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Margot Vogelsanger

«Das Stigma ist gross»

Maria Magda­le­na, das Bera­tungs­an­ge­bot des Kantons St. Gallen für Sexar­bei­ten­de, bietet seit Früh­jahr jede Woche in Buchs, Uznach und St. Gallen ein «Café des Profes­sio­nel­les» an. Es geht dabei um Austausch, aber auch um Gesund­heits­the­men und recht­li­che Fragen.

Der Tisch ist gedeckt, Kaffee­tas­sen, ein Kuchen, Guetz­li, eine Scha­le mit frischen Kirschen stehen bereit. «Mit unse­rem Café wollen wir Sexar­bei­ten­den die Möglich­keit geben, sich auszu­tau­schen», erklärt Margot Vogel­s­an­ger, Psycho­lo­gin und Team­lei­te­rin des Bera­tungs­an­ge­bots Maria Magda­le­na. «Die Teil­neh­men­den erhal­ten aber auch Inputs zu Gesund­heits­the­men, recht­li­chen Fragen oder auch zum Self­mar­ke­ting.» Dazu gehö­ren zum Beispiel Fragen rund um den Daten­schutz. Das Café erfül­le auch die Funk­ti­on von Selbst­hilfe. «Manch­mal spru­delt es nur so.» Und bei sprach­li­chen Miss­ver­ständ­nis­sen helfe auch schon mal die Über­set­zungs­funk­ti­on von Goog­le. Die Cafés stos­sen bis jetzt auf unter­schied­li­che Reso­nanz: Manch­mal seien sechs oder mehr Gäste bei einem Café, manch­mal tauche auch niemand auf.

Zusam­men­ar­beit mit Caritas

Ein Thema beschäf­ti­ge gegen­wär­tig viele: Seit der Corona-Pandemie hat die Nach­fra­ge nach­ge­las­sen. «Woran das genau liegt, weiss man nicht», sagt Margot Vogel­s­an­ger, «aber ein Grund ist sicher­lich die Digi­ta­li­sie­rung.» Einer­seits ermög­li­chen Apps und Online-Portale Sexar­bei­ten­den mehr Selbst­stän­dig­keit, da sie ihre Dienst­leis­tun­gen online bewer­ben können. Ande­rer­seits vergrös­sern sie die Konkur­renz. «Apps wie Tinder haben die Ware Sex viel schnel­ler verfüg­bar gemacht. Es kommt immer häufi­ger vor, dass Amateu­re ihre Dienst­leis­tun­gen anbie­ten.» Die exis­ten­zi­el­len Notla­gen nehmen zu. Laut Jahres­be­richt 2021 von Maria Magda­le­na sind finan­zi­el­le Fragen bei den Bera­tungs­ge­sprä­chen ein gros­ses Thema: 30 Prozent der Gesprächs­the­men beschäf­tig­ten sich damit. «Wir sind froh, auf die Zusam­men­ar­beit mit der Cari­tas zählen zu können», sagt Margot Vogel­s­an­ger. «Die Cari­tas unter­stützt Sexar­bei­ten­de bei der Schul­den­be­ra­tung oder bietet mit den Caritas-Märkten in St. Gallen und Wil die Möglich­keit, güns­tig einzu­kau­fen.» Während der Corona-Pandemie hätten zudem Cari­tas und der Katho­li­sche Konfes­si­ons­teil des Kantons St. Gallen Spen­den­gel­der für Sexar­bei­ten­de, die in finan­zi­el­le Not gera­ten sind, zur Verfü­gung gestellt.

Margot Vogelsanger, Maria Magdalena
Margot Vogel­s­an­ger berät auch Sexar­bei­ten­de beim Ausstieg.

Gesell­schaft­li­ches Stigma

Die Frage nach dem Ausstieg aus dem Beruf sei bei den Cafés bisher kaum ein Thema gewe­sen. «Wenn, dann taucht so etwas in Einzel­ge­sprä­chen auf, aber auch das eher selten», so Vogel­s­an­ger. Viele Bran­chen suchen momen­tan nach Perso­nal und die Chan­cen für Quer­ein­stei­ge­rin­nen und ‑einstei­ger sind gut, denkt da trotz­dem niemand an den Ausstieg? «Es mag wohl manche über­ra­schen, aber viele Sexar­bei­ten­de machen ihren Beruf gerne», betont Margot Vogel­s­an­ger. «Falls jemand ausstei­gen will, ist das oft eine Heraus­for­de­rung. Das gesell­schaft­li­che Stig­ma ist gross. Sie können ja bei der Bewer­bung nicht offen ange­ben, was sie bisher gemacht haben. Ich habe mir schon mit Klien­tin­nen den Kopf zerbro­chen, wie genau sie das in ihrem Lebens­lauf formu­lie­ren, ohne dass die Tür gleich wieder zugeht.» Für viele Beru­fe seien auch die sprach­li­chen Hürden zu hoch.

Viel­falt der Biografien

Margot Vogel­s­an­ger ist seit zwei Jahren bei Maria Magda­le­na tätig. Sie persön­lich habe die Viel­falt der Biogra­fien über­rascht: «In den Medi­en werden meist nur Klischees gezeigt: Auf der einen Seite Frau­en als Opfer von Ausbeu­tung und Menschen­han­del, auf der ande­ren Seite die Models, die perfekt ausse­hen. Natür­lich gibt es beides, aber das sind eher die Ausnah­men. Die Reali­tät ist viel diffe­ren­zier­ter.» In der Schweiz geht man nach einer Studie von 4000 bis 8000 Sexar­bei­ten­den aus. Doch in der Ostschweiz finde Sexar­beit meist im Verbor­ge­nen in Privat­woh­nun­gen statt. «Das macht es für uns schwie­ri­ger, mit ihnen in Kontakt zu kommen und auf unser Ange­bot aufmerk­sam zu machen.» Bei der Bera­tung hätten Fragen rund um Präven­ti­on von über­trag­ba­ren Krank­hei­ten, aber auch recht­li­che Fragen einen zentra­len Stel­len­wert «Aber häufig geht es um Themen, die Menschen in allen gesell­schaft­li­chen Milieus beschäf­ti­gen: Proble­me in der Ehe oder mit den Kindern, Stress, der Umgang mit eige­nen Wünschen und Bedürfnissen …»

Margot Vogelsanger, Maria Magdalena
Die Psycho­lo­gin Margot Vogel­s­an­ger ist seit zwei Jahren bei «Maria Magda­le­na» tätig.

Name als Türöffner

Das Bera­tungs­an­ge­bot für Sexar­bei­ten­de trägt den Namen einer bibli­schen Person. Margot Vogel­s­an­ger schmun­zelt: «Warum die Verant­wort­li­chen bei der Grün­dung unse­res Ange­bots vor 22 Jahren auf Maria Magda­le­na gekom­men sind, weiss ich nicht. Aber ich erle­be diesen Namen oft als Türöff­ner. Vor allem Sexar­bei­ten­de aus südame­ri­ka­ni­schen Ländern, aber auch aus Osteu­ro­pa wissen sofort etwas mit dem Namen anzu­fan­gen, sie fühlen sich ange­spro­chen und reagie­ren posi­tiv darauf.»

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 09. August 2022

Sr. Mirjam, Kloster Jakobsbad

Kapuzinerin hält 1.August-Rede

Die Luft­seil­bahn Jakobsbad-Kronberg AG hat ange­sichts Corona-Krise und Krieg dieses Jahr für die 1. August-Rede auf dem Kron­berg bewusst eine spiri­tu­el­le Person ange­fragt: Worüber wird Schwes­ter Mirjam Huber, Mutter des Klos­ters Leiden Chris­ti in Jakobs­bad AI, sprechen?

Ein biss­chen erschro­cken bin ich schon, als ich für die Fest­re­de ange­fragt wurde», gesteht Sr. Mirjam im Gespräch mit dem Pfar­rei­fo­rum. Es sei für sie in erster Linie eine Ehre, aber auch eine klei­ne Belas­tung. «Ich bin eigent­lich kein Mensch der gros­sen Worte.» Nach einer kurzen Bedenk­zeit hat sie trotz­dem zuge­sagt: «Es hat mich vor allem gefreut, dass jemand aus der Kirche ange­fragt wurde. Darum habe ich mich dann auch entschie­den, diese Aufga­be anzu­neh­men und die Chan­ce zu nutzen, die christ­li­che Sicht­wei­se zu vertre­ten.» Sie notiert sich immer wieder Gedan­ken für die Rede, die ihr im Alltag durch den Kopf gehen. «Viele Leute haben schwie­ri­ge Zeiten hinter sich, darum möch­te ich mit meiner Rede Zuver­sicht und Hoff­nung durch den Glau­ben verbrei­ten. Gleich­zei­tig möch­te ich auch meine Dank­bar­keit für die guten Lebens­be­din­gun­gen in der Schweiz zum Ausdruck brin­gen.» Gemäss Felix Merz, Geschäfts­lei­ter der Luft­seil­bahn Jakobsbad-Kronberg AG, hat das 1. August-Sonnenaufgangs-Programm auf dem Kron­berg eine lange Tradi­ti­on: «Wir durf­ten schon Bundes­rä­te und ande­re, viel­fäl­ti­ge Promi­nenz als Redner oder Redne­rin verpflich­ten. Dieses Jahr freut es uns ganz beson­ders, dass wir mit der Anspra­che von Sr. Mirjam eine ganz neue Perspek­ti­ve einbrin­gen können. Wegen des aktu­el­len Welt­ge­sche­hens mit Coro­na und Krieg woll­ten wir bewusst eine Persön­lich­keit mit einem spiri­tu­el­len Hinter­grund einladen.»

Lampi­ons und Feuerwerk

Sr. Mirjam, aufge­wach­sen in Schwar­zen­bach SG, schätzt das Leben hier­zu­lan­de: «Schwei­ze­rin zu sein, löst bei mir in erster Linie eine gros­se Dank­bar­keit aus. Ich sehe es als Geschenk an, in diesem schö­nen Land leben zu dürfen. Die Schweiz ist gut orga­ni­siert, wir leben im Frie­den und wir können unse­rer Regie­rung vertrau­en.» Daher ist für sie der Natio­nal­fei­er­tag auch ein wich­ti­ger Tag, der gefei­ert werden soll: «Wir dürfen unse­re Freu­de zeigen und feiern, ohne ein schlech­tes Gewis­sen zu haben.» In ihrer Fami­lie wurde der 1. August im klei­nen Rahmen gefei­ert. Sie verbin­det damit schö­ne Kind­heits­er­in­ne­run­gen: «Wir durf­ten beim Eindun­keln mit unse­ren Lampi­ons durchs Dorf laufen und am Abend haben wir fein geges­sen und sind zusam­men­ge­ses­sen. Der Vater hat klei­ne Vulka­ne und Sonnen­feu­er­werk ange­zün­det und wir Kinder durf­ten benga­li­sche Zünd­höl­zer im Kreis schwingen.»

Besuch aus ande­ren Klöstern

Im Klos­ter Leiden Chris­ti leben insge­samt acht Schwes­tern, die jüngs­te Schwes­ter ist 30 Jahre jung und die Ältes­te ist 87-jährig. Eine Schwes­ter ist Slowa­kin und zwei weite­re sind aus Deutsch­land. Der Alltag in der Gemein­schaft findet mehr­heit­lich hinter den eige­nen Klos­ter­mau­ern statt. Sie pfle­gen ihre Geschwis­ter­lich­keit gerne unter­ein­an­der, haben aber auch einen regen Austausch mit ande­ren Kapu­zi­ne­rin­nen aus verschie­de­nen Klös­tern der Schweiz. So trifft sich jähr­lich eine Dele­ga­ti­on von allen Gemein­schaf­ten abwech­selnd in einem ande­ren Klos­ter für einen Begeg­nungs­tag. Zudem orga­ni­sie­ren sie gemein­sa­me Weiterbildungs-Kurse und Feri­en in ande­ren Klös­tern. Sr. Mirjam erin­nert sich: «Früher hatten wir am 1. August jeweils Besuch von einer Grup­pe Schwes­tern von St. Katha­ri­na Wil. Sie verbrach­ten ganz in der Nähe ihre Feri­en und so haben wir am Abend zusam­men gefei­ert.» Aus gesund­heit­li­chen Grün­den ist es heute nicht mehr allen Schwes­tern von St. Katha­ri­na möglich, ins Appen­zel­ler­land zu reisen. Zwei von ihnen kämen nach wie vor tage­wei­se in die Feri­en: «So blei­ben die beson­de­ren 1. August­fei­ern in leben­di­ger Erin­ne­rung.» Der Natio­nal­fei­er­tag wird nun im eige­nen Kreis gefei­ert: «Wir haben am Abend eine Eucha­ris­tie­fei­er und beten insbe­son­de­re für unse­re Heimat und unse­re Regie­rung. Danach sitzen wir im Klos­ter­gar­ten zusam­men und genies­sen eine Brat­wurst vom Grill, singen ein paar Lieder und lassen den Abend gemüt­lich ausklin­gen.» Gut möglich, dass Sr. Mirjam vor diesem 1. August ein biss­chen früher zu Bett gehen wird, weil sie für ihre Rede vor Sonnen­auf­gang aufste­hen musste.

Text: Katja Hongler

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 28. Juli 2022

Was einen Ort zur Heimat macht

Die Fami­lie, Erin­ne­run­gen und die Gemein­schaft: Anläss­lich des 1. August hat das ­Pfar­rei­fo­rum am Sommer­fest des Pfar­rei­ra­tes Rorschach bei eini­gen Mitglie­dern nach­ge­fragt, was diesen Tag ausmacht. Was braucht es, damit man an einem Ort heimisch wird?

Itali­en, Portu­gal, Kroa­ti­en, ­Indi­en und die Schweiz: All diese Natio­nen sind im Pfar­rei­rat Rorschach vertre­ten. Wie kam es dazu, dass Sie sich auf diese Weise für die ­Gesell­schaft engagieren?

Sarah Soos­ai­pil­lai (49): Mein Grund ist meine Verbin­dung zu meiner Reli­gi­on. Ich stam­me aus Indi­en, bin aber katho­lisch. Damit bin ich Teil einer Minder­heit. Nur rund zwei Prozent der Inde­rin­nen und Inder gehö­ren in Indi­en dem Chris­ten­tum an. Dafür ist die katho­li­sche Gemein­schaft dort stark mitein­an­der verbun­den. An den Gottes­diens­ten sind die Kirchen immer voll. Als ich in die Schweiz kam, war für mich darum klar, dass ich mich auch hier gerne einbrin­gen woll­te. Zuerst enga­gier­te ich mich am Tag der Völker, an dem in der Pfar­rei Rorschach Menschen aus verschie­dens­ten Ländern gemein­sam Gottes­dienst feiern und anschlies­send zusam­men essen. 2015 wurde ich ange­fragt, ob ich mich im Pfar­rei­rat einbrin­gen wolle. Ich hatte zuerst Zwei­fel, ob meine Deutsch­kennt­nis­se ausrei­chen würden. Aber ich habe es dann einfach gewagt.

Armel­la Häne (75): Ich war acht Jahre lang als Kirchen­ver­wal­tungs­rä­tin tätig. Weil mir die Pfar­rei sehr viel bedeu­tet, ich mich gerne ­enga­gie­re, mich einbrin­ge und mitge­stal­te, liess ich mich anschlies­send gerne in den Pfar­rei­rat wählen.

Max Huwy­ler (57): Mir erging es wie euch beiden. Ich wurde vor drei Jahren vom Pasto­ral­team ange­spro­chen, ob ich nicht in den Pfar­rei­rat wolle. Nach kurzer Bedenk­zeit sagte ich zu. Meine Moti­va­ti­on für dieses Enga­ge­ment ist, dass man die Gele­gen­heit ergrei­fen soll­te, wenn man die Chan­ce bekommt, etwas mitzu­ge­stal­ten. Immer nur zu kriti­sie­ren wäre zu einfach, ausser­dem bewegt man damit nichts.

Carlos Simão (58): Ich kann mich anschlies­sen. Auch ich enga­gier­te mich am Tag der Völker als Vertre­tung der Portu­gie­sin­nen und Portu­gie­sen. Beim Apéro nach dem Gottes­dienst sprach mich der dama­li­ge Präsi­dent des Pfar­rei­ra­tes an. Er mein­te, da es so viele Portu­gie­sin­nen und Portu­gie­sen in Rorschach gibt, brau­che es auch jeman­den, der sie vertre­te. Das ist meine Moti­va­ti­on. Ich bin seit 2018 im Pfarreirat.

Was braucht es, damit ein Ort zur Heimat wird?

Carlos Simão: Heute ist Rorscha­cher­berg meine Heimat. Ich lebe seit 42 Jahren in der Schweiz. Mit 17 Jahren kam ich als Saison­nier hier­her, zuerst nach Gold­ach. Es sind die vielen Jahre, die dazu geführt haben, dass ich mitt­ler­wei­le mehr Schwei­zer als Portu­gie­se bin. Mein Leben findet hier statt. Einmal im Jahr gehe ich zurück nach Portu­gal. Das sind meine drei Wochen Feri­en, die ich mir gönne.

Sarah Soos­ai­pil­lai: Auch ich lebe schon seit 20 Jahren hier. Aber noch immer fühlt sich Indi­en wie meine Heimat an. Lang­sam muss ich wohl aber akzep­tie­ren, dass sich mein Leben für immer hier abspie­len wird. Meine Kinder sind hier verwur­zelt und werden wohl nicht nach Indi­en zurück­keh­ren. Sie sind 18 und 20 Jahre alt. Soll­te ich eines Tages Enkel­kin­der haben, so möch­te ich in deren Nähe sein. Aus meiner Fami­lie in Indi­en bin ich die einzi­ge, die hier lebt. Ich folg­te damals meinem Mann von Sri Lanka in die Schweiz, der wegen des Bürger­kriegs geflüch­tet war. Da meine gesam­te Verwandt­schaft in Indi­en lebt, ist mein Herz immer dort.

Max Huwy­ler: Ich habe im Duden nach­ge­schla­gen: Heimat ist per Defi­ni­ti­on jener Landes­teil, in dem man gebo­ren ist oder in dem man sich zuhau­se fühlt. Es braucht also eine enge Gefühls­ver­bun­den­heit, um sich irgend­wo heimisch zu fühlen. Ich bin stolz, Schwei­zer zu sein und dank­bar, in einem siche­ren Land zu leben. Das ist nicht selbst­ver­ständ­lich. Am Boden­see lebe ich seit 1989 und in Rorschach seit 2000. In meiner Kind­heit zog ich mit meiner Fami­lie in die Ostschweiz. Zuerst für ein Jahr nach Ebnat-Kappel und danach nach St. Gallen.

Armel­la Häne: Viel­leicht war es Zufall oder eher eine gute Fügung, dass ich nach Rorschach kam. Mein Mann war damals als Pasto­ral­as­sis­tent im Seel­sor­ge­team tätig. Rorschach ist mir in den vielen Jahren wirk­lich ans Herz gewach­sen und zur Heimat gewor­den: Durch seine wunder­ba­re Lage am See, durch die vielen Menschen, mit denen ich verbun­den bin, durch eine Reihe von Aufga­ben, die ich in Gesell­schaft und Kirche wahr­neh­men durf­te und immer noch wahrnehme.

Feiern Sie diese Verbun­den­heit beispiels­wei­se am 1. August?

Carlos Simão: Den 1. August habe ich nur als Saison­nier in meinen ersten Jahren hier miter­lebt. Seit­her bin ich immer zu dieser Zeit in Portu­gal in den Ferien.

Sarah Soos­ai­pil­lai: Wir sind eben­falls nicht immer hier am 1. August. Jedes vier­te Jahr reisen wir im Sommer nach Indi­en. Als meine Kinder klein waren, haben wir uns jeweils das Feuer­werk am Boden­see ange­schaut. In Indi­en ist der wich­tigs­te Tag der 15. August. Da feiern wir unse­re Unab­hän­gig­keit von Gross­bri­tan­ni­en. Verglei­chen kann man die beiden Feier­ta­ge aber nicht direkt. Anders als Indi­en stand die Schweiz nie unter einer frem­den Herrschaft.

Carlos Simão: In Portu­gal ist am 10. Juni Natio­nal­fei­er­tag. Die Fest­lich­kei­ten halten sich da aber in Gren­zen. Viel mehr gefei­ert wird am Fest des Heili­gen Johan­nes am 24. Juni. Da gibt es über­all Feuer­werk und Musik und das Fest erin­nert mich sehr an den 1. August hier.

Sarah Soos­ai­pil­lai: Inter­es­sant, dass du das sagst. Am Unab­hän­gig­keits­tag in Indi­en tragen alle die Flag­ge auf ihrer Klei­dung, vor allem die Schü­le­rin­nen und Schü­ler. An diesem Tag zeigen wir, wie stolz wir auf unse­re Natio­na­li­tät sind. Dieser Patrio­tis­mus wird ab Kind­heit geför­dert. Es gibt etwa Para­den und Märsche an den Schu­len. Ich würde sagen, der 1. August steht für unge­zwun­ge­nes Feiern und beisam­men sein, der Unab­hän­gig­keits­tag in Indi­en für den Patriotismus.

Armel­la Häne: Der Natio­nal­fei­er­tag weckt in mir vor allem ein Gefühl der Dank­bar­keit, dass ich in einem Land leben darf, das mir so viele Möglich­kei­ten bietet, mein Leben frei, selbst­be­stimmt und sinn­voll zu gestal­ten. Aus dieser Dank­bar­keit wächst für mich auch die Verpflich­tung, unse­rem Land Sorge zu tragen, damit auch die nächs­ten Gene­ra­tio­nen diese Möglich­kei­ten weiter zur Verfü­gung haben.

Max Huwy­ler: Mich zieht es meist an die Bundes­fei­er auf der Arionwie­se. Die Feier dort steht für mich für Kommu­ni­ka­ti­on, zwischen­mensch­li­che Bezie­hung und das Zusam­men­sein mit Fami­lie, Freun­den und Bekann­ten. Feuer­werk und Deko­ra­ti­on gehö­ren natür­lich auch dazu. Meine beiden Balko­ne sind an diesem spezi­el­len Geburts­tags­fest mit Schwei­zer­fähn­li geschmückt – meist blei­ben diese bis zu meinem eige­nen Geburts­tag am 5. August hängen.

Armel­la Häne: Max, mit den Fahnen auf deinen Balko­nen, die bis zu deinem Geburts­tag dort blei­ben, drückst du deine Iden­ti­fi­ka­ti­on aus und zeigst, wofür dein Herz steht?

Max Huwy­ler: Ja, auf unse­re Heimat bin ich stolz. Ich war zwar nicht dabei, als die Schwei­zer Eidge­nos­sen­schaft 1291 auf der Rütli-Wiese gegrün­det wurde. Aber ich fühle mich mit diesem ­Moment verbunden.

Im Pfar­rei­rat Rorschach ­kommen verschie­dens­te kultu­rel­le ­Hinter­grün­de zusam­men. Wie berei­chert das dessen Arbeit?

Max Huwy­ler: Für mich ist das gar nicht beson­ders bemer­kens­wert. Mit Menschen unter­schied­li­cher Natio­nen zusam­men­zu­ar­bei­ten soll­te längst Alltag sein. Im Pfar­rei­rat wirken Perso­nen von verschie­de­nen Teilen der Erde mit. Alle brin­gen ihre Themen ein, etwa aus der Missio­ne Catto­li­ca Italia­na oder der Missi­on der Portu­gie­sin­nen und Portu­gie­sen. Diese Viel­falt zeich­net unse­re Arbeit aus.

Armel­la Häne: Ich liebe den «Tag der Völker», den wir jeweils im Novem­ber mit einem stim­mungs­vol­len Gottes­dienst und einem anschlies­sen­den Fest feiern. An diesem Tag wird für mich beson­ders sicht­bar und erleb­bar, welchen Reich­tum die kultu­rel­le Viel­falt in unse­rer Pfar­rei und Stadt darstellt. Mir sind die Möglich­kei­ten und Chan­cen dieser Viel­falt immer näher gewe­sen als die Proble­me und Heraus­for­de­run­gen, die damit natür­lich auch verbun­den sind.

Sarah Soos­ai­pil­lai: Ich möch­te ergän­zen, dass ich mich hier akzep­tiert fühle und viel Offen­heit spüre. Ich bin dank­bar, in Rorschach und im Pfar­rei­rat zu sein und auf diese Weise das Pfar­rei­le­ben mitge­stal­ten zu können.

Carlos Simão: Mir geht es genau­so, ich habe immer das Gefühl, dass unse­re Meinung gewünscht oder gefragt ist. Seitens der Portu­gie­sen gibt es in Rorschach die Fatima-Prozession, zu der alle einge­la­den sind. Mitwir­ken, einbe­zie­hen, sich auf neue Sachen einlas­sen: Das zeich­net Rorschach und spezi­ell auch die Arbeit im Pfar­rei­rat aus.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Benja­min Manser

Veröf­fent­li­chung: 25. Juli 2022

Nachruf em. Bischof Ivo Fürer

Der emeri­tier­te Bischof Ivo Fürer ist am 12. Juli 2022 verstor­ben. Er als Theo­lo­ge und Bischof nicht nur das Bistum St.Gallen geprägt.

Am Diens­tag­nach­mit­tag, 12. Juli, ist der emeri­tier­te Bischof Dr. Ivo Fürer, gebo­ren am 20. April 1930, in seinem 93. Lebens­jahr nach länge­rer Parkin­son­er­kran­kung verstor­ben. Ivo Fürer war von 1995 bis 2006 Bischof des Bistums St.Gallen.

Ivo Fürer wurde im März 1995 zum 10. Bischof von St.Gallen geweiht. Schon vorher hatte er die Kirche vor Ort und inter­na­tio­nal mitge­prägt. Als Gene­ral­se­kre­tär des CCEE (Euro­päi­sche Bischofs­kon­fe­renz) vermit­tel­te er mit gros­sem diplo­ma­ti­schen Geschick. Diese inter­na­tio­na­len Kontak­te pfl egte er als Bischof weiter. Als es 2005 um die Nach­fol­ge des verstor­be­nen Paps­tes Johan­nes Paul ll. ging, brach­ten die Mitglie­der eines Zirkels von Theo­lo­gen einen argen­ti­ni­schen Kardi­nal, der ihre Werte teil­te, ins Spiel: Jorge Mario Berg­o­glio. Bischof Ivo Fürer erhielt damals eine Karte aus Rom, auf der geschrie­ben stand: «Wir sitzen zusam­men im Geis­te von St.Gallen». Der Argen­ti­ni­er wurde im ersten Anlauf nicht gewählt, folg­te jedoch 2013 auf Papst Bene­dikt XVI. und wirkt seit­her als Papst Fran­zis­kus. Ivo Fürers Weit­blick präg­te auch sein Amt als Bischof, das er bis im Okto­ber 2005 wahr­nahm. Eine lang vorbe­rei­te­te Konse­quenz war beispiels­wei­se die Herauf­set­zung des Firm-Alters auf 18 Jahre. Junge Menschen entschei­den nun selbst, ob sie sich in der Kirche enga­gie­ren wollen oder nicht, ob sie ihre Kirchen­zu­ge­hö­rig­keit mit der Firmung besie­geln wollen oder nicht. 

Der emeri­tier­te Bischof Ivo Fürer bei einem seiner letz­ten Auftrit­te: Seine Buch­ver­nis­sa­ge im Dezem­ber 2018.

Zukunfts­wei­send

Bischof Ivo Fürer stärk­te die Stel­lung der «Laien» im kirch­li­chen Dienst. Frau­en und Männer sind heute in verant­wor­tungs­vol­len Posi­tio­nen tätig, in den Pfar­rei­en und Seel­sor­ge­ein­hei­ten, in den Fach­stel­len und in der Bistums­lei­tung. Und er stell­te sich stets gegen Weisun­gen aus Rom, die ein Predigt­ver­bot für nicht-geweihte Mitar­bei­ten­de forder­ten. Lange bevor es ein öffent­lich viel disku­tier­tes Thema war, sprach Ivo Fürer in Rom über die Möglich­keit von «viri proba­ti», die Weihe von bewähr­ten verhei­ra­te­ten Männern im kirch­li­chen Dienst – ein Thema, das heute durch die Amazonas-Synode erneut disku­tiert wird. Und er ebne­te seinem Nach­fol­ger, Markus Büchel, sowie allen, die zur Gemein­schaft der Kirche des Bistums St.Gallen gehö­ren, manches Wegstück in die heuti­ge Zeit. 

Unter­stüt­zer des Pfarreiforums

Auch die Grün­dung des Pfar­rei­fo­rums — Pfarr­blatt im Bistum St.Gallen fiel in die Amts­zeit von Bischof Ivo Fürer. Bereits sein Vorgän­ger Bischof Otmar Mäder hatte der Initia­ti­ve für das Pfar­rei­fo­rum grünes Licht gege­ben. Ivo Fürer, dem der Dialog und die Meinungs­viel­falt ein wich­ti­ges Anlie­gen war, sah von Anfang eine kirch­li­che Publi­ka­ti­on für das ganze Bistum als Chan­ce — für den Austausch, aber auch um als Kirche alle Menschen zu errei­chen. Dazu kam: Die Idee für das Pfar­rei­fo­rum ist ein Kind der Synode 72. Die Synode 72 des Bistums St.Gallen zur Umset­zung der Refor­men des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Konzils hatte erste Schrit­te zur Schaf­fung eines gemein­sa­men Pfarr­blatts für die Katho­li­kin­nen und Katho­li­ken im Bistum St.Gallen unter­nom­men: Eine für den Medi­en­be­reich zustän­di­ge Grup­pe hatte einent­spre­chen­des Postu­lat einge­reicht. In der ersten Ausga­be des Pfar­rei­fo­rums kam Ivo Fürer selbst zu Wort: Auf Seite 3 folg­te ein Will­kom­mens­wort des neuen Bischofs von St.Gallen, Ivo Fürer. Er wünsch­te dem Pfar­rei­fo­rum, dass es einen Dialog förde­re, „der dem gegen­sei­ti­gen Verständ­nis dient und Kirche aufbaut.“ Und er gab seiner Hoff­nung Ausdruck, dass das neue Pfarr­blatt eine Hilfe sei, „das Evan­ge­li­um Jesu Chris­ti an die kommen­de Gene­ra­ti­on weiter­zu­tra­gen. Es soll dazu beitra­gen, dass wir uns freu­en können, Glie­der der Kirche sein zu dürfen, welche unter­wegs ist, aber der Voll­endung entgegenschaut.“

Ein länge­rer Nach­ruf erscheint in der August-Ausgabe des Pfarreiforums.

Text: Sabi­ne Rüthe­mann / Stephan Sigg

Fotos: Regi­na Kühne

Veröf­fent­licht: 14.07.2022

Franziska Heigl

«Einen Jugendtraum erfüllt»

Fran­zis­ka Heigl, Seel­sor­ge­rin in Bühler, Gais und Teufen, woll­te schon als Jugend­li­che zum ­Mili­tär. Erst mit Mitte Vier­zig ging dieser Traum in Erfül­lung: Sie besuch­te die Kurz-RS. Im Mai wurde sie von der Solda­tin zur ersten Armee­seel­sor­ge­rin im Appen­zel­ler­land befördert.

Eine Frau im Mili­tär? In dem konser­va­ti­ven Eltern­haus, in dem ich aufge­wach­sen bin, wäre so etwas völlig undenk­bar gewe­sen», erzählt Fran­zis­ka Heigl beim Gespräch mit dem Pfar­rei­fo­rum und schmun­zelt. Sie könne sich noch gut erin­nern, als ihr älte­rer Bruder zur Aushe­bung ging: «Er muss­te mir alles über das Mili­tär erzäh­len. Und ich fand das einfach unge­recht: Er, der gar keine Lust auf Mili­tär hat, muss­te es machen, während ich nicht hindurf­te.» Aufge­wach­sen in Biber­ist bei Solo­thurn, lässt sie sich zur Bijouterie-Verkäuferin ausbil­den, grün­det eine Fami­lie und wird Mutter. Ende dreis­sig kommt die Wende: Die Ehe zerbricht, Fran­zis­ka Heigl beginnt ein Studi­um am Reli­gi­ons­päd­ago­gi­schen Insti­tut (RPI) in Luzern. Dort machen Mitstu­den­ten sie auf die Armee­seel­sor­ge aufmerk­sam. «Da hat es bei mir Klick gemacht.»

Exis­ten­zi­ell gefordert

Doch in der drei­wö­chi­gen Kurz-RS kommt das Erwa­chen: «Am Anfang war der Stress zu gross, das brach­te mich an meine Gren­zen», gibt die 45-Jährige zu, «du bist stän­dig von Menschen umge­ben, du hast keine Privat­sphä­re mehr, der Tag star­tet schon um fünf Uhr …» Dazu fiel die RS mitten in die Corona-Zeit. In einem beson­ders schwie­ri­gen Moment sucht sie das Gespräch mit einem Armee­seel­sor­ger. Heigl ist die einzi­ge Frau im Zug – und die Männer sind alle zwan­zig Jahre jünger. Die RS abzu­bre­chen, sei kein Thema gewe­sen: «Ich habe mich ja ganz bewusst dafür entschie­den. Ich woll­te das durch­zie­hen. Endlich hat sich ein Jugend­traum erfüllt.» Aus diesem Grund sei es ihr im Gegen­satz zu manchen 18-Jährigen leich­ter gefal­len, sich einzu­ord­nen und sich auf die Hier­ar­chie einzulassen.

Fran­zis­ka Heigl ist es wich­tig, dass in der Armee­seel­sor­ge die Viel­falt der Gesell­schaft abge­deckt wird.

Lebens- und Glaubensfragen

Ist es für die jungen Rekru­ten nicht eine zusätz­li­che Hemm­schwel­le, im Seel­sor­ge­ge­spräch auf eine Frau zu tref­fen und sich ihr gegen­über zu öffnen? Fran­zis­ka Heigl winkt ab. «Was mir viel eher begeg­net: Viele sind zunächst über­rascht, da ich so gar nicht dem Klischee der Seel­sor­ge­rin entspre­che.» Als Armee­seel­sor­ge­rin ist sie Teil eines RS-Zuges oder einer WK-Truppe und lebt mit den Rekru­ten und Solda­ten mit. «Dabei gibt es viele Gele­gen­hei­ten, mitein­an­der ins Gespräch zu kommen. Ich erzäh­le dann ganz offen über meine Geschich­te und auch von den Brüchen in meinem Leben. Das ist für viele eine Ermu­ti­gung, sich mir gegen­über zu öffnen. Oft fragen sie mich aus reiner Neugier: Warum machst du das? Und das ist dann meis­tens ein Einstieg in ein inten­si­ves Gespräch.» Nicht selten brechen bei den jungen Männern in der RS gros­se Lebens- und Glau­bens­fra­gen auf. Manch­mal heisst es für die Seel­sor­ge­rin, ihnen bei einer grös­se­ren Lebens­kri­se zur Seite zu stehen. «Menschen beglei­ten und unter­stüt­zen, das ist eine Aufga­be, die mich ganz erfüllt.» In der Armee gehe man ganz in der Gemein­schaft auf.

Viel­falt abdecken

Die Ausbil­dung zur Armee­seel­sor­ge­rin dauer­te drei Wochen. Zusam­men mit acht­zehn Deutsch­schwei­zer, sieben französisch- und zwei italienisch-sprechenden Seel­sor­gern absol­vier­te sie als einzi­ge Frau den Tech­ni­schen Lehr­gang Armee­seel­sor­ge im Armee-Ausbildungszentrum Luzern. Am 13. Mai 2022 wurde sie von der Solda­tin zur Frau Haupt­mann Armee­seel­sor­ge­rin beför­dert. Der jüngs­te Lehr­gang war ein Novum in der Geschich­te der Schwei­zer Armee: Zum ersten Mal wurden zwei jüdi­sche und ein isla­mi­scher Geist­li­cher zu Mitar­bei­ten­den der Armee­seel­sor­ge ausge­bil­det. Eine Entwick­lung, die Fran­zis­ka Heigl begrüsst: «Es ist erfreu­lich, dass die Armee mit der Zeit geht. Damit wird die Viel­falt der Gesell­schaft, die sich auch in der Armee spieg­le, abgedeckt.»

Fran­zis­ka Heigl will als Armee­seel­sor­ge­rin ande­re Frau­en vom Sinn und Zweck der Armee zu überzeugen.

Mit Enga­ge­ment überzeugen

Während Fran­zis­ka Heigl jahre­lang davon träum­te, Teil der Armee zu sein, entschei­den sich heute viele junge Männer gegen die RS. «Diese Entschei­dung respek­tie­re ich. Jeder muss diese Entschei­dung selbst tref­fen», so die Armee­seel­sor­ge­rin. Auch mit einer allge­mei­nen Wehr­pflicht für Frau­en tut sie sich eher schwer. Sie setzt viel mehr auf Über­zeu­gungs­ar­beit: «Ich hoffe, dass ich mit meinem Enga­ge­ment ande­ren Frau­en zeigen kann, warum es die Armee braucht und wie sinn­voll sie ist – ganz ohne Zwang.» Da Fran­zis­ka Heigl erst im Febru­ar ihre Stel­le als Seel­sor­ge­rin in der Pfar­rei Gais ange­tre­ten hat, will sie sich in den kommen­den Mona­ten ganz auf diese Aufga­be konzen­trie­ren. Einsät­ze als Armee­seel­sor­ge­rin sind ab 2023 geplant. Dann wird sie in einen Lehr­ver­band (Rekru­ten­schu­le) oder in einen Einsatz­ver­band (WK-Truppen) einge­teilt und jähr­lich rund 15 bis 20 Dienst­ta­ge leisten.

12. Juli 2022

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontoulis

Barfuss über Sand und Heu

Seit Juni gibt es beim Psych­ia­tri­schen Zentrum Appen­zell (PZA) in Heris­au einen ­Barfuss­weg. Finan­ziert wird das Projekt vom Appen­zel­li­schen Hilfs­ver­ein für Psychisch­kran­ke, der sich seit Jahr­zehn­ten für deren Heilung und Inte­gra­ti­on enga­giert. Bis heute sind Vorur­tei­le ­gegen­über psychi­schen Krank­hei­ten weit verbreitet.

Inspi­ra­ti­on für den öffent­li­chen Barfuss­weg war eine Post­kar­te mit dem Zitat «Im Herzen barfuss», die Jürgen Kaes­ler, Klinik­seelsorger, im vergan­ge­nen Sommer erhielt. «Ich hatte schon länger den Wunsch, ein nieder­schwel­li­ges Ange­bot mit und ohne thera­peu­ti­sche Beglei­tung zu schaf­fen», sagt er und erklärt weiter: «Der Weg ist für alle zugäng­lich und soll auch ein Treff­punkt für die Bevöl­ke­rung sowie Besuch und Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten des Psych­ia­tri­schen Zentrums sein.» Das Projekt hat Kaes­ler mit der Klinik­lei­tung konkre­ti­siert und mit der inter­nen Gärt­ne­rei gestal­tet und umge­setzt. Dabei haben auch Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mitge­hol­fen, die bei der Gärt­ne­rei arbei­ten. Dem Klinik­seel­sor­ger ist die inte­gra­ti­ve Arbeit mit ande­ren Abtei­lun­gen wich­tig: «Der Barfuss­weg ist auch ein neues Element für die Ergo- oder Beschäftigungstherapie.» 

Barfussweg Herisau

«Sand im Getriebe»

Der rund 20 Meter lange Barfuss­weg erstreckt sich zwischen Tages­klink und Restau­rant entlang des bestehen­den Spiel­plat­zes. Das neue Terrain fügt sich harmo­nisch in das bestehen­de Areal mit altem Baum­be­stand ein. Der Barfuss­weg ist jeweils von Mai bis Septem­ber begeh­bar. Der Weg wird im Spät­herbst abge­baut und im Früh­ling wieder neu instal­liert. «Wir möch­ten eine gepfleg­te Anla­ge, deshalb erneu­ern wir den Barfuss­weg jede Saison», erläu­tert Kaes­ler. Entlang des Barfuss­we­ges, der mit Holz­wol­le und Holz­schnit­zel ausge­legt ist, stehen zehn Kisten mit unter­schied­li­chem Füll­ma­te­ri­al wie etwa Sand, Tannen­zap­fen, Rinden­mulch, Heu oder Ästen. Sie laden ein, diese mit den nack­ten Füssen zu ertas­ten. Bei jeder Stati­on steht eine Tafel mit Gedan­ken zum jewei­li­gen Rohstoff. Bei der Sand­kis­te ist beispiels­wei­se zu lesen: «Sand ist, neben Luft und Wasser, die meist­ge­nutz­te, natür­li­che Ressour­ce auf der Erde. Sand findet sich in vielen Rede­wen­dun­gen wie etwa Sand im Getrie­be als Meta­pher für einen gestör­ten Ablauf. Sand ist jedoch auch sehr anpas­sungs­fä­hig.» Die körper­li­che und geis­ti­ge Wahr­neh­mung wird noch inten­si­ver, wenn man beim Gehen die Augen schliesst: «Dann verschärft sich der Tast­sinn und man spürt die Verbun­den­heit zur Erde noch stär­ker», sagt der Barfussweg-Initiant.

«Im Appen­zel­ler­land wurden psychi­sche Krank­hei­ten lange totge­schwie­gen und leider werden Menschen mit einer psychi­schen Erkran­kung bis heute noch stig­ma­ti­siert. Gera­de in länd­li­chen Regio­nen geht man lieber zum Ortho­pä­den als zum Psychiater.»

Jürgen Kaes­ler

Unbü­ro­kra­ti­sche Hilfe

Der Barfuss­weg ist dank der finan­zi­el­len Unter­stüt­zung des Appen­zel­li­schen Hilfs­ver­eins für Psychisch­kran­ke entstan­den. Kaes­ler steht diesem Verein seit letz­tem Jahr vor. Der Verein hat eine lange Geschich­te: 1877 wurde der Appen­zel­li­sche Verein zur Unter­stüt­zung «armer Geis­tes­kran­ker» in Heiden gegrün­det. Seit­her setzt er sich für die Verbes­se­rung der Lebens­si­tua­ti­on von psychisch kran­ken Menschen ein. Zu oft erhiel­ten diese nicht die Hilfe, die sie benö­ti­gen: «Im Appen­zel­ler­land wurden psychi­sche Krank­hei­ten lange totge­schwie­gen und leider werden Menschen mit einer psychi­schen Erkran­kung bis heute noch stig­ma­ti­siert. Gera­de in länd­li­chen Regio­nen geht man lieber zum Ortho­pä­den als zum Psych­ia­ter», stellt Kaes­ler fest. Ein wich­ti­ges Ziel des Vereins ist nach wie vor, die Gesell­schaft auf psychi­sche Erkran­kun­gen zu sensi­bi­li­sie­ren und Vorur­tei­le abzu­schaf­fen. Der Verein ist mit verschie­de­nen Sozi­al­in­sti­tu­tio­nen gut vernetzt: «So können wir Betrof­fe­nen direkt und unbü­ro­kra­tisch helfen oder exter­ne Unter­stüt­zung orga­ni­sie­ren. Manch­mal sind es auch klei­ne­re Herzens­an­ge­le­gen­hei­ten wie zum Beispiel ein kran­kes Haus­tier zum Tier­arzt bringen.»

Text: Katja Hongler

Bild: zVg.

27.06.2022

Schwester Angelika

«Wir arbeiten an Plan B»

Ende Mai wird das Klos­ter Maria Hilf in Altstät­ten 500 Jahre alt. Das Jahr 1522 gilt als Grün­dungs­jahr des Klos­ters. Wir spra­chen mit Schwes­ter Ange­li­ka über die Vergan­gen­heit, Gegen­wart und die Zukunft.

Heute leben vier Schwes­tern im Alter zwischen 67 und 87 Jahren im Klos­ter Maria Hilf. Wie sieht ihr Alltag aus?

Schwes­ter Ange­li­ka: Unse­re erste gemein­sa­me Begeg­nung ist um 7.45 Uhr beim Früh­stück. Um 8.30 Uhr beten wir die Laudes und anschlies­send um 9.00 Uhr feiern wir den Gottes­dienst. Das haben wir so gere­gelt, weil zwei unse­rer Schwes­tern aus gesund­heit­li­chen Grün­den um sieben Uhr an der Laudes nicht mehr teil­neh­men können. Anschlies­send an den Gottes­dienst erle­di­gen wir Haus­ar­beit wie waschen und bügeln der anfal­len­den Wäsche, Pforten- und Tele­fon­dienst, klei­ne­re Flick­ar­bei­ten etc. Am Frei­tag, an unse­rem frei­en Tag, tref­fen wir uns zu den gemein­sa­men Mahl­zei­ten, zur Vesper um 17.30 Uhr und anschlies­send zum Gottes­dienst um 18 Uhr.

Wie können vier Schwes­tern den Unter­halt der ganzen Anla­ge über­haupt bewerkstelligen?

Schwes­ter Ange­li­ka: Nur mit Hilfe von aussen. Für die täglich anfal­len­den Arbei­ten haben wir zwei Mitar­bei­te­rin­nen. Eine arbei­tet 50 Prozent, die ande­re 80 Prozent jeweils von Montag bis Donners­tag. Vom Frei­tag bis Sonn­tag sorgen wir selbst für das Früh­stück und Abend­essen. Seit 2014 bezie­hen wir das Mittag­essen aus dem Hotel Sonne. Nach dem Hoch­was­ser, das unse­re Küche zerstört hat, haben wir diese Lösung gefun­den und bis jetzt beibe­hal­ten. Vier­mal pro Woche kommen noch Bewoh­ner vom Verein Rhyboot und über­neh­men Reini­gungs­ar­bei­ten im Haus. So konn­ten wir einer­seits Arbeits­plät­ze schaf­fen und ande­rer­seits die zwei Mitar­bei­te­rin­nen wie uns entlasten.

Wie werden die vielen Räume im Klos­ter heute genutzt?

Schwes­ter Ange­li­ka: Drei Vier­tel des Klos­ters steht leer. Jede Schwes­ter hat ihr Zimmer mit Nass­zel­le. Wir bewoh­nen einen klei­nen Teil der vorhan­de­nen Räum­lich­kei­ten. In einem Teil des Gebäu­des befin­det sich die Medi­en­stel­le der Diöze­se St. Gallen und unser ehema­li­ges Insti­tut wird von der Primar­schu­le Altstät­ten genutzt. Der frühe­re Gemüse- und Blumen­gar­ten wurde zum Rasen umge­stal­tet. Die zwei Treib­häu­ser werden neu vom Verein Rhyboot bewirt­schaf­tet sowie Umge­bungs­ar­bei­ten. Wir würden gerne den Aussen­be­reich in Perma­kul­tur umwan­deln. Unse­re Idee wäre einer Bewirt­schaf­tung mit Garten und Obst­bäu­men. Dabei denken wir an Selbst­ver­sor­gung wie an den Verkauf der Produk­te an die Bevölkerung.

Ihr seid nur noch vier Schwes­tern. Wie war die Situa­ti­on früher?

Schwes­ter Ange­li­ka: Die Blüte­zeit unse­res Klos­ters geht auf das Jahr 1888 zurück. Mit 53 Schwes­tern war das Haus voll. Dann zog Mutter Bernar­da mit sechs Schwes­tern nach Südame­ri­ka. Es sind zwar immer neue Schwes­tern dazu gekom­men aber bis 1991 waren es immer weniger.

Wie lange ist es her, seit die letz­te Schwes­ter dem Klos­ter beigetre­ten ist?

Schwes­ter Ange­li­ka: Ich bin die Jüngs­te, die 1991 dem Orden beigetre­ten ist. Wir waren vor gut dreis­sig Jahren 23 Schwes­tern. Seit­her ist niemand mehr eingetreten.

Wo sehen Sie die Grün­de dafür, dass die Neuein­trit­te so dras­tisch zurück­ge­gan­gen sind?

Schwes­ter Ange­li­ka: Es sind wohl verschie­de­ne Grün­de. Klei­ne­re Fami­li­en, der Glau­be wird in den Fami­li­en nicht mehr vorge­lebt. Die Kinder und Jugend­li­chen kommen kaum in Kontakt mit Ordens-personen. Das tägli­che Gebet braucht es heute nicht mehr. Alle haben alles. Viele sind von der Kirche enttäuscht. Ein Grund spielt sicher auch mit, dass Frau­en heute jeden Beruf erler­nen können, ohne einem Orden anzu­ge­hö­ren. Früher konn­te man Kran­ken­schwes­ter oder Lehre­rin nur werden, wenn man in einem Orden war. Viele Frau­en entschie­den sich deshalb für diesen Weg und waren sehr tüch­tig in ihrem Beruf.

Können Sie uns etwas über die Geschich­te des Klos­ters erzählen?

Schwes­ter Ange­li­ka: Die Ursprün­ge des Frau­en­klos­ters liegen in der Mitte des 13. Jahr­hun­derts. Bereit 1258 gab es in Altstät­ten eine Schwes­tern­ge­mein­schaft, die Begi­nen. Die ersten Bauten wurden auf dem Gut «Nunnen­tal» erstellt und die Schwes­tern des fran­zis­ka­ni­schen Drit­ten Ordens konn­ten dort ihre neuen Gebäu­de ausser­halb der Stadt­mau­er bezie­hen. 1838 erfolg­te der Einstieg in die Schul­tä­tig­keit. Ab dem Jahr 1870 bot das Klos­ter ein eige­nes Inter­nat an, auch für Mädchen von ausser­halb Altstät­tens. Ab 1962 zogen sich die Schwes­tern allmäh­lich aus dem Schul­we­sen zurück und 1973 gaben die damals 40 Schwes­tern die Schu­le und das Inter­nat gänz­lich auf.

Wie sieht die Zukunft des Klos­ters aus?

Schwes­ter Ange­li­ka: Wir vier Schwes­tern wollen im Klos­ter blei­ben, solan­ge es verant­wort­bar ist. Eigent­lich sind wir sechs Perso­nen, die das Klos­ter bewoh­nen. Eine Bewoh­ne­rin, unser «Bertä­lie», vom eins­ti­gen Alters­heim Forst und Pater Josef aus Bosni­en, der seit 2019 wegen Coro­na­pan­de­mie bei uns gestran­det ist, wohnen und leben mit uns. Trotz­dem ist alles viel zu gross und zu weitläufig.

Wäre das Verlas­sen des Klos­ters eine Alternative?

Schwes­ter Ange­li­ka: Bis jetzt nicht. Wir wollen möglichst im Klos­ter blei­ben. Soll­te sich die Zukunft anders zeigen, müss­ten zwei unse­rer Schwes­tern in einem solchen Fall ins Pfle­ge­heim. Unse­re klei­ne Gemein­schaft träumt eher von einer Miet­woh­nung. Dafür bräuch­ten wir sicher die Erlaub­nis des Bischofs. Wir haben uns schon Gedan­ken gemacht, ob wir zu den Missi­ons­fran­zis­ka­ne­rin­nen nach Ober­riet umzie­hen. Zu ihnen könn­ten wir jeder­zeit gehen. Wir pfle­gen eine sehr gute Bezie­hung und hätten bei ihnen mehr als genü­gend Platz. Beru­hi­gend ist, dass wir Schwes­tern allein über ein weite­res Vorge­hen entschei­den und bestim­men, wie lange wir im Klos­ter bleiben.

Vor zwei Jahren stand das Projekt Rhyboot zur Diskus­si­on. Wie weit ist es fortgeschritten?

Schwes­ter Ange­li­ka: Beim Vorpro­jekt mit Rhyboot, das in Kürze abge­schlos­sen sein soll, ist der Entscheid gefal­len. Geplant waren die Verle­gung der Verwal­tung ins Klos­ter, das Schaf­fen neuer Arbeits­plät­ze für Beein­träch­tig­te und inner­halb des Klos­ters neue Schwes­tern­woh­nun­gen. Der Verein Rhyboot hat die gegen­sei­tig unter­zeich­ne­te Absichts­er­klä­rung zwischen dem Klos­ter Maria Hilf und ihm defi­ni­tiv aufge­löst. Der Grund liege bei wirtschaftliche-finanziellen Schwie­rig­kei­ten. Wir als Schwes­tern­ge­mein­schaft und die Projekt­grup­pe haben diese Reali­tät mit schmerz­li­cher Enttäu­schung zur Kennt­nis genom­men. Das Vorpro­jekt wird fertig gestellt. Wir sind dran einen Plan B auszu­ar­bei­ten. Wir sind von neuem gefor­dert, um zu entschei­den, wie die Zukunft des Klos­ters ausse­hen soll. An den vier Grund­pfei­lern orien­tie­ren wir uns weiter­hin und halten fest: Spiri­tua­li­tät, Soziales-Caritatives, Bildung, Kultur.

Wie sehen Sie das Klos­ter in zehn Jahren?

Schwes­ter Ange­li­ka: Ich hoffe, dass die Räum­lich­kei­ten wunsch­ge­mäss umge­baut werden. ich hoffe, dass die fran­zis­ka­ni­sche Spiri­tua­li­tät in irgend­ei­ner Art und Weise Fort­be­stand hat und dass dieser Ort zur Kraft­quel­le vieler werden darf. Ich möch­te miter­le­ben, wie das gesam­te Lebens­werk unse­rer Vorfah­ren weiterlebt.

Ende Mai wird das Klos­ter 500 Jahre alt. Wie werden Sie dieses Jubi­lä­um feiern?

Schwes­ter Ange­li­ka: Das Jubi­lä­um wird mit mehre­ren Anläs­sen während des Jahres began­gen. Am Sams­tag, 28. Mai findet der Fest­got­tes­dienst mit Bischof Markus und dem Kirchen­chor St. Niko­laus, Altstät­ten statt. Anschlies­send ein Apéro mit musi­ka­li­schen Klän­gen der Stadt­mu­sik Altstät­ten im Klos­ter­gar­ten. Am Sonn­tag, 29. Mai laden wir die Bevöl­ke­rung zu einem Tag der offe­nen Tür mit einem Rund­gang ein. Für das leib­li­che Wohl sorgt der Verein Rhyboot im Klos­ter­gar­ten oder bei schlech­tem Wetter im Konvent. 

27. Mai 2022                                                                                                                                             Inter­view + Fotos:  Susi Miara

Bild­le­gen­de:

Schwes­ter Ange­li­ka war von der Idee des geplan­ten Projekts mit dem Verein Rhyboot sehr beglückt und voller Hoff­nung. Leider wird es nicht reali­siert. Jetzt muss ein Plan B her. 

Urs Fitze

«Geld verdienen ist nur bis zu einem gewissen Grad sinnvoll»

Der Rorscha­cher Jour­na­list Urs Fitze widmet sich Themen, die zu wenig Beach­tung finden: Unan­ge­neh­me Wahr­hei­ten über die finan­zi­el­le Ausbeu­tung von Menschen und Umwelt. Die Fakten sind teil­wei­se schwer zu ertra­gen – doch es gibt auch sozia­le Erfolgsgeschichten.

Für seine Repor­ta­gen und Buch­pro­jek­te reist Urs Fitze rund um den Globus. Als frei­er Jour­na­list und Autor befasst er sich nebst Umwelt­schutz­the­men vertieft mit der sozia­len Gerech­tig­keit in Bezug auf den Kapi­ta­lis­mus. Firmen, die sich ausschliess­lich an der Gewinn-Maximierung orien­tie­ren, steht Fitze genau so kritisch gegen­über wie gros­sen Finanz­in­sti­tu­tio­nen. Seiner Meinung nach sind klas­si­sche Kapi­tal­an­la­gen prak­tisch unkon­trol­lier­bar, auch wenn sie als ethi­sche Inves­ti­tio­nen ange­prie­sen werden. Er bezeich­net seine Haltung dies­be­züg­lich als radi­kal: «Geld zu verdie­nen, finde ich nur bis zu einem gewis­sen Grad okay. Ab einem bestimm­ten Punkt ist es nur noch frag­wür­dig. Ein Gewinn­über­schuss soll­te prin­zi­pi­ell in die Weiter­ent­wick­lung der eige­nen Firma, deren Mitar­bei­ter und in die Gesell­schaft inves­tiert werden». Auf die Frage nach seinen ethi­schen Grund­sät­zen seines priva­ten Port­fo­li­os erwi­dert er: «Ich habe keine nennens­wer­ten Kapi­tal­an­la­gen, mein Inter­es­se für ethi­sche Inves­ti­tio­nen ist haupt­säch­lich beruf­li­cher Natur.»

Sinn­vol­ler Geldkreislauf

Vor rund zehn Jahren ist das Buch «Genos­sen­schaf­ten: Gemein­sam erfolg­reich» entstan­den, das Fitze als Co-Autor schrieb. Es zeigt auf, dass sich die Genos­sen­schaft als Geschäfts­form an nach­hal­ti­gen Zielen orien­tiert und nicht auf kurz­fris­ti­ge Gewin­ne abzielt. In einem Kapi­tel porträ­tiert er die genos­sen­schaft­lich orga­ni­sier­te Insti­tu­ti­on Oiko­credit, eine Pionie­rin des ethi­schen Invest­ments. Sie wurde 1975 im Umfeld des Welt­kir­chen­rats gegrün­det. Fitze war von ihrer ursprüng­li­chen Geschäfts­idee beein­druckt: «Spen­den ist zwar schön, aber letzt­lich soll­te man mit diesem Geld einen Kreis­lauf zu Stan­de brin­gen». Die inter­na­tio­na­le Genos­sen­schaft Oiko­credit wurde in diesem Sinne in Holland gegrün­det. Sie vergab Kredi­te – primär in Dritt­welt­län­der – die zurück­be­zahlt werden muss­ten. Gleich­zei­tig ermög­licht Oiko­credit Privat­per­so­nen, ihr Geld in Form von Genos­sen­schafts­an­tei­len anzu­le­gen. «Ähnlich wie der Grund­ge­dan­ke der Raiff­ei­sen­ban­ken baute Oiko­credit eine Geld­in­fra­struk­tur für mittel­lo­se Bauern auf dem Land auf.» Später wurde Fitze von Oiko­credit ange­fragt, ob er sich im Vorstand von Oiko­credit Deutsch­schweiz enga­gie­ren würde. Da ihm die Orga­ni­sa­ti­on durch seine jour­na­lis­ti­sche Arbeit vertraut war, hat er sich dazu bereit erklärt und dieses Ehren­amt von 2012 bis 2019 ausgeübt.

Lang­le­bi­ge Unterstützung

Als Para­de­bei­spiel für nach­hal­ti­ges Enga­ge­ment von Oiko­credit nennt er eine Kaffee-Kooperative in Guate­ma­la. Der Verband mit über 1300 klein­bäu­er­li­chen Kaffee­be­trie­ben verbes­se­re die ­Lebens­be­din­gun­gen der loka­len Land­wir­te, die hoch­wer­ti­gen Bio-Kaffee verar­bei­ten und expor­tie­ren sowie Öko-Tourismus anbie­ten. Beson­ders sinn­voll ist seiner Meinung nach, dass Oiko­credit lang­fris­tig und nach­hal­tig inves­tiert und somit Unter­neh­men eine Zukunfts­per­spek­ti­ve über mehre­re Gene­ra­tio­nen ermög­licht. «Das bedeu­tet, dass die Unter­stüt­zung weiter­läuft, auch wenn es zu einem Miss­erfolg oder gar zum Konkurs kommt.» Fitze hat die Kaffee­bau­ern selbst zwei Mal vor Ort besucht. Solche Erfolgs­ge­schich­ten mitzu­er­le­ben seien erfül­len­de Momen­te. Er unter­malt dieses gute Gefühl mit folgen­dem Fazit: «Obwohl die welt­wei­te Inves­ti­ti­ons­sum­me* von Oiko­credit nur ein klei­ner Trop­fen auf den heis­sen Stein ist, kann ein einzel­ner Kredit für eine Fami­lie, ein Dorf oder gar eine ganze Regi­on eine neue Exis­tenz bedeuten.»

Urs Fitze
Das neue Buch von Urs Fitze und Martin Arnold erscheint Ende Mai.

Augen öffnen

In seinem neuen Buch «Entmensch­licht», das Ende Mai erscheint, beschrei­ben Urs Fitze und Martin Arnold die Skla­ve­rei des 21. Jahr­hun­derts. Es handelt von geraub­ter Würde und Ausbeu­tung von Arbeits­kräf­ten. Die Autoren zeigen auf, wie die moder­ne Skla­ve­rei unse­ren Alltag durch­dringt und in die globa­len Wert­schöp­fungs­ket­ten verstrickt ist. Geschätzt 40 Millio­nen Menschen, darun­ter meist Frau­en und Kinder, verdin­gen sich als Skla­vin­nen und Skla­ven. Fitze weiss, die Skla­ve­rei ist ein renta­bles Geschäft: «Sie verur­sacht unend­lich viel Leid und aus diesem Leid wird ein enor­mer Gewinn erzielt, der jegli­che Vorstel­lungs­kraft sprengt.»

* Anmer­kung Redak­ti­on: Die Entwick­lungs­fi­nan­zie­run­gen entspre­chen 875,8 Millio­nen Euro (Stand 30. Septem­ber 2021)

25. April 2022

Text: Katja Hongler

Bild: zVg.

Wenn die Geburt des Kindes geheim bleiben soll

In Schwei­zer Spitä­lern finden jähr­lich etwa 20 Gebur­ten in einem vertrau­li­chen Rahmen statt. Meis­tens sind die werden­den Mütter dermas­sen in Not, dass ihr Umfeld nichts von der Schwan­ger­schaft erfah­ren darf. Noch ist die vertrau­li­che Geburt aber wenig bekannt.

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«Gott, schau hin»

Wie mit den Schre­ckens­mel­dun­gen aus der Ukrai­ne umge­hen? Was tun? Und wie beten? Der Kapu­zi­ner Niklaus Kuster aus dem Klos­ter Rappers­wil SG über die Wirkung von klei­nen Zeichen, Gebets­hil­fen und die Kraft der Gemeinschaft.

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