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Sehen, was nicht sein kann

Klaus Grem­min­ger ist nicht nur Seel­sor­ger in Nieder­uz­wil, sondern auch Zaube­rer. Im Gespräch erzählt er, wie Zauber­kunst­stü­cke und Über­ra­schun­gen den Alltag berei­chern und unse­ren Verstand herausfordern.

Wieso brau­chen wir Über­ra­schun­gen? Und wieso sollen wir uns auf eine Zauber­show einlas­sen, wo wir in Zeiten von Netflix & Co. doch viel moder­ne­re und rasan­te­re Unter­hal­tungs­for­men gewöhnt sind? Klaus Grem­min­ger öffnet die Tür zu einem hellen Sitzungs­zim­mer im Pfar­rei­zen­trum Nieder­uz­wil. Darin stehen ein Koffer und ein Tisch mit schwar­zem Tisch­tuch. Länger als Seel­sor­ger ist der 46-Jährige schon Zaube­rer. Seit er als Kind einen Zauber­kas­ten geschenkt bekam und an seiner Schu­le den bekann­ten Kinder­zau­be­rer Hardy sah, hat ihn die Faszi­na­ti­on für Zaube­rei nicht mehr losgelassen.

Den Verstand herausfordern

Poesie, Thea­ter­spie­len, Psycho­lo­gie und die Kunst, die Aufmerk­sam­keit des Publi­kums gut zu lenken: Das ist es, was Zaube­rei für Klaus Grem­min­ger ausmacht. «Das Über­ra­schen­de dabei ist, wie schnell wir Menschen uns täuschen lassen», sagt er. Als Beispiel nennt er ein neues Zauber­kunst­stück an einem Zauber­kon­gress. «Wenn ich dann erfah­re, wie es funk­tio­niert, denke ich oft, dass ich darauf auch selber hätte kommen können», sagt er. Zaube­rei mit all ihren Über­ra­schun­gen brau­chen wir laut Grem­min­ger, da sie den Verstand heraus­for­dert und wir Dinge sehen, die einfach nicht sein können. Ein gutes Beispiel dafür sind die Klein-Illusionen. Es handelt sich dabei um eine Holz­kis­te, die die Zauber­kunst­stü­cke berühm­ter Zaube­rer in Minia­tur nach­ge­baut enthält. Gebannt schaut man nun zu, wie Klaus Grem­min­ger die Jass­kar­te Dame in einen klei­nen Käfig sperrt, mit Schwer­tern durch­bohrt und die Karte anschlies­send unver­sehrt wieder heraus­zieht – wobei er mit Worten zu diesem Effekt die tradi­tio­nel­le Rolle von Frau­en in der Zauber­kunst hinter­fragt. Diese Klei­nil­lu­sio­nen hat er von dem befreun­de­ten Flawi­ler Zaube­rer Friza­no über­nom­men, als dieser selbst zu alt wurde um als Zaube­rer aufzu­tre­ten. «Das faszi­nie­ren­de daran ist, dass man in einem klei­nen Kreis und ganze Nahe an diesen Illu­sio­nen sitzt, aber halt dennoch nicht sieht, wie der Trick funk­tio­niert», sagt er. Zaube­rei spre­che aber auch die Sehn­süch­te der Menschen an. Ein Seil, das in zwei Teile geschnit­ten ist und durch Zaube­rei wieder eines wird, löse etwa unbe­wusst die Sehn­sucht nach Heilung aus. Und menta­le Zauber­tricks wie Gedan­ken­le­sen würden immer für die Sehn­sucht nach Verbin­dung stehen. «Wer möch­te seinem Part­ner oder seiner Part­ne­rin nicht die Wünsche von den Augen able­sen können», sagt er.

Mit Jonglier­bäl­len lenkt Klaus Grem­min­ger die Aufmerk­sam­keit des ­Publi­kums. Oft beginnt er auf diese Weise seine Zaubershow.

Von den Wundern des Lebens erzählen

Als Zaube­rer hat Klaus Grem­min­ger aber auch selbst gelernt, mit Über­ra­schun­gen umge­hen zu können. «Wer mit Live-Publikum arbei­tet, muss immer darauf gefasst sein, dass etwas Uner­war­te­tes passiert», sagt er. Gehe etwas schief oder funk­tio­nie­re ein Trick mit dem Publi­kum nicht, dann müsse man sich eben raus­win­den und weiter­ma­chen. «Zaube­rei ist schluss­end­lich ein Spiel und es braucht die Koope­ra­ti­on des Publi­kums, sei es an priva­ten Anläs­sen oder an Zauber­meis­ter­schaf­ten», sagt er. Am liebs­ten zaubert Klaus Grem­min­ger aber vor kirch­li­chem Publi­kum, etwa im Rahmen eines Gottes­diens­tes oder von Impuls­ver­an­stal­tun­gen. Er nennt dies spiri­tu­el­le Zauber­kunst. Diese erzäh­le von Hoff­nun­gen und Wünschen, von Liebe und Sehn­sucht und von den Wundern des Lebens. Symbol­haf­tig­keit und Poesie stehen laut Grem­min­ger im Mittel­punkt dieser Zauber­kunst­stü­cke. Er nimmt einen Stapel bunter Papie­re aus dem Koffer und faltet diese auf und wieder zu und erzählt dazu die Geschich­te eines klei­nen Heili­gen, der einen Schatz sucht. Am Ende des Tricks verwan­delt sich eines der zuvor leeren Blät­ter in ein Blatt voller Ster­ne – Der klei­ne Heili­ge hat den Ster­nen­him­mel, den Schatz, in sich selber gefunden.

Zum Reper­toire von Klaus Grem­min­ger gehö­ren auch Klein-Illusionen, also Zauber­kunst­stü­cke berühm­ter Zaube­rer in Minia­tur nachgebaut.

Vom Seel­sor­ger zum Zauberer

Theo­lo­gie hat Klaus Grem­min­ger, der aus Frei­sin­gen in Deutsch­land kommt, in München studiert. Zunächst war das die Spiri­tua­li­tät und das Fach selbst, die ihn inter­es­sier­ten. Während des Studi­ums merk­te er, dass er Seel­sor­ger werden woll­te und entschied sich gemein­sam mit seiner Ostschwei­zer Frau, die eben­falls in München Theo­lo­gie studiert hatte, für das Bistum St. Gallen. Sein Stand­bein nennt er Theo­lo­gie und Seel­sor­ge, sein Spiel­bein Zaube­rei und Jongla­ge. Doch wie funk­tio­niert das, dass das Publi­kum, das ihn häufig als Seel­sor­ger erlebt, auch als Zaube­rer ernst­nimmt? Klaus Grem­min­ger nimmt eini­ge Jonglier­bäl­le in die Hand und beginnt sie im Kreuz zwischen den Händen hin und her zu werfen, so wie er es häufig zu Beginn seiner Shows tut. «Ich blei­be immer Seel­sor­ger. Wenn ich jonglie­re, flie­gen die Bälle im Kreuz – wie ein perma­nen­ter Segen», sagt er. Dann werden die Bahnen, in denen er die Bälle wirft, wilder und abwechs­lungs­rei­cher. Das Auge kann kaum folgen. Er sagt: «Als Zaube­rer ist es meine Aufga­be euch zu verwir­ren und abzulenken.»

→ www.klausgremminger.com

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 31.12.2022

Überraschung? Für mich bitte nicht!

Da kommst du nichts Böses ahnend am Abend nach Hause, sperrst die Tür auf, ziehst die Schu­he aus, tappst ins Wohn­zim­mer und … zack … da sprin­gen deine besten Freun­din­nen und Freun­de hinter dem Sofa hervor: «Herz­li­chen Glück­wunsch!» Torte, Sekt, Geschenk – sie haben an alles gedacht. Der Party steht nichts mehr im Wege. Gibt es etwas Schö­ne­res als über­rascht zu werden?

Ich habe es nicht so mit Über­ra­schun­gen. Defi­ni­tiv. Ich will keine «Fahrt ins Blaue», kein «Über­ra­schungs­pro­gramm» und auch mit Über­ra­schungs­be­su­chen tue ich mich eher schwer – nicht weil ich mich nicht über den Besuch dieser Menschen freu­en würde. Im Gegen­teil. Aber wenn ich Besuch erwar­te, ist es doch schön, sich darauf vorbe­rei­ten zu können. Mich seelisch darauf einstim­men, «parat» sein. Selbst­ver­ständ­lich zappe ich bei Sendun­gen wie «Happy Day» schnell weiter. Wenn ich zum Geburts­tag einen «Überraschungs-Gutschein» bekom­me, sehe ich dieser Über­ra­schung mit gemisch­ten Gefüh­len entge­gen. Ich will nicht über­rascht werden. Logisch weiss ich: Es wird schön. Das ist nicht das Problem. Aber wenn mich etwas Schö­nes erwar­tet, warum soll ich mich auf dieses Schö­ne nicht freu­en dürfen? Das würde mir viel Kopf­zer­bre­chen erspa­ren: Was genau erwar­tet mich? Was muss ich mitneh­men? Wie anzie­hen? Ist es dort kalt, warm? Muss ich vorher noch etwas essen? Wie lange geht das unge­fähr? Stark ist mir Folgen­des in Erin­ne­rung geblie­ben: Da wurde eine Freun­din über­rascht – sie war so perplex, dass sie sich gar nicht freu­en konn­te. Wie verstei­nert stand sie da und betrach­te­te das Geschenk, das Teil der Über­ra­schung war, ziem­lich ange­strengt. Erst einen Tag später melde­te sie sich per Kurz­nach­richt: Sie habe sich eigent­lich schon total gefreut, aber sie sei so über­rum­pelt gewe­sen, dass die unbe­schwer­te Freu­de im Moment nicht möglich war. Also etwa so wie bei den Über­rasch­ten in TV-Shows.

Über­wäl­tigt oder schockiert

Manche Menschen können gut mit Über­ra­schun­gen umge­hen, manche über­haupt nicht. Ich habe mir schon oft in meinem priva­ten und beruf­li­chen Umfeld emotio­na­le Schil­de­run­gen von über­wäl­ti­gen­den Über­ra­schun­gen anhö­ren dürfen: Eine Über­ra­schungs­par­ty am Geburts­tag? Für manche könn­te es nichts Schö­ne­res geben. High­lights, an die man noch lange zurück­denkt. Darüber las ich auch schon in Psychologie-Zeitschriften. Es liegt nicht daran, dass mich mein Umfeld schon mit so vielen pein­li­chen, nervi­gen oder völlig deplat­zier­ten Über­ra­schun­gen konfron­tiert hätte, dass ich eine solche Abnei­gung gegen­über Über­ra­schun­gen habe. Ob man Über­ra­schun­gen mag oder nicht, ist Teil des Charak­ters. Das sagen zumin­dest diver­se Studien.

Mit Finger­spit­zen­ge­fühl

Ich bewun­de­re Menschen, die lange im Voraus und sehr aufwän­dig Über­ra­schun­gen für eine ande­re Person aushe­cken, ande­re einwei­hen, alles planen und orga­ni­sie­ren. Auch wenn sie viel­leicht nicht auf so einen Überraschungs-Phobiker wie mich tref­fen, sind Über­ra­schun­gen doch immer mit sehr viel Finger­spit­zen­ge­fühl verbun­den. Sind sie sich bewusst, auf welches Wagnis sie sich einlas­sen? Das braucht viel Empa­thie: Wo liegt die Gren­ze beim ande­ren? Was geht nicht? Freut sich die Person wirk­lich darüber? Ich sehe durch­aus auch das Posi­ti­ve am Über­ra­schen: Man beschäf­tigt sich inten­siv mit jemandem.

Auf Über­ra­schen­des vertrauen

Was sagt die christ­li­che Spiri­tua­li­tät zu Über­ra­schun­gen? Gott ist ein Gott der Über­ra­schung. Im Alten Testa­ment gibt es zum Beispiel Abra­ham und Sara. Die beiden waren hoch­be­tagt, als Sara nach Jahr­zehn­ten des Warten doch noch schwan­ger wurde. Auch Jesus sorgt immer wieder für Über­ra­schun­gen, wie an vielen Stel­len im Neuen Testa­ment berich­tet wird: Er mach­te oft nicht das, was ande­re erwar­tet hätten. Zudem kann auch Ostern, die Aufer­ste­hung von Jesus Chris­tus, als ein gros­ses Über­ra­schungs­er­eig­nis gedeu­tet werden. Sind all diese Beispie­le Mutma­cher für mehr Offen­heit für Über­ra­schun­gen? Für mehr Vertrau­en, sich einfach einmal auf Über­ra­schun­gen einzu­las­sen? Offen zu sein für die Über­ra­schun­gen Gottes in meinem Leben? Ich versu­che, es mir für 2023 vorzunehmen.

Wer es wagt

Selbst­ver­ständ­lich habe ich mit klei­nen Über­ra­schun­gen wie zum Beispiel dem Inhalt des Advents­ka­len­ders kein Problem. Auch mein priva­tes Umfeld kennt mich gut. Kaum einer würde es wagen, mich zu über­ra­schen. Und wenn, dann wohl gut über­legt, welche Über­ra­schung mich tatsäch­lich freu­en würde. Denn ehrli­cher­wei­se muss ich zuge­ge­ben, wenn ich meine Phobie vor Über­ra­schun­gen zur Seite schie­be und wenn die Über­ra­schung wirk­lich zu hundert Prozent passt, ist die Freu­de doch riesig. Und nicht verges­sen gehen soll­te, dass auch klei­ne Über­ra­schun­gen Freu­de berei­ten. Manch­mal tut es auch einfach ein Blumenstrauss.

Text: Stephan Sigg

Bilder: istockphoto.com

Veröf­fent­li­chung: 30.12.2022

Unterwegs zur Spitalkapelle

Seit 30 Jahren enga­giert sich der St. Galler Markus Enz für den frei­wil­li­gen Betten­dienst im Kantons­spi­tal St. Gallen. Dieser ermög­licht Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten den Besuch des ­Gottes­diens­tes in der Spital­ka­pel­le. Aktu­ell werden drin­gend mehr Frei­wil­li­ge gesucht.

Kurz nach 9 Uhr sind die Vorbe­rei­tun­gen in vollem Gang: Eini­ge Frei­wil­li­ge stecken in der ­Spital­ka­pel­le des Kantons­spi­tals St. Gallen Verlän­ge­rungs­ka­bel ein. Dort sollen später jene ­Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten während des ­Gottes­diens­tes einen Platz bekom­men, deren Infu­si­ons­ge­rä­te beispiels­wei­se Strom benö­ti­gen. Draus­sen vor der Kapel­le im 1. Stock des Hauses 21 teilt Spital­seel­sor­ger Sepp Koller weite­re Frei­wil­li­ge in Grup­pen ein. Sie werden in der nächs­ten Stun­de zu zweit 25 Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten in den verschie­de­nen Häusern des Spitals abho­len und sie im Bett, im Roll­stuhl oder zu Fuss durch das unter­ir­di­sche Verbin­dungs­sys­tem bis zur Spital­ka­pel­le trans­por­tie­ren und beglei­ten. Nebst Mitglie­dern der Pfar­rei Witten­bach sowie der evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de Witten­bach helfen an diesem Sonn­tag eini­ge Jugend­li­che aus Gossau mit, die den Einsatz im Rahmen eines Sozi­al­pro­jek­tes leisten.

«Unse­re Gesell­schaft wäre ohne all das frei­wil­li­ge Enga­ge­ment um ­eini­ges ärmer», sagt Markus Enz, der die Einsät­ze koordiniert.

Nur noch halb so viele helfen

Dann geht es los. Mit dabei ist auch Markus Enz, der sich seit 30 Jahren für den frei­wil­li­gen Betten­dienst im Kantons­spi­tal enga­giert. Seit 2008 koor­di­niert er zudem die Einsät­ze aller Grup­pen der Stadt St. Gallen. Aktu­ell sind es elf Grup­pen wie etwa die sozia­le Männer­be­we­gung St. Fiden, zu der Markus Enz gehört, oder Grup­pen, die sich in den Pfar­rei­en zusam­men­ge­schlos­sen haben. Jede Grup­pe hat fünf bis sechs Einsät­ze im Jahr. «Nun stehen wir aber vor dem Problem, dass wir immer weni­ger sind und es schwie­rig ist, neue Perso­nen zu finden, die sich frei­wil­lig für diesen Dienst enga­gie­ren», sagt Markus Enz, während er mit dem Lift hinun­ter ins UG fährt, wo sich auch der Zugang zu den unter­ir­di­schen Verbin­dungs­gän­gen befin­det. Vor eini­gen Jahren waren es noch rund 300 Perso­nen die mithal­fen. Heute sind es noch 140. «Werden es noch weni­ger, können wir diesen Frei­wil­li­gen­dienst nicht mehr stem­men», sagt der 63-Jährige.

Einsatz­be­spre­chung um 9 Uhr bevor es los geht: In Zwei­er­teams ­werden die Frei­wil­li­gen die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten abholen.

Vom Glau­ben begleitet

Markus Enz hält in der Hand eine oran­ge Karte mit verschie­de­nen Infos wie Name, Haus- und Zimmer­num­mer des Pati­en­ten, den er heute abho­len wird. Es geht ins Haus Nr. 1 zu Ferdi­nand Hutter. Der 66-Jährige hat eine neue Niere bekom­men und besucht den Gottes­dienst in der Spital­ka­pel­le an diesem Sonn­tag mit seiner Frau und seiner Toch­ter. «Diese Frei­wil­li­gen­ar­beit ist sensa­tio­nell. Ich schätz es sehr, dass mir jemand auf diese Weise ermög­licht, den Gottes­dienst besu­chen zu können. Ich bin gerne in der Kapel­le und der Glau­be beglei­tet mich mein Leben lang», sagt er. Auch seine Toch­ter Corne­lia Hutter erzählt, wie wich­tig dieser Gottes­dienst vielen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ist. Sie selbst arbei­tet als Pfle­ge­fach­frau auf der Palliativ-Station und betont, dass im Spital ohne die Frei­wil­li­gen niemand Zeit hätte, so viele Pati­en­ten und Pati­en­tin­nen zur Kapel­le zu begleiten.

Die Spital­ka­pel­le bietet neben Sitz­plät­zen auch Platz für die Betten der Pati­en­tin­nen und Patienten.

Freund­schaft und Dank

Dann ist es Zeit, sich auf den Weg zur Kapel­le zu machen. Vom Zimmer aus geht es mit dem Lift wieder ins UG und unter­ir­disch zurück ins Haus Nr. 21. In der Kapel­le haben sich bereits eini­ge Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten einge­fun­den. Ferdi­nand Hutters Bett ist neben einer der Steck­do­sen plat­ziert. Seine Frau und seine Toch­ter haben sich mit Stüh­len direkt neben ihn gesetzt. Die frei­wil­li­gen Helfe­rin­nen und Helfer verlas­sen derweil die Kapel­le und versam­meln sich draus­sen, um noch etwas zu reden. Ande­re feiern den Gottes­dienst mit. «In all den Jahren, in denen ich mich für den Betten­dienst enga­gie­re, sind viele Freund­schaf­ten entstan­den», sagt Markus Enz. Das und die Dank­bar­keit, die man seitens der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten erhal­te, sei der Lohn, den man für seinen Einsatz erhal­te. Er sagt: «Vor allem aber wäre unse­re Gesell­schaft ohne all das frei­wil­li­ge Enga­ge­ment um eini­ges ärmer.»

Einsät­ze am Sonntag

Die Spital­seel­sor­ge am Kantons­spi­tal St. Gallen findet kaum genü­gend Frei­willige, die am Sonn­tag die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten zum Gottes­dienst beglei­ten. Dieser wird abwech­selnd katho­lisch, evan­ge­lisch, manch­mal ökume­nisch ­gestal­tet. In den vergan­ge­nen Jahren hat die Zahl der Frei­wil­li­gen stark abge­nommen. Es werden deshalb zusätz­li­che ­Begleit­per­so­nen für den Sonn­tags­got­tes­dienst gesucht. Diese tref­fen sich jeweils um 9 Uhr bei der Spital­ka­pel­le. Bis 10 Uhr werden die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten abge­holt. Nach dem Gottes­dienst werden sie wieder in ihr Zimmer gebracht.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 30.12.2022

Fokus auf Prävention

«Noch immer ist es für viele Miss­brauchs­be­trof­fe­ne ein gros­ser Schritt, sich an das ­Fach­gre­mi­um zu wenden und über das erfah­re­ne Leid zu spre­chen», sagt Danie­la Sieber, ­Präsi­den­tin des Fach­gre­mi­ums gegen sexu­el­le Über­grif­fe im Bistum St. Gallen. Bischof Ivo Fürer hat das Gremi­um 2002 installiert.

Dieses Jahr jähr­te sich die Grün­dung des Fach­gre­mi­ums zum zwan­zigs­ten Mal. Als Bischof Ivo Fürer 2002 als Reak­ti­on auf einen Miss­brauchs­fall das Gremi­um instal­lier­te, wurde noch kaum über sexu­el­le Miss­bräu­che im kirch­li­chen Umfeld gespro­chen. «In den vergan­ge­nen zwan­zig Jahren hat sich extrem viel getan», fasst Danie­la Sieber, Juris­tin und Media­to­rin, zusam­men. «Das Gremi­um hat sich konse­quent weiter­ent­wi­ckelt und profes­sio­na­li­siert.» Das Fach­gre­mi­um ist heute fest etabliert, in ande­ren Bistü­mern gibt es heute ähnli­che Gremi­en und Anlauf­stel­len. Ging es anfangs vor allem um straf­recht­li­che Themen, habe sich der Fokus auf die Präven­ti­on verla­gert. Ein wich­ti­ger Schritt war 2016 die Einfüh­rung des Schutz­kon­zep­tes im Bistum St. Gallen. Jähr­lich finden Einfüh­rungs­kur­se für alle Ange­stell­ten und frei­wil­lig Enga­gier­te im Bistum statt. Das Thema ist auch fester Teil der Berufs­ein­füh­rung der Seel­sor­gen­den. Seit 2017 können sich Betrof­fe­ne von physi­scher und psychi­scher Gewalt, Mobbing, Arbeits­platz­kon­flik­ten und emotio­na­len Grenz­ver­let­zun­gen auch an zwei Ombuds­per­so­nen wenden. Einen Beitrag zur Aufar­bei­tung leis­tet auch ein Genug­tu­ungs­fonds der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz. Dass ein Bewusst­sein für die Not und die Erfah­run­gen der Betrof­fe­nen geschaf­fen wurde, dazu hätten auch die Medi­en beigetra­gen. «Und beson­ders all die Betrof­fe­nen, die ihre Erfah­run­gen öffent­lich gemacht haben.»

«Dennoch gehen wir davon aus, dass es auch in unse­rem Bistum Betrof­fe­ne gibt, die sich noch nicht gemel­det haben.»

Danie­la Sieber

Hilfe bei Verarbeitung

Aktu­ell hat das Fach­gre­mi­um keinen straf­recht­li­chen Fall zu bear­bei­ten. In diesem Jahr haben sich acht Perso­nen gemel­det. Im Bistum St. Gallen sei es für Betrof­fe­ne nieder­schwel­lig möglich, sich an das Fach­gre­mi­um zu wenden. Sie behal­ten die Kontrol­le über die Schrit­te und welche Infor­ma­tio­nen an welche Stel­le gelan­gen. «Dennoch gehen wir davon aus, dass es auch in unse­rem Bistum Betrof­fe­ne gibt, die sich noch nicht gemel­det haben», sagt Danie­la Sieber. Deshalb sei das Gremi­um daran, sich immer wieder ins Gespräch zu brin­gen und auf sein Ange­bot aufmerk­sam zu machen. Für Theo­lo­gin und Psycho­lo­gin Regu­la Sarbach, Ansprech­per­son für Betrof­fe­ne, kann es ein Beitrag zur Verar­bei­tung sein, wenn sich Betrof­fe­ne auch Jahr­zehn­te nach dem Miss­brauch melden: «Das Erzäh­len der Erfah­run­gen wird von vielen Betrof­fe­nen als wich­tig und entlas­tend erlebt», sagt sie, «oft sind für die Betrof­fe­nen die Frage nach einer finan­zi­el­len Genug­tu­ung oder straf­recht­li­chen Konse­quen­zen zweit­ran­gig. Selbst wenn der Täter schon verstor­ben ist, kann es entlas­tend sein, Gehör zu finden.» Teil­wei­se sind es auch Perso­nen, die grenz­ver­let­zen­des Verhal­ten beob­ach­tet haben und sich melden.

Spiri­tu­el­ler Missbrauch

Rela­tiv neu ist das Bewusst­sein für den spiri­tu­el­len Miss­brauch. Dieser wurde vor allem durch das Buch «Spiri­tu­el­ler Miss­brauch in der katho­li­schen Kirche» der deut­schen Theo­lo­gin Doris Reisin­ger zum Thema: In vielen Grup­pen und Gemein­schaf­ten gibt es Perso­nen, die leiten und Verant­wor­tung tragen. Diese Perso­nen haben Macht, die sie zum Guten einset­zen, aber auch miss­brau­chen können. «Solche Fälle sind oft noch­mals viel komple­xer als ein sexu­el­ler Über­griff und für die Betrof­fe­nen schwer zu erken­nen und benen­nen», so Danie­la Sieber. Um auch diese Betrof­fe­nen opti­mal beglei­ten zu können, könn­te es laut Sieber sinn­voll sein, eine eige­ne Anlauf­stel­le zu schaffen.

Nicht­kirch­li­che Meldestelle

In den letz­ten Jahren sind zahl­rei­che Bücher von Miss­brauchs­be­trof­fe­nen erschie­nen. Es gibt inzwi­schen auch Netz­wer­ke und Grup­pen, zu denen sich Betrof­fe­ne zusam­men­ge­schlos­sen haben wie zum Beispiel die «Inter­es­sen­ge­mein­schaft für Miss­brauchs­be­trof­fe­ne im kirch­li­chen Umfeld». Diese fordert die Errich­tung einer gesamt­schwei­ze­ri­schen, neutra­len und unab­hän­gi­gen Melde­stel­le. Danie­la Sieber kann diese Forde­rung nach­voll­zie­hen: «Die Situa­ti­on in den Bistü­mern ist bis heute ganz unter­schied­lich. Im Bistum St. Gallen ist auch hier das Bewusst­sein gewach­sen. Heute ist im Fach­gre­mi­um kein Mitglied mehr aus der Perso­nal­ab­tei­lung oder dem Ordi­na­ri­at des Bistums vertre­ten.» Sieber sieht gespannt den Ergeb­nis­sen der histo­ri­schen Studie zum sexu­el­len Miss­brauch im Umfeld der römisch-katholischen Kirche entge­gen, die die Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz im Früh­ling in Auftrag gege­ben hat. Diese soll einen weite­ren Beitrag zur Aufar­bei­tung und Präven­ti­on leis­ten. Die Ergeb­nis­se werden für Herbst 2023 erwartet.

Text: Stephan Sigg

Bild: zVg.

Weiter­bil­dung für frei­wil­lig Engagierte

Worauf müssen frei­wil­lig Enga­gier­te ­achten? Das Bistum St. Gallen bietet 2023 die Weiter­bil­dung ­«Pfarreirat-Updates» zur Umset­zung des Schutz­kon­zep­tes an. Pfarrei- und ­Pasto­ral­rä­te haben, so die  Ausschrei­bung, meist das ganze ­Spek­trum der Frei­wil­li­gen in ihrer Pfar­rei und Seel­sor­ge­ein­heit im Blick. Ihnen komme deshalb eine wich­ti­ge Rolle zu.

Sams­tag, 14. Janu­ar 2023, Mels oder ­Sams­tag, 18. Febru­ar 2023, Degers­heim, ­jeweils 9 bis 12.45 Uhr

→ Infor­ma­tio­nen und Anmel­dung: www.bistum-stgallen.ch

Geschlechterklischees ­überwinden

Mehr Sensi­bi­li­tät für die Geschlech­ter­viel­falt – die Tagung der ­Fach­stel­le für Jugend­ar­beit im Bistum St. Gallen (Daju) regte an, über Geschlech­ter­rol­len, Diskri­mi­nie­rung und die Perspek­ti­ve von sexu­el­len Minder­hei­ten nachzudenken.

Was macht dich zur Frau, was macht dich zum Mann? Welche Geschlech­ter­vor­ur­tei­le machen dir zu schaf­fen? Was wäre in meinem Leben anders, wenn ich ein ande­res Geschlecht hätte? Was ist unweib­lich und unmänn­lich – und wer legt das fest? Gleich zu Beginn der Daju-Tagung in Trogen AR konfron­tiert ein Frage­bo­gen die Jugend­seel­sor­gen­den mit ihrer eige­nen Haltung zum Geschlecht. Bei der anschlies­sen­den Diskus­si­on in Klein­grup­pen wird schnell klar: Auch wer sich selbst als tole­rant und offen im Umgang mit der Geschlech­ter­viel­falt bezeich­net, hat beim Frage­bo­gen den einen oder ande­ren Aha-Moment erlebt. Vieles, das selbst­ver­ständ­lich scheint, ist doch gar nicht so selbst­ver­ständ­lich. Im Austausch mit den ande­ren schil­dern die kirch­li­chen Jugend­ar­bei­ten­den aber auch bald Erfah­run­gen aus ihrem Berufs­all­tag: «Ich erle­be noch immer, dass manche Jugend­li­che sich gegen einen Lehr­be­ruf entschei­den, weil dieser als zu weib­lich oder zu männ­lich gilt und sie sich vor Häme und Vorur­tei­len fürch­ten.» Auch bekom­men die Jugend­ar­bei­ten­den mit, wie sehr Ideal­bil­der von Männ­lich­keit und Weib­lich­keit in Werbung und Medi­en auch heute viele junge Menschen unter Druck setzen.

Kirch­li­che Jugendarbeiter*innen aus dem Bistum St.Gallen setz­ten sich mit der Geschlech­ter­viel­falt auseinander.

Offen und unverkrampft

Die Teil­neh­men­den spre­chen ganz offen und unver­krampft. Man spürt, dass es in der kirch­li­chen Jugend­ar­beit schon viel Sensi­bi­li­tät im Umgang mit Geschlech­ter­viel­falt und sexu­el­len Orien­tie­run­gen gibt. Viele Jugend­seel­sor­gen­de sind bemüht, Jugend­li­che bei der Entwick­lung einer gelin­gen­den Geschlechts­iden­ti­tät zu unter­stüt­zen. Ande­re wieder­um berich­ten, dass die Akzep­tanz von quee­ren Jugend­li­chen unter Gleich­alt­ri­gen noch gar nicht so verbrei­tet ist wie man oft den Eindruck hat: Ein Jugend­seel­sor­ger erzählt von homo­pho­ben Äusse­run­gen, die Jugend­li­che in seiner Pfar­rei von sich gege­ben haben.

Die Tagung ging auch der Frage nach, wie kirch­li­che Jugend­ar­beit zeit­ge­mäss mit der Geschlech­ter­viel­falt umgeht und nieman­den ausschliesst.

Mit Spra­che ausdrücken

Refe­ren­tin Simo­ne Dos Santos, Geschäfts­lei­te­rin der Fach­stel­le für Aids- und Sexu­al­fra­gen St. Gallen, zeigt immer wieder auf, wie sehr die Gesell­schaft bis heute in Kate­go­rien denkt. «Das gilt es zu hinter­fra­gen», sagt sie. Die binä­re Eintei­lung grei­fe zu kurz und schlies­se viele Geschlech­ter­iden­ti­tä­ten aus. Während die einen die Viel­falt als berei­chernd erle­ben, löst sie bei ande­ren Unsi­cher­hei­ten und Ableh­nung aus. «Die meis­ten von uns haben ihre Geschlech­ter­rol­len auto­ma­tisch ange­nom­men. Viele der heuti­gen Jugend­li­chen setzen sich inten­siv mit der Frage ausein­an­der, wer sie sind und wie sie ihr Geschlecht leben wollen. Manche spie­len auch krea­tiv damit.» Das heis­se aber nicht auto­ma­tisch, dass es für sexu­el­le Minder­hei­ten heute einfa­cher sei. Simo­ne Dos Santos moti­viert die Teil­neh­men­den, die Viel­falt auch in der Spra­che sicht­bar zu machen: Beispiels­wei­se hätten Studi­en gezeigt, dass Kinder sich mehr Beru­fe zutrau­en, wenn die Geschlech­ter­viel­falt in Beru­fen auch sprach­lich immer wieder expli­zit ausge­drückt wird. An der Tagung kommen auch Betrof­fe­ne selbst zu Wort – am Vormit­tag in Film­ein­spie­lun­gen und am ­Nach­mit­tag stellt sich Aman­da, eine junge Trans­frau aus der Ostschweiz, den Fragen der Teilnehmenden.

Refe­ren­tin Simo­ne Dos Santos moti­vier­te für eine geschlech­ter­sen­si­ble Sprache.

Die Bibel und die Geschlechter

Im Tagungs­saal hängt ein Banner an der Wand: «Gott liebt viel­fäl­tig.» Was sagt die Bibel zu diesem Thema? Dieser Frage geht am zwei­ten Tag Gregor Emmen­eg­ger, Profes­sor für Kirchen­ge­schich­te an der Univer­si­tät Frei­burg, nach. Er zeigt auf, dass die Bibel sehr viel­fäl­ti­ge Aussa­gen zu den Geschlech­tern macht: Zum Beispiel habe Gott in erster Linie Adam als Menschen geschaf­fen und nicht als Mann und daraus die Frau, wie das verkürzt in jahr­hun­der­te­lan­gen Bibel­aus­le­gun­gen wieder­ge­ge­ben wurde. Auch der Umgang mit den Geschlech­tern habe sich im Laufe der ­Kirchen­ge­schich­te gewan­delt (s. Inter­view S. 11). Der Apos­tel Paulus schrieb im Brief an die ­Gala­ter: «Es gibt nicht mehr Juden und Grie­chen, nicht Skla­ven und Freie, nicht männ­lich und weib­lich; denn ihr alle seid einer in Chris­tus Jesus.»

Trans­frau Aman­da gab offen und ehrlich Einbli­cke in ihre Geschich­te und den Umgang mit Vorurteilen.
Die Teil­neh­men­den schil­der­ten persön­li­che Erfah­run­gen aus ihrem Arbeits­all­tag in der kirch­li­chen Jugendarbeit.

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 28. Novem­ber 2022

«Immer wieder weiterentwickelt»

Gregor Emmen­eg­ger, Sie haben über die histo­ri­sche Entwick­lung der kirch­li­chen Haltung zu Geschlech­ter­fra­gen refe­riert. Die Kirche lehrt, es gibt Mann und Frau. Ist die Frage damit nicht schon beantwortet?

Im Gegen­teil – die Haltung der Kirche hat sich im Laufe der Jahr­hun­der­te immer wieder verän­dert. Die Idee, dass Mann und Frau sich dualis­tisch gegen­über­ste­hen, verbrei­tet sich erst ab dem 17. Jahrhundert.

Wie gingen denn die Kirche und die Theo­lo­gie im frühen Chris­ten­tum mit dem Thema um?

Wer von Geschlech­tern redet, denkt darüber nach, was Menschen verbin­det und was sie trennt. In der Anti­ke und im Mittel­al­ter wurden die Geschlechts­merk­ma­le nicht auf zwei Geschlech­ter hin inter­pre­tiert. Man ging davon aus, dass es nur ein Menschen­ge­schlecht gibt, in stär­ke­rer männ­li­cher und schwä­che­rer weib­li­cher Ausprä­gung, und ohne abso­lu­te Tren­nung dazwi­schen. Man reflek­tier­te so mit medi­zi­ni­schem Voka­bu­lar die Gesell­schafts­ver­hält­nis­se: Der Bauer unter­schied sich nicht sehr von der Bäue­rin, aber sehr vom Ritter. Im 17. Jahr­hun­dert verän­der­te sich das. Die Frau­en blie­ben zuneh­mend zu Hause, die Männer gingen auswärts arbei­ten. Ein neues gesell­schaft­li­ches Modell entwi­ckel­te sich und man gewann einen neuen Blick auf die Geschlech­ter. Auch in der Kirche und in der Medi­zin wurde seit­her die Diffe­renz der Geschlech­ter betont.

Die Gender-Diskussion wird heute oft emotio­nal geführt. Was lehrt uns der Blick in die Kirchengeschichte?

In den vergan­ge­nen Jahr­hun­der­ten hatte die Kirche im Umgang mit diesem Thema weni­ger Mühe. Die Viel­falt wurde nicht als Gefahr verstan­den. Es wäre eine Chan­ce, wenn die Kirche heute die Menschen in ihrer Viel­falt sehen lernt und diese Viel­falt als Mehr­wert versteht. (ssi)

In jedem Winkel ein Friedenslicht

Durch das ­Enga­ge­ment von Privat­per­so­nen und Pfadis ­gelangt das Friedens­licht bis in die Pfar­rei­en – etwa in die Pfar­rei St. Maria Neudorf in St. Gallen. Dort können alle, die möch­ten, das Licht mit nach Hause nehmen.

Für Millio­nen von Menschen in aller Welt ist das Frie­dens­licht aus Beth­le­hem eine wich­ti­ge Weih­nachts­tra­di­ti­on. In der Schweiz wird es bereits zum 30. Mal verteilt und weiter­ge­ge­ben. Woher kommt der Brauch? Wie gelangt das Licht in all die Kirchen in der Regi­on? Und wieso braucht es einen persön­li­chen Beitrag zu Dialog und Frieden?

15. Novem­ber 2022: ­Entzün­dung des Friedenslichts

«Jeder Mensch kann in seinem persön­li­chen Umfeld einen klei­nen Beitrag leis­ten, der von Herzen kommt und zu Herzen geht», sagt Walter Stäh­lin, Präsi­dent des Vereins Frie­dens­licht Schweiz. Die Friedenslicht-Aktion steht in der Schweiz in diesem Jahr daher unter dem Motto «Ein star­kes Zeichen». Stäh­lin sagt: «Wege zur Versöh­nung brau­chen oft Mut, zeigen aber auch Stär­ke.» In diesem Jahr kommt das Frie­dens­licht bereits zum 30. Mal in die Schweiz. Entzün­det in der Geburts­grot­te in Beth­le­hem, wird es als Zeichen des Frie­dens von Mensch zu Mensch weiter­ge­schenkt und bleibt dabei immer dassel­be Licht. Spezi­ell in diesem Jahr ist, dass der Verein Frie­dens­licht Schweiz Ende Novem­ber eine Reise durchs Heili­ge Land orga­ni­sier­te. Am 15. Novem­ber war Stäh­lin auch bei der Entzün­dung des Frie­dens­lichts in der Geburts­grot­te von Beth­le­hem dabei – dies auf die Einla­dung des ORF. Der öster­rei­chi­sche Fern­seh­sen­der hatte 1986 die Idee für diese Akti­on. Das Licht soll­te als Zeichen des Frie­dens an den Sinn von Weih­nach­ten erin­nern. Seit­her reist in jedem Jahr ein öster­rei­chi­sches Kind nach Beth­le­hem, um dort das Licht zu entzün­den und nach Öster­reich zu brin­gen. In diesem Jahr war das die 12-jährige Sarah Noska.

11. Dezem­ber 2022: Über Wien nach Zürich

Norma­ler­wei­se nehmen Pfadis und ande­re Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen aus verschie­de­nen Ländern das Frie­dens­licht in Wien entge­gen. Von dort aus reist die Schwei­zer Dele­ga­ti­on jeweils mit dem Zug zurück in die Schweiz. Um das Frie­dens­licht in der ÖBB und SBB trans­por­tie­ren zu dürfen, braucht es einen Spezi­al­be­häl­ter und eine Trans­port­be­wil­li­gung. In diesem Jahr läuft die Über­ga­be etwas anders ab: Zum Jubi­lä­um «30. Friedenslicht-Ankunft in der Schweiz» werden die Haupt­ver­ant­wort­li­chen des ORF zusam­men mit einer Film­crew das Frie­dens­licht am 11. Dezem­ber nach Zürich brin­gen. Dort wird es an Frie­dens­licht­kin­der über­ge­ben, die es zu den Haupt­stütz­punk­ten Basel, Fribourg, Luzern und Zürich brin­gen. An diesen Orten wird das Licht zeit­gleich um 17 Uhr umrahmt von einer klei­nen Feier allen Anwe­sen­den über­ge­ben. Auf diese Weise gelangt es in weite­re Städ­te und Dörfer in der ganzen Schweiz.

Ab 11. Dezem­ber 2022:In die ganze Ostschweiz verteilt

Seit 29 Jahren holt die St. Galle­rin Jda Gara­ven­ta das Frie­dens­licht jeweils in Zürich ab und bringt es mit dem Zug nach St. Gallen. Auf die Akti­on aufmerk­sam wurde sie durch eine Freun­din in Zürich, die mit ihrer Schul­klas­se das Frie­dens­licht abhol­te. «Das war in einem ganz klei­nen Rahmen. Nebst meiner Freun­din war nur noch ich dabei», sagt die 66-Jährige. Die Ankunft des Frie­dens­lich­tes berühr­te sie so, dass sie fort­an jedes Jahr nach Zürich reis­te. «Ich empfand Ehrfurcht vor dem Licht, das aus der Geburts­grot­te in Beth­le­hem kam. Zudem hat eines meiner drei Kinder eine Behin­de­rung. Da der Erlös der Akti­on unter ande­rem in Projek­te für Menschen mit einer Behin­de­rung fliesst, fühl­te ich mich sehr aufge­ho­ben», sagt sie. In den ersten zwölf Jahren benutz­te Jda Gara­ven­ta eine Petroll­am­pe, um das Licht trans­por­tie­ren zu können. Diese stell­te sie dann jeweils im Trep­pen­haus vor ihrer Wohnungs­tür auf. Wer woll­te, konn­te sich dort das Frie­dens­licht nach Hause holen. Seit eini­gen Jahren benutzt sie eine offi­zi­el­le Frie­dens­ker­ze und verteilt das Licht mit Hilfe ihres Freun­des­krei­ses an Stütz­punk­te, die ihr wich­tig sind wie die Kathe­dra­le, das Kantons­spi­tal, das inner­rho­di­sche Klos­ter Wonnen­stein und an den Bischof. Unter­stützt wird sie beim Abho­len und Vertei­len des Frie­dens­lich­tes immer von ihrem Mann Charles Gara­ven­ta und ihren drei Kindern. In diesem Jahr kommt das Frie­dens­licht am 11. Dezem­ber in St. Gallen an und wird in den folgen­den Tagen auch mit Hilfe eini­ger Pfadi­ab­tei­lun­gen in verschie­de­ne Pfar­rei­en verteilt. Jda Gara­ven­ta sagt: «Ich stau­ne jedes Jahr über dieses Licht, das mir so wich­tig gewor­den ist und so viele Menschen zu Tränen rührt.»

24. Dezem­ber 2022: Ein Licht für zuhause

Spätes­tens ab dem 24. Dezem­ber kann das Frie­dens­licht in einer Viel­zahl von Kirchen mit nach Hause genom­men werden. Infos dazu finden sich auch in den verschie­de­nen, regio­na­len Innen­tei­len des Pfar­rei­fo­rums. Nach­fol­gend sind eini­ge Beispie­le aufgelistet:

Kathe­dra­le St. Gallen

«Die Weih­nachts­bot­schaft vom Licht und vom Frie­den bewegt die Menschen sehr, beson­ders in dieser Zeit», sagt Dompfar­rer Beat Grög­li. «Mit dem Frie­dens­licht können sie etwas von dieser Hoff­nung mit nach Hause nehmen.» Am 24. Dezem­ber gibt es in der Kathe­dra­le um 14.30 Uhr eine Krip­pen­fei­er für Fami­li­en mit klei­nen Kindern. Um 17 Uhr folgt der Weih­nachts­got­tes­dienst mit Fami­li­en und für alle. «In diesen Feiern geben wir das Frie­dens­licht weiter. Danach steht die Later­ne mit dem Frie­dens­licht bei der Krip­pe. Alle können in den Weih­nachts­ta­gen bis Neujahr das Licht dort abho­len», sagt er.

Neudorf St. Gallen

«Die geseg­ne­ten Kerzen sind gefragt. Sie erin­nern an die Frie­dens­sehn­sucht und lassen viele für den Frie­den beten», sagt Hans­jörg Frick, Pfar­rei­be­auf­trag­ter St. Maria Neudorf. Er schätzt, dass rund 500 der offi­zi­el­len Frie­dens­licht­ker­zen, die in einem Korb bei der Krip­pe liegen, verkauft werden. Der Erlös geht an die Akti­on Frie­dens­licht. «Alle sind einge­la­den, bei Chris­tus, dem Licht der Welt, eine Frie­dens­ker­ze zu entzün­den», sagt er. In den kirch­li­chen Südos­ten der Stadt St. Gallen gelangt das Frie­dens­licht durch die Pfadi Fonta­na, die es entwe­der in Zürich oder in einer benach­bar­ten Pfar­rei abholt.

Walen­see

«Für viele Perso­nen ist das Frie­dens­licht in den vergan­ge­nen Jahren immer wich­ti­ger gewor­den», sagt Pavel Zupan, Pfar­rei­be­auf­trag­ter in Berschis-Tscherlach. «Und gera­de in diesem Jahr ist das Bewusst­sein dafür, wie zerbrech­lich Frie­den ist, wegen des Kriegs in der Ukrai­ne stark. Ich rech­ne daher damit, dass sich noch mehr Perso­nen als sonst das Frie­dens­licht nach Hause holen werden. Darun­ter werden vermut­lich auch viele sein, die keinen star­ken Bezug zur Kirche haben.» ­Spätes­tens an Weih­nach­ten steht das Frie­dens­licht in jeder Pfarr­kir­che der Seel­sor­ge­ein­heit Walen­see bereit.

Werden­berg

«Das Frie­dens­licht bedeu­tet vielen Menschen viel, zumal es eine emotio­na­le Verbin­dung zu Beth­le­hem herstellt», sagt Erich Gunt­li, Pfar­rer der Seel­sor­ge­ein­heit Werden­berg. Das Frie­dens­licht gelangt via Bad Ragaz in die ganze Seel­sor­ge­ein­heit. «Die gros­se Friedenslicht-Kerze steht ab dem Morgen des Heilig­abends in den Kirchen. Dort können sich alle das Licht nach Hause ­holen», sagt er.

Toggen­burg

«Wir holen das Frie­dens­licht für unse­re Seel­sor­ge­ein­heit Unte­res Toggen­burg selbst in Zürich ab», sagt Pfar­rer Josef Manser. Alle, die möch­ten, könn­ten ihn als Vertre­ter des Pasto­ral­teams auf der Bahn­rei­se am 11. Dezem­ber nach und von Zürich ­zurück beglei­ten. «Am 13. Dezem­ber um 9 Uhr feiern wir das Frie­dens­licht in der Kirche St. Kili­an in Bütschwil im Gottes­dienst. Dort bleibt es bis zum 8. Janu­ar», sagt Josef Manser.

Das Frie­dens­licht in der Kirche St. Kili­an in Bütschwil. 

Text: Nina Rudnicki

Bild: Benja­min Manser

Veröf­fent­li­chung: 22. Novem­ber 2022

Ein Frustrierter bricht auf

Inspi­riert durch Pilge­rin­nen und Pilger und deren Erleb­nis­se hat die Rorscha­ch­e­rin ­Beatri­ce Mock das ­Thea­ter­stück ­«#JAKOB S WEG – ein Pilger­stück» geschrie­ben. Die Komö­die ­beleuch­tet die unter­schied­li­chen Pilger-Beweggründe. Im Novem­ber ist Premiere. 

Die Theo­lo­gin und Thea­ter­schaf­fen­de Beatri­ce Mock wurde vom Verein Pilger­her­ber­ge Sankt Gallen ange­fragt, ein Pilger­thea­ter zu entwi­ckeln. «Ein Stück zwischen Klamauk, Komö­die und spiri­tu­el­lem Gebet, etwa so laute­te der Auftrag», erklärt Beatri­ce Mock mit Schalk in ihrer Stim­me. Von Seite des Vereins Pilger­her­ber­ge sagt Erika Pert­zel, Ideen­ge­be­rin und OK-Präsidentin für das Pilger­thea­ter: «Wir möch­ten bewusst auch Leute ausser­halb der Pilger-Szene anspre­chen und die Pilge­rei noch bekann­ter machen.»

Stephan Bitsch spielt die Haupt­rol­le Ambros.

Eine intel­lek­tu­el­le Reise

Mock hat den Jakobs­weg noch nicht unter die eige­nen Füsse genom­men, dennoch ist sie faszi­niert vom Pilgern. «Wir alle sind stän­dig unter­wegs von einem Ort zum andern, von einer Szene zur nächs­ten. Beim Pilgern möch­ten viele den Alltag hinter sich lassen und sich neu besin­nen.» Bei ihrer inten­si­ven Recher­che hat sie erstaun­li­che Eindrü­cke und Fakten über das Pilgern erhal­ten und rasch gemerkt, dass die Asso­zia­tio­nen zum Pilgern sehr viel­sei­tig sind. Nach der Lektü­re von Studi­en und Büchern folg­te der prak­ti­sche Teil: An fünf Tref­fen mit Bekann­ten aus ihrer «Theater-Bubble» und Jakobsweg-Interessierten hat sie indi­vi­du­el­le Erfah­run­gen und Ansich­ten von Pilgern­den und Ange­hö­ri­gen einge­holt. Sie haben disku­tiert, warum sich jemand auf eine Pilger­rei­se begibt und was das Gehen auslöst. Eine wich­ti­ge Inspi­ra­ti­ons­quel­le war auch die Ausstel­lung von Johann Kralew­ski mit 17 lebens­gros­sen Skulp­tu­ren. Das Credo des Künst­lers laute­te: «Ich will bewe­gen, dies gilt sowohl auf körper­li­cher Ebene wie auch in intel­lek­tu­el­ler Hinsicht.» Ihre gesam­mel­ten Inputs hat Mock zu einer Geschich­te verar­bei­tet. Das fina­le Dreh­buch schrieb sie in Vezelay – einem male­ri­schen Dorf im fran­zö­si­schen Burgund, wo Pilgern­de aus ganz Euro­pa vorbei­zie­hen. «Durch einen Facebook-Post bin ich zu einer Unter­kunft an diesem Pilger-Hotspot gekom­men», sagt Mock. 

Beatri­ce Mock hat das Stück geschrie­ben und sie wirkt auch als Regis­seu­rin mit.

Hash­tag bedeu­tet Stress

Nicht selten ist eine Krise der Auslö­ser für eine Pilger­rei­se. So auch beim Haupt­dar­stel­ler Ambros. Er ist ein Jour­na­list der alten Schu­le, der mit seiner geplan­ten Story «Jakob ist weg» versagt. Frus­triert über den ober­fläch­li­chen und schnell­le­bi­gen Online-Journalismus, bricht er aus seinem Hams­ter­rad aus und geht auf den Jakobs­weg. Ange­spro­chen auf den Hash­tag im Titel des Stückes, erklärt Mock: «Damit symbo­li­sie­ren wir die moder­ne Welt des Jour­na­lis­mus, die Jagd nach «Klicks» und «Views» als Kontrast zur seriö­sen, fakten­ori­en­tier­ten Bericht­erstat­tung, wie sie unser Ambros betreibt.» Im Stück spie­len zwei weite­re pilgern­de Figu­ren mit: eine älte­re Dame, die ihre Reise auf dem Jakobs­weg als spiri­tu­el­le Schluss­auf­ga­be vor dem Tod sieht und eine junge Bike-Pilgerin, die stän­dig neue, aben­teu­er­li­che Trails sucht. «Viele pilgern heute aus sehr unter­schied­li­chen Beweg­grün­den, das wollen wir mit diesem Thea­ter aufgrei­fen. Die Fragen rund um das Thema Pilgern sind sehr mensch­lich, aktu­ell und kultur­über­grei­fend.» Ob sie auch reli­giö­ser Natur sind, über­las­se sie dem Publikum. 

Das Ensem­ble probt einmal bis zwei Mal pro Woche in Rorschach.

Keine einfa­che Hauptrolle

Das Theater-Ensemble besteht aus sechs Laien-Schauspielende und einer profes­sio­nel­len Spre­che­rin. «Die gröss­te Heraus­for­de­rung besteht darin, passen­de Proben­ter­mi­ne zu finden», gesteht Mock. Für Stephan Bitsch, der die Haupt­rol­le Ambros spielt, bedeu­ten die ein- bis zwei­mal wöchent­li­chen Proben und die Ausein­an­der­set­zung mit der Rolle einen gros­sen Zeit­auf­wand. Er selbst arbei­tet als Sozi­al­päd­ago­ge und hat vor sechs Jahren die Ausbil­dung zum Thea­ter­päd­ago­gen absol­viert. Er freut sich, mit dieser Rolle nun auch Bühnen­er­fah­rung als Schau­spie­ler sammeln zu können: «Es ist aller­dings keine einfa­che Rolle, ich muss­te mich zuerst in die Gefühls­la­ge des frus­trier­ten Typen in seiner Lebens­kri­se hinein­ver­set­zen bis ich merk­te, dass ein klei­ner Teil in mir auch unzu­frie­den ist. In der Rolle kann ich nun diese eige­ne Unzu­frie­den­heit ausle­ben, was sehr befrei­end ist. Gleich­zei­tig bin ich froh, dass Ambros in diesem Stück auch eine Wand­lung durch­macht.» Pilgern kennt Bitsch aus eige­ner Erfah­rung: «Ich war schon drei­mal auf dem Pilger­weg in der Schweiz, einmal auch fastend, was das Erleb­nis noch inten­si­ver mach­te». Die Auffüh­run­gen im Novem­ber sollen erst der Anfang sein, die Thea­ter­crew will mit ihrem Stück auf Tour gehen.

Das Theater-Ensemble besteht aus sechs Laien-Schauspielende und einer profes­sio­nel­len Sprecherin

Weite­re Infos Pilgertheater

Text: Katja Hongler

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 14.11.2022

«Nicht ­motzen, sondern machen»

Der St. Galler Banker Fabio de Deus (24) enga­giert sich bei «Churching», dem ­Reform- und Innova­ti­ons­pro­jekt des ­Bistums St. Gallen. «In der Kirche ­beschäf­tigt man sich oft viel zu sehr mit Brain­stor­men und Disku­tie­ren», sagt er, «viel wich­ti­ger wäre es, ins ­Machen und Auspro­bie­ren zu kommen.»

«Auf meinen Nach­na­men werde ich sehr oft ange­spro­chen – im Beruf, aber auch privat», sagt Fabio de Deus und lacht. Doch der Schwei­zer mit brasi­lia­ni­schen Wurzeln habe kein Problem damit, Gott (Deus) in seinem Namen zu tragen: «Ich bin ein gläu­bi­ger Mensch, der Glau­be und die Kirche sind mir wich­tig.» Aber ihm gehe es wie vielen ande­ren: «Die Struk­tu­ren der Kirche müssen über­dacht werden. Es muss wieder mehr um das Eigent­li­che gehen wie zum Beispiel um die Ausein­an­der­set­zung mit Jesus.» Deshalb betei­ligt er sich in seiner Frei­zeit beim Projekt «Churching».

Fabio de Deus wünscht sich von der Kirche mehr Mut am Ausprobieren.

Wich­ti­ge Plattform

Das kirch­li­che Inno­va­ti­ons­pro­jekt ist im Früh­ling gestar­tet. Das Bistum St. Gallen will damit jungen Erwach­se­nen ermög­li­chen, die Zukunft der Kirche aktiv mitzu­ge­stal­ten. «Die Mitwir­ken­den sind zwischen 17 und 30 Jahre alt», so Fabio de Deus, der beruf­lich in der Vermö­gens­ver­wal­tung bei einer Schwei­zer Gross­bank tätig ist. Zwei Churching-Treffen haben bereits statt­ge­fun­den, im Novem­ber geht es weiter (siehe Kasten). «Ich finde es toll, dass das Bistum diese Platt­form gegrün­det hat. Nach meinem Geschmack lag bei eini­gen Teil­neh­mern an den bishe­ri­gen Tref­fen der Fokus zu stark auf dem Kriti­sie­ren und Brain­stor­men. Kriti­sie­ren kann jeder, aber konkre­te Ideen kommen nur von weni­gen. Ich würde mir wünschen, dass die Kirche viel mehr Mut hat am Auspro­bie­ren und Expe­ri­men­tie­ren. Erst so findet man heraus, was funktioniert.»

Der 24-jährige Banker sieht Chan­cen in Gemeinschaftserlebnissen.

Gemein­schafts­er­leb­nis­se

Fabio de Deus besucht regel­mäs­sig den Gottes­dienst. Offen über den Glau­ben zu spre­chen, fällt ihm nicht schwer. Seit eini­gen Jahren enga­giert er sich zudem als Firm­be­glei­ter. Dort bekommt er mit, dass auch heute viele junge Menschen an Glau­bens­fra­gen inter­es­siert sind. «Um sie zu errei­chen, muss die Kirche aber unbe­dingt an der Spra­che und der Kommu­ni­ka­ti­on arbei­ten», sagt der 24-Jährige. Eine gros­se Chan­ce sieht er in der Gemein­schaft: «Zusam­men­sein, mitein­an­der etwas erle­ben – gera­de das ist doch Kirche. Die Kirche soll­te noch mehr auf Gemein­schafts­er­leb­nis­se setzen und diese nach aussen sicht­bar machen.» Das sei aus seiner Sicht viel wich­ti­ger als Poli­tik zu betrei­ben. «Wenn ande­re mitbe­kom­men: Da fühlen sich Menschen wohl, da erlebt man mitein­an­der etwas, dann bekom­men auch Kirchen­fer­ne Lust, dabei zu sein.» Diese Erfah­rung mache er auch als Firm­be­glei­ter bei den Firm­we­gen. «Junge Menschen knüp­fen hier Kontak­te, die oft über die Firmung hinaus bestehen.» Auch die Ideen, die er bei «Churching» einge­bracht hat, gehen in diese Rich­tung: «Ich fände es cool, wenn die Pfar­rei­en mehr Treff­punk­te für junge Menschen anbie­ten.» Er ist gespannt auf den drit­ten Churching-Anlass und hofft, dass auch eini­ge neue Leute dabei sind, die seine Philo­so­phie teilen: «Nicht motzen, sondern machen».

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontoulis

Churching mit dem Bischof

Das 3. «Churching»-Netzwerktreffen findet am 26. ­Novem­ber 2022, 14 bis 18 Uhr in St. Gallen statt. An diesem Tref­fen werden sich auch Bischof Markus Büchel und weite­re kirch­li­che Entscheidungs­träger:innen betei­li­gen. Infos: www.churching.ch

«Intensiv über die Zukunft diskutiert»

Gross­an­drang bei den Pilger­ta­gen, inten­si­ve Besin­nungs­mo­men­te: «Die Akti­vi­tä­ten rund um das Bistums­ju­bi­lä­um sind auf grös­se­re Reso­nanz gestos­sen als erwar­tet», freut sich Ines Scha­ber­ger, Geschäfts­füh­re­rin des Bistums­ju­bi­lä­ums, kurz vor dem gros­sen Fest­tag am 25. September.

Allein am ersten Pilger­tag haben rund hundert Perso­nen teil­ge­nom­men», sagt Ines Scha­ber­ger, Geschäfts­füh­re­rin des Bistums­ju­bi­lä­ums. Auch an den Pilger­ta­gen hätten viele die Gele­gen­heit genutzt, sich in einer unbe­kann­ten Bistums­re­gi­on auf den Weg zu machen. «Viele Teil­neh­men­de haben es geschätzt, dass sie beim Pilgern neue Menschen kennen­ler­nen konn­ten.» Scha­ber­ger merkt an: «Wer noch dabei sein möch­te, hat noch am 17. Pilger­tag am 24. Septem­ber eine Möglich­keit dazu.» Am Jubi­lä­ums­tag, 25. Septem­ber, selbst gibt es Stern­pil­gern zur Kathe­dra­le. Die verschie­de­nen Orte und Start­zei­ten sind online (siehe unten) zu finden.

Mit Geschich­te beschäftigt

Vergli­chen mit ande­ren Bistü­mern ist das Bistum des Heili­gen Gallus mit seinen 175 Jahren noch ziem­lich jung. Trotz­dem oder gera­de deshalb scheint dessen Geschich­te viele zu inter­es­sie­ren. So stiess auch die Fest­aka­de­mie im Früh­ling auf Reso­nanz: «Wir hatten so viele Anmel­dun­gen, dass die Veran­stal­tung in einen grös­se­ren Raum verlegt werden muss­te», so Ines Scha­ber­ger. Neben Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­gern seien auch viele Kirchen­ver­wal­tungs­rä­te, Pfar­rei­rä­te und auch Vertre­ter aus der Poli­tik dabei gewe­sen. «Viele der hundert­zwan­zig Teil­neh­men­den hat beson­ders die Frage inter­es­siert, woher wir kommen und wie beispiels­wei­se das beson­de­re Bischofs­wahl­recht des Bistums St. Gallen entstan­den ist. Es wurde auch inten­siv über die Zukunft disku­tiert: Wie werden Kirche und unser Bistum morgen sein?» Einfa­che Lösun­gen gibt es nicht, aber die Refe­ren­tin­nen und Refe­ren­ten zeig­ten mögli­che Wege auf: «Wir dürfen Kirche nicht nach der verfüg­ba­ren Zahl der Amts­trä­ger gestal­ten», sagte Eva-Maria Faber, Profes­so­rin an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur. «Man kann Menschen nicht verbie­ten, Kirche zu sein.»

«Beispiels­wei­se wird sich im Novem­ber das Pasto­ral­fo­rum mit dem Thema Hören und Zuhö­ren beschäf­ti­gen – das passt sowohl zum synoda­len Prozess als auch zu den Anlie­gen des Bistumsjubiläums.»

Ines Scha­ber­ger

Vom Vati­kan bestärkt

Das Jubi­lä­um 175 Jahre Bistum St. Gallen habe von einem uner­war­te­ten Ereig­nis aus Rom profi­tiert: «Als die Planun­gen für das Jubi­lä­um begon­nen haben, wuss­ten wir noch nicht, dass Papst Fran­zis­kus fast zeit­gleich die Synoda­len Prozes­se initi­iert. Wir versuch­ten, diese Anlie­gen mit unse­ren Jubi­lä­ums­ak­ti­vi­tä­ten zu verbin­den», so Scha­ber­ger. Das Bistum will an manchen Ideen, die bei den Jubi­lä­ums­fei­er­lich­kei­ten bespro­chen wurden, dran­blei­ben: «Beispiels­wei­se wird sich im Novem­ber das Pasto­ral­fo­rum mit dem Thema Hören und Zuhö­ren beschäf­ti­gen – das passt sowohl zum synoda­len Prozess als auch zu den Anlie­gen des Bistumsjubiläums.»

Fest für alle

Jetzt konzen­triert sich Ines Scha­ber­ger aber auf das Jubi­lä­ums­fest am 25. Septem­ber – der Klos­ter­platz in St. Gallen soll ein gros­ser Begeg­nungs­ort für die ganze Bevöl­ke­rung werden: «Wir freu­en uns auf einen Tag mit einem reich­hal­ti­gen Programm. Im Jubi­lä­ums­got­tes­dienst um 10.30 Uhr wollen wir die Viel­falt der Katho­li­kin­nen und Katho­li­ken im Bistum sicht­bar machen: Es wirken zahl­rei­che Migra­ti­ons­ge­mein­den mit», sagt sie und betont: «Es ist ein Geburts­tags­fest, zu dem wir alle einla­den. Deshalb sind auch alle Ange­bo­te und selbst das Essen bei den Food­stän­den kosten­los.» Auf dem Programm stehen unter ande­rem eine Kathedralturm-Besichtigung und Führun­gen durch die Stifts­bi­blio­thek. Für Fami­li­en gibt es nach dem Fami­li­en­got­tes­dienst in der Schutz­en­gel­ka­pel­le eine Spiel­wie­se im Klos­ter­hof mit einer Klet­ter­wand von Jungwacht-Blauring, Hüpf­kir­che und Bull Riding. Für die Durch­füh­rung werden noch Frei­wil­li­ge gesucht, die beim Auf- und Abbau helfen oder zum Beispiel einen Kuchen beisteuern.

Infos Pilger­tag sowie Programm 25. Septem­ber: www.bistum-stgallen.ch/175jahre

Text: Stephan Sigg

Bild: zVg.

Veröf­fent­licht: 19.09.2022

Sechs Mona­te, die den Alltag veränderten

Sechs Mona­te hat Sara Lenherr (40) bei den Gros­sen Exer­zi­ti­en im Alltag mitge­macht, die im Rahmen des Bistums­ju­bi­lä­ums ange­bo­ten wurden: «Ich habe schnell gemerkt, dass das Zeit­neh­men für die Gros­sen Exer­zi­ti­en im Alltag für mich kein Müssen, sondern ein Geschenk ist», sagt die Fami­li­en­frau und Kate­che­tin aus Wil. «Zuvor hatte ich immer das Gefühl, der Tag ist so durch­ge­tak­tet, es hat kaum mehr Platz – aber für die Gebets­zeit war immer Zeit. Mit drei Kindern zwischen 8 und 12 Jahren, den Abschluss­prü­fun­gen in der Ausbil­dung zur Kate­che­tin und dem Home Office meines Mannes war es sehr heraus­for­dernd. Wir wohnen in einem klei­nen Haus, also muss­te ich erfin­de­risch werden: Ich ging in die Kirche, in die Natur oder in den Keller, um zu beten. Mein einge­rich­te­ter Gebets­platz ist für mich aber immer noch der schöns­te Ort, wo ich zur Ruhe komme. Ich schrieb alles nieder und verbrann­te die Blät­ter mit meinem geist­li­chen Beglei­ter. Das war so wohl­tu­end! Die Verlet­zun­gen waren nicht weg, aber sie hatten sich verwan­delt, hatten nicht mehr diesel­be Kraft. Wenn ich mir jetzt anse­he, was ich während der Gros­sen Exer­zi­ti­en im Alltag aufge­schrie­ben habe, denke ich: Das war gar nicht ich! Es ist schön, zu merken, dass in mir etwas passiert ist. Ich habe in mir einen Schatz gefun­den, eine Liebe, die bleibt. Ich bin dank­ba­rer, ausge­gli­che­ner und zufrie­de­ner gewor­den. Mein Bild von Jesus hat sich verän­dert, das merke ich auch im Reli­gi­ons­un­ter­richt. Ich kann jetzt natür­li­cher erzäh­len, weil ich Erfah­run­gen mit dem Bibel­text gemacht habe. Für mich geht es defi­ni­tiv weiter.» (aufge­zeich­net: isa)

«Das Recht auf ­Selbstbestimmung ist fragil»

Wer sich für einen Schwan­gerschafts­ab­bruch entschei­det, hat Recht auf Unter­stüt­zung, ­Respekt und Zuwen­dung, sagt der Schwei­ze­ri­sche Katho­li­sche Frau­en­bund. Damit reagiert er auf Entwick­lun­gen rund um den Globus und eine umstrit­te­ne Aussa­ge von Papst Franziskus.

«Jede Frau, die sich trotz Notla­ge für die Mutter­schaft entschei­det, die ein unge­plan­tes Kind zur Welt bringt, aber auch jede Frau, die einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch vornimmt, hat Anspruch auf Unter­stüt­zung der Gesell­schaft, Respekt, Beglei­tung und Zuwen­dung. Dies ist eine Grund­for­de­rung christ­li­cher Nächs­ten­lie­be.» Mit diesen Worten reagiert der Schwei­ze­ri­sche Katho­li­sche Frau­en­bund (SKF) auf die Aussa­ge von Papst Fran­zis­kus im Juli, in der dieser Abtrei­bung mit Auftrags­mord verglich. «Wir müssen uns entschie­den gegen die Anspruchs­hal­tung stel­len, über den weib­li­chen Körper bestim­men zu können», begrün­det Sarah Pacia­rel­li, Medi­en­spre­che­rin des Schwei­ze­ri­schen Katho­li­schen Frau­en­bunds (SKF), die deut­li­chen Worte des Verban­des. «Das Recht auf Selbst­be­stim­mung haben sich die Frau­en in über hundert Jahren erkämpft. Dass dieses fragil ist, zeigen uns aber Entwick­lun­gen wie in den USA, wo nun das Recht auf Abtrei­bung ausser Kraft gesetzt wurde.»

Krimi­na­li­siert und stigmatisiert

In seiner Stel­lung­nah­me bezeich­ne­te der SKF die Aussa­ge des Paps­tes zudem als «scho­ckie­rend». «Scho­ckie­rend, weil die Not der Frau­en, die sich für eine Abtrei­bung entschei­den, verkannt wird. Keine Frau entschei­det sich leicht­fer­tig für diesen Schritt», sagt Sarah Pacia­rel­li. «Solche Aussa­gen führen einzig dazu, dass betrof­fe­ne Frau­en krimi­na­li­siert und stig­ma­ti­siert werden.»

Sarah Pacia­rel­li, Medi­en­spre­che­rin des Schwei­ze­ri­schen ­Katho­li­schen Frauenbunds.

Zwei Initia­ti­ven lanciert

Dass das Recht auf Selbst­be­stim­mung nicht selbst­ver­ständ­lich ist, zeigen nicht nur Entwick­lun­gen in den USA, sondern auch in Euro­pa und selbst in der Schweiz. In Polen dürfen ­Frau­en nur bei Todes­ge­fahr, nach einer Verge­wal­ti­gung oder Inzest einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch vorneh­men. Das polni­sche Abtrei­bungs­ge­setz gehört zu den strengs­ten in Euro­pa. In der Schweiz wurden aktu­ell mit «Lebens­fä­hi­ge Babys retten» und «Einmal darüber schla­fen» zwei Initia­ti­ven lanciert, die die Fris­ten­lö­sung in der Schweiz beschnei­den wollen. Die Fris­ten­lö­sung gilt in der Schweiz seit 2002 und über­lässt den Entscheid über eine Abtrei­bung bis zur 12. Schwan­ger­schafts­wo­che der Frau. Zur Diskus­si­on stand ausser­dem die Herzschlag-Initiative, die in der Schweiz ein Abtrei­bungs­ver­bot nach der sechs­ten Schwan­ger­schafts­wo­che vorsah. Aller­dings wurde dieses Vorha­ben vorerst zurückgezogen.

Soli­da­ri­täts­fond gegründet

Dass sich Frau­en meist nicht leicht­fer­tig für ­einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch entschei­den, zeigen auch die Zahlen des Bundes­am­tes für Statis­tik. In der Schweiz nehmen sechs von 1000 Frau­en einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch vor. Gemäss der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) gehört die Schweiz damit zu den Ländern mit den nied­rigs­ten Abtrei­bungs­ra­ten. Seit 2001 ist für den SKF daher klar, dass er den Entscheid der Frau über­las­sen möch­te. Noch vor Einfüh­rung der Fris­ten­lö­sung hielt er dies in seinem Posi­ti­ons­pa­pier fest. In den 1970er-Jahren grün­de­te der SKF auch den Soli­da­ri­täts­fond für Mutter und Kind. Dieser wurde laut Sarah Pacia­rel­li als Reak­ti­on darauf gegrün­det, dass damals die erste Abstim­mung für eine Fris­ten­re­ge­lung schei­ter­te. «So konn­ten Mütter, die in Not gera­ten waren, finan­zi­el­le Unter­stüt­zung bean­tra­gen», sagt sie. Den Fonds gibt es noch. In der Ostschweiz finden Frau­en in unter­schied­lichs­ten Situa­tio­nen zudem bei dem Bera­tungs­an­ge­bot «Mütter in Not» der SKF-Sektion St. Gallen-Appenzell eine Anlauf­stel­le. «Aus katho­li­scher Sicht setzen wir uns natür­lich und in erster Linie für den Schutz von unge­bo­re­nem Leben ein», sagt Sarah Pacia­rel­li. «Aber es gibt Situa­tio­nen, in denen sich Frau­en für eine Abtrei­bung entschei­den. Das gilt es zu respektieren.»

Text: Nina Rudnicki

Bilder: zVg. / pixabay.com

Veröf­fent­li­chung: 26. August 2022

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