News

Spontane Gespräche mit dem Papst

Mittel­al­ter­li­che Flucht­we­ge, eine Touris­ten­at­trak­ti­on als Geheim­tipp und ruhi­ge Ecken, um über Demut und das Leben nach­zu­den­ken: Der Gossau­er Nico­la Damann gibt einen ­Einblick in seinen Alltag als Schwei­zer­gar­dist im Vati­kan und erzählt, welche Orte in Rom ihm am ­besten gefallen.

Manch­mal sind es kurze Begeg­nun­gen, die unser Leben für immer verän­dern. So gesche­hen bei Nico­la Damann. Der heute 24-Jährige war 2014 Teil­neh­mer an einer Minis­tran­ten­rei­se nach Rom. Dazu gehörten ein Besuch im Vati­kan und eine Führung in der Schwei­zer­gar­de. Dieses Erleb­nis präg­te Nico­la Damann nach­hal­tig. «Ich war sehr beein­druckt und seit­her hatte ich den Gedan­ken, Gardist zu werden.» Gesagt, getan. Nach einer KV-Lehre bei der Stadt­ver­wal­tung Gossau und einem Mandat im Gossau­er Stadt­par­la­ment pack­te Nico­la Damann seine Koffer und melde­te sich zum Dienst. «Gardis­ten zeich­nen sich durch viele gute Eigen­schaf­ten aus: Loya­li­tät, Tapfer­keit, Demut. Es ist eine gute Lebens­schu­le. Es sind alles Werte, die für mich privat und beruf­lich viel zählen. Ich bin sehr gerne Schweizergardist.»

In der Basi­li­ka San Barto­lo­meo all’Iso­la auf der Tiber­in­sel findet Nico­la Damann Ruhe und Zeit, um seine Gedan­ken schwei­fen zu lassen und über seine Zukunft nachzudenken.

Inten­si­ve, lehr­rei­che Monate

Nico­la Damann reis­te im Janu­ar 2024 nach Rom und durch­lief wie alle Gardis­ten eine viel­sei­ti­ge Ausbil­dung. Einen Monat davon verbrach­te er in Rom. Danach folg­ten vier Wochen im Ausbil­dungs­zen­trum der Spezi­al­kräf­te der Schwei­zer Armee in Isone im Tessin, die Kantons­po­li­zei bildet die Gardis­ten voll­um­fäng­lich aus. Der Abschluss und die Vorbe­rei­tun­gen für den Dienst fanden wieder­um in Rom statt. «Es war inten­siv, aber wir durf­ten sehr viel erle­ben und lernen.»

Auf der Isola Tibe­ri­na verbrin­gen Nico­la Damann und seine Kolle­gen gerne ihre Frei­zeit: «Es hat dort super Sitz­ge­le­gen­hei­ten und eine herzi­ge klei­ne Kirche.»

Karwo­che als erstes Highlight

Kurz nach dem Dienst­ein­tritt erleb­te Damann schon sein erstes High­light. «Die inten­si­ve Karwo­che und die Ostern mit dem Heili­gen Vater waren sehr eindrück­lich. Am Oster­sonn­tag besuch­ten zirka 50 000 Perso­nen die heili­ge Messe auf dem geschmück­ten Peters­platz und wir als Gardis­ten durf­ten auch dort Dienst leis­ten. Das ist schon spezi­ell und schön.» Im Mai 2024 schliess­lich wurde Damann mit 33 ande­ren Gardis­ten in einer Zere­mo­nie im Vati­kan verei­digt. Die Verei­di­gung war für Helle­bar­dier Damann ein prägen­des Erleb­nis. «Mit dem abge­leg­ten Schwur  bekennt man sich dazu, der Kirche, dem Papst und der Schwei­zer­gar­de aus inners­ter Über­zeu­gung zu dienen. Dies ist eine gros­se Ehre.» Die meis­te Zeit des Tages verbringt Nico­la Damann im Vati­kan. Noch heute staunt er manch­mal über die riesi­gen Menschen­mas­sen auf dem Peters­platz, die an Ostern jeweils ihren Höhe­punkt errei­chen. Täglich strö­men rund 10 000 Menschen in den Vati­kan. Im Hinblick auf die Warte­schlan­gen vor den Vati­ka­ni­schen Muse­en, der Sixti­ni­schen Kapel­le und dem Peters­dom gibt Nico­la Damann einen wich­ti­gen Tipp: «Vorgän­gi­ges Infor­mie­ren lohnt sich.» Für die Röme­rin­nen und Römer sind die zahl­rei­chen Besu­che­rin­nen und Besu­cher nicht immer einfach. «Teil­wei­se leidet die Stadt Rom und der Vati­kan unter den Touris­ten­mas­sen», so Nico­la Damann. Wenn die Gardis­ten während ihres Wach­diens­tes von Menschen für Fotos bedrängt und unge­fragt abge­lich­tet werden, ist das für sie Alltag. «In solchen Situa­tio­nen muss man ruhig und beherrscht reagieren.»

Tref­fen mit dem Papst

In seine Rolle als Gardist hat sich Nico­la Damann einge­lebt. Er wohnt mit den ande­ren Gardis­ten in einer Kaser­ne im Vati­kan. Die Schwei­zer­gar­de ist rund um die Uhr im Einsatz. Hat Nico­la Damann Morgen­dienst, ist er bereits vor fünf Uhr auf den Beinen. Nach dem Früh­stück poliert er Schwert und Gürtel­schnal­le, wech­selt den weis­sen Uniform­kra­gen und die weis­sen Manschet­ten und zieht seine Uniform an. Dann tritt er seinen Dienst an. Mit den ande­ren Gardis­ten, alles prak­ti­zie­ren­de Katho­li­ken, versteht sich Damann gut. «Wir haben alle diesel­be Einstel­lung und densel­ben Berufs­all­tag. Wir sind eine Fami­lie.» Und wie ist das Verhält­nis der Gardis­ten zum katho­li­schen Ober­haupt? «Wir tref­fen den Heili­gen Vater oft im Dienst. Er grüsst uns und nimmt sich oft Zeit für spon­ta­ne Gesprä­che.» Diese Nahbar­keit schätzt Nico­la Damann sehr.

Suche nach Ruhe

Meist sind die Gardis­ten für den ordent­li­chen Wach­dienst einge­teilt. Nico­la Damann macht seinen Dienst am liebs­ten im Apos­to­li­schen Palast, genau­er gesagt in der Sala Regia. «Der Raum ist reich an Kunst mit wunder­schö­nen Fres­ken und Geschich­te. Verbun­den mit der Stil­le, die dort meist herrscht, ist der Ort für mich unver­gleich­lich. Dort kann auch ich zur Ruhe kommen. Rom erschlägt einen manch­mal. Dazu tut Stil­le gut. Sie ist wich­tig, um den Glau­ben zu leben und sich Gedan­ken über die Zukunft zu machen.» Wenn er keinen Dienst hat, verbringt Nico­la Damann seine Zeit gerne in den Vati­ka­ni­schen Gärten, seinem persön­li­chen Rück­zugs­ort mitten in der hekti­schen Stadt. Ein Privi­leg, das nur die Mitar­bei­ten­den des Vati­kans haben. Aber Nico­la Damann beru­higt: «In Rom hat es zahl­rei­che, wunder­schö­ne Pärke. Wer Ruhe sucht, findet sie dort. Und es gibt über­all klei­ne Kapel­len, die wenig besucht sind. Es lohnt sich, die Augen offen zu halten.»

Beson­der­heit Engelsburg

Ange­spro­chen auf einen Tipp für Touris­tin­nen und Touris­ten nennt er mit der Engels­burg erstaun­li­cher­wei­se eine der meist­be­such­ten Touristenattraktionen. Nico­la Damann lacht und erklärt: «Vor der Burg sind immer zahl­rei­che Menschen, drin­nen aller­dings nicht, vor allem morgens. Und von der Dach­ter­ras­se aus hat man einen wunder­schö­nen Blick auf den Peters­dom.» Zur Engels­burg hat Nico­la Damann, wie wahr­schein­lich alle Gardis­ten, eine beson­de­re Bezie­hung: Der Apos­to­li­sche Palast im Vati­kan ist durch den soge­nann­ten Passet­to mit der 800 Meter entfern­ten Engels­burg verbun­den. «Während der Plün­de­rung Roms im Jahr 1527, Sacco di Roma genannt, nutz­te Papst Clemens VII. die Engels­burg als Zufluchts­ort. Die Schwei­zer­gar­de beschütz­te den Papst, 147 Gardis­ten kamen damals ums Leben», so Nico­la Damann. Die alljähr­li­che Verei­di­gung findet noch immer am Jahres­tag dieser Helden­tat statt, am 6. Mai.

Lebens­stil gefällt

Gerne geht Nico­la Damann auch mit seinen Kolle­gen zum Abend­essen in eines der typi­schen italie­ni­schen Restau­rants oder trinkt am Ufer des Tibers ein Glas Wein. «Auf der Isola Tibe­ri­na hat es wunder­ba­re Sitz­ge­le­gen­hei­ten. Da können wir gut verwei­len.» Nico­la Damann mag den italie­ni­schen Lebens­stil und das südlän­di­sche Flair. «Italie­ne­rin­nen und Italie­ner spre­chen viel. Sie haben eine sehr posi­ti­ve Lebens­ein­stel­lung und haben mehr Lebens­freu­de. Sie sind mit wenig zufrie­den. Und darum geht es doch im Leben», so Damann. Im Gespräch kommt er immer wieder auf die Demut zu spre­chen. Sagt Sätze wie: «Geld und Mate­ri­el­les ist nicht das Wich­tigs­te im Leben. Für mich ist beides nicht erstre­bens­wert.» Sein Sprich­wort, passend: Weni­ger ist manch­mal mehr. «Glau­be leben heisst auch, mit einfa­chen Dingen glück­lich sein.»

Dann und wann ein Gela­to oder ein Glas Wein: Nico­la Damann mag den Lebens­stil und die Menta­li­tät der Röme­rin­nen und Römer.

Persön­li­che Tipps von Nico­la Damann

Ristor­an­te «La Vittoria»

Nur weni­ge Gehmi­nu­ten vom Vati­kan entfernt befin­det sich an der Via delle Fornaci 15 im histo­ri­schen Zentrum Roms das Ristor­an­te «La Vitto­ria», eines der Lieb­lings­re­stau­rants von Nico­la Damann. Gerne gönnt er sich hier ein typi­sches italie­ni­sches Abend­essen unter Röme­rin­nen und Römern. «Das Tira­mi­su ist super­le­cker. Und es gibt ein spezi­el­les Garde-Menü und einen Garde-Limoncello.»

Villa Doria Pamphilj

Die Villa Doria Pamphilj (auch Doria Pamphili) ist eine gros­se Park­an­la­ge an der Via Aure­lia Anti­ca west­lich des histo­ri­schen Stadt­teils Tras­te­ve­re, rund 1,5 Kilo­me­ter vom Vati­kan entfernt. Sie wurde im 17. Jahr­hun­dert ange­legt und ist mit einer Fläche von rund 1,8 Quadrat­ki­lo­me­tern eine der gröss­ten Park­an­la­gen Roms. «Es ist ein wunder­schö­ner Park. Hier kann man auch gut ein wenig Sport trei­ben mitten in der Gross­stadt», so Nico­la Damann.

Isola Tibe­ri­na

Die Isola Tibe­ri­na (Tiber­in­sel) ist eine klei­ne Insel im Fluss Tiber. Sie ist etwa 270 Meter lang und bis zu 67 Meter breit. Die Insel wird seit dem späten 19. Jahr­hun­dert von der jüdi­schen Gemein­de Roms genutzt, die dort unter ande­rem ein Kran­ken­haus unter­hält und 1937 eine Synago­ge, den Tempio dei Giova­ni, einrich­te­te. Heute befin­den sich auf der Insel die Basi­li­ka San Barto­lo­meo all’Isola und ein vom Orden der Barm­her­zi­gen Brüder geführ­tes Kran­ken­haus (Ospe­da­le Fatebe­ne­f­ratel­li). «Es gibt eine herzi­ge klei­ne Kirche und in der Nähe gibt es super Sitz­ge­le­gen­hei­ten – ideal für Gesprä­che und Tref­fen mit Freun­den, oder um ein Buch zu lesen. Vor allem am Abend ist es sehr roman­tisch auf der Tiber­in­sel», sagt Nico­la Damann.

Text: Ales­sia Pagani

Bilder: Marti­na Caro­li, Rom

Veröf­fent­li­chung: 24.04.2025

«Hans ist heute mein bester Weber»

Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler aus Degers­heim führen im Klos­ter Magden­au ein ­eige­nes Webate­lier. Als sie mit 60 Jahren plötz­lich ohne Job daste­hen, erfül­len sie sich diesen lang­jäh­ri­gen Wunsch. Weben helfe einem gera­de auch in Krisen­si­tua­tio­nen, sagen sie.

Susan­ne Sutter-Wartenweiler öffnet eine der vielen Türen im Kreuz­gang des Klos­ters Magden­au. Schon steht sie mitten in ihrem Webate­lier, das sie zusam­men mit ihrem Mann Hans betreibt. Garn in allen Farben, Geschirr­tü­cher mit den Namen «Mond­licht», «Tulpen­feld» und «Geburts­tag, alle Freun­de sind gekom­men», selbst gemach­te Hemden, Schals und vieles mehr leuch­ten einem entge­gen. Der Blick fällt durch die Fens­ter in den Klos­ter­gar­ten. «­Jeden Monat gibt’s draus­sen im Garten ande­re Farben, die mich während des Webens inspi­rie­ren», sagt die 77-Jährige. Acht Webstüh­le, darun­ter moder­ne Model­le sowie über hundert­jäh­ri­ge histo­ri­sche Exem­pla­re, stehen in den drei Räumen des Webate­liers. Weben ist für Susan­ne Sutter-Wartenweiler etwas, das sich durch ihr ganzes Leben zieht und das Körper, Seele und Geist in Einklang bringt. Es ist eine Tätig­keit, die sie selbst in schwie­ri­gen Lebens­si­tua­tio­nen geret­tet hat und mit der sie ande­ren durch Krisen hilft. Das Webate­lier in Magden­au besu­chen nebst hand­werk­lich inter­es­sier­ten Perso­nen etwa auch Menschen, die von einem Burn-out betrof­fen sind oder die eine Sucht­er­kran­kung haben. «Wenn man das Gefühl hat, nichts mehr in seinem Leben auf die Reihe zu brin­gen und dass nichts mehr klappt, kann es unge­mein helfen, wenn man auf einmal so etwas Schö­nes wie ein Stück Stoff selbst herstellt», sagt sie.

Weben am Treppengeländer

Susan­ne Sutter-Wartenweiler ist fünf Jahre alt, als ihre Mutter einen klei­nen Webstuhl geschenkt bekommt. «Es war mein gröss­ter Wunsch, diesen zu benut­zen, aber das erlaub­te mir meine Mutter nicht», sagt sie und erzählt, wie sie daher am Trep­pen­ge­län­der Schnü­re spann­te und an diesen webte. Später als junge Frau bringt sie sich das Weben selber bei, macht eine Ausbil­dung zur Sozi­al­päd­ago­gin und anschlies­send zur Logo­therapeutin. Ob in Alters­hei­men, Insti­tu­tio­nen für Menschen mit einer Behin­de­rung oder für Menschen mit einer Sucht­er­kran­kung: Stets merkt sie, dass das Weben eine beru­hi­gen­de ­Wirkung auf die jewei­li­gen Perso­nen hat und diese zufrie­den macht. «Durch meine eige­ne Geschich­te konn­te ich mich immer in Menschen ­hinein­ver­set­zen, die sich in heraus­for­dern­den ­Lebens­si­tua­tio­nen befan­den», sagt sie.

In eine solche Situa­ti­on gerät auch Susan­ne Sutter-­Wartenweiler unver­mit­telt nach der Geburt ihres drit­ten Kindes. Die Plazen­ta löst sich nicht und muss opera­tiv während einer Voll­nar­ko­se entfernt werden. Am Ende der Narko­se beginnt Susan­ne Sutter-Wartenweiler nicht, selbstständig zu atmen. Rund zwei­ein­halb Minu­ten dauert es, bis sie wieder mit Sauer­stoff versorgt ist. «In diesem Moment hatte ich eine Nahtod­erfah­rung. Ich schweb­te über mir und sah mich selbst. Dann erblick­te ich die Buch­sta­ben des Wortes «Jesus» in falscher Reihen­fol­ge vor mir und konn­te sie nicht ordnen. Und eine Stim­me frag­te mich stän­dig nach dem Sinn. Aber ich konn­te keinen Sinn sehen, in nichts», sagt Susan­ne Sutter-Wartenweiler, die in Degers­heim in einer evangelisch-reformierten ­Fami­lie aufge­wach­sen ist und in deren Leben der Glau­be immer eine gros­se Rolle gespielt hat.

Den Sinn wiederfinden

Das Gefühl der Sinn­lo­sig­keit zieht sich durch die Wochen nach der Geburt und wird stär­ker. «­Wickeln, kochen, essen, putzen und das pausen­los», sagt sie. Eines Nachts steht sie auf dem Balkon und möch­te sich hinun­ter­stür­zen. «Da bat ich Gott um ein Zeichen, dass alles bald besser wird.» Am nächs­ten Morgen klin­gelt es. Vor der Haus­tü­re steht ein Mitglie­der der Heils­ar­mee. «Ich erzähl­te ihm alles, etwa wie schlecht es mir ging und dass ich den Sinn im Leben verlo­ren ­hätte», sagt sie. Der Mann habe sich aber kaum für ihre Geschich­te inter­es­siert. Er habe bloss gesagt, wenn es ihr so schlecht gehe, solle sie doch einfach mal ans Kreuz schau­en. Dort sei einer, der genau der Sinn­fra­ge wegen gestor­ben sei. «Danach ging es mir immer besser. Und nach 14 Tagen frag­te mich mein Mann, was nur passiert sei. Ich sei wie ausge­wech­selt. Der Grund dafür war, dass Gott mich klei­nen Menschen mit meiner Not tatsäch­lich gese­hen hatte.»

Ein gemein­sa­mes Projekt

Als beide 55 Jahre alt sind, bekom­men Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler die Leitung des Hotels Pensi­on Heime­li in Hemberg des Verban­des für christ­li­che Hotels in der Schweiz ange­bo­ten. «Wir haben das einfach gewagt, weil wir uns schon immer nach einem gemein­sa­men Projekt gesehnt haben», sagt Susan­ne Sutter-Wartenweiler. Einer­seits sei es ein klas­si­sches Semi­nar­ho­tel gewe­sen. Ande­rer­seits ein Ort, an dem etwa Menschen mit einer Behin­de­rung gemein­sam die Feier­ta­ge über Weih­nach­ten und Ostern verbrin­gen konnten.

Mit 60 Jahren ohne Arbeit

Nach fünf Jahren, an Weih­nach­ten 2007, muss­ten Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler ihren Gästen mittei­len, dass das Hotel verkauft worden sei und in Kürze geschlos­sen werde. «Das war ein sehr schwe­rer Moment. Die Gäste, die teils seit Jahren dort hinka­men, waren betrof­fen und trau­rig. Und ich und mein Mann stan­den mit 60 Jahren ohne Arbeit da», sagt sie. «Ich fand dann, es sei viel­leicht einfach der passen­de Moment, einen Traum wahr werden zu lassen und ein eige­nes Webate­lier zu grün­den.» Dieses rich­ten sie zunächst in Degers­heim ein. Bald spricht sie eine Bekann­te darauf an, dass die Schwes­tern im Klos­ter Magden­au seit Langem nach jeman­dem suchen, der den histo­ri­schen Webstuhl flicken und betrei­ben kann, und ob sie das nicht tun wolle. «Ich woll­te nicht. Aber ich ging dann des Frie­dens willen im Klos­ter Magden­au vorbei», sagt sie.

Der Ort, die Räume und der Blick in den blühen­den Klos­ter­gar­ten: Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler sind sofort begeis­tert und ziehen 2017 mit ihrem Webate­lier ins Klos­ter. «Schwes­ter Rafae­la erzähl­te mir, dass sie acht Jahre lang ­gebe­tet habe, um jeman­den für den histo­ri­schen Webstuhl zu finden», sagt sie. Seit­her ist das Webate­lier jeden Mitt­woch oder nach Abspra­che auch an ande­ren Tagen für alle Inter­es­sier­ten geöff­net. Ein Halb­tag kostet 25 Fran­ken, hinzu kommen die Mate­ri­al­kos­ten wie etwa für Garn. Bevor die Teil­neh­men­den eintref­fen, rich­ten Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler die Webstüh­le jeweils ein und ziehen die Fäden auf. «Ich liebe diese Vorbe­rei­tun­gen, denn alles muss perfekt sein», sagt sie.

Das Leben so nehmen

Ihren Mann Hans bezeich­net Susan­ne Sutter-Wartenweiler als ihren besten Weber. Auch an diesem Morgen sitzt er konzen­triert an einem Stück Stoff oder behebt tech­ni­sche Proble­me an den Webstüh­len. Einmal löst sich ein Gewicht an einem der Rahmen und muss wieder einge­hängt werden. Ein ande­res Mal hilft er einer Teil­neh­me­rin beim Umspan­nen. Diese erzählt, wie sie die Visi­ten­kar­te des Webate­liers zwei Jahre lang aufbe­wahrt habe, bis sie sich endlich die Mitt­woch­mor­gen fürs Weben habe frei­schaf­fen können. Am Nach­mit­tag hat sich zudem noch eine Ärztin aus München ange­kün­digt, die gleich an vier aufein­an­der­fol­gen­den Tagen in Magden­au weben möch­te. «Wir sind 77 Jahre alt. Unse­re Produk­te laufen im Klos­ter­la­den so gut, dass wir mit Weben kaum nach­kom­men», sagt Susan­ne Sutter-Wartenweiler. «Wir machen das, was uns glück­lich macht. Dafür muss man das Leben so nehmen, wie es kommt, und Vertrau­en haben», sagt sie und nennt zum Abschied einen gros­sen Wunsch: dass sich bald eine Nach­fol­ge fürs Webate­lier findet. «Denn das ist in der heuti­gen Zeit gar nicht so einfach.»

www.kloster-magdenau.ch/Magdenau-besuchen/Webatelier/

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 21. März 2025

Giftgrün, mit ­Linsen und viel Geschmack

Wie haben unse­re Gross­el­tern gekocht und wie tun wir das heute? Und wer hat über­haupt noch Zeit, stun­den­lang Toma­ten­sauce einzu­ko­chen? Ein Besuch bei Köchin und Ernäh­rungs­exper­tin Marti­na Enderlin in Bühler zeigt, wie wir auch mit knap­per Zeit, gesun­de Gerich­te zube­rei­ten können. Das geht mit weni­gen Zuta­ten und passt als Vorsatz in die Fastenzeit.

Schon im Trep­pen­haus riecht es fein nach Essen. Es geht die Stufen hinauf, vorbei an einem Blumen­la­den und einem Kosme­tik­stu­dio. Im Dach­stock des alten Gebäu­des an der Dorf­stras­se 108 mitten in Bühler hat Marti­na Enderlin ihr Küchen­stu­dio einge­rich­tet. Die gar gekoch­ten roten Linsen hat sie gera­de abge­tropft. In einer Brat­pfan­ne brut­zeln Poulet­strei­fen mit fein geschnit­te­nen Lauch­strei­fen. «Im Fokus stehen bei mir immer die Prote­ine, die wir anstel­le von Zucker und Weizen viel häufi­ger essen soll­ten», sagt die 38-Jährige. Sie ist ausge­bil­de­te Köchin, Ernäh­rungs­coach sowie Musi­ke­rin und Mitglied der Enderlin Chicks. Diese sind hier­zu­lan­de für ihre Mundart-Lieder und ihren Coun­try-Folk aus dem Appen­zel­ler­land bekannt.

In ihrem Studio «Küchen­freun­de» gibt sie norma­ler­wei­se Koch­kur­se rund um das Thema gesun­de Ernäh­rung sowie Coachings zu inne­ren Ess- und Verhal­tens­mus­tern. An diesem Vormit­tag hat sie für das Pfar­rei­fo­rum aller­dings ein Gericht entwor­fen. Dieses soll in die Fasten­zeit passen, so der Wunsch der Redak­ti­on. Denn wer nicht gleich rich­tig fasten möch­te, könn­te die kommen­den Wochen bis Ostern auch einmal zum Anlass nehmen, bewuss­ter zu kochen, sich auf weni­ger Zuta­ten zu beschrän­ken und sich dafür mehr auf die einzel­nen Geschmä­cker einzulassen.

Ernäh­rungs­lu­xus mit Donuts

Eine Prote­in­bowl soll es sein. Nebst Linsen, Poulet- und Lauch­strei­fen ergänzt Marti­na Enderlin diese mit Feta und gerös­te­ten Sonnenblumen- und Kürbis­ker­nen, etwas Öl, Essig, Salz und Pfef­fer. «Ich neige schon seit Länge­rem dazu, ausser mit frischen Kräu­tern nur wenig zu würzen. So schmeckt man die einzel­nen Zuta­ten eines Gerich­tes besser heraus», sagt sie und fügt an: «Weni­ger ist meis­tens mehr und eine gute Küche muss nicht unbe­dingt zeitaufwendig sein.» Gerös­te­te Kerne etwa könne man in grös­se­ren Mengen als Reser­ve vorbe­rei­ten. Eine Bowl lasse sich kalt oder warm servie­ren, so spare man je nach­dem Zeit ein und könne Spei­sen auch schon im Vorfeld zube­rei­ten. «Unser Alltag heute ist schnell­le­big. Kaum jemand hat Zeit, stun­den­lang Toma­ten­sauce einzu­ko­chen. Dieser häus­li­che Aspekt von Kochen ist verlo­ren gegan­gen», sagt sie. Hinzu komme, dass wir von einem Ernäh­rungs­lu­xus umge­ben seien. Wer in einen Super­markt gehe, finde dort ein so gros­ses Ange­bot an Nahrungs­mit­teln, dass der eigent­li­che Aspekt von Kochen und Essen, nämlich sich gesund und bewusst zu ernäh­ren, schnell in den Hinter­grund rücke. «Dabei gibt es eine einfa­che Faust­re­gel, die uns helfen würde: Alles, was schnell gemacht und weich ist, soll­ten wir weglas­sen», sagt sie und nennt als Beispiel die Donuts, die sich bereits am Morgen im Super­markt neben­an neben den Gipfeli im Regal stapeln würden.

Mit Stan­gen­sel­le­rie in den Tag

Apro­pos Gipfeli: Während die Bowl noch etwas abkühlt und zieht, schnappt sich Marti­na Enderlin den Stan­gen­sel­le­rie, einen Apfel und den Entsaf­ter. «Idea­ler­wei­se wäre ein Glas davon unser Gipfeli am Morgen», sagt sie. Schon spru­delt der gift­grü­ne, super­ge­sun­de Saft in den Auffang­be­häl­ter. In Wein­glä­sern serviert, erin­nert er beina­he an einen Cock­tail. Der Stan­gen­sel­le­rie­saft schmeckt gesund und gar nicht so schlecht wie erwar­tet. Im Gegen­teil: Mit jedem Schluck wird er besser und ist am Ende rich­tig gut. Einmal im Jahr zu fasten oder sich bewusst zu ernäh­ren, kann Marti­na Enderlin allen empfeh­len, weil es helfe, seine eige­nen Muster zu reflek­tie­ren. Sie selbst hat einmal an einer beglei­te­ten Fasten­wo­che mitge­macht. «Ich fand es eine inter­es­san­te und harte Erfah­rung zugleich», sagt sie und erwähnt zum einen das Körper­li­che wie das Gefühl fürs Kauen, das sie verlo­ren habe, sowie das gestei­ger­te Verlan­gen zu trin­ken. «Zum ande­ren wurde ich emotio­nal durch­läs­si­ger. Die Zeit, die ich sonst zum Essen brauch­te, muss­te ich auf einmal anders füllen», sagt sie.

Wie in Gross­mutters Küche

Das Thema gesun­de Ernäh­rung beglei­tet Marti­na Enderlin, seit sie als junge Frau eine Lehre als Köchin im Appen­zel­ler­hof in Spei­cher mach­te. «Ich war die Einzi­ge in meiner Klas­se, die in einem Biore­stau­rant arbei­te­te. Das ganze Jahr Lattich zube­rei­ten zu müssen, fand ich damals zwar nicht so cool. Ich habe dadurch aber viel Wert­vol­les gelernt, das mich geprägt hat.» Später arbei­te­te sie in einem Gault-Millau-Sternerestaurant, bevor sie sich zu einer Ausbil­dung als Coach entschloss. Heute biete sie verschie­dens­te Koch- und Gesund­heits­kur­se an, die vom Fermen­tie­ren über die Darm­ge­sund­heit und ganz­heit­li­che gesun­de Ernäh­rung bis zu Gross­mutters Küche reichen. In Bezug auf letz­te­ren Kurs sagt sie: «Würden wir uns so ernäh­ren wie unse­re Vorfah­ren, wären wir gesünder.»

Freu­de und Neugier teilen

Marti­na Enderlin füllt die Bowl in klei­ne Gläser um. Für alle gibt es eines zum Probie­ren. Aufs Hunger­ge­fühl achten und sich fragen, «wie, wie viel und warum esse ich» ist einer der Tipps, den sie ihren Kurs­be­su­che­rin­nen und Kurs­be­su­chern mit auf den Weg gibt. «Auch in der Gemein­schaft essen, kann dabei helfen», sagt sie: «Etwa dann, wenn man die Neugier und Freu­de am Auspro­bie­ren mitein­an­der teilt.»

Infos auf www.kuechenfreunde.ch

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 20. Febru­ar 2025

Kirche erklären in 80 Sekunden

Brot teilen statt in einer Schla­ger­show zu tanzen: «Früher haben wir das Meer geteilt, heute verbin­den wir Welten», sagt Carme­la Bono­mi (25), Schau­spie­le­rin und Tänze­rin, in einem neuen Info­film des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. Das Video soll aufzei­gen, was Kirchen­steu­ern in der Ostschweiz ermög­li­chen. Im Inter­view sagt Carme­la Bono­mi, was sie am Video über­rascht hat und warum der Glau­be gera­de in ihrem Beruf wich­tig ist.

Came­la Bono­mi, Sie sind Schau­spie­le­rin und Tänze­rin, wie reagiert man, wenn man die Anfra­ge bekommt, in einem Video über die Kirchen­steu­ern mitzuwirken?

Came­la Bono­mi: Wenn ich von kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen ange­fragt werde, freue ich mich und bin auch immer gleich posi­tiv gestimmt. Das war auch bei dieser Anfra­ge des Kath. Konfes­si­ons­teils der Fall. Ich habe schon in mehre­ren kirch­li­chen Produk­tio­nen mitge­wirkt. Aber natür­lich schaue ich dann schon genau­er hin, worum es inhalt­lich geht und ob ich dahin­ter­ste­hen kann. Und gera­de bei kirch­li­chen und reli­giö­sen Themen ist es mir wich­tig, dass ich mich mit den Formu­lie­run­gen im Text, den ich spre­che, iden­ti­fi­zie­ren kann.

Ist ein Video über die Verwen­dung der Kirchen­steu­ern nicht ein viel zu theo­re­ti­sches Thema?

Ich habe gleich gemerkt, dass die Produktions­firma einen coolen Ansatz gewählt hat. Das hat mich persön­lich sofort ange­spro­chen. Zudem: Ich habe die Diskus­sio­nen auch schon in meinem priva­ten Umfeld erlebt: Warum braucht es die Kirchen­steu­ern? Wie werden sie einge­setzt? Oft wird auch vieles für selbst­ver­ständ­lich genom­men und man über­legt sich nicht, was fehlen würde, wenn es dieses oder jenes Ange­bot nicht mehr geben würde. Deshalb finde ich es sinn­voll, dass man versucht, mit einem Video Aufklä­rungs­ar­beit zu leisten.

Das Video ist seit eini­gen ­Wochen online. Wie gefällt ­Ihnen das Ergebnis?

Ich habe die Texte ja vor einer Greenscreen-Wand im Studio einge­spro­chen und konn­te mir deshalb kaum vorstel­len, wie das dann zusam­men­schnit­ten wurde. Es ist sehr dyna­misch gewor­den, es ist witzig, und obwohl es ein kurzes Video ist, kommen so viele Beispie­le vor, die Kirchen­steu­ern ermög­li­chen. Deshalb ist es aus meiner Sicht sehr gelungen.

Was ist Ihnen durch dieses ­Video neu über die Kirchen ­bewusst geworden?

Es ist erfreu­lich, dass im Video gleich zu Beginn die Bibel thema­ti­siert wird, sie ist die Grund­la­ge des christ­li­chen Glau­bens und der Kirchen. Alles geht auf sie zurück. Es werden verschie­de­ne Aufga­ben im sozia­len Bereich gezeigt, aber auch die Bedeu­tung der Kirchen­mu­sik, die nicht nur Kultur, sondern auch Gemein­schaft ermög­licht. Es wird auch erwähnt, dass die Kirche Orien­tie­rungs­hil­fe im Leben bieten kann. Auf mich hat auch die Stifts­bi­blio­thek gros­sen Eindruck gemacht, ein wich­ti­ges Kultur­gut und wohl eine Beson­der­heit in St. Gallen, auf die man stolz sein kann. Dass auch hier Kirchen­steu­ern invol­viert sind, war für mich neu. Mir ist aber noch ein ganz ande­rer Aspekt bewusst gewor­den, dem ich bisher nicht so viel Beach­tung geschenkt habe: Die Kirchen als Gebäu­de prägen unser Land, sie sind im ganzen Land sicht­bar. Sie stehen für unse­re Geschich­te und unse­re Kultur. Auch die Erhal­tung dieser Gebäu­de muss finan­ziert werden.

Gab es Beispie­le, die Sie vermissen?

Mir fällt nichts ein. Eines kann dieses Video natür­lich nicht leis­ten: Aus meiner Sicht ist unse­re Gesell­schaft zu sehr von einem Kosten-Nutzen-Denken geprägt. Das prägt auch die Ausein­an­der­set­zung mit den Kirchen­steu­ern. Oft hat man persön­lich viel­leicht keinen direk­ten Nutzen, aber man unter­stützt ja die Gemein­schaft, die ganze Gesellschaft.

Welchen Bezug haben Sie zu den Kirchen und zum christ­li­chen Glauben?

Der Glau­be hat schon immer eine Rolle in meinem Leben gespielt, ich bin in einer Frei­kir­che aufge­wach­sen. Das Vertrau­en auf Gott ist mein Funda­ment, er trägt mich durch das Leben und gib mir immer wieder Kraft. Mein Glau­be ist für mich auch ein Wegwei­ser, wie ich mit mir selbst und mit ande­ren umgehe.

Sie treten in Musik­shows im Fern­se­hen auf, spie­len in Spiel­fil­men und Seri­en mit. Was sind da die Reak­tio­nen auf eine Schau­spie­le­rin und Tänze­rin, die so selbst­be­wusst zu ihrem Glau­ben steht?

Wer im Show­busi­ness tätig ist, weiss, wie wich­tig das Vertrau­en ist. Man weiss oft nicht, wie es weiter­geht, was die Zukunft für einen bereit­hält. Ich persön­lich könn­te mir gar nicht vorstel­len, ohne meinen Glau­ben im Show­busi­ness zu bestehen. Du brauchst das Vertrau­en, dass alles gut kommt und dass sich immer wieder eine Tür öffnet. Du kannst oft nur abwar­ten, bis die Anfra­gen kommen. Wer seine Prin­zi­pi­en hat, der eckt manch­mal natür­lich auch an und hat es nicht immer leicht. Aber ich mache die Erfah­rung, dass die Akzep­tanz für gläu­bi­ge Menschen gewach­sen ist. Nur ein Beispiel: Mein Glau­ben schlägt sich auch nieder in der Art und Weise, wie ich mit ande­ren Menschen umge­he, das betrifft Liebes- und Sexsze­nen auf eine beson­de­re Weise. In den letz­ten Jahren hat das Bewusst­sein für mehr Sensi­bi­li­tät und einen acht­sa­me­ren, sorg­sa­me­ren Umgang mitein­an­der in diesem Bereich zuge­nom­men. Es wäre zu hoffen, dass im Show­busi­ness, aber auch in allen Berei­chen mehr der einzel­ne Mensch in den Fokus gerät.

Viele junge Menschen sehen das nicht so wie Sie: Sie werfen der Kirche vor, zu konser­va­tiv zu sein und nicht mit der Zeit zu gehen.

Der christ­li­che Glau­be  ist von vielen Tradi­tio­nen geprägt. Ich kann nach­voll­zie­hen, dass manche Gläu­bi­ge oder Verant­wort­li­che in der Kirche  Angst haben, dass diese Tradi­tio­nen verlo­ren gehen. Gleich­zei­tig braucht es die Weiter­ent­wick­lung. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass der Katho­li­sche Konfes­si­ons­teil mit seinem Video Mut bewies, neue Wege zu gehen. Dieses Projekt zeigt ja auch, dass die Kirche den Jungen etwas zutraut und sie ernst nimmt. Auch bei der Produk­ti­ons­fir­ma waren mehr­heit­lich junge Menschen dabei. Auf meine Ideen haben alle offen und inter­es­siert reagiert. Ich sehe das auch als ein Beispiel, dass es sich lohnt, Inno­va­ti­ves auszuprobieren.

Zum Video des Kath. Konfes­si­ons­teil des Kantons St.Gallen

Flori­an Silber­ei­sen, Kino, Model

Carme­la Bono­mi wirkt seit 2011 in unzäh­li­gen Shows, Filmen und Seri­en mit. Sie war Tänze­rin bei DJ Bobo und in den TV-Shows von Flori­an Silber­ei­sen, war mit mehre­ren Bühnen-Produktionen unter­wegs und jüngst in der ZDF-Serie «Der Palast» zu sehen. Für das katho­li­sche News­por­tal kath.ch mode­rier­te sie ein Video­for­mat für Jugend­li­che. Vor ihrer Karrie­re studier­te sie ein paar Semes­ter evangelisch-reformierte Theo­lo­gie. Carme­la Bono­mis Eltern sind beide katho­lisch aufge­wach­sen. Der Vater stammt aus Nord­ita­li­en, die Mutter aus Mada­gas­kar. Leider sei Mada­gas­kar so weit weg, dass sie ihre Verwand­ten viel zu selten sehe.

Inter­view: Stephan Sigg

Bilder: Kath. Konfessionsteil

Veröf­fent­li­chung: 23. Janu­ar 2025

In die Kirche wie Pippi Langstrumpf

Wild und chao­tisch sowie gast­freund­lich und gene­ra­tio­nen­über­grei­fend: So soll Kirche Kunter­bunt sein. Das Pfar­rei­fo­rum hat sich auf dieses Erleb­nis einge­las­sen und ist der Frage nach­gegangen, was dieses neue Format bei Fami­li­en im ganzen Bistum St. Gallen so beliebt macht.

Die Finger der Kinder sind von oben bis unten mit Zucker­guss verschmiert. Die Klei­nen sitzen an einem Tisch im Domzen­trum in St. Gallen und bekle­ben ster­nen­för­mi­ge Kekse mit Smar­ties und Zucker­per­len. Aus einem Raum im Erdge­schoss ist ein Laubbläser zu hören. Mit diesem jagen eini­ge Buben Luft­bal­lo­ne um Verkehrs­hüt­chen herum. Und im Flur sitzen eini­ge Fami­li­en um ein Klavier herum und lernen mit einem Musi­ker Weih­nachts­lie­der. Rund 100 Perso­nen sind es, die an diesem Sonn­tag­vor­mit­tag zwischen den verschie­de­nen Posten von Kirche Kunter­bunt im Domzen­trum hin- und herei­len. Das drei­stö­cki­ge Gebäu­de ist von Lachen und Rufen erfüllt und manche Passan­tin­nen und Passan­ten blei­ben auf dem Gallus­platz bei der Kathe­dra­le erstaunt stehen und schau­en zu dem Gebäu­de herüber. In einer Scha­le auf dem Boden vor dem Eingang zum Domzen­trum brennt ein Feuer, in dem eini­ge Kinder mit Draht umwi­ckel­te Karton­ster­ne verbren­nen. Übrig bleibt eine ster­nen­för­mi­ge Figur zum Aufhängen.

Tisch­fuss­ball und Papiersterne

Wo sollen wir anfan­gen? Meine zwei Buben und ich drücken uns erst einmal an der Haus­wand entlang. Seel­sor­ge­rin Anne-Dominique Wolfers, die zusam­men mit ihrer Kolle­gin Ramo­na Casa­no­va Kirche Kunter­bunt orga­ni­siert, hat uns vorge­warnt: «Kirche Kunter­bunt ist wild und chao­tisch und voller Leben.» Genau­so solle es sein, wie bei Pippi Lang­strumpf in der Villa Kunter­bunt eben. Und dann sind wir mitten­drin: Wir spie­len Tisch­fuss­ball am Tögge­li­kas­ten und basteln Papier­ster­ne. Und gerne schau­en wir den vielen ande­ren Kindern zu. Es gibt viele Babys und Klein­kin­der und noch mehr Kindergarten- und Primar­schul­kin­der. Es gibt Kinder, die wir schon vom Fuss­ball­ver­ein und vom Kinder­tur­nen kennen, und solche, denen wir regel­mäs­sig im Quar­tier begeg­nen. Und dann gibt es ganz viele Eltern, Tanten, Onkel und Gross­el­tern, die an diesem Tag bei Kirche Kunter­bunt mit dabei sind. Eine Mutter, die wir vom Kinder­tur­nen kennen, sagt: «Kirche Kunter­bunt ist einfach so herzig gemacht, dass ich regel­mäs­sig mit meinen Kindern hier­her­kom­me. Weil mein Mann dieses Wochen­en­de weg ist, habe ich meine Eltern als Verstär­kung mitgebracht.»

Von über­all her

Gene­ra­tio­nen­über­grei­fend, gast­freund­lich und krea­tiv: So soll Kirche Kunter­bunt sein. Alle sind will­kom­men. Ziel des Forma­tes ist es, eine Gemein­schaft aufzu­bau­en, in welcher der Glau­be ohne Zwang auspro­biert und gelebt werden kann. Ramo­na Casa­no­va sagt: «Viele Fami­li­en haben bei der Taufe Berüh­rungs­punk­te mit der Kirche und dann erst wieder, wenn ihre Kinder den Reli­gi­ons­un­ter­richt in der Primar­schu­le besu­chen. Mit Kirche Kunter­bunt können wir diese Lücke schlies­sen.» Spezi­ell an Kirche Kunter­bunt im Domzen­trum ist, dass die Fami­li­en nicht nur aus dem Quar­tier kommen, sondern auch von weiter her, wie beispiels­wei­se aus Heris­au oder Mörschwil. Und es sind eini­ge Fami­li­en der eritre­ischen Sprach­ge­mein­schaft mit dabei, die ihren Mittel­punkt in einer benach­bar­ten Pfar­rei hat.

Davon mit dem Jesuskind

Nach einein­halb Stun­den Aktiv­zeit der Kirche Kunter­bunt mit den verschie­de­nen Posten steht jetzt der nächs­te Programm­punkt an: die Feier­zeit. Wir drän­gen uns auf eine Fens­ter­bank in der Nähe des Klaviers im Saal im Erdge­schoss. Dieser füllt sich rasch. «Dieses Mal sind doppelt so viele Fami­li­en gekom­men, wie wir erwar­tet haben. Unser Küchen­team hat das wirk­lich gut gemeis­tert und spon­tan darauf reagiert», sagt Anne-Dominique Wolfers. Für Kirche Kunter­bunt muss man sich nicht anmel­den, sondern kann einfach spon­tan kommen. Das gemein­sa­me Essen ist ein weite­rer Höhe­punkt von Kirche Kunter­bunt. Es ist kosten­los und die Fami­li­en können sich an den Tischen kennen­ler­nen. Zuerst wird an der Feier aber gesun­gen, gehüpft, geklatscht und vieles mehr. Von unse­rem Fens­ter­platz aus  beob­ach­ten wir, wie während der Feier ein Bub stän­dig versucht, heim­lich das Jesus­kind in der Krip­pe aus dem Raum zu schie­ben, um es für sich allei­ne zu haben. «Jetzt schafft er es», sagt mein Sohn und lacht. Aber dann kommt schon seine Mutter dazu und hält ihn auf. Jede Fami­lie bekommt einen Papier­stern und alle dürfen auf diesen ihre Wünsche schrei­ben. Es soll etwas sein, das  man sich in den folgen­den Tagen auch erfül­len kann. «Gemein­sam am Abend basteln», steht auf unse­rem Stern. Zum Abschluss halten alle Fami­li­en­mit­glie­der eine Ecke ihres Sterns und geben ihrem Gegen­über ein Gebet mit auf den Weg. Für weni­ger Albträu­me in der Nacht bittet mein Jünge­rer für seinen älte­ren Bruder.

Schlaf­los vor Vorfreude

Beim Essen­ho­len wird es noch­mals chao­tisch. Wie schafft man es mit einem Drei- und einem Sechs­jäh­ri­gen vom Buffet zurück an den Platz, ohne dass die Nudeln auf dem Boden landen? Während die beiden später am Tisch darüber disku­tie­ren, ob ihnen die Butter­nu­deln nun schme­cken oder nicht, setzt sich ein weite­rer Kinder­gärt­ner mit seiner Mutter zu uns. Sie erzählt, dass sie regel­mäs­sig in die Kirche Kunter­bunt kommt und wie sehr sich ihr Bub jeweils darauf freut. «Heute ist er mitten in der Nacht um drei Uhr aufge­wacht und hat bis sechs Uhr Bücher ange­schaut, weil er vor Vorfreu­de nicht mehr schla­fen konn­te», sagt sie. Er lacht und nickt. Und bei den letz­ten Löffeln Dessert sehen seine Augen müde und zufrie­den aus.

Musik, Thea­ter und krea­ti­ve Verkün­di­gung: Kirche Kunter­bunt hat ihren Ursprung als «Messy Church» in England. Die Initia­ti­ve versteht sich als eine frische Ausdrucks­form von Kirche. Junge Fami­li­en können hier Gemein­de erle­ben, auch wenn sie bisher wenig Bezug zu Glau­ben und Kirche hatten. Kirche Kunter­bunt läuft stets gleich ab und findet regel­mäs­sig alle paar Wochen statt: Während der 30-minütigen Will­kom­mens­zeit tref­fen die Fami­li­en ein. Danach folgt die Aktiv­zeit mit verschie­de­nen Posten, gefolgt von der Feier­zeit mit Musik, Thea­ter und krea­ti­ver Verkün­di­gung. Den Abschluss bildet die Essens­zeit. Jede Kirche Kunter­bunt steht unter einem Thema oder einer bibli­schen Erzäh­lung. Im Bistum St. Gallen findet sie in den Pfar­rei­en oder Seel­sor­ge­ein­hei­ten Gäbris, Widnau/Balgach/Diepolsdau-Schmitter, Berneck/Au/Heerbrugg, Gais, Appen­zell, Rorschach, Buech­berg, Eich- und Blat­ten­berg, Gams, Gaster, Walen­see, Uznach, Ober­zwil und Nieder­uz­wil sowie in der Stadt St. Gallen im DomZen­trum und in der Pfar­rei Heilig­kreuz statt.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. Dezem­ber 2024

Wenn alle die Krippe bestaunen

Die Katho­li­kin Sarah Soos­ai­pil­lai aus Rorschach erzählt, wie sie als Kind in ihrer südin­di­schen Heimat Weih­nach­ten feier­te und welche Bräu­che sie bis heute beibe­hal­ten hat.

«Zu Weih­nach­ten in Südin­di­en gehört auf alle Fälle ein Kreuz aus frit­tier­tem Teig», sagt die Rorscha­ch­e­rin Sarah Soos­ai­pil­lai. Und schon steckt die 51-Jährige mitten in ihren Kind­heits­er­in­ne­run­gen an die Advents- und Weih­nachts­zeit. Schon eine Woche vor Heilig­abend ging es mit den Weih­nachts­vor­be­rei­tun­gen jeweils los. Als Erstes form­te ihre Gross­mutter das erwähn­te Kreuz aus frischem Teig und frit­tier­te dieses. «Dann folg­ten frit­tier­te Süssig­kei­ten und herz­haf­te Spei­sen wie Kall­al, Ladoo und Muru­ku», sagt sie. Sarah Soos­ai­pil­lai lebt seit über 20 Jahren in der Ostschweiz. Sie ist Katho­li­kin. In Indi­en gehö­ren 2,3 Prozent aller Menschen dem Chris­ten­tum an. Das frit­tier­te Teig­kreuz ist auch hier Teil jedes Weih­nachts­fests mit ihrem Mann und ihren zwei Töch­tern. «Meine Gross­mutter brach das Kreuz nach der Mitter­nachts­mes­se in klei­ne Stücke und jedes Fami­li­en­mit­glied bekam eines davon», sagt sie.

Als Chor von Tür zu Tür

Die Tage vor Weih­nach­ten sind für Sarah Soos­ai­pil­lai die Zeit, in der man sich auf die Geburt von Jesus vorbe­rei­tet. Es ist ein Ereig­nis, das Hoff­nung auf Frie­den verspricht. «Diese Vorfreu­de teilt man in Indi­en mit der Gemein­schaft und der Nach­bar­schaft», sagt sie und nennt als Beispiel «Carol Singing». Dabei gehen Chöre von Tür zu Tür der katho­li­schen Fami­li­en, um Spen­den für einen guten Zweck zu sammeln. Die Fami­li­en bedan­ken sich mit klei­nen Geschen­ken oder Süssig­kei­ten. «Süsses oder Gebäck schenk­ten wir auch unse­ren hindu­is­ti­schen Nach­barn in meiner Heimat­stadt Erode im Bundes­staat Tamil Nadu. Im Gegen­zug beka­men wir von ihnen etwas, wenn sie das Lich­ter­fest Diwa­li feier­ten.» Auch Krip­pen spie­len in Sarah Soos­ai­pil­lais Weih­nachts­er­in­ne­run­gen eine wich­ti­ge Rolle. Sie lacht und erzählt, wie die Fami­li­en in ihrer Nach­bar­schaft in den Tagen vor Weih­nach­ten wirk­lich gros­se Krip­pen zu Hause aufbau­ten. Nach Weih­nach­ten besuch­te der Seel­sor­ger jeweils alle Fami­li­en und zeich­ne­te die drei schöns­ten Krip­pen aus. «Danach kamen alle Nach­barn vorbei, um die Krip­pen anzuschauen.»

Gewür­ze für den Advent

Gera­de im Advent vermisst Sarah Soos­ai­pil­lai vieles aus ihrer Heimat, etwa die Gewür­ze und Gerü­che. Während des Dezem­bers verkauft sie daher an ihrem Stand auf dem Markt­platz in Rorschach sams­tags nebst Mittags­me­nüs auch Gewürz­mi­schun­gen, deren Zube­rei­tung sie von ihrer Mutter und Gross­mutter gelernt hat. In die Schweiz kam Sarah Soos­ai­pil­lai wegen ihres Mannes, der ursprüng­lich aus Sr. Lanka stammt. Hier arbei­tet sie aktu­ell als Betreue­rin in der Tages­be­treu­ung Rorschach. Zudem enga­gier­te sie sich im Pfar­rei­rat sowie im Eltern­rat an der Primar­schu­le ihrer Töch­ter, orga­ni­sier­te frei­wil­li­ge Turn­stun­den für Kinder und gab Koch­kur­se für Erwach­se­ne. Seit sechs Jahren führt sie den Cate­ring­dienst und den Take-away-Imbiss «Sarahs Indi­an Kitchen».

Karten als Christbaumschmuck

Nach Indi­en ist Sarah Soos­ai­pil­lai über die Weih­nachts­ta­ge mit ihrer Fami­lie noch nie gereist. «Die Feri­en sind zu kurz für so eine lange Reise», sagt sie. Dafür besucht sie mit ihrer Fami­lie jeweils die Mitter­nachts­mes­se in der katho­li­schen Kirche in Rorschach. «Die Mitter­nachts­mes­se gehör­te auch in Indi­en zum Heilig­abend. Der Unter­schied ist aber, dass sie in Indi­en wirk­lich um Mitter­nacht und nicht schon um 22 Uhr, wie vieler­orts hier, gefei­ert wird», sagt sie. Eine Krip­pe gehört für Sarah Soos­ai­pil­lai heute noch zu Weih­nach­ten dazu sowie Gebe­te vor der Krip­pe. «Und wir haben natür­lich einen Weih­nachts­baum mit der übli­chen Deko­ra­ti­on», sagt sie und fügt an: «Das fand ich früher fast schö­ner: Meine Mutter und Gross­mutter schmück­ten den Weih­nachts­baum jeweils mit Post­kar­ten, die uns Verwand­te und Freun­de in der Advents­zeit geschickt hatten. Das war defi­ni­tiv eine ande­re Zeit.»

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 21. Novem­ber 2024

Den Erinnerungen ihren Platz geben

Ein Lieb­lings­es­sen oder eine Zufalls­be­geg­nung, die einen an jemand Verstor­be­nen denken lassen: Solche Erin­ne­run­gen finden sich über­all im Alltag. Die St. Galler Seel­sor­ge­rin Pris­ka ­Filli­ger Koller sagt, wie Ritua­le dabei helfen können, sich bewuss­ter zu erin­nern, und wieso Aller­hei­li­gen heute wich­ti­ger ist denn je.

Pris­ka Filli­ger Koller, wie ­wich­tig ist es für Sie, sich an Verstor­be­ne zu erinnern?

Für mich ist das sehr wich­tig. Meine Mutter starb vor 19 Jahren. Davor war sie bereits viele Jahre an Krebs erkrankt. Auf einer Kommo­de in meinem Zuhau­se stell­te ich ein Foto von ihr auf, dane­ben legte ich eini­ge Stei­ne aus ihrer Samm­lung und stell­te eine Kerze auf. Über die Jahre kamen weite­re Fotos von Verstor­be­nen dazu. Morgens und abends zünde ich die Kerze an und trete mit meiner Mutter in einen inne­ren Dialog. Ich wünsche ihr zum Beispiel einen guten Tag.

Tod und Vergäng­lich­keit sind dadurch in Ihrem Zuhau­se sehr präsent.

Fotos Verstor­be­ner aufzu­stel­len, gehört zu einer Tradi­ti­on, die ich seit meiner Kind­heit kenne. Ich bin in Nidwal­den aufge­wach­sen. Dort verteil­te man an Ange­hö­ri­ge und Bekann­te die soge­nann­ten Helge­li als Erin­ne­rung. Das sind Fotos der Verstor­be­nen mit den Lebens­da­ten und einem Gedan­ken. Genau­so wich­tig ist es mir, zusam­men mit meinem Vater in Nidwal­den das Grab meiner Mutter und meiner Gross­el­tern zu bepflan­zen und mich so vor Ort an diese Perso­nen erin­nern zu können.

Was macht das mit Ihnen, sich an einem bestimm­ten Ort an Verstor­be­ne zu erinnern?

Dadurch wird mir bewusst, dass ich Teil von etwas Ganzem bin. Reise ich beispiels­wei­se ans ­Fami­li­en­grab, ist es immer auch eine Reise zurück in meine Kind­heit. Ich bin einge­bun­den in eine Fami­li­en­ge­schich­te und das spüre ich in solchen Momen­ten deut­lich. Es gibt aber auch eine spon­ta­ne Form des Erin­nerns, die ich als Erin­ne­rungs­blit­ze bezeich­ne. Kürz­lich fuhr ich Zug. Als dieser an einem Bahn­hof anhielt, sah ich auf dem Perron einen Mann stehen, der mich an einen verstor­be­nen Seel­sor­ger erin­ner­te, den ich sehr schätz­te und mit dem ich zusam­men­ge­ar­bei­tet hatte. In diesem Moment wurde ich einer­seits trau­rig und ande­rer­seits fühl­te ich eine Dank­bar­keit und inne­re Verbun­den­heit mit ihm.

Fotos Verstor­be­ner aufzu­stel­len, gehört zu einer Tradi­ti­on, die Pris­ka Filli­ger Koller seit ihrer Kind­heit kennt.

Es gibt also Ritua­le, durch die wir uns bewusst erin­nern können, sowie alltäg­li­che Ereig­nis­se, die uns spon­tan erin­nern lassen?

Ja, so unter­tei­le ich es. Ein Ritu­al kann etwa ein Besuch am Grab sein oder Aller­hei­li­gen selbst, an dem wir der Verstor­be­nen geden­ken. In meiner Pfar­rei St. Fiden schrei­ben wir während eines Jahres beispiels­wei­se die Namen aller in diesem Jahr Verstor­be­nen auf weis­se Stei­ne und legen sie auf einen Seiten­al­tar. An der Gedenk­fei­er an Aller­hei­li­gen können die Ange­hö­ri­gen die Stei­ne zusam­men mit einer Kerze und einer Rose auf der Trep­pe vor dem Altar plat­zie­ren und diese nach der Feier mit nach Hause nehmen. Ritua­le mit Stil­le, Gebet und Kerzen können Steig­bü­gel für eine Erin­ne­rungs­kul­tur sein.

Und was sind alltäg­li­che Ereignisse?

Zu den alltäg­li­chen Ereig­nis­sen zähle ich zum Beispiel ein Essen, das jemand kocht, im Wissen, dass dies das Lieb­lings­ge­richt einer verstor­be­nen Person war. Auch der Besuch eines Plat­zes oder Ortes, den die Verstor­be­nen beson­ders lieb­ten, lässt Erin­ne­run­gen entste­hen. Genau­so kann uns ein Duft an jeman­den denken lassen oder ein Hobby, das man mit dieser Person geteilt hat. Flicke ich etwa ein Klei­dungs­stück, lässt mich das immer an meine Mutter erin­nern und daran, wie wir als Kinder unter dem Tisch mit einem Kinder­last­wa­gen die Faden­res­te ihrer Nähar­beit aufsammelten.

In der Pfar­rei St. Fiden, in der Pris­ka Filli­ger Koller arbei­tet, werden die Namen aller in einem Jahr verstor­be­nen Perso­nen auf weis­se Stei­ne geschrie­ben und auf einen Seiten­al­tar gelegt.

Wie haben sich die kirch­li­chen Ange­bo­te rund um Aller­hei­li­gen verändert?

Sie sind viel­fäl­ti­ger und indi­vi­du­el­ler gewor­den. Es gibt heute ganz­jäh­rig vieler­orts Trau­er­ca­fés. Um Aller­hei­li­gen herum ist in der Schutz­en­gel­ka­pel­le in St. Gallen ein Trau­er­raum einge­rich­tet. In diesem können sich Ange­hö­ri­ge an verschie­de­nen Statio­nen mit der persön­li­chen Trau­er ausein­an­der­set­zen. Auch sind Seel­sor­gen­de an Aller­hei­li­gen auf den beiden St. Galler Fried­hö­fen Ost und Feld­li präsent. Wer möch­te, bekommt von ihnen eine Anlei­tung, wie man selbst ein Grab segnen kann. Weih­was­ser und Kerze gibt es dazu. Ich selbst werde gemein­sam mit dem St. Galler Männer­chor eine Gedenk­fei­er auf dem Ostfried­hof gestal­ten. Das sind nur eini­ge Beispie­le. In den verschie­de­nen Pfar­rei­en gibt es zahl­rei­che weite­re Angebote.

Ist Aller­hei­li­gen als Feier­tag heute noch zeitgemäss?

Ich bin sehr froh darüber, dass Aller­hei­li­gen bei uns ein Feier­tag ist. Um uns erin­nern zu können, brau­chen wir Ruhe. Aller­hei­li­gen ist ein ganzer frei­er Tag, den wir gestal­ten können und der uns Zeit fürs Inne­hal­ten, Erin­nern und Trau­ern lässt. Durch gemein­sa­me Gedenk­fei­ern erfah­ren wir beispiels­wei­se, dass Trau­ern etwas Urmensch­li­ches ist. An Aller­hei­li­gen können wir uns auch bewusst machen, dass Ster­ben und der Tod zum Leben dazu­ge­hö­ren. Tod, Abschied­neh­men und Erin­nern sind zudem immer etwas, das Platz in der Gesell­schaft und in einer Gemein­schaft haben soll­te. Entschei­det sich etwa jemand für eine Trau­er­fei­er nur im engs­ten Fami­li­en­kreis, nimmt er ande­ren Menschen die Möglich­keit, sich in Gemein­schaft verab­schie­den zu können.

Erin­ne­run­gen aufschrei­ben oder viel­leicht ein Foto­al­bum anle­gen: Wie könn­ten wir Erin­ne­run­gen besser bewahren?

Da gibt es viele Möglich­kei­ten. Ich persön­lich habe mir vorge­nom­men, biogra­fi­sche Erin­ne­rungs­ar­beit mit meinem 85-jährigen Vater zu machen. Ich besu­che ihn alle 14 Tage. Oft erzählt er dann von früher, etwa davon, wie er als einfa­cher Bauern­sohn aufge­wach­sen ist und wie es war, in einem Haus mit mehre­ren Gene­ra­tio­nen zu leben. Diese Gesprä­che möch­te ich aufneh­men und ihm bei jedem Besuch eini­ge Fragen mitbrin­gen. Seine Erzäh­lun­gen von früher berüh­ren mich und auch meine Kinder. Ich finde es span­nend und es entspricht meinem Geschichts­be­wusst­sein, dass wir einge­bun­den sind in etwas Ganzes mit Menschen, die vor uns gelebt haben und die auch nach uns leben werden. Dank dem ritua­li­sier­ten und alltäg­li­chen Erin­nern lerne ich zudem, mich mit meiner eige­nen Endlich­keit ausein­an­der­zu­set­zen, nicht nur an Allerheiligen.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontou­lis, zVg

Veröf­fent­li­chung: 23. Okto­ber 2024

Ein ­Lagerfeuer auf dem Olma-Wagen

Von der Anfra­ge bis zur Olma waren es nur ein paar Mona­te, die Zeit dräng­te: «Trotz­dem stand für mich sofort fest: Die Chan­ce, am Olma-Umzug teil­zu­neh­men, darf sich Jubla nicht entge­hen lassen», sagt Andrea Zünd (29) aus Widnau, OK-Präsidentin Jubla am Olma-Umzug und Mitglied der Jung­wacht Blauring-Kantonsleitung. Wider­stän­de und diver­se Heraus­for­de­run­gen bewäl­tig­te sie mit einer gros­sen Porti­on ­«Jubla-Grundvertrauen».

In den ersten Tagen nach dem «Go» für das Projekt Jubla am Olma-Umzug lief bei Andrea Zünd das Tele­fon heiss. «Ich war sofort voller Taten­drang», sagt sie und lacht. «Eine Woche lang habe ich alle mögli­chen Leute kontak­tiert und sie moti­viert, beim Projekt mitzu­ma­chen.» Zu diesem Zeit­punkt waren noch viele Fragen offen: Lassen sich genü­gend Frei­wil­li­ge finden, die mitma­chen? Was genau kommt auf sie zu? Wie sieht der Wagen aus – und wo findet man so einen? Gehol­fen habe ihr dabei ihr Grund­ver­trau­en. «Ich bin seit zwan­zig Jahren bei der Jubla. In Grup­pen­stun­den und Lagern kann es immer wieder einmal passie­ren, dass etwas nicht so läuft wie geplant. Man lernt zu impro­vi­sie­ren und weiss, dass es schliess­lich mit ein biss­chen Einsatz immer doch gut kommt. Die Jubla ist die beste Lebens­schu­le.» Schon nach der ersten OK-Sitzung habe sich die anfäng­li­che Nervo­si­tät beru­higt. In den letz­ten Mona­ten sei ihr eines neu bewusst gewor­den: «Auf das Netz­werk, das man in der Jubla knüpft, kannst du dich verlas­sen.» Sie sagt: «Die Jubla schweisst so viele verschie­de­ne Menschen mit viel­fäl­ti­gem Know-how zusam­men. Wenn man etwas braucht oder sucht, reichen oft ein paar WhatsApp-Nachrichten oder Anru­fe und man landet bei einer Person, die weiter­hel­fen kann. Das war zum Beispiel auch so bei der Heraus­for­de­rung, einen Wagen zu orga­ni­sie­ren – und das möglichst kosten­los. Das Jubla-Motto ‹Lebens­freu­de und Lebens­freun­de› hält, was es verspricht.»

Ein beson­de­rer Schar-Nachmittag: Die Jung­wacht Heilig­kreuz bemalt die Wagen­rä­der für den Olma-Umzug.

Olma-Wagen bauen

Nebst der Suche nach einem Wagen muss­ten sich die zwölf OK-Mitglieder diesen Sommer eini­gen weite­ren Heraus­for­de­run­gen stel­len – und das alles in ihrer Frei­zeit. «Am Anfang wurde in unse­rem Gremi­um schon der eine oder ande­re Zwei­fel laut: Schaf­fen wir das in dieser kurzen Zeit? Bringt das was?» Finan­zi­el­le Fragen muss­ten geklärt und auch mit den Verant­wort­li­chen des Olma-Umzugs verhan­delt werden. «Zunächst hiess es, dass nur 25 Perso­nen auf dem Wagen mitfah­ren dürfen. Aber in der Ostschweiz gibt es so viele Jubla-Kinder und ‑Jugend­li­che. Eigent­lich hätten es alle verdient, mitzu­fah­ren.» Man habe sich schliess­lich auf einen Kompro­miss von 35 Teil­neh­men­den geei­nigt. Ausge­wählt wurden für diesen promi­nen­ten Auftritt die Blauring- und Jungwacht-Scharen St. Gallen-Heiligkreuz. In Sachen Wagen wurde das OK in Andwil-Arn­egg fündig: Die dorti­ge Jung­wacht gestal­tet jeweils einen Fasnachts­wa­gen und hat auch eini­ge Umzugs­er­fah­rung. Ein paar Mona­te später ist das Projekt auf Kurs: Mehre­re Jungwacht- und Blauring-Scharen sind beim Bau des Wagens, dem Bema­len der Radde­ckel und dem Basteln der Deko­ra­ti­on beteiligt.

… und drin­nen basteln die Jung­wächt­ler die Deko­ra­ti­on für den Wagen.

Lager­stim­mung vermitteln

Die Jubla bringt Lager­stim­mung an den Olma-Umzug: Auf ihrem Wagen wird ein echtes Lager­feu­er bren­nen. Zudem werden Jubla-Lieder zu hören sein. Das wird bei vielen Umzugs­be­su­che­rin­nen und ‑besu­chern eige­ne Lage­r­erin­ne­run­gen wach­ru­fen. «Hoffent­lich macht es aber auch bei vielen Eltern und Kindern, die selbst noch nicht teil­ge­nom­men haben, Lust auf Jubla-Lager», so Andrea Zünd. Die Jubla wird mit ihrem Umzugs­wa­gen auch das aktu­el­le schweiz­wei­te Jubla-Jahresthema «Öko? Logisch!» sicht­bar machen. «Das Thema Ökolo­gie und Nach­hal­tig­keit ist in der Jubla schon lange ein wich­ti­ges Anlie­gen. Wir achten zum Beispiel darauf, bei Grup­pen­stun­den möglichst wenig Mate­ria­li­en einzu­set­zen, und viele Grup­pen­an­läs­se finden sowie­so draus­sen in der Natur statt.»

«Wir machen sicht­bar, wie wich­tig und wert­voll die Kinder- und Jugend­ar­beit in der Kirche ist und dass unglaub­lich viel Frei­wil­li­gen­ar­beit geleis­tet wird.»

Andrea Zünd

Wich­ti­ger Teil der Kirche

«Uf Bsuech dihei» lautet das dies­jäh­ri­ge Olma-Motto – für einmal ist St. Gallen selbst der Gast­kan­ton. Über 50 Grup­pie­run­gen mit rund 1300 Mitglie­dern aus allen Regio­nen des Kantons werden am 12. Okto­ber am Umzug durch die St.Galler Altstadt mitwir­ken. Der Kanton St.Gallen hat dafür verschie­de­ne Orga­ni­sa­tio­nen und Insti­tu­tio­nen ange­fragt, die für den Kanton St. Gallen stehen, darun­ter auch die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St.Gallen und die katho­li­sche Kirche. Die Wahl der katho­li­schen Kirche fiel auf die Jubla: «Die Jubla ist ein wich­ti­ger Teil der Kirche», betont Andrea Zünd. «Wir machen sicht­bar, wie wich­tig und wert­voll die Kinder- und Jugend­ar­beit in der Kirche ist und dass unglaub­lich viel Frei­wil­li­gen­ar­beit geleis­tet wird. In den Jubla-Scharen werden christ­li­che Werte wie Nächs­ten­lie­be, Respekt und Verant­wor­tung gegen­über der Schöp­fung gelebt und das alles sehr konkret und lebens­nah.» Deshalb war sich das OK schnell einig, das Thema Nach­hal­tig­keit auch beim Olma-Wagen in den Fokus zu rücken.

Frei­wil­li­ges Engagement

Nur ein paar weni­ge Fragen sind noch offen. «Wir wollen an die Zuschaue­rin­nen und Zuschau­er beim Umzug etwas vertei­len», sagt Andrea Zünd. Sie hätten mehre­re Ideen, aber die defi­ni­ti­ve Entschei­dung ist noch nicht gefal­len. «Momen­tan sind wir noch in der Abklä­rung, wie gross unser Budget und die Beiträ­ge vom katho­li­schen Konfes­si­ons­teil des Kantons St.Gallen und der Stif­tung der Jubla sind. Zudem soll­ten die Give-aways umwelt­freund­lich sein – also plas­tik­frei.» Das Projekt Jubla am Olma-Umzug wird vor allem durch frei­wil­li­ges Enga­ge­ment der Jugend­li­chen und jungen Erwach­se­nen reali­siert – und das nebst dem übli­chen Jubla-Jahresprogramm, das mit vielen Anläs­sen in den Scha­ren vor Ort und über­re­gio­nal gefüllt ist.

Andrea Zünd fühlt sich bestä­tigt: In der Jubla findet man tatsäch­lich Freund*innen fürs Leben.

Als Erwach­se­ne ein Kind sein

Andrea Zünd sieht in der Teil­nah­me am Olma-Umzug die Chan­ce, die Jubla bekann­ter zu machen: «Wir sind die gröss­te Kinder- und Jugend­be­we­gung in der Ostschweiz. Trotz­dem klickt es nicht gleich bei allen, wenn man sie mit dem Begriff Jubla konfron­tiert.» Oft höre man dann: Ah, ihr seid wie die Pfadi? Andrea Zünd hofft, dass es in Zukunft heisst: «Ah klar, Jung­wacht Blau­ring – kenn ich natür­lich!» Sie ist sich sicher, dass auch für die mitwir­ken­den Kinder und Jugend­li­chen die Teil­nah­me am Umzug eine prägen­de Erfah­rung sein wird. «Für einmal selbst beim Umzug mitfah­ren zu können, das ist ein Erleb­nis, an das man sich ein Leben lang erin­nert.» Andrea Zünd war 2003 zum ersten Mal mit dem Blau­ring Altstät­ten in einem Lager, seit 2010 ist sie Leite­rin. Inzwi­schen wohnt sie in Widnau und ist studier­te Sozi­al­päd­ago­gin. «Die Jubla-Erfahrungen haben sicher­lich meine Berufs­wahl mitbe­ein­flusst.» Bis heute ist sie ein begeis­ter­tes «Blauring-Kind». «Wo sonst als bei der Jubla kannst du auch als Erwach­se­ne noch­mals Kind sein?»

Das Jubla-Moto «Lebensfreu(n)de» passt auch perfekt zur Olma.

Jubla in der ­Ostschweiz boomt

Trotz oder gera­de wegen der Digi­ta­li­sie­rung: Die Ange­bo­te der Jubla stos­sen in der Ostschweiz auf gros­se Nach­fra­ge. Vergleicht man die Mitglie­der­zahl von 2014 mit den aktu­el­len von 2024, so ist sie von 4445 Kindern und Leitungs­per­so­nen auf 4637 gewach­sen – und der Zuwachs hält auch in diesem Jahr an. Hinzu kommen noch um die 110 Enga­gier­te in Regio­nal­lei­tun­gen, Kantons­lei­tung sowie Coaches und Kurs­lei­ten­de. Den Höchst­stand in den vergan­ge­nen zehn Jahren verzeich­ne­te die Jubla Ost im Jahr 2020 mit 4953 Leiten­den und Kindern.

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontou­lis / Clau­dio Bäggli

Veröf­fent­li­chung: 23.09.2024

Papageienhof Mogelsberg

Von seinem ­Hocker aus kann Finn alles ­beob­ach­ten und über­bli­cken. Der rothaa­ri­ge Kater darf gemein­sam mit 14 Artge­nos­sen seinen ­Lebens­abend im Katzen­al­ters­heim des Büsi- und ­Papa­gei­en­hofs in Mogels­berg verbringen.

Fast täglich nimmt der Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg herren- und schutz­lo­se Tiere auf. ­Aktu­ell betreu­en Marcel Jung und sein Team im Tier­heim über 350 Schütz­lin­ge. Sie alle ­haben ein unter­schied­li­ches Schick­sal und meist eine schwie­ri­ge Zeit hinter sich. Was sie ­verbin­det? Der Gross­teil wartet auf ein neues schö­nes Plätzchen.

Stolz und erha­ben thront Finn auf seinem Hocker und mustert die Gäste. «Diva» schiesst einem durch den Kopf, wenn man den rothaa­ri­gen Kater so sitzen sieht. Doch Finn erbarmt sich. Er macht einen Schritt auf die Gäste zu und schon ist das Eis gebro­chen. Es folgt eine 30-minütige Strei­chel­ein­heit mit vielen Lieb­ko­sun­gen. Nach Finn möch­te Garga­mel schmei­cheln. Der lang­haa­ri­ge Kater kam erst vor weni­gen Tagen via Tier­schutz in den Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg. Garga­mel wurde auf einem Bauern­hof gefun­den, vernach­läs­sigt und verfilzt. Mitt­ler­wei­le ist er frisch frisiert. Mit dem Einzug ins Tier­heim ist auch sein Schick­sal besie­gelt: «Er bleibt bis zum Lebens­en­de bei uns», sagt Heim­lei­ter Marcel Jung. Finn und Garga­mel sind Bewoh­ner des Katzen­al­ters­heims im Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg. Das heisst, sie werden nicht vermit­telt und werden ihren Lebens­abend im Tier­heim verbrin­gen. Momen­tan leben 15 Katzen im Katzen­al­ters­heim. Wie Finn und Garga­mel landen jähr­lich Tausen­de von Tieren in Schwei­zer Tier­hei­men. Gemäss Statis­tik des Schwei­zer Tier­schut­zes wurden 2022 über 13 000 Tiere abge­ge­ben. Im Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg kümmert sich Marcel Jung um rund 350 solcher Tiere, darun­ter mehre­re Hunde und Katzen, unzäh­li­ge Nager wie Meer­säu­li und Kanin­chen sowie Schild­krö­ten und rund 200 teils exoti­sche Vögel. Das Tier­heim soll aller­dings nur Zwischen­sta­ti­on sein. Der Gross­teil der Katzen, die Hunde und die Nager warten im Necker­tal auf ein neues schö­nes Zuhau­se mit liebens­wür­di­gen Besit­zern. Was die Tiere eint: Sie haben oft ein schlim­mes Schick­sal hinter sich und nieman­den mehr, der sich um sie kümmert. Sie wurden ausge­setzt oder wurden vernach­läs­sigt. Sie wurden verges­sen oder verlas­sen. Es sind Tiere, die aus Privat­haus­hal­ten kommen und frei­wil­lig abge­ge­ben wurden oder die Tier­schutz und Poli­zei in die Obhut des Tier­heims gebracht haben. So auch Lilly­fee und Mika. Die beiden Hunde tollen freu­dig in der Aussen­an­la­ge umher und begrüs­sen die Gäste aufgeregt.

Tausen­de Tiere landen jähr­lich im Tierheim.

Kastra­ti­ons­pflicht gefordert

Die beiden klei­nen Racker sind schon länge­re Zeit im Zwin­ger des Tier­heims. Unfrei­wil­lig, wie Marcel Jung erklärt. Gerne würde er die Hünd­chen an einen schö­nen Ort vermit­teln, aber er darf nicht – aus einem absur­den Grund: Nach dem Tod des Besit­zers kamen die beiden Hunde gemäss Gesetz in die Erbmas­se. Das Ganze zieht sich in die Länge. Marcel Jung geht nicht davon aus, dass sie vor ihrem Tod den Tier­heim­zwin­ger noch verlas­sen können. «Das ist sehr scha­de für die beiden.» Mit ihnen warten vier weite­re Hunde auf eine Vermitt­lung. Wir Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer lieben Haus­tie­re. Über 40 Prozent der Haus­hal­te besit­zen mindes­tens einen Hund, eine Katze oder Fische, Vögel und Nager. In der Schweiz lebten 2022 rund 0,5 Millio­nen Hunde und rund 1,8 Millio­nen Katzen. Doch nicht immer schaf­fen wir es, unse­re Verpflich­tung gegen­über den Tieren wahr­zu­neh­men. Das merken auch die Verant­wort­li­chen: «Die Zahl der abge­ge­be­nen Tiere ist in den vergan­ge­nen Jahren immer stär­ker gestie­gen», sagt Marcel Jung.

«Die Zahl der abge­ge­be­nen Tiere ist in den vergan­ge­nen Jahren immer stär­ker gestie­gen», sagt Marcel Jung.

Gebüh­ren schre­cken ab

Im vergan­ge­nen Jahr hat der Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg Schlag­zei­len gemacht. Es war die Rede von einer Katzen­schwem­me und von einem drohen­den Aufnah­me­stopp. Ende 2023 waren 40 Samt­pfo­ten in der Vermitt­lung. Mitt­ler­wei­le habe sich die Situa­ti­on beru­higt und die Zahl abge­ge­be­ner Tiere sei gerin­ger als im Vorjahr, sagt Marcel Jung. «Aber gera­de zur Feri­en­zeit merken wir leider immer einen Anstieg.» Das Problem: Heute verlan­gen Tier­hei­me nicht selten Aufnahme- und Abga­be­ge­büh­ren. Damit sollen Kosten wie Futter und Tier­arzt­rech­nun­gen bezahlt werden. Für ein Tier­heim, das ausschliess­lich von Spen­den und Lega­ten lebt, ein notwen­di­ger Zustupf. «Viele Leute verste­hen das nicht und weigern sich, etwas zu zahlen. Sie scheu­en sich deshalb, das Tier ins Tier­heim zu brin­gen», erklärt Jung. Dies führe nicht selten dazu, dass die Besit­zer die ihnen über­drüs­sig gewor­de­nen Tiere vor der Feri­en­rei­se im Wald «entsor­gen». Von den 13 000 im Jahr 2022 in Schwei­zer Tier­hei­men abge­ge­be­nen Tieren waren rund 5128 Findel­tie­re. Marcel Jung kennt das leider nur zu gut. Erst vor weni­gen Tagen habe er wieder Meer­säu­li aufge­nom­men, die in einer Karton­schach­tel ausge­setzt wurden.

Im Büsi- und ­Papa­gei­en­hof in Mogels­berg warten viele Katzen auf ein neues Zuhause.

Verant­wor­tung fehlt

Ein Problem sieht Marcel Jung auch in der raschen Fort­pflan­zung der Katzen. Schät­zungs­wei­se 100 000 bis 300 000 Katzen in der Schweiz sind herren­los. Eine Kastrations- oder Chip-Pflicht gibt es bei uns nicht. «Eine solche wäre wünschens­wert», sagt Jung. Gera­de Bauern­hof­kat­zen würden sich oft unkon­trol­liert vermeh­ren. Dadurch sei auch die Gefahr der Über­tra­gung von Krank­hei­ten gross, was zu hohen Folge­kos­ten führen könne. Dies wieder­um stei­ge­re die Gefahr, dass Katzen ausge­setzt würden. Ein Teufels­kreis. Proble­ma­tisch sieht Marcel Jung auch die «Tren­di­sie­rung» bestimm­ter Rassen, spezi­ell bei Hunden. Durch Filme oder Social Media würden Tren­d­ras­sen entste­hen, die dann in kurzer Zeit aus «Pres­ti­ge­grün­den» vermehrt nach­ge­fragt werden, bis sie von neuen Tren­d­ras­sen abge­löst werden. Als Beispiel nennt Jung Mopse oder Pitbulls. Einen Hype hatte Anfang der 2000er-Jahre auch Hotel­er­bin Paris Hilton geschaf­fen, als sie ihren Chihua­hua über­all hin mitnahm und so den Begriff des Hand­ta­schen­hünd­chens präg­te. Marcel Jung verur­teilt solche Trends, zeigt aber auch Verständ­nis: «Wenn wir Menschen etwas unbe­dingt wollen, setzt manch­mal unser Verstand aus.» Gegen­über den Züch­tern hat Jung ein ambi­va­len­tes Verhält­nis: «Viele sind nicht seri­ös und über­schwem­men den Markt. Meist stehen mone­tä­re Inter­es­sen im Vorder­grund und nicht die Tiere.» Marcel Jung hat schon vieles gese­hen und trotz­dem gehen ihm die Geschich­ten immer noch nahe: «Ich würde mir so sehr mehr Verant­wor­tung von den Menschen gegen­über den Tieren wünschen.»

Ein Teufels­kreis: Durch Filme und Social Media werden immer wieder Tier­ras­sen gehypt.

Bezie­hun­gen aufbauen

Der Rund­gang im Tier­heim neigt sich lang­sam dem Ende zu. In den Gängen des Vogel­hau­ses kommt uns Laris­sa Gribi entge­gen. Sie nimmt sich Zeit für Kaka­du Julio. Zu diesem hat sie ein ganz beson­de­res Verhält­nis. Stolz sitzt er auf Gribis Schul­ter, zeigt seine schö­ne Haube in voller Pracht und nagt genüss­lich an der Lese­bril­le seiner Pfle­ge­rin. Für die Tiere ist der Kontakt zu den Menschen wich­tig. «Aber es sind nicht alle so zutrau­lich wie er», sagt Laris­sa Gribi und bringt Julio zurück zu seinen Artge­nos­sen in die Volie­re. Draus­sen im Zwin­ger bellt derweil ein schö­ner schwar­zer Misch­ling. Er ist nervös und springt am Gitter hoch. Tier­pfle­ge­rin Jenny Nigg sperrt ihn für eini­ge Minu­ten in sein Zimmer ein. «Zur Beru­hi­gung», wie sie sagt. Er sei sich noch nicht an die verän­der­te Umge­bung gewohnt. Auch der Rüde hat kein einfa­ches Leben hinter sich. Die Poli­zei hatte den Hund vorbei­ge­bracht, mit der Aussa­ge, der Besit­zer werde ihn am kommen­den Tag abho­len. Das war vor mehre­ren Mona­ten. Zwischen­zeit­lich hat der Besit­zer ange­ru­fen, er könne sich nicht mehr um den Hund kümmern. Eine Verzichts­er­klä­rung unter­schrieb er nicht, der Hund verbleibt entspre­chend im Tier­heim. «Ich kann nicht verste­hen, wie man eine solche Tatsa­che wegschie­ben und solche Entschei­dun­gen tref­fen kann», sagt Marcel Jung. Und Jenny Nigg fügt hinzu: «Es ist schon trau­rig, was man alles sieht, und die Menschen und ihr Verhal­ten machen mich nach­denk­lich.» Es sind alles Schick­sa­le, die die Tier­pfle­ger betrof­fen machen. «Was würden wir denn machen, wenn es keine Tier­hei­me mehr gibt?», fragt Marcel Jung rheto­risch. Das Tier­heim Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg ist unab­hän­gig und privat geführt. Um die Kosten zu decken, ist es auf Feri­en­gäs­te ange­wie­sen. «Wenn ich an die Sorgen und Proble­me denke, würde ich das alles nicht mehr machen. Aber es geht ums Tier. Und dafür würde ich das Risi­ko und die Heraus­for­de­run­gen immer wieder auf mich nehmen», sagt Jung, der sich für einen obli­ga­to­ri­schen Tier­schutz­fran­ken stark macht. «1 Fran­ken pro Jahr und Erwach­se­ner, das würde doch nieman­dem wehtun und würde den Tieren so viel brin­gen.» Jung ist sich sicher: «Dies würde auch die Frage nach der Verant­wor­tung gegen­über unse­ren Haus­tie­ren wieder mehr in den Fokus rücken.»

Marcel Jung star­te­te vor 20 Jahren mit einem Papageienhof.

Büsis brin­gen Geld

Ange­fan­gen hat alles vor genau 20 Jahren mit Papa­gei Pepi­to. Diesen hatte der gelern­te Plat­ten­le­ger unver­hofft geschenkt bekom­men. Nach und nach kamen weite­re – meist exoti­sche Vögel – in die Obhut von Marcel Jung. Die Volie­ren wurden mehr, das Geld weni­ger. Ein neuer Plan muss­te her, denn: «Mit Vögeln lassen sich keine Spen­den gene­rie­ren. Sie haben keinen Jöh-Effekt wie etwa Katzen», sagt Jung. So nahm er dann auch mit diesem Hinter­ge­dan­ken den ersten Fell­knäu­el bei sich auf – ein drei­bei­ni­ges, im Wald ausge­setz­tes Kätz­chen. Damit war der Start­schuss für das Tier­heim gelegt. Heute ist der Papageien- und Büsi­hof Mogels­berg gemäss Jungs Aussa­gen das einzi­ge Alters­heim für Papa­gei­en in der Schweiz und die einzi­ge Auffang­sta­ti­on, welche nicht züch­tet und handelt. Es ist mitt­ler­wei­le später Vormit­tag. Jenny Nigg war den ganzen Morgen damit beschäf­tigt, die Räume im Katzen­haus zu säubern und die Samt­pfo­ten zu verpfle­gen. Nun hat sie Pause. Diese verbringt sie mit ihrem eige­nen Vier­bei­ner. Auch Fusel fand über den Tier­schutz den Weg ins Tier­heim und schliess­lich zu seiner lieben­den neuen Besit­ze­rin. Und das drei­bei­ni­ge Kätz­chen? Es streift heute noch übers Areal und ist somit die ältes­te Mitbe­woh­ne­rin im Katzen­al­ters­heim, wo es umsorgt seinen Lebens­abend verbrin­gen darf.

Text: Ales­sia Pagani

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 23.08.2024

Damit wir bekommen, was wir uns erträumen

Braucht man sich tatsäch­lich etwas nur ganz fest zu wünschen und dann wird es real? ­Mani­fes­tie­ren heisst dieser Trend, der längst nicht mehr nur Promis begeis­tert. Doch was steckt hinter unse­ren Wünschen nach Reich­tum, Erfolg oder der gros­sen Liebe? Das ­Pfar­rei­fo­rum hat bei dem Theo­lo­gen und Podcas­ter Cars­ten Wolfers nachgefragt.

Cars­ten Wolfers, Sie sind ­Theo­lo­ge. Wurde schon einmal eines Ihrer Gebe­te erfüllt?

Ja, klar. Vor eini­gen Jahren befand ich mich beispiels­wei­se in einer fest­ge­fah­re­nen Situa­ti­on und wuss­te nicht, wie ich meine inne­re Haltung posi­ti­ver ausrich­ten soll­te. Mir hat es gehol­fen, Emotio­nen und Erleb­tes mit ins eige­ne Gebet zu nehmen und zu erfah­ren, dass auch ande­re Menschen mit mir fühlen und beten. Dadurch konn­te ich mich mit meiner Einstel­lung ausein­an­der­set­zen und mich zuver­sicht­li­cher stimmen.

Sich in einer posi­ti­ven ­Einstel­lung zu üben, ist auch Bestand­teil des ­Mani­fes­tie­rens. Was denken Sie über diesen Trend?

Mir stel­len sich die Fragen, weshalb es so viele verschie­de­ne Perso­nen anspricht und was da für ein Bedürf­nis dahin­ter­steckt. Das zu begrei­fen, ist für die eige­ne seel­sor­ge­ri­sche Praxis ein wich­ti­ger Punkt. Ich muss heraus­fin­den, wo ich Antwor­ten auf dieses Bedürf­nis zu mani­fes­tie­ren in der eige­nen Gemein­de, Kirche oder Spiri­tua­li­tät erken­ne. Aus diesem Grund höre ich auch regel­mäs­sig in verschie­dens­te Podcasts hinein, um mich darüber zu infor­mie­ren, was es alles auf dem spiri­tu­el­len Markt gibt. Zudem inter­es­sie­ren mich Podcasts, in denen es um das Mind­set geht, also eben darum, sich posi­tiv auf oder für etwas einzu­stel­len. So bin ich auch erst­mals auf das Mani­fes­tie­ren aufmerk­sam geworden.

Was bevor­zu­gen Sie, beten oder manifestieren?

Als Theo­lo­ge bevor­zu­ge ich es, zu beten. Aber man könn­te sich vom Mani­fes­tie­ren auch etwas abschau­en. Ich denke dabei etwa an Fürbit­ten in Gottes­diens­ten. Manch­mal sind diese so allge­mein formu­liert, dass ich hinter­her nicht wissen kann, ob Gott jetzt gehol­fen hat oder nicht. Und wenn ich etwas so allge­mein formu­lie­re, dann bedeu­tet  das unter Umstän­den auch, dass ich gar nicht erwar­te, dass Gott hilft. Ich plädie­re dafür, dass wir unse­re Wünsche und Hoff­nun­gen doch sehr viel konkre­ter vor Gott brin­gen soll­ten. So sagte auch Jesus: Schüt­te Gott dein Herz aus, klop­fe an und dir wird aufgetan.

Persön­li­che Wünsche in einer Fürbit­te vor der Gemein­de ­vorzu­brin­gen, erfor­dert aber schon Mut. Viel­leicht ist es uns auch pein­lich und daher blei­ben wir lieber allgemein?

Da frage ich mich wirk­lich, wieso soll uns das pein­lich sein? In Gottes­diens­ten beten wir darum, im Glau­ben zu wach­sen und vorwärts­zu­kom­men. Wieso machen wir das nicht auch an konkre­ten Dingen fest? Ein Beispiel wäre Frie­den: Wir beten für die Ukrai­ne, weil der Krieg in den Nach­rich­ten ist und wir die Menschen dort nicht verges­sen wollen. Aber genau­so könn­te mein Herz in diesem Moment von einem Streit in der Nach­bar­schaft belas­tet sein. Dann könn­te ich in der Fürbit­te doch formu­lie­ren: Wir bitten für Frie­den, gera­de in unse­rer Stras­se. Was Gott daraus macht, ist ihre oder seine Sache. Wenn ich einen Wunsch habe, soll­te ich konkret blei­ben und das nicht verallgemeinern.

Cars­ten Wolfers ist Diakon in Seve­len und Podcas­ter bei sternenglanz.ch

Was ist mit Wünschen nach Geld, Ruhm und Erfolg: Was würde Gott dazu sagen?

Durchs Mani­fes­tie­ren kann ich lernen, dass ich diese Wünsche in der Tat habe. Durchs Gebet kann ich lernen, dass ich diese Wünsche getrost vor Gott plat­zie­ren kann. Denn was Gott damit macht, können wir nicht beein­flus­sen. Zudem kommt durchs Beten das Element der Selbst­kor­rek­tur dazu. Das macht einen wesent­li­chen Unter­schied zum Mani­fes­tie­ren aus. Ein Beispiel: Beim Mani­fes­tie­ren spre­che ich zum Beispiel «Ich werde reich sein» und warte dann darauf, dass es passiert. Im Gebet formu­liert man eher «Guter Gott, mach mich reich» und fügt dann etwas hinzu. Das kann zum Beispiel der Wunsch sein, sozi­al abge­si­chert zu sein oder sich wegen der finan­zi­el­len Situa­ti­on nicht immer Sorgen machen zu müssen. Oder es kann die Bitte sein, die Hilfs­be­dürf­ti­gen nicht verges­sen zu lassen. Die Nächs­ten­lie­be ist immer Bestand­teil des Gebets, schon allei­ne dadurch, dass ich Gott liebe. Ich kann mich also nicht wie beim Mani­fes­tie­ren in einer Auto­sug­ges­ti­on verlieren.

Als Gebets­an­fän­ger könn­te man nun etwas verun­si­chert sein, wie das Ganze funk­tio­niert. Welches Gebet empfeh­len Sie jenen, die Beten einmal auspro­bie­ren wollen?

Man könn­te einen Satz oder ein paar Worte aus einem bekann­ten Gebet wie dem Vater­un­ser heraus­grei­fen wie «Gib mir täglich Brot» und dann mit etwas Persön­li­chem ergän­zen. Gera­de für einen Anfän­ger darf das sehr exis­ten­zi­ell und konkret sein. Daher würden sich wohl auch ein Herzens­ge­bet oder ein Stoss­ge­bet gut eignen, etwa in dem ich in einer bestimm­ten Situa­ti­on nur bete «Gott, hilf mir».

Um zurück aufs Mind­set und das Mani­fes­tie­ren zu kommen. Macht uns Beten eben­falls positiver?

Natür­lich. Voraus­set­zung ist aber, dass der Glau­be mit Frie­de, Verzei­hung, Liebe, Hoff­nung, Gelas­sen­heit und Zuver­sicht gefüllt ist.

Mani­fes­tie­ren ist unter ande­rem auch im Trend, weil sich viele Menschen durch die Pande­mie und Krisen fremd­be­stimmt fühl­ten. Wie ist das beim Beten: Stel­len Sie ange­sichts der aktu­el­len Krisen fest, dass mehr Menschen beten?

Das ist schwie­rig fest­zu­ma­chen, weil Beten haupt­säch­lich im Priva­ten geschieht. In den Kirchen können wir aber gut fest­stel­len, dass mehr Kerzen ange­zün­det werden. Wenn diese Hand­lung von der Hoff­nung oder Sehn­sucht beglei­tet ist, dass Gott für uns Licht sein möge, dann ist das Anzün­den von Kerzen übri­gens auch ein Gebet, das  sich für alle eignet.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Thomas Egger/Filmacherei für Sternenglanz

Veröf­fent­li­chung: 25. Juli 2024

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
Webergasse 9
9000 St.Gallen

+41 71 230 05 31
info@pfarreiforum.ch