen ganz konkret», sagt Marlis Kaufmann, Präsidentin der katholischen Kirchgemeinde Wattwil. Seit knapp einem Jahr ist der b’treff in Betrieb. Initiiert wurde er von der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde und der katholischen Kirchgemeinde. «Es war ein grosses Glück, dass dieses Haus gefunden werden konnte», so Marlis Kaufmann. Das ehemalige Café, zentral gelegen in der Nähe von Bahnhof Wattwil und Manor, sei schon einige Zeit leer gestanden. «Das Gebäude hat verschiedene Räumlichkeiten, verteilt auf drei Etagen. So ist es möglich, mehrere Angebote gleichzeitig durchzuführen.» Das Herz des Hauses ist der Café-Bereich im Erdgeschoss. Es wurden nur wenige bauliche Anpassungen vorgenommen, der Café-Charme blieb erhalten. Im Sommer stehen sogar Sitzplätze draussen auf der Terrasse zur Verfügung. Selbst die ehemalige Verkaufstheke wurde umfunktioniert: hier stehen zahlreiche «Second-Hand»-Gegenstände zum Mitnehmen bereit – kostenlos oder gegen eine kleine Spende.

Betroffenen besser helfen
Mittagstisch, Lebensmittelabgabe, Sozial- und Schuldenberatung, Deutschkurs oder einfach nur bei einer Tasse Kaffee über Freuden und Nöte sprechen oder zusammen mit anderen lismen – im b’treff Wattwil haben viele verschiedene Angebote ein neues Zuhause gefunden. Sven Keller, Sozialarbeiter der katholischen Seelsorgeeinheit Neutoggenburg, und Remo Schweizer, Diakon der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Mittleres Toggenburg, teilen sich die Leitung des b’treffs. «Uns ging es primär nicht darum, mit dem b’treff sofort eine Palette an neuen Angeboten zu lancieren. Vielmehr ist es die Idee, dass der neue Begegnungsort eine Vernetzung zwischen den bestehenden Angeboten ermöglicht», sagt Sven Keller. «Viele der Angebote waren bisher an unterschiedlichen Standorten beheimatet, jetzt ist alles am gleichen Ort. Die Chance dabei ist, dass Betroffene schneller einen Überblick bekommen. Sie sehen, was es alles gibt. Alles ist viel niederschwelliger zugänglich. Aber auch die Freiwilligen, die sich bei uns engagieren, wissen besser Bescheid und können Betroffenen zeigen, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt.»

Miteinander lismen
Die Verantwortlichen sind mit der bisherigen Resonanz zufrieden. «Dank dem b’treff konnte ich neue Kontakte knüpfen», zitiert Sven Keller die Rückmeldung eines b’treff-Besuchers. Die Dienstleistungen werden genutzt von Armutsbetroffenen, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch von Pensionierten. «Unter den Gästen sind auch viele Alleinstehende», weiss Marlis Kaufmann, «oft tun sie sich zu kleinen Grüppchen zusammen und kommen gemeinsam zu uns.» Auch eine Lisme-Gruppe, die sich früher im Pfarreizentrum traf, habe im b’treff ein neues Zuhause gefunden. Als ein Highlight erwähnt Sven Keller die Weihnachtsfeier, bei der sich 35 Personen zum Raclette trafen. 50 bis 60 Personen nutzen die Lebensmittelabgabe, zum Mittagstisch kommen etwa fünfzehn. «Aber es braucht sicher noch etwas Zeit, dass sich unser Angebot herumspricht.» Hinter den Angeboten im b’treff stehen verschiedene kirchliche und nichtkirchliche Organsiationen wie Caritas, Heks oder die Lebensmittelabgabe «Tischlein deck dich». «Jede Organisation hat eine eigene Struktur und andere Bedürfnisse», sagt Sven Keller. Er bezeichnet es als alles andere als selbstverständlich, dass das Miteinander der beteiligten Organisationen im Haus so gut angelaufen ist.
«Als Kirchgemeinde helfen wir vor Ort Menschen ganz konkret.»
Marlis Kaufmann
Ökumene intensivieren
«Uns war es wichtig einen Ort zu schaffen, der für alle offen ist, unabhängig von ihrem religiösen oder kulturellen Hintergrund», erklärt Brigitte Horn. Sie ist in der katholischen Kirchenverwaltung für die Ressorts Ökumene, Religion und Katechese zuständig, «Der Begegnungsort sollte nicht abseits, sondern inmitten des Geschehens zu finden sein.» Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die allgemeine Teuerung haben die Zahl der Armutsbetroffenen in der Schweiz erhöht. «Als wir das Konzept für den b’treff entwickelt haben, war das alles noch weit weg», so Brigitte Horn, «aber auch unabhängig von der neuen Entwicklung war die Not in der Gesellschaft schon gross genug.» Zu Beginn erarbeiteten fünf Studierende der Fachhochschule Ost als Praxisprojekt eine Machbarkeitsstudie. «Diese Arbeit brachte klar zum Ausdruck, dass ein Angebot wie der b’treff in Wattwil und Umgebung fehlt», so Sven Keller. Die katholische Kirchgemeinde entschied sich schnell für eine Mitwirkung. «Wir sahen in diesem Projekt von Anfang an auch eine Chance, die ökumenische Zusammenarbeit auszubauen und die Mittel effizienter einzusetzen.»

Von Freiwilligen getragen
«Ohne freiwilliges Engagement wäre unser b’treff nicht denkbar», sagt Sven Keller. Die beiden Co-Stellenleiter sind jeweils zehn Prozent angestellt. Es sei erfreulich, wie viele sich von Anfang an für eine freiwillige Mitarbeit zur Verfügung gestellt haben. «Die Mitwirkung der Freiwilligen ist sehr positiv angelaufen. Mein reformierter Kollege Remo verfügt über ein grosses Netzwerk», so Keller. Rund sechzig Freiwillige sind im b’treff aktiv. Viele von ihnen hätten einen kirchlichen Bezug. Neben Pensionierten seien auch erstaunlich viele dabei, die im Berufsleben stehen.
«Wir sahen in diesem Projekt von Anfang an auch eine Chance, die ökumenische Zusammenarbeit auszubauen und die Mittel effizienter einzusetzen.»
Sven Keller
Gemeinde Lichtensteig als Partnerin
Der b’treff Wattwil wird von den Katholischen Kirchgemeinden Wattwil und Lichtensteig, der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Mittleres Toggenburg sowie der Caritas St. Gallen-Appenzell getragen. Ein grosser Teil der Betriebskosten sowie die Personalkosten werden durch Kirchensteuern finanziert. Als Gönner und Sponsoren sind die Gemeinde Lichtensteig, die Stiftung Fondia, die Integrationsförderung des Kantons St. Gallen sowie der EVDA (Evang.-ref. Verein für diakonische Aufgaben) mit im Boot.

Vorerst bis 2025
Ist der b’treff auch eine Chance, um Menschen zu erreichen, die sonst Berührungsängste mit Kirche haben? «Das katholische Pfarreizentrum war auch bisher ein Ort, der für alle offen stand und in dem die unterschiedlichsten Angebote und Zielgruppen willkommen sind», sagt Brigitte Horn. Aber mit dem b’treff sei die Diakonie der Kirchen noch etwas deutlicher sichtbar. Das Projekt ist vorerst bis 2025 gesichert – bis dann läuft der Mietvertrag. Dann werde – so der Plan – das Haus für einen Neubau abgerissen. «Dann werden wir das Projekt evaluieren und überlegen, ob und wie es weitergeführt werden kann», so Marlis Kaufmann. «Entscheidend wird sein, ob wir mit unserem Angebot den Menschen helfen können. Auch stehen wir dann vor der Herausforderung, geeignete Räumlichkeiten zu finden, die zudem auch noch finanzierbar sind.»
Bis es soweit ist, hat Sven Keller noch eine Menge vor. Seit Februar gibt es neu eine Kleiderabgabe. Aus der Sicht des Sozialarbeiters gibt es durchaus Potenzial für mehr: «In unseren Räumlichkeiten sollen eventuell auch Kunstausstellungen angeboten werden mit Werken, die in Mal- oder Gestaltungstherapien entstanden sind. Zudem kann ich mir ganz alltagspraktische Workshops zu Haushaltsthemen vorstellen wie zum Beispiel: wie kann ich Heizkosten sparen?» Denkbar sei auch ein Repair-Café. So könne die Grundidee ganz konsequent umgesetzt werden: der b’treff als Begegnungsort für alle.
Text: Stephan Sigg
Bild: Ana Kontoulis
Veröffentlicht: 21. Februar 2023
Mehrere b’treffs
Neben dem b’treff in Wattwil gibt es auch b’treffs in Ebnat-Kappel, Bütschwil und Flawil. Sie haben unterschiedliche Konzepte und Finanzierungsmodelle, doch bei allen sind die Kirchgemeinden mitbeteiligt. Zudem werden alle b’treffs massgeblich durch das Engagement Freiwilliger ermöglicht.