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Eine Insel im Ausnahmezustand

Beschau­lich zeigt sich die Insel Reichen­au auf den ersten Blick. Mit der 1300-jährigen Kloster­geschichte hat sie aber eine Vergan­gen­heit, die das benach­bar­te St. Gallen zwischen­zeit­lich neidisch werden lässt. Das Jubi­lä­um ist Anlass für eine klei­ne Insel­tour des Pfarreiforums.

Dieses Jahr ist der Wahn­sinn. So etwas habe ich kaum erlebt. Und ich mache das schon seit 30 Jahren», sagt Brigit­te Ott-Penzkofer, die an diesem Tag in die Schatz­kam­mer im Müns­ter St. Maria und Markus auf der Insel Reichen­au führt. Gegen 60 Perso­nen drän­gen sich vor dem Eingang um die Gäste­füh­re­rin. Gleich wird sie mit den Besu­che­rin­nen und Besu­chern in die Geschich­te des Klos­ters eintau­chen und die Schatz­kam­mer besich­ti­gen. Diese enthält unter ande­rem wert­vol­le Reli­qui­en­schrei­ne wie jenen aus dem Jahr 1305, der Gebei­ne des Evan­ge­lis­ten Markus enthält. «Diesel­be Führung habe ich auch schon mit nur vier bis fünf Perso­nen gemacht», sagt Brigit­te Ott-Penzkofer. In diesem Jahr, in dem die Insel ihr 1300-Jahr-Jubiläum feiert, befin­de sich aber alles im Ausnah­me­zu­stand. Wich­tig ist das Jubi­lä­um, weil der später heilig­ge­spro­che­ne Wander­bi­schof Pirmi­ni­us im Jahr 724 das Klos­ter Reichen­au grün­de­te – und danach auf der Insel so viele histo­risch bedeu­ten­de Dinge gescha­hen, dass man als Nicht­his­to­ri­ke­rin und ‑histo­ri­ker vor Über­ra­schung nur stau­nen kann (siehe Zeitachse).

Split­ter vom Kreuz Christi

Die Recherche-Tour des Pfar­rei­fo­rums fällt nicht auf einen belie­bi­gen Tag im Jubi­lä­ums­jahr, sondern auf den Frei­tag vor dem Wochen­en­de des Heilig-Blut-Fests Ende Mai. Das ist der höchs­te Feier­tag der Insel. Bei der Reichen­au­er Heilig-Blut-Reliquie handelt es sich um ein vergol­de­tes byzan­ti­ni­sches Abts­kreuz, das der Über­lie­fe­rung nach Split­ter vom Kreuz Chris­ti und ein blut­ge­tränk­tes Tuch enthal­ten soll. Die Insel ist heraus­ge­putzt: Gelb-weisse Bänder schmü­cken den Chor­raum im Klos­ter, die Heil­kräu­ter­bee­te sind gepflegt und auf der ganzen Insel sind die Cafés und klei­nen Läden liebe­voll deko­riert. Auch die Gäste­lis­te für das Heilig-Blut-Fest steht fest: Der St. Galler Bischof Markus Büchel wird aus histo­ri­scher Verbun­den­heit als Ehren­gast die Fest­pre­digt im Müns­ter halten. Mit Bildern, Text und einem kurzen Film­bei­trag doku­men­tiert ist das etwa durch den mitt­ler­wei­le erschie­nen SWR-Beitrag «Insel Reichen­au feiert das Heilig-Blut-Fest», in dem Bischof Markus während der Predigt oder der Prozes­si­on zu sehen ist, bei der die Heilig-Blut-Reliquie über die Insel getra­gen wird. 

In Vergan­ge­nes eintauchen

Wie war das noch mal mit Reichen­au und St. Gallen? Auf der Insel stehen weite­re Führun­gen wie jene zur Klos­ter­ge­schich­te zur Auswahl, die etwa darauf eingeht, wie in Reichen­au der berühm­te St. Galler Klos­ter­plan entstan­den ist. Eine ande­re Möglich­keit ist es, sich mit einem der zahl­rei­chen über die Insel Reichen­au erschie­ne­nen Sach­bü­cher oder Krimis auszu­rüs­ten und so in die Vergan­gen­heit der Insel einzu­tau­chen. Wir entschei­den uns für das neus­te Buch «Reichen­au – Insel der Geheim­nis­se», das Erzäh­lun­gen verschie­de­ner Best­stel­ler­au­torin­nen histo­ri­scher Roma­ne enthält. Mit dem Velo geht es entlang der gut ausge­schil­der­ten Velo­rou­te hinauf zur Hoch­wacht, einem Aussichts­punkt, von dem aus sich die 4,5 Kilo­me­ter lange und 1,5 Kilo­me­ter brei­te Insel über­bli­cken lässt. Auf der Hoch­wacht gibt es ein Café, gros­se, Schat­ten spen­den­de Bäume und Sitz­bän­ke. Dort fällt die Wahl auf die Erzäh­lung «Morcheln im Winter und der sehr gros­se Fisch» , die in das Jahr 956 nach Chris­tus führt. Es ist die Zeit, in der Reichen­au eines der wich­tigs­ten Klös­ter des Mittel­al­ters und Zentrum der Buch­ma­le­rei war. Die Reichen­au­er Biblio­thek gehör­te damals zu den gröss­ten im Heili­gen Römi­schen Reich, Schreib­werk­statt und Klos­ter­schu­le waren berühmt. Die Haupt­per­son der Erzäh­lung, Benno, hat nun das Glück, als Knabe in das Klos­ter Reichen­au aufge­nom­men zu werden. Dank seines Talents für die Schreib­kunst und Buch­ma­le­rei darf er später als junger Mann wich­ti­ge Hand­schrif­ten und Bücher kopie­ren. Eines Tages beauf­tragt ihn der Abt, eines der kopier­ten Bücher in das Klos­ter St. Gallen zu brin­gen. Mit dem dort ansäs­si­gen Mönch Notker gerät Benno nach seiner Ankunft in einen Wett­streit darüber, welche Biblio­thek die schö­ne­ren Bücher enthält und welches Klos­ter das bedeu­ten­de­re sei. Nach eini­gen Krügen Bier behaup­tet Notker, dass im St. Galler Klos­ter­gar­ten sogar im Winter Morcheln wach­sen würden. Benno wieder­um erzählt von den gros­sen «Atlant­fi­schen» im Boden­see um die Insel Reichen­au herum, die so lang seien wie zwei Männer.

Durch Sonnen­licht erstrahlt

Was wohl zum Nieder­gang des Klos­ters Reichen­au und dessen Auflö­sung im 1757 führ­te? Und konn­te das Klos­ter tatsäch­lich einzig durch den Streit zwei­er Äbte auf nur zwei Mönche schrump­fen? Auch dazu gäbe es im Buch histo­ri­sche Erzäh­lun­gen oder wahl­wei­se Bilder, Ausstel­lungs­tex­te und Tonauf­nah­men in der extra fürs Jubi­lä­um lancier­ten kosten­lo­sen App «Reichen­au». Diese enthält Infor­ma­tio­nen zu allem, was man über die Insel wissen muss. Die Gedan­ken kehren aber zurück zur Führung durchs Müns­ter von Brigit­te Ott-Penzkofer. Sie erzählt, wie der Kaiser jeweils im West­flü­gel im Müns­ter auf einer Empo­re hinter dem Markus­al­tar Platz genom­men habe und dort durch das Sonnen­licht erstrahl­te, das durch die Fens­ter fiel. «Da waren alle geblen­det», sagt sie mit einem Augen­zwin­kern. Zum Schluss folgt der Besuch der Schatz­kam­mer mit ihren Kunst­wer­ken und Reli­qui­en­schrei­nen. Diese gehö­re zusam­men mit dem Klos­ter­gar­ten und dem klos­ter­ge­schicht­li­chen Teil des Muse­ums Reichen­au im Bereich Einrich­tun­gen zu den Haupt­an­zie­hungs­punk­ten, sagt Karl Wehr­le, Touris­mus­chef von Reichen­au, auf Anfra­ge. Die Insel Reichen­au verzeich­net 250 000 Über­nach­tun­gen pro Jahr. Die Tages­gäs­te werden auf 750 000 bis 1 000 000 jähr­lich geschätzt. Wie viele es im Jubi­lä­ums­jahr sein werden, könne nur gefühlt geschätzt werden. Aber es bestehe der Eindruck, dass es mehr seien als sonst, sagt Wehr­le. Schul­ter an Schul­ter stehen die Besu­che­rin­nen und Besu­cher in der klei­nen Schatz­kam­mer, die früher als Sakris­tei dien­te. Was mehr beein­druckt, ist schwer zu sagen: Die detail­liert gefer­tig­ten Schrei­ne und Kunst­wer­ke selbst oder die zahl­rei­chen Geschich­ten und Über­lie­fe­run­gen, die jeder einzel­ne Schatz birgt.

Text und Bilder: Nina Rudnicki

Veröf­fent­li­chung: 21. Juni 2024

Am Open Air für andere unterwegs

Vier Tage lang mit Freun­den Musik und Konzer­te genies­sen und den Ausnah­me­zu­stand im Sitter­to­bel miter­le­ben: Jugend­ar­bei­ten­de und Mitar­bei­ten­de des Care Teams erzäh­len, welche Chan­cen und Heraus­for­de­run­gen das gera­de für junge  Menschen mit sich bringt.

Das Open Air St. Gallen hat Thomas Fuhrer erst­mals vor drei Jahren besucht. Er bevor­zugt eigent­lich Festi­vals mit einer ande­ren musi­ka­li­schen Ausrich­tung. «Ich mag Heavy Metal», sagt der 28-Jährige, der als katho­li­scher Jugend­ar­bei­ter in der Stadt St. Gallen arbei­tet. An Heavy-Metal-Festivals gefal­le ihm nebst der Musik die fried­li­che Stim­mung. Als Beispiel erzählt er von einem Kolle­gen, der aus betrun­ke­nem Leicht­sinn einem völlig Frem­den seine Kredit­kar­te zur siche­ren Aufbe­wah­rung zusteck­te. «Am nächs­ten Morgen liefen sich die beiden zufäl­lig über den Weg  und der Frem­de sagte: ‹Hey, ich habe übri­gens noch deine Karte›», sagt Thomas Fuhrer und lacht. Ob das nun typisch für ein Heavy-Metal-Festival oder einfach nur Glück gewe­sen sei, wisse er natür­lich nicht.

Als Pfadi am Festival

Seine Motivation, ans Open Air St. Gallen zu gehen, ist eine ande­re. Seit eini­gen Jahren ist er im Care Team beider Appen­zell dabei. Geschieht beispiels­wei­se ein Unfall oder ein ande­res Ereig­nis mit seeli­schen Extrem­be­las­tun­gen, unter­stützt er unmit­tel­bar die Ange­hö­ri­gen. «Als ich dann vor drei Jahren erfuhr, dass das Care Team vom Open Air St. Gallen Mitglie­der sucht, hat mich das sofort ange­spro­chen. Das war für mich eine neue Heraus­for­de­rung», sagt er. Am Open Air St. Gallen liegt ihm noch etwas Weite­res am Herzen. Thomas Fuhrer ist Präses der Pfadi Zentrum St. Gallen. Deren Leitungs­team geht seit Jahren zusam­men ans Open Air. «Ich schaue während des Festi­vals natür­lich auch beim Zelt­platz meiner Pfadi vorbei. Dann bin ich aber privat unter­wegs», sagt er. Dass die Pfadis das seit Jahren so machen und gemein­schaft­lich am Festi­val seien, beein­dru­cke ihn. «Ich denke, gera­de in einer Grup­pe, die sich seit Langem kennt, ist das Verant­wor­tungs­be­wusst­sein gross», sagt er und ergänzt: «Wer beispiels­wei­se an heis­sen Open-Air-Tagen viel Wasser trinkt, macht schon einmal ziem­lich viel rich­tig.» Besorg­ten Eltern rät er, Vertrau­en zu haben und nachts das Handy anzu­las­sen. «Deren Nach­wuchs soll wissen, dass er sich jeder­zeit melden kann», sagt er.

Aus Lange­wei­le pöbeln

Wider­spre­chen möch­te Thomas Fuhrer der These, dass vor allem Jugend­li­che am Open Air beson­de­ren Risi­ken ausge­setzt sind. «Von über­mäs­si­gem Alko­hol­kon­sum oder Gewalt­er­fah­run­gen sind auch Erwach­se­ne betrof­fen», sagt er. So sei ihm vor allem ein Erleb­nis in Erin­ne­rung geblie­ben. Bei der Tele­fon­num­mer des Care Teams habe sich einmal ein Mann gemel­det, dem es lang­wei­lig gewe­sen sei und der daher will­kür­lich Leute ange­pö­belt habe. «Er rief uns an, und erwar­te­te zwei stäm­mi­ge Securitas-Mitarbeiter», sagt Thomas Fuhrer. Als der Pöbler dann ihn und seine Kolle­gin vom Care Team gese­hen habe, beide eher schmäch­tig, habe er gelacht und gemeint, nun werde wohl nichts aus einer Schlä­ge­rei. «So etwas verwun­dert einen schon», sagt Thomas Fuhrer.

Wie sieht es Back­stage beim Open Air St. Gallen aus? Wie sind die Band­gar­de­ro­ben einge­rich­tet und wie ist es, auf der Bühne zu stehen? Weni­ge Tage bevor das Festi­val Ende Juni beginnt, wird die refor­mier­te Reli­gi­ons­päd­ago­gin Tanja Mäder mit Jugend­li­chen und jungen Erwach­se­nen das Gelän­de bege­hen. Bis zu 40 Perso­nen können sich für den Rund­gang anmel­den, den Tanja Mäder in diesem Jahr zum ersten Mal für junge Erwach­se­ne orga­ni­siert. Führungen am Open Air St. Gallen, vor allem für Firmen, macht sie aber seit über 20 Jahren. «Als kirch­li­che Mitar­bei­ten­de ist es nicht einfach, mit jungen Erwach­se­nen in Kontakt zu kommen und in Kontakt zu blei­ben, da diese einen ziem­lich vollen Alltag und die verschie­dens­ten Inter­es­sen haben», sagt die 52-Jährige. Daher sei in Zusam­men­ar­beit mit der Kirch­ge­mein­de Gaiser­wald und der Fach­stel­le kirch­li­che Jugend­ar­beit DAJU die Idee mit den Führun­gen entstan­den. «Über span­nen­de Themen rund ums Open Air wollen wir mit den jungen Erwach­se­nen ins Gespräch kommen und zeigen, dass es uns gibt und dass sie mit allen Anlie­gen auch zu uns kommen können», sagt sie.

Fürein­an­der einstehen

Span­nend wird es alle­mal. Nach so vielen Jahren Enga­ge­ment am Open Air kann Tanja Mäder aus dem Nähkäst­chen erzäh­len, etwa von den Sonder­wün­schen eini­ger Bands. So soll­ten einmal alle M&M’s einer bestimm­ten Farbe aussor­tiert werden, weil diese einem Musi­ker nicht schmeck­ten. Nebst span­nen­den Fakten rund ums Open Air möch­te Tanja Mäder auch Werte vermit­teln. Es sind Werte, die ihr gera­de als kirch­li­che Jugend­ar­bei­te­rin beson­ders wich­tig sind. Dazu gehö­ren fürein­an­der da sein und einste­hen sowie der Zusam­men­halt als Gemein­schaft. «Das beein­druckt mich auch am Open Air immer wieder. Die Stim­mung ist eigent­lich sehr fried­lich und wenn etwas passiert, beob­ach­te ich vor allem bei jungen Menschen, wie gross die gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zung ist», sagt sie. Als Eltern mache man sich natür­lich Sorgen. Aber wer seinen Kindern durch die Erzie­hung gute Werte mit auf den Weg gege­ben habe, der müsse auch loslas­sen und die Kinder eige­ne Erfah­run­gen machen lassen können. Den Jugend­li­chen rät sie, mit guten Freun­den in der Grup­pe unter­wegs zu sein sowie sich bei Problemen an das Care Team oder die Sani­tä­te­rin­nen und Sani­tä­ter zu wenden.

Dersel­be Kern

Vor 39 Jahren besuch­te Tanja Mäder erst­mals selbst das Open Air St. Gallen. In all diesen Jahren habe sich das Open Air stark verän­dert. «Es ist von einem Dorf zu einer Stadt gewach­sen, mit einem Super­markt, Bazar-Ständen und verschie­de­nen Bühnen. Zudem ist alles profes­sio­nel­ler orga­ni­siert», sagt sie und fügt an: «Aber der Kern, die Stim­mung und dass die Menschen und vor allem die jungen Menschen gemein­sam etwas Schö­nes erle­ben wollen, ist nach wie vor gleich.»

«Das Open Air St. Gallen ist wie eine klei­ne Stadt, in der alles zusam­men­kommt, nur konzen­trier­ter als sonst im Alltag. Gera­de für Jugend­li­che, die viel­leicht zum ersten Mal an ein Open Air gehen, ist das ein beson­de­res Erleb­nis», sagt Sandra Köst­li. Die 36-Jährige leitet seit diesem Jahr das Care Team des Festi­vals. Die 27 Ehren­amt­li­chen des Care Teams helfen Perso­nen, die in eine Krise gera­ten – an einem Festi­val­tag im Schnitt fünf Mal.

Aufein­an­der achten

Sandra Köst­li ist seit 2016 mit dabei. «Verän­dert hat sich in dieser Zeit vor allem, dass das Thema Aware­ness immer wich­ti­ger wurde. Die Festi­val­be­su­che­rin­nen und ‑besu­cher sind sensi­bi­li­sier­ter dafür, wie wich­tig es ist, aufein­an­der zu achten und zu helfen, wenn jemand auf Unter­stüt­zung ange­wie­sen ist», sagt sie. Beein­druckt sei sie beispiels­wei­se immer wieder davon, wie gut gera­de junge Erwach­se­ne und Jugend­li­che als Grup­pe auf die Einzel­nen aufpas­sen würden, wenn es diesen nicht gut geht.

Dem Alltag entfliehen

Neue Musik entde­cken, verschie­de­nes Essen auspro­bie­ren, neue Leute kennen­ler­nen und Teil der Open-Air-Gemeinschaft sein: All das bringt laut Köst­li viele Chan­cen und schö­ne Erleb­nis­se gera­de auch für Jugend­li­che mit sich. «Ausser­dem können sie einmal dem Alltag mit all seinen Struk­tu­ren entflie­hen und vier Tage Ausnah­me­zu­stand erle­ben», sagt sie. Das brin­ge aller­dings auch Heraus­for­dern­des mit sich: Viel­leicht gerät man in eine unan­ge­neh­me Situa­ti­on, mit der man nicht umge­hen kann. Man könn­te Gewalt erle­ben, zu viel getrun­ken haben oder es könn­te ein Unfall gesche­hen. Vor eini­gen Jahren brach in einem Stroh­la­ger beispiels­wei­se ein Brand aus. Es gab zwar keine Verletz­ten, aber Perso­nen, die alles verlo­ren, was sie dabei hatten. «Immer dann, wenn Perso­nen in Not sind, aber keine körper­li­che Gefahr besteht, kommen wir vom Care Team ins Spiel», sagt Sandra Köst­li, die sozia­le Arbeit studiert hat. «Wir schau­en, was die Betrof­fe­nen brau­chen. Ob sie zum Beispiel nach Hause gehen oder am Festi­val blei­ben möch­ten oder ob wir allen­falls den Kontakt zur Opfer­hil­fe herstel­len sollen.»

Sich auf Freun­de verlassen

Das Care Team hat am Open Air einen Contai­ner, ist aber auch auf dem Gelän­de unter­wegs. «Gera­de die Jugend­li­chen und jungen Erwach­se­nen begeg­nen uns sehr offen und inter­es­siert», sagt sie und fügt an: «Ich denke, dass die Themen ‹Aware­ness› und ‹Aufmerk­sam sein› durch die Sensi­bi­li­sie­rungs­ar­beit des Open Airs bei der heuti­gen Jugend stär­ker veran­kert ist als früher.» Tipps, die Sandra Köst­li jungen Menschen mit auf den Weg gibt, die zum ersten Mal ein Festi­val besu­chen, sind: Mit Perso­nen zusam­men hinge­hen, auf die man sich verlas­sen kann. «Und wenn man merkt, dass einem vier Tage Menschen­mas­se, Hitze oder Kälte sowie der Lärm zu viel sind, soll man einfach einmal eine Pause einle­gen. Man könn­te viel­leicht kurz heim­ge­hen und dann ausge­ruht ans Festi­val zurückkommen.»

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontou­lis / zVg. 

Veröf­fent­li­chung: 23.5.2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Neue Wege zur Erstkommunion

Zahl­rei­che Kinder und Fami­li­en feiern in diesem Früh­ling Erst­kom­mu­ni­on. Worauf freu­en sie sich? Was bedeu­tet ihnen das Fest? Das Pfar­rei­fo­rum hat den Eltern-Kind-Vorbereitungstag in Nieder­uz­wil besucht und den neuen ausser­schu­li­schen Erst­kom­mu­ni­on­weg kennengelernt.

Es duftet nach frisch­ge­ba­cke­nem Brot. Im Eingangs­be­reich des Pfar­rei­zen­trums in Nieder­uz­wil formt eine Grup­pe Kinder weite­ren Teig zu Bröt­chen. Später an diesem Eltern-Kind-Vorbereitungstag auf die Erst­kom­mu­ni­on sollen diese an der Abschluss­fei­er geteilt werden. Mitten unter den Kindern arbei­tet die Dritt­kläss­le­rin Gloria. Ihre Mutter Sara steht neben dem Tisch. «Ich selber hatte meine Erst­kom­mu­ni­on in Rorschach. Aber an eine so schö­ne Vorbe­rei­tung kann ich mich nicht erin­nern. Mir fällt nur der Marsch ein, den wir Kinder an der Erst­kom­mu­ni­on durch Rorschach mach­ten», sagt die Kate­che­tin in Ausbil­dung. Der neue Erst­kom­mu­ni­on­weg in Nieder­uzwil beglei­tet die Kinder hinge­gen während eines Jahres. Es gibt zehn Tref­fen, die unter ande­rem aus Grup­pen­stun­den, Ausflü­gen, einer Tauf­erin­ne­rung, dem Vorbe­rei­tungs­tag, Proben für die Erst­kom­mu­ni­on und der Erst­kom­mu­ni­on bestehen. «Die Kinder bekom­men viel mit und erle­ben Schö­nes mit Gleich­alt­ri­gen», sagt Sara. Umso grös­ser sei die Freu­de in diesem Jahr, weil die Erst­kom­mu­ni­on ihres älte­ren Kindes wegen Coro­na nicht in der Gemein­schaft gefei­ert werden konn­te. «Vor allem meine Mutter, also Glori­as Gross­mutter, in Spani­en war sehr trau­rig. Sie konn­te nur per Live-Stream dabei sein», sagt Sara. In diesem Jahr seien hinge­gen 25 Perso­nen einge­la­den. Nach der Feier zur Erst­kom­mu­ni­on am 5. Mai gehe es ins Restaurant.

Dann ist es Zeit für Gloria, zum nächs­ten Posten im Pfar­rei­zen­trum zu gehen: Dort werden die Masse für das Blumen­kränz­chen und die Gewän­der genom­men. Die Primar­schü­le­rin freut sich auf die Erst­kom­mu­ni­on. «Wir essen in einem Restau­rant, in dem es geba­cke­ne Cham­pi­gnons gibt. Und ich werde unter meinem Gewand ein ganz beson­de­res Dirn­del tragen, das aus Deutsch­land kommt», erzählt die 8‑Jährige. Am Erst­kom­mu­ni­on­weg habe ihr vor allem der Ausflug zur Hosti­en­bä­cke­rei gefal­len. «Ausser­dem haben wir vieles über den Minis­tran­ten­dienst erfah­ren und gese­hen, was die alles Span­nen­des machen.»

Ein Netz­werk für Familien

Den neuen Weg zur Erst­kom­mu­ni­on gibt es in Nieder­uz­wil erst­mals seit diesem Schul­jahr. Die Tref­fen finden alle ausser­schu­lisch statt. Einge­führt wurde das, weil teils Kinder ökume­nisch unter­rich­tet werden und somit nicht alle Kinder einer Reli­gi­ons­klas­se für die Erst­kom­mu­ni­on vorbe­rei­tet werden können. 25 Kinder sind es in Nieder­uz­wil in diesem Jahr, die auf diese Weise die Vorbe­rei­tung zur Erst­kom­mu­ni­on nutzen. «Das hat Vortei­le. Als Grup­pe haben wir alles dassel­be Ziel. Früher, im schu­li­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt, waren hinge­gen immer Kinder mit dabei, die keine Erst­kom­mu­ni­on hatten», sagt Manue­la Trunz. Die Reli­gi­ons­päd­ago­gin ist in diesem Jahr für den Eltern-Kind-Vorbereitungstag zustän­dig, der in Nieder­uz­wil seit über fünf­zehn Jahren jeweils ­eini­ge Wochen vor der Erst­kom­mu­ni­on statt­fin­det. «In Nieder­uz­wil hatten wir schon immer ein gutes Netz­werk und ein gros­ses Ange­bot für Fami­li­en», sagt sie und fügt an: «Dieses Mal sind wir vergleichs­wei­se ein klei­ne Grup­pe. In ande­ren Jahren haben auch schon um die 40 Kinder zusam­men Erst­kom­mu­ni­on gefeiert.»

Mühle, Tech­nik und Mandalas

Rück­mel­dung zum neuen Weg zur Erst­kom­mu­ni­on hat Manue­la Trunz bislang nur posi­ti­ve erhal­ten. «Vor allem die drei Ausflü­ge, von denen sich die Kinder für einen anmel­den muss­ten, haben allen gefal­len», sagt sie. Der 9‑Jährige Joel beispiels­wei­se hat gleich bei allen drei mitge­macht. Ausser zur Hosti­en­bä­cke­rei ging es zu einem Rebberg und in eine Mühle. «Die Mühle fand ich am span­nends­ten, weil ich Tech­nik liebe», sagt er. Mit seiner Mutter Conny ist er beim Posten «Andenken gestal­ten» gera­de damit beschäf­tigt, auf einem Holz­brett mit Nägeln und bunten Gummi­schnü­ren ein Manda­la zu gestal­ten. «Jesus, meine Mitte»: Das Motto des Manda­las ist vorge­ge­ben, bei der Umset­zung können die Kinder ihrer Krea­ti­vi­tät aller­dings frei­en Lauf lassen. «Die Vorbe­rei­tung auf die Erst­kom­mu­ni­on ist toll und viel span­nen­der als die Kirche», sagt er. «Dort muss man immer still sitzen und Kinder verste­hen viel­leicht nicht alles. Hier ist das anders.» Joels Mutter ist evangelisch-reformiert. Sie finde es schön, während dieses einen Jahres den Blick­win­kel ihres Kindes einzu­neh­men, sagt sie. Welche Gedan­ken den Eltern im Hinblick auf die Erst­kom­mu­ni­on durch den Kopf gehen, können sie beim Posten «Brie­fe für die Kinder» fest­hal­ten. In ruhi­ger Umge­bung schrei­ben sie dort Wünsche und Hoff­nun­gen für ihre Kinder auf. Die Brie­fe werden an der Feier im Mai übergeben.

Mit 60 Perso­nen feiern

«Wunder­schön finde ich all diese Vorbe­rei­tun­gen», sagt auch Matea, die zusam­men mit ihrer Toch­ter Mia ein Glas­kreuz gestal­tet. An diesem Posten bekle­ben die Kinder Glas mit bunten Glas­stü­cken, das später in einem Ofen gebrannt wird. «Das Basteln und die Erleb­nis­se mit meinen Freun­den gefal­len mir am besten», sagt Mia. Sie freue sich auf die Erst­kom­mu­ni­on und auf das gros­se Fest danach, zu dem 60 Perso­nen einge­la­den sind. Ihre Mutter Matea ergänzt: «Der Tag ist uns wich­tig und wir wollen ihn mit allen in der Fami­lie feiern.» Sie selbst hatte ihre Erst­kom­mu­ni­on in Kroa­ti­en. «Vorbe­rei­tun­gen mit Basteln und all den ande­ren Dingen hatten wir aller­dings nicht. Ich glau­be, wir lern­ten vor allem Texte und Lieder», sagt sie.

Probe­wei­se ministrieren

Was ist ein Taber­na­kel? Wie funk­tio­niert ein Einzug in die Kirche? Welche Gewän­der ziehen Minis­tran­ten an? Und wieso macht man eine Knie­beu­ge? In der Kirche gleich neben dem Pfar­rei­zen­trum ist es Zeit für den letz­ten Posten. Eini­ge Minis­tran­tin­nen und der Seel­sor­ger Paul Grem­min­ger erklä­ren den inter­es­sier­ten Prima­schü­le­rin­nen und Primar­schü­lern alles rund ums Minis­trie­ren. Nach der Erst­kom­mu­ni­on kann, wer möch­te, Minis­tran­tin oder Minis­trant werden. Mit gros­sen Augen und in den Gewän­dern, die die Kinder versuchs­wei­se anpro­bie­ren konn­ten, schau­en sie sich in der Kirche um. Dort, im Kreis um den Alter herum, werden sie auch an der Erst­kom­mu­ni­on stehen. Sie sind beein­druckt, gera­de auch vom Taber­na­kel. Der 9‑Jährige Joel streckt seine Hand auf und sagt: «Dass die Hosti­en hinter so einer dicken Panzer­tür aufbe­wahrt werden, hätte ich nicht gedacht.»

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Benja­min Manser

Veröf­fent­li­chung: 26. März 2024

Mit Stoffherz und offenem Ohr im Einsatz

Die Zahl der Betrof­fe­nen von psychi­schen Erkran­kun­gen nimmt zu. Trotz­dem ist das ­Thema noch immer ein gesell­schaft­li­ches Tabu und wird stig­ma­ti­siert. Auf ­einem Klinik­rund­gang in Pfäfers erzählt Klinik­seel­sor­ger Micha­el Ehrhardt von seiner Arbeit und warum wir alle nicht vor einer psychi­schen Erkran­kung gefeit sind.

Wenn Micha­el Ehrhardt und Pascal sich tref­fen, spre­chen sie über Gott und die Welt, über Unter­neh­mun­gen am Wochen­en­de, über Erleb­tes im Alltag. Das tun die beiden Männer regel­mäs­sig. Vergan­ge­ne Woche war das Tref­fen schwie­rig, das Gespräch harzig. An diesem Morgen ist die Stim­mung besser. Thema ist unter ande­rem der Hund von Pascals Mutter. Die Tref­fen mit dem Klinikseelsorger sind für Pascal ein Anker­punkt im Alltag. Der 50-Jährige leidet seit Jahren unter einer psychi­schen Erkran­kung. Seit rund vier Mona­ten ist er Pati­ent in der Psych­ia­tri­schen Klinik St. Pirmins­berg in Pfäfers. Man merkt schnell: Er ist nicht gerne hier, weiss aber, dass es notwen­dig ist. Oft und gerne sucht er den Raum der Stil­le auf und liest den Psalm 91 – «unter Gottes Schutz» heisst dieser. «Der Glau­be und dieser Ort sind sehr wich­tig für mich. Sie geben mir Halt und die manch­mal nöti­ge Ruhe», sagt Pascal. Die Bibel liegt vor den Männern auf dem Tisch, an der Wand hängt ein Bild – das Herz­stück des Raumes. Unwei­ger­lich fällt der Blick auf das Kunst­werk. Die bunten Farben strah­len Wärme und Zuver­sicht aus. Nicht nur Pascal, auch der Gast fühlt sich geborgen.

Der Raum der Stil­le gibt Pascal oft die nöti­ge Ruhe im Klinik­all­tag. Die Gesprä­che mit Klinik­seel­sor­ger Micha­el Ehrhardt schätzt er.

Bei Nicht-Betroffenen lösen die Themen Psych­ia­trie oder psychi­sche Erkran­kung oft Unbe­ha­gen aus. Ein Rund­gang in Pfäfers vermag dieses teil­wei­se zu nehmen. Die neue­ren Gebäu­de und die Pati­en­ten­zim­mer sind licht­durch­flu­tet und gross­zü­gig. Mit den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten kommt man schnell ins Gespräch, die Abtei­lun­gen sind gröss­ten­teils offen und die Mitar­bei­ten­den sind aufmerk­sam und zuvor­kom­mend. Micha­el Ehrhardt grüsst dort und winkt hier. Man kennt sich gut.

Zahlen stei­gen stetig

Die Klinik St. Pirmins­berg ist für 150 Perso­nen ausge­legt. Für allfäl­li­ge Notfäl­le wird es manch­mal eng. Dann helfen sich die Klini­ken gegen­sei­tig aus. Die Pati­en­ten­zah­len haben in den vergan­ge­nen zehn Jahren stetig zuge­nom­men, so Micha­el Ehrhardt. «Einer­seits ist der Druck in der Gesell­schaft gestie­gen, ande­rer­seits können wir weni­ger gut mit diesem Druck umge­hen.» Der Gross­teil der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten leidet gemäss dem 56-Jährigen unter Depres­sio­nen und den «gängi­gen» Krank­heits­bil­dern wie Schi­zo­phre­nie, Psycho­sen und Ängsten. 

Die Klinik St. Pirmins­berg in Pfäfers zählt 150 Betten und ist gut ausge­las­tet. Für Notfäl­le wird es teil­wei­se eng.

Abhän­gig­kei­ten sind häufig Begleit­erschei­nun­gen. Oft haben die Betrof­fe­nen keinen gere­gel­ten Tages­ab­lauf mehr oder ihnen wächst alles über den Kopf. Inne­hal­ten, zur Ruhe kommen und sich auf das Schö­ne im Leben fokus­sie­ren, sei dann wich­tig, so Micha­el Ehrhardt. Er arbei­tet seit rund zehn Jahren in einem 40-Prozent-Pensum in Pfäfers. Die übri­gen 60 Prozent über­nimmt sein refor­mier­ter Kolle­ge. Vor Kurzem wurde eine drit­te Seel­sor­ge­rin in einem 60-Prozent-Pensum ange­stellt. «In unse­rer Arbeit geht es vor allem darum, den Menschen Raum zu geben, dass sie erzäh­len können. Oft reicht es, einfach nur zuzuhören.»

Vom Wetter beeinflusst

Micha­el Ehrhardt ist für die Seel­sor­ge auf vier Statio­nen zustän­dig. Entwe­der ist er bei der Morgen­run­de, beim gemein­sa­men Mittag­essen oder am Nach­mit­tag bei der Kaffee­run­de dabei. Am Frei­tag feiert er jeweils einen Gottes­dienst, in dem persön­li­che Fürbit­ten eine wich­ti­ge Rolle spie­len. Dane­ben führt er Einzel­ge­sprä­che. Einen fixen Tages­ab­lauf gibt es für ihn nicht. Er ist da, wenn jemand etwas loswer­den oder einfach schwei­gend einen Spazier­gang unter­neh­men will. Das Ange­bot ist fakul­ta­tiv – Ehrhardt geht nicht aktiv auf die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten zu. Das würde auch wenig nützen. «Aufdrän­gen geht nicht. Manch­mal beschrän­ken wir uns auf ein ‹Hallo› auf dem Flur. Eini­ge verlas­sen sogar den Raum, wenn ich komme. Das akzep­tie­re ich.» 

Ein bekann­tes Gesicht in den Klinik­gän­gen: Micha­el Ehrhardt ist seit rund 10 Jahren als Seel­sor­ger in Pfäfers tätig.

Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ohne reli­giö­sen Bezug erreicht Micha­el Ehrhardt kaum. «Nicht selten werde ich als Projek­ti­ons­flä­che für nega­ti­ve Erfah­run­gen mit der Kirche gese­hen.» Auch das macht Ehrhardt nichts aus. Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten dürfen bei ihm «abla­den». Die Klinik liegt hoch ober­halb von Bad Ragaz und bietet einen schö­nen Blick ins Rhein­tal. Die Lage im Grünen macht sich Ehrhardt gerne zunut­ze und geht mit den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten nach draus­sen. «Die frische Luft und die Natur tut fast allen gut und beru­higt.» Allge­mein: Das Wetter hat gros­sen Einfluss auf das Wohl­be­fin­den und damit auf den Klinik­all­tag. «Wenn es tage­lang grau ist, sind die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten oft unaus­ge­gli­che­ner und wir haben mehr zu tun.» Ehrhardt schaut aus dem Fens­ter. Es ist ein sonni­ger Tag und verschie­de­ne Grup­pen kehren gera­de vom Morgen­spa­zier­gang zurück – ein wesent­li­cher Bestand­teil des Klinik­all­tags. Eben­so die ­Ergo­the­ra­pie und die Kunst­the­ra­pie. «Das sind Ausdrucks­for­men, die den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten helfen sollen, zu sich zu finden und ihren Gefüh­len Ausdruck zu verlei­hen. Sie sollen wieder lernen, sich mit etwas ausein­an­der­zu­set­zen, zu reflek­tie­ren und einem gere­gel­ten Tages­ab­lauf nachzugehen.»

Der Kunst kommt im Klinik­all­tag eine gros­se Bedeu­tung zu: «Es ist eine Ausdrucks­form, die den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten helfen soll, zu sich zu finden und ihren Gefüh­len Ausdruck zu verlei­hen», so Micha­el Ehrhardt.

Kein Zeit­druck

Die Pati­en­ten­schick­sa­le machen betrof­fen. Wenn Micha­el Ehrhardt über Menschen spricht, die den Lebens­mut verlo­ren haben, die keinen Antrieb haben, denen der Alltag fehlt, wird man trau­rig und nach­denk­lich – und ist gleich­zei­tig dank­bar. Der Seel­sor­ger aber wirkt gefasst. Er hat schon vieles miter­lebt und hat gelernt zu akzep­tie­ren. «Man würde sich ande­res wünschen für diese Perso­nen, aber mit Forde­run­gen kommt man nicht weit. 

Der Seel­sor­ger stösst in den Gesprä­chen mit den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten manch­mal an Grenzen.

Wenn jemand klei­ne Fort­schrit­te macht, ist das für mich ein High­light.» Die Erfolgs­chan­cen seien nicht immer gleich. Rund 350 Ange­stell­te sind in der Klinik St. Pirmins­berg tätig. Die Zusam­men­ar­beit ist gut – davon werden wir an diesem Tag Ende Janu­ar Zeuge. Beim Klinik­rund­gang geht eine Pfle­ge­kraft auf Ehrhardt zu. «Kannst du noch zu Frau B. gehen? Sie hat um ein Gespräch gebe­ten.» Ehrhardt bejaht freund­lich. Er sieht sich als Ergän­zung zur Behand­lung. Der Frage, warum es nebst dem psycho­lo­gi­schen Dienst in Klini­ken Seel­sor­ger braucht, entgeg­net er mit einem Lächeln – ganz so, als hätte er darauf gewar­tet: «Einer­seits sind wir die Fach­per­so­nen, wenn es um reli­giö­se oder spiri­tu­el­le Fragen geht oder jemand ein Gebet spre­chen, die Kommu­ni­on oder einen Segen empfan­gen möch­te. Manch­mal bin ich einfach Vermitt­ler, damit Sakra­men­te  wie Beich­te oder Kran­ken­sal­bung gespen­det werden können. Dazu werde ich dann auch spezi­ell ange­fragt. Ande­rer­seits kann ich mir oft mehr Zeit nehmen für die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten und arbei­te nicht nach einem Zeit­plan. Wenn immer den Betrof­fe­nen etwas auf dem Herzen liegt, bin ich da.» 

Micha­el Ehrhardt erreicht vor allem gläu­bi­ge Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Für sie orga­ni­siert er am Frei­tag jeweils einen Gottes­dienst mit Fürbittenherz.

Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten schät­zen das. «Manchen ist es wich­tig, dass sie ihre ganze Geschich­te erzäh­len können, ohne Zeit­druck und Unter­bre­chun­gen.» Diese Flexi­bi­li­tät bringt einen weite­ren Vorteil: Ehrhardt kann die Gesprä­che führen, wo immer es die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten wünschen. Das Setting, wie er es nennt, müsse für jeden Einzel­nen stim­men. Ehrhardt erzählt, wie er in den Gesprä­chen manch­mal an Gren­zen stos­se, wie heraus­for­dernd es zuwei­len sei, das Gegen­über aus der Reser­ve zu locken. Dann brau­che es einen Ansatz­punkt. Ehrhardt führt uns in die Klosterkirche. 

Die Klos­ter­kir­che der Klinik Pfäfers löst bei vielen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten Emotio­nen aus. Micha­el Ehrhardt nutzt dies gerne als Ansatzpunkt.

Der impo­san­te Barock­bau löst Stau­nen aus – auch bei vielen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. «Ihre Neugier­de wird geweckt. Sie fragen beispiels­wei­se, wie alt die Kirche ist, und schon sind wir in einem Gespräch, das dann oft auch tiefer geht.» Nebst reli­giö­sen Themen geht es oft auch um Lebens­fra­gen in Bezug auf die Fami­lie, Kinder oder die Arbeit. Fragen, die uns alle dann und wann herum­trei­ben – auch Ehrhardt selbst. «Ich erzäh­le dann aus meinem Leben und wie ich die Situa­ti­on handhabe.»

Noch immer Tabuthema

Die psych­ia­tri­schen Klini­ken und ihre Ange­bo­te haben sich in den vergan­ge­nen 30 Jahren stark gewan­delt. Während Jahr­zehn­ten wurde die Praxis der lebens­lan­gen Aufent­hal­te verfolgt. Das heisst, die Betrof­fe­nen wurden in Insti­tu­tio­nen «abge­scho­ben» und fris­te­ten ein meist einsa­mes Dasein. Eine Inter­ak­ti­on mit der Bevöl­ke­rung fehl­te. Seit der Klinik­re­form in den 1990er-Jahren steht die Reinte­gra­ti­on in die Gesell­schaft im Vorder­grund. «Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten sollen nur so lange wie nötig bei uns sein und so schnell wie möglich wieder in ihr gewohn­tes Umfeld und in ihren Alltag zurück­keh­ren», erklärt Klinik­di­rek­to­rin Gorda­na Heuber­ger. Heute beträgt die durch­schnitt­li­che Aufent­halts­dau­er in Pfäfers 32 Tage. 

Nur noch so lang wie nötig: Heute beträgt die durch­schnitt­li­che Aufent­halts­dau­er einer Pati­en­tin oder eines Pati­en­ten in Pfäfers rund 32 Tage. 

Wie Heuber­ger sagt, hat die Praxis­än­de­rung zur Akzep­tanz psychi­scher Erkran­kun­gen in der Bevöl­ke­rung beigetra­gen, das Thema aber nicht entta­bui­siert: «Es wird immer noch stig­ma­ti­siert. Wir Menschen werden immer Schwie­rig­kei­ten haben, um Hilfe zu bitten und diese anzu­neh­men. Wir wollen lieber Verant­wor­tung über­neh­men. Das geht aber nicht immer.» Und Micha­el Ehrhardt ergänzt: «Das Feld derje­ni­gen, die sich mit dem Thema beschäf­ti­gen, ist grös­ser gewor­den. Aber wir müssen akti­ver auf die Gesell­schaft zuge­hen und ihr zeigen, dass psychi­sche Erkran­kun­gen dazugehören.» 

Inter­es­se steigt

Klar ist: Auch künf­tig wird es psych­ia­tri­sche Klini­ken brau­chen. Die Bevöl­ke­rung muss lernen, die Betrof­fe­nen zu inte­grie­ren und als Teil der Gesell­schaft zu akzep­tie­ren. Vor diesem Hinter­grund freut es den Seel­sor­ger beson­ders, dass mitt­ler­wei­le auch auswär­ti­ge Gäste das Klinik­ca­fé besu­chen und kürz­lich eine Schul­klas­se für eine Führung ange­fragt hat. «Das ist eine gute Möglich­keit, uns zu zeigen und Vorur­tei­le abzu­bau­en», sagt Micha­el Ehrhardt, bevor er sich verab­schie­det. Er muss los, sein offe­nes Ohr ist gefragt. Der heuti­ge Tages­plan ist straff. Am Nach­mit­tag wird er die besag­te Pati­en­tin auf ihrem Zimmer besu­chen und sich mit Pascal noch einen Kaffee gönnen – wie oft nach erfolg­rei­chen Gesprä­chen. Pascal freuts und er dankt: «Es ist gut, dass Micha­el da ist. Er ist ein Guter.» Dann muss auch er gehen – es ist 11.40 Uhr und das Mittag­essen wartet seit zehn Minu­ten auf ihn.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 16. Febru­ar 2024

«Unsere Talente und unsere Zeit weitergeben»

«Der katho­li­sche Glau­be ist meine Kultur und meine freie Entschei­dung. Glau­ben ist für mich eine Akti­on, die von Herzen und aus tiefs­ter Über­zeu­gung kommt», sagt Psycho­the­ra­peu­tin Cate­ri­na Corea. Dem Pfar­rei­fo­rum erzählt die 46-Jährige, warum sie katho­lisch ist und wieso sie sich – auch ange­sichts der Miss­brauchs­stu­die – in der Kirche enga­giert.

Cate­ri­na Corea kommt knapp vor dem Termin an das Tref­fen. «Ein Notfall in der Klinik», entschul­digt sie sich. Man merkt schnell: Die Entschul­di­gung kommt von Herzen. Cate­ri­na Corea strahlt eine Wärme und ein Wohl­wol­len aus, die jede Warte­zeit verges­sen lassen. Die 46-jährige Psycho­the­ra­peu­tin ist seit zehn Jahren in der Klinik Teufen Group mit Stand­or­ten in Teufen und Rorschach tätig. Es ist eine anspruchs­vol­le Tätig­keit und eine fordern­de Zeit. Nicht selten arbei­tet die gebür­ti­ge Italie­ne­rin sechs Tage die Woche. «Seit der Pande­mie hat die Zahl der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten noch­mals zuge­nom­men», sagt Cate­ri­na Corea. Physisch sucht sie den Ausgleich im Sport und in der Gesell­schaft. Cate­ri­na Corea spielt gerne Golf und Tennis. 

Cate­ri­na Corea bezeich­net den Glau­ben als ihren Polar­stern. «An ihm orien­tie­re ich mich und rich­te mein Verhal­ten nach ihm aus.»

Psychisch ist es der Glau­be, der Cate­ri­na Corea Halt gibt: «Er gibt mir die seeli­sche Kraft für die ganze Woche», sagt sie. Den katho­li­schen Glau­ben bezeich­net sie als ihren Polar­stern im Alltag. «An ihm orien­tie­re ich mich und rich­te mein Verhal­ten und meine Entschei­dun­gen nach ihm aus.»

«Bewuss­ter, reifer Glaube»

Cate­ri­na Corea hat sich bewusst für die katho­li­sche Kirche entschie­den. Ihre Verbin­dung zum Glau­ben ist mit den Jahren immer stär­ker gewor­den. Aus der Tradi­ti­on, als Kind mit der Gross­mutter die Gottes­diens­te zu besu­chen, sei im Laufe der Jahre «ein bewuss­ter und reifer Glau­be» gewor­den. «Der katho­li­sche Glau­be ist meine Kultur und meine freie Entschei­dung. Glau­ben ist für mich eine Akti­on, die von Herzen und aus tiefs­ter Über­zeu­gung kommt.» Auch weil sie habe erfah­ren können, was Gott für sie bedeu­te: «Nämlich Liebe und Frei­heit», erklärt Corea. 

Cate­ri­na Corea ist häufig in der Kirche in Gold­ach anzu­tref­fen. Gottes­dienst­be­su­che gehö­ren zum festen Bestand­teil ihres Lebens.

Heute gehö­ren die sonn­täg­li­chen Besu­che der italie­ni­schen Messe in Gold­ach für Cate­ri­na Corea zur Pflicht. Wenn sie einen Gottes­dienst verpasst, besucht sie die Messe in Deutsch. Als Vorbild voran­ge­hen, nennt sie das. Denn für Cate­ri­na Corea ist der Glau­be nichts Abstrak­tes. «Wir müssen ihn leben und ihn mani­fes­tie­ren. Wir Katho­li­ken sind aufge­ru­fen, unse­ren Glau­ben weiter­zu­ge­ben. Jeder von uns soll­te ein Vorbild sein und den Glau­ben auch wirk­lich leben.»

Selbst­stän­dig in Italien

Cate­ri­na Corea ist vor zwölf Jahren in die Schweiz gekom­men. Dass der Weg sie nach Rorschach führen soll­te, war nicht geplant. Corea ist in Kala­bri­en im Süden Itali­ens aufge­wach­sen. Sie war selbst­stän­dig mit zwei eige­nen Praxen und hat sich poli­tisch enga­giert. Mit 33 Jahren stand Cate­ri­na Corea voll im Leben. Dann sehn­te sie sich nach einer Verän­de­rung und ging auf Reisen. Eine davon führ­te sie zu ihrem Bruder an den Bodensee. 

Cate­ri­na Corea hat ihre beiden Praxen in Itali­en aufge­ge­ben und sich am Boden­see eine neue Exis­tenz aufgebaut.

Don Piero Corea ist Pfar­rer bei der Missio­ne Catto­li­ca Italia­na der Katho­li­schen Kirche Regi­on St. Gallen-Rorschach. Cate­ri­na Corea fühl­te sich sogleich wohl in der Schweiz. «Alle die Werte, für die ich einste­he und die mir wich­tig sind, etwa Pünkt­lich­keit und Ordent­lich­keit, werden hier gross geschrie­ben. Ich fühl­te mich ange­kom­men», sagt sie und ergänzt: «In Itali­en haben sie mich wegen meinem Drang zur Pünkt­lich­keit und Ordent­lich­keit immer ‹la sviz­zera›, die Schwei­ze­rin, genannt.» Cate­ri­na Corea lacht – und das Lachen ist so anste­ckend, dass man gerne mitlacht.

Ein Zuhau­se in der Ferne

Der Start in der Ferne sei kein einfa­cher gewe­sen, das Einge­wöh­nen ein schlei­chen­der Prozess. «Rück­bli­ckend war es streng, ich konn­te die Spra­che nicht und hatte keine Freun­de. Ich muss­te von null an neu anfan­gen. Aber ich bin mit Über­zeu­gung hier­ge­blie­ben. Ich habe mir ein sozia­les Netz­werk aufge­baut und fühle mich hier einfach wohl.» Die Missio­ne Catto­li­ca Italia­na hat den Einstieg ins neue Leben einfa­cher gemacht. In der Gemein­schaft hat sie schnell neue Kontak­te geknüpft. «Mit der Missio­ne Catto­li­ca hatte ich ein Zuhau­se in der Ferne. Sie hat mir die Ankunft erleich­tert. Ich spür­te die Wurzeln, die mich mit Itali­en und den Menschen dort verbin­det», so Cate­ri­na Corea und ergänzt: «Die Messen waren für mich ein siche­rer Ort. Ein Ort, der für alle offen war. Ein Ort, der den Fluss von Wissen und Menschen ermöglichte.» 

Die Missio­ne Catto­li­ca Italia­na gab Cate­ri­na Corea ein Gefühl von Heimat und erleich­ter­te ihr das Einle­ben in der Schweiz.

Die Missio­ne Catto­li­ca Italia­na der Katho­li­schen Kirche Regi­on St. Gallen-Rorschach ist eine lebhaf­te und akti­ve Gemein­schaft. Sie zählt gemäss Cate­ri­na Corea rund 15 000 Mitglie­der und ist offen für Menschen unter­schied­li­cher Herkunft. So besu­chen auch Portu­gie­sen, Spani­er und Schwei­zer regel­mäs­sig Veran­stal­tun­gen der Missio­ne Catto­li­ca Italiana.

Platt­form für Frauen

Cate­ri­na Corea ist dank­bar für das gros­se Enga­ge­ment. Und sie will etwas zurück­ge­ben. Vor eini­gen Mona­ten hat die erfolg­rei­che Geschäfts­frau eine neue Veran­stal­tungs­rei­he für Frau­en initi­iert. Diese findet jeweils am ersten Diens­tag und am vier­ten Donners­tag eines Monats statt und soll eine Platt­form für Austausch bieten. «Damit soll allen Frau­en und deren Sorgen, Ängs­ten und Freu­den ein Platz gege­ben werden. Es geht auch darum zu reflek­tie­ren, wie wir im Leben weiter­kom­men.» An der Veran­stal­tung werden verschie­de­ne Themen ange­spro­chen wie etwa die Themen Bezie­hun­gen, alte Muster oder die Rolle der Frau in der Gesell­schaft. Bei der ersten Durch­füh­rung waren bereits 40 Frau­en anwe­send. «Das hat mich total über­rascht. Auch, dass die Gesprä­che derart reich­hal­tig waren. Dies braucht ein gewis­ses Mass an Vertrau­en. Erstaun­li­cher­wei­se war das von Anfang an da», sagt Cate­ri­na Corea.

Glau­be wurde gestärkt

Egal, wie stres­sig ihr Alltag ist, Cate­ri­na Corea lebt den Glau­ben jeden Tag und enga­giert sich gerne und mit Herz­blut für die Kirche. «Wir alle haben eine Gabe von Gott erhal­ten und die Frage ist doch: Was können wir damit tun. Wir können nur unse­re Talen­te und Gaben weiter­ge­ben – und unse­re Zeit. Ich habe zwar nicht viel Zeit, aber diese gebe ich gerne.» Ange­spro­chen auf die Miss­brauchs­stu­die wird Cate­ri­na Corea nach­denk­li­cher. Diese habe sie trau­rig gemacht, aber nicht erschüt­tert. «Wo es Menschen gibt, machen diese immer Fehler.» Klar sei, dass es nun Konse­quen­zen brau­che. Verall­ge­mei­nern will Cate­ri­na Corea nicht, auch vermin­dert sich dadurch nicht ihr Wohl­wol­len gegen­über der Kirche. Im Gegen­teil. Cate­ri­na Corea sagt: «Die Miss­brauchs­stu­die hat mich in meinem Glau­ben noch gestärkt.» 

Cate­ri­na Corea möch­te etwas zurück­ge­ben und hat vor kurzem eine Veran­stal­tungs­rei­he für Frau­en ins Leben geru­fen. «Wir können nur unse­re Talen­te und Gaben weiter­ge­ben – und unse­re Zeit. Ich habe zwar nicht viel Zeit, aber diese gebe ich gerne.»

In schwie­ri­gen Zeiten – und diese durch­le­be sie durch­aus auch – denke sie immer an das Verspre­chen, das Jesus an Simon Petrus macht: «Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pfor­ten der Unter­welt werden sie nicht über­wäl­ti­gen.» (Evan­ge­li­um, Matheus Kap. 16,18) «Wenn der Glau­be stark genug ist, wird er nicht kapi­tu­lie­ren», sagt Cate­ri­na Corea. «Und ich bin über­zeugt: Am Schluss ist der Glau­be stär­ker als unse­re Ängste.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 23.01.2024

Miteinander die Tagesschau diskutieren

Arbeits­plä­ne, Social Media, Tages­nach­rich­ten – die Schwes­tern des Klos­ters Maria­zell Wurms­bach setzen seit eini­ger Zeit fast ausschliess­lich auf digi­ta­le Medi­en und verzich­ten auf Fern­se­her und teil­wei­se auf gedruck­te Zeitun­gen. Für die Ordens­frau­en bietet der Compu­ter viele Vortei­le, sie wissen aller­dings auch um dessen Gefahren.

Eine idyl­li­sche Ruhe liegt an diesem Morgen über dem Klos­ter Maria­zell Wurms­bach am Ufer des Zürich­sees. Der Schnee­fall der vergan­ge­nen Tage hat das Gelän­de in eine weis­se Schnee­de­cke gehüllt, die Vögel pfei­fen von den Bäumen, auf dem See schwim­men die Enten laut­los ihre Bahnen. Das Ther­mo­me­ter zeigt Minus­gra­de an. Schnel­len Schrit­tes laufen an diesem grau­en Winter­tag Schwes­ter Made­lei­ne Feder­spiel, Schwes­ter Andrea Fux und Schwes­ter Marianne-Franziska Imhas­ly zum Sitzungs­zim­mer im Gäste­haus. Unter dem Arm haben alle drei Ordens­frau­en ihr uner­läss­li­ches Arbeits­ge­rät: den Laptop. Darauf befin­den sich die Arbeits­plä­ne, der E‑Mail-Account mit dem gesam­ten Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­lauf, Apps für Online-Meetings und priva­te Notizen. 

Der Laptop ist mitt­ler­wei­le das wich­tigs­te Arbeits­ge­rät der Schwes­tern im Klos­ter Maria­zell Wurmsbach.

Prio­rin Schwes­ter Andrea infor­miert ihre Mitschwes­tern im Sitzungs­zim­mer über den Verlauf des kürz­lich abge­hal­te­nen Zoom-Meetings und bringt sie auf den neus­ten Stand. Die Medi­en­nut­zung hat sich in den vergan­ge­nen Jahren stark gewan­delt. Längst haben die digi­ta­len Medi­en auch im Klos­ter­all­tag Einzug gehal­ten und sind für die Ordens­frau­en mitt­ler­wei­le uner­läss­lich gewor­den. «Der Laptop ist für uns wie ein gros­ses Handy und im Alltag unver­zicht­bar», sagt Schwes­ter Made­lei­ne, die Gäste­schwes­ter. Sie ist die ältes­te in der Runde, was aber nicht heisst, dass sie weni­ger versiert ist in der Hand­ha­bung des Laptops. Stolz zeigt sie die Touchscreen-Funktion an ihrem Bild­schirm und wech­selt gekonnt und blitz­schnell zwischen verschie­de­nen Seiten.

Beamer statt Fernseher

Während die digi­ta­len Medi­en im Alltag des Klos­ters Maria­zell immer mehr an Bedeu­tung gewon­nen haben, nahm jene der analo­gen Medi­en – also von Zeitung, Fern­se­her oder Radio – immer weiter ab. Die Schwes­tern haben sich vor zwei Jahren entschlos­sen, in Zukunft auf einen Fern­se­her zu verzich­ten. «Wir haben ihn nicht mehr gebraucht», erklärt Schwes­ter Andrea. Soll nicht heis­sen, dass die Schwes­tern nicht über das Alltags­ge­sche­hen Bescheid wissen. Inter­es­san­te Fern­seh­bei­trä­ge – haupt­säch­lich Hinter­grund­be­rich­te – werden seit­her noch stär­ker und häufi­ger in der Gemein­schaft ange­spro­chen und wenn gewünscht gemein­sam via Beamer ange­schaut. Die Schwes­tern weisen einan­der auf inter­es­san­te Beiträ­ge hin. Die Tages­schau, den Club oder die ZDF-Talkshow Markus Lanz lässt sich Schwes­ter Andrea aller­dings selten entge­hen und schaut die Sendun­gen am Laptop. Beim gemein­sa­men Mittag­essen infor­mie­ren sich die Schwes­tern zudem täglich mit der SRF-Radiosendung «Rendez-vous» über das aktu­el­le Gesche­hen. Die gedruck­ten Medi­en sind nicht gänz­lich aus dem Klos­ter­all­tag verschwun­den. Die Abos für Tages­zei­tun­gen gibt es weiter­hin, eben­so für verschie­dens­te, meist kirchlich-religiöse Publi­ka­tio­nen. Der «Tages-Anzeiger» wird jedoch per Digital-Abo gelesen. 

Schwes­ter Andrea ist zustän­dig für die Bewirt­schaf­tung der Social-Media-Kanäle.

Inter­es­san­te oder themen­spe­zi­fi­sche Berich­te drucken die Schwes­tern aus und zeigen sie den Mitschwes­tern. «Wir haben einen regen Austausch. Es ist wie in einer gros­sen Fami­lie. Man erfährt fast alles. Dieser Reich­tum ist einer der Vortei­le einer Gemein­schaft», sagt Schwes­ter Marianne-Franziska. Ein Austausch sei sehr wich­tig für die Meinungs­bil­dung. «Wir können die Themen so vertieft und von unter­schied­li­chen Seiten anschau­en. Teil­wei­se ände­re ich meine Meinung dann auch.»

Gemein­sam verarbeiten

Wer heute die aktu­el­len Tages­mel­dun­gen – sei es online oder nicht – verfolgt, stösst häufig auf Nega­tiv­mel­dun­gen. In farbi­gen Bildern sehen wir zerbomb­te Stras­sen, weinen­de Kinder oder sogar verpi­xel­te Leichen in Kriegs­ge­bie­ten. Eini­ge Bilder und die dazu­ge­hö­ri­gen Berich­te sind schwer zu ertra­gen. Auch für die Ordens­frau­en. Schwes­ter Marianne-Franziska ist ange­sichts der aktu­el­len welt­po­li­ti­schen Lage beispiels­wei­se froh, dass sie die Nach­rich­ten bewusst auswäh­len kann auf PLAY SRF und dadurch für ihre Tätig­keit als Geschichts­leh­re­rin infor­miert ist. «Gewis­se Nach­rich­ten sind zum Teil wenig aufbau­end und kolpor­tie­ren Unwich­ti­ges. Ich bin froh, wenn ich mir nicht alles zu Gemü­te führen muss. Ich komme da heute manch­mal an meine Gren­zen», sagt Schwes­ter Marianne-Franziska. 

Die Schwes­tern des Klos­ters Maria­zell Wurms­bach tauschen sich oft in der Gemein­schaft aus – sei es über das aktu­el­le Welt­ge­sche­hen, exter­ne Anfra­gen oder Arbeitspläne.

Die schreck­li­chen Nach­rich­ten verar­bei­te sie, indem sie die betrof­fe­nen Menschen in ihre Gebe­te einschlies­se und mit ihren Schwes­tern über die Gescheh­nis­se spreche.

Frage der Sichtbarkeit

Mit den digi­ta­len Medi­en haben auch die sozia­len Medi­en den Weg ins Klos­ter gefun­den. Das Klos­ter Maria­zell Wurms­bach pflegt einen eige­nen Facebook- und Insta­gram-Account und ist auf YouTube aktiv. «Es wäre komisch, wenn wir nichts posten würden. Das dient auch der Sicht­bar­keit. Es macht Sinn, auf Social Media präsent zu sein, auch als Klos­ter», sagt Schwes­ter Andrea. Sie weiss, wovon sie spricht. Sie ist für die Bewirt­schaf­tung der Social-Media-Kanäle verant­wort­lich. Dies bedeu­tet, dass sie regel­mäs­sig Kommen­ta­re beant­wor­tet, neue Beiträ­ge postet, Kanä­le ande­rer kirch­li­cher Insti­tu­tio­nen durch­fors­tet und ihre Mitschwes­tern über ande­re Accounts auf dem Laufen­den hält. Sie macht die Arbeit gerne, weiss aber auch um deren Auswir­kun­gen: Das Bewirt­schaf­ten der Accounts bindet sehr viele zeit­li­che Ressour­cen. Manch­mal sitzt Schwes­ter Andrea Fux dafür stun­den­lang am Laptop. In der Woche sind es zwischen zwei und zehn Stun­den, «je nach­dem, wie viel grad los ist. Wenn man es rich­tig machen will, braucht es einfach Zeit», sagt die Ordens­schwes­ter. Man merkt: Schwes­ter Andrea würde sich wünschen, manch­mal weni­ger Zeit vor dem Laptop-Bildschirm zu verbrin­gen. Seit eini­ger Zeit hat das Klos­ter deshalb eine Tourismus-Fachfrau in einem 40-Prozent-Pensum ange­stellt. Diese hilft Schwes­ter Andrea bei den Social-Media-Aktivitäten und berei­tet Beiträ­ge auf. «Natür­lich ist es viel Aufwand, aber der gehört dazu und unser dies­be­züg­li­ches Enga­ge­ment bringt auch Vortei­le: Die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer unse­rer ‹Auszeit für junge Menschen› oder der ‹Lern­ta­ge am See› sind fast alle durch unse­re bewor­be­nen Beiträ­ge auf Insta­gram und Face­book auf unse­re Ange­bo­te aufmerk­sam geworden.»

Von den Jungen lernen

Die Kennt­nis­se für die Bewirt­schaf­tung und Hand­ha­bung der Social-Media-Kanäle hat sich Schwes­ter Andrea im Laufe der Jahre mehr­heit­lich selbst erar­bei­tet. Zudem besuch­te sie mehre­re Kurse zu diesem Thema. 

Die Schwes­tern sind versiert im Umgang mit den digi­ta­len Medien.

Für die Schwes­tern sind nicht alle Social-Media-Kanäle gleich nütz­lich. So haben sie sich bewusst gegen einen eige­nen TikTok-Account entschie­den. «Das braucht zu viel Zeit, wenn man es profes­sio­nell machen will. Wenn man einen Kanal hat, muss man diesen auch bewirt­schaf­ten, ansons­ten ist das kontra­pro­duk­tiv», sagt Schwes­ter Andrea. Schwes­ter Marianne-Franziska konn­te und kann bezüg­lich Inter­net und digi­ta­ler Medi­en als Lehre­rin im Talent-Campus Zürich­see viel von ihren Schü­le­rin­nen und Schü­lern lernen. «Die Jungen gehen natür­li­cher mit dem Inter­net um. Sie können mir viel zeigen und mir immer wieder helfen.» Aller­dings hat sich Schwes­ter Marianne-Franziska mitt­ler­wei­le viel eige­nes Wissen ange­eig­net und konn­te bei der jünge­ren Gene­ra­ti­on auch schon mit ihren Kennt­nis­sen bril­lie­ren. «Wenn ich den Jugend­li­chen helfen oder ihnen etwas erklä­ren kann, macht mich das natür­lich stolz», sagt sie. A jour blei­ben die Schwes­tern auch im Austausch mit den jungen Erwach­se­nen, welche beim Ange­bot «Auszeit für junge Menschen» mitma­chen und Tür an Tür mit der Klos­ter­ge­mein­schaft leben und auch mitarbeiten.

Erwach­se­ne in der Pflicht

Trotz der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der die Schwes­tern die sozia­len Medi­en nutzen, sehen sie darin auch eine Gefahr. «Smart­phone, Compu­ter und Social Media können schnell zur Sucht werden, vor allem für Jugend­li­che in der Ober­stu­fe», sagt Schwes­ter Marianne-Franziska. Für sie sei es nicht immer einfach, weil Smart­phone und Inter­net heute ein unver­zicht­ba­rer Teil des Alltags gewor­den seien. Schwes­ter Andrea sieht vor allem die Erwach­se­nen in der Pflicht. «Wir haben eine riesi­ge Verant­wor­tung gegen­über den Jungen, die wir leider oft zu wenig wahr­neh­men.» Als Erwach­se­ner müsse man den Jugend­li­chen bewusst machen, dass Smart­phone und Inter­net zwar Vortei­le bieten und gut seien, dass es aber auch wich­tig und wert­voll ist, reale Erfah­run­gen zu machen. «Wir Erwach­se­nen müssen den Jugend­li­chen Alter­na­ti­ven und einen ande­ren Tages­rhyth­mus bieten.» Das Smart­phone ist für die Schwes­tern mitt­ler­wei­le zu einem verstaub­ten Relikt gewor­den. Im Klos­ter­all­tag wird es nicht regel­mäs­sig gebraucht – ganz nach der Bene­dikts­re­gel, in der das «Mass­hal­ten» in verschie­dens­ter Hinsicht ein zentra­ler Wert ist. Schwes­ter Made­lei­ne nimmt es noch mit, wenn sie das Klos­ter­ge­län­de verlässt, beispiels­wei­se auf Velo­fahr­ten, zum Foto­gra­fie­ren oder zur Konsul­ta­ti­on der Wetter­pro­gno­se. Auch die ande­ren Schwes­tern verzich­ten im Alltag fast gänz­lich auf das Smart­phone – der Laptop als «gros­ses Handy» leis­tet seinen Dienst zur volls­ten Zufriedenheit.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 23.12.2023

Fröhliche Weihnachten für alle

Nicht alle schau­en Weih­nach­ten freu­dig entge­gen: Eini­ge fühlen sich einsam, kämp­fen mit ­finan­zi­el­len Engpäs­sen, sind gestresst wegen den Vorbe­rei­tun­gen oder befürch­ten fami­liä­re Konflik­te. Das Pfar­rei­fo­rum zeigt, wie Pfar­rei­en und Privat­per­so­nen an Heilig­abend für diese Menschen da sind.

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