«Du bist ja schliesslich ein Mann»

I. B.* (64) aus dem Bistum St. Gallen steht mit beiden Beinen fest im Leben, bis er durch die Schei­dung in arge Schwie­rig­kei­ten gerät. Sein Lohn wird gepfän­det und er lebt jahre­lang am Exis­tenz­mi­ni­mum. Wie findet er aus der Krise heraus? 

In seinen guten Jahren hat I. B. Freu­de im Beruf. Er enga­giert sich in der Berg­ret­tung und bei der Feuer­wehr. In der Frei­zeit ist er viel in den Bergen unter­wegs, am liebs­ten in Klet­ter­aus­rüs­tung an einer Fels­wand. Nach priva­ten und finan­zi­el­len Proble­men folgt eine persön­li­che Grat­wan­de­rung, die viel von ihm abver­langt. Der Mann aus den Bergen ist in einfa­chen Verhält­nis­sen ober­halb der Nebel­gren­ze aufge­wach­sen. «Wir lebten sehr abge­schie­den. Wir hatten keinen Strom und einen langen Schul­weg. Aber wir hatten immer genug zu essen und wir erleb­ten dort oben eine gute Jugend­zeit», erin­nert er sich. Nach der Schu­le schliesst er eine Ausbil­dung auf dem Bau ab und arbei­tet über länge­re Zeit im Hoch­bau. Später nimmt er eine Saison­stel­le im Gast­ge­wer­be an und baut im Sommer jeweils Natur­stein­mau­ern. Zu dieser Zeit ist er auch Mitglied der alpi­nen Berg­ret­tung und im Kader der örtli­chen Feuer­wehr. Zudem chauf­fiert er als Mili­tär verschie­de­ne Bundes­rä­te und rang­ho­he Poli­ti­ker. «Das waren inter­es­san­te Begeg­nun­gen, die ich nicht missen möch­te», erzählt er weiter. Auch sein Privat­le­ben scheint stabil zu sein: Er ist verhei­ra­tet und Familienvater. 

Abwärts­spi­ra­le

Finan­zi­el­le und ande­re Proble­me, auf die er nicht weiter einge­hen möch­te, führen schliess­lich zur Schei­dung von seiner Ehefrau. Eine Laien­be­hör­de entschei­det, dass sein Lohn fort­an gepfän­det wird. «Nach der Schei­dung 1997 ging es abwärts. Ich muss­te nur noch zahlen und hatte selbst nichts mehr», beschreibt er seine dama­li­ge Situa­ti­on als geschie­de­ner Mann und Vater. Er leidet, erfüllt kaum mehr Pflich­ten und weicht Proble­men aus. Wenn er in seinem Umfeld nach Hilfe fragt, bekommt er etwa zur Antwort: «Du schaffst das schon, du bist ja schliess­lich ein Mann!» Der Kontakt zur Fami­lie bricht ab. Er verliert das Vertrau­en in Ämter, weil er sich ihnen ausge­lie­fert fühlt. Die Abwärts­spi­ra­le zieht ihn weiter nach unten. Das Gefühl, versagt zu haben, wird immer grös­ser. Bis zum Moment, an dem er allen Mut zusam­men­nimmt und beim Kirch­li­chen Sozi­al­dienst anklopft. «Ich dach­te, entwe­der gehst du jetzt zu dieser Tür rein oder du stürzt irgend­wo in den Bergen ab.»

Der Wende­punkt

Beim Kirch­li­chen Sozi­al­dienst bekommt I. B. die drin­gend nöti­ge Hilfe. Hier sei er endlich ernst genom­men worden und er habe sich verstan­den gefühlt. «Es ist kein Amt, die Atmo­sphä­re ist persön­li­cher, ange­neh­mer.» Die Sozi­al­ar­bei­te­rin unter­stützt ihn auf dem Weg zurück in ein gere­gel­tes Leben. «Sie hat mich zu den Ämtern beglei­tet und mir gehol­fen, wieder einen festen Wohn­sitz zu finden und meine Auswei­se zurück zu erlan­gen.» So einfach sei es aber nicht gewe­sen. Entschei­dend ist für ihn, dass er – nach langem Kampf – eine Berufs­bei­stän­din erhält. Seit­her regelt sie die Finan­zen und schreibt alle Behör­den­brie­fe für ihn. «Das ist eine enor­me Entlas­tung für mich», sagt er dank­bar. «Ich habe zwar ein siche­res Auftre­ten und kann gut Leute führen, aber gewis­se Sachen kann ich einfach nicht.» Die Beistän­din steht ihm zur Seite und führt die Korre­spon­denz mit verschie­de­nen Ämtern. Sie kann bewir­ken, dass ihm nebst seinen beschei­de­nen Erwerbs­ein­nah­men ein verläss­li­ches Grund­ein­kom­men zusteht. Eine IV-Rente erhält I. B. aufgrund einer Diagno­se, die nach seinem Schlag­an­fall zufäl­lig entdeckt wird. I. B. hat sich erstaun­lich gut von diesem Vorfall erholt und kann mit Medi­ka­men­ten gut damit leben. 

Gute Gesund­heit

Heute geht I. B. einem gere­gel­ten Alltag nach und steht auch finan­zi­ell wieder auf eige­nen Beinen. Er lebt in einer Wohn­ge­mein­schaft in einem Bauern­haus und kümmert sich um leich­te Arbei­ten auf dem Hof und im Haus. Er fühlt sich nach wie vor stark zu den Bergen und zur Natur hinge­zo­gen. Ab und zu besucht er einen Freund auf seiner Alphüt­te und geniesst dort oben das Berg­pan­ora­ma. Wenn er zurück­schaut auf die schwie­ri­ge Zeit, empfin­det er tiefe Dank­bar­keit für die Hilfe, die er bekom­men hat. Für die Zukunft wünscht er sich gute Gesund­heit und dass er immer ein biss­chen etwas zu arbei­ten hat. «Und viel­leicht gehe ich auch wieder einmal auf eine einfa­che Klet­ter­rou­te», fügt er schmun­zelnd an. 

*Der Name ist der Redak­ti­on bekannt. Auf Rück­sicht gegen­über der Privat­sphä­re wird auf persön­li­che Anga­ben verzichtet.

Text: Katja Hongler 

Bild: Ana Kontoulis

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