1993 firmte Bischof Otmar Mäder in der Pfarrei Speicher-Trogen-Wald zum ersten Mal Jugendliche im Alter von 18 Jahren – eine absolute Premiere im Bistum St. Gallen. «Für uns ging es von Anfang an darum, Jugendliche ernst zu nehmen», so Pfarrer Josef Manser.
Drohbriefe, Beschimpfungen und emotionale Voten bei den Pfarreiversammlungen – Pfarrer Josef Manser erinnert sich noch gut an die Reaktionen, als das Seelsorgeteam die Pfarrei mit ihrer innovativen Idee konfrontierte: «Uns war es wichtig, dass das Experiment Firmung ab 18 von der ganzen Pfarrei mitgetragen wird. Als Matthias Angehrn und ich unsere Idee bei der ersten Pfarreiversammlung vorgestellt haben, gingen die Emotionen hoch. Manche Eltern fürchteten, dass sich mit dem neuen Modell niemand mehr firmen lässt.» Doch bald stellte sich heraus, dass es auch viele Befürworter gab. Grünes Licht gab es auch vom Bistum: «Bevor wir die Idee der Pfarrei vorstellten, holten wir das Einverständnis des damaligen Bischofs Otmar Mäder ab», so Josef Manser, «ich erlebte bei ihm eine grosse Offenheit für unser Experiment. Er liess uns machen.»

Sich den Lebensfragen stellen
Als junger Kaplan hatte Josef Manser in Flawil Firmungen von Primar- und Oberstufenschülerinnen und ‑schülern erlebt. «Das waren immer schöne Gottesdienste und die Verantwortlichen waren sehr kreativ», erinnert er sich, «aber die Kinder und Jugendlichen waren noch zu wenig reif, um sich ernsthaft mit diesem Sakrament auseinanderzusetzen und selbstständig dafür zu entscheiden. Man macht es, weil es alle machen oder weil die Eltern es einem raten.» Und: Viel zu oft seien die Firmgeschenke im Fokus gestanden. «In mir wuchs das Bewusstsein, dass Kirche in der Hinführung zum Glauben neue Wege suchen muss.» Im Alter von siebzehn und achtzehn Jahren ständen Jugendliche an einem anderen Punkt: «Sie sind in der Lehre oder an einer weiterführenden Schule und werden dort mit ganz anderen Erfahrungen konfrontiert. Sie müssen sich den grossen Lebensfragen stellen. Gerade in dieser Lebensphase ist es wichtig, jungen Menschen zu vermitteln: Du bist ein göttlicher Mensch. Du darfst Du mit deinen Erfahrungen sein. Du darfst zu dir finden.»
Besonderes Wir-Gefühl
Die Verantwortlichen machten sich daran, den ersten Firmweg zu konzipieren. «Wir hatten durchaus auch Zweifel, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Wir hatten schlaflose Nächte», hält Josef Manser fest. Doch der Mut zahlte sich aus: Für den ersten Firmweg meldeten sich etwa achtzig Prozent der angeschriebenen Jugendlichen an. «Die Jugendlichen der ersten Jahrgänge wussten, dass sie Teil von etwas Neuem sind. Das sorgte für ein besonderes Wir-Gefühl.» Er habe schnell gelernt, dass man die jungen Menschen nicht unterschätzen sollte: «Es haben sich manche für den Firmweg angemeldet, mit denen ich nie gerechnet hätte.»
Selbstständiges Ja
Ein entscheidender Moment sei das Gespräch der Jugendlichen mit dem Bischof, dem Firmspender, gewesen: «Bisher hatte Bischof Otmar bei diesen Gesprächen immer Kinder vor sich, jetzt waren es junge Erwachsene. Er wurde mit anderen und zum Teil kritischen Fragen konfrontiert. Seine erste Reaktion nach dem Gespräch zu mir: Die sind noch nicht für die Firmung bereit. Doch dann wuchs doch das Bewusstsein, dass er es mit jungen Menschen zu tun hat, die sich differenziert mit dem Glauben auseinandersetzen und selbstständig Ja zur Firmung sagen.»

Offenheit der Jugendlichen
Für Josef Manser gehe es darum, Jugendliche ernst zu nehmen. Ein Firmweg sei ein Dienst an den Jugendlichen: «Und zwar völlig absichtslos.» Eines hat ihn schon beim ersten Firmweg beeindruckt: «Die Offenheit der Jugendlichen. Es war ihnen ein Bedürfnis, über den Glauben und ihre persönlichen Fragen zu sprechen. Für diese ist ja sonst nirgends Platz.» Der Firmweg müsse jungen Menschen Räume eröffnen. «Der Firmweg ist so etwas wie ein Gefäss. Wie spannend die Programminhalte sind und ob irgendwelche besonderen Referenten eingeladen werden, ist meist zweitrangig», weiss er, «in den Feedbacks kam immer klar zum Ausdruck, dass die Jugendlichen es geschätzt haben, über ihre Fragen zu sprechen.» Und bei manchen prägen laut Josef Manser diese Erfahrungen langfristig das Bild von Kirche und Glauben. Bis heute habe er Kontakt zum einen oder andern Jugendlichen, der vor dreissig Jahren beim Firmweg mitmachte.
Ein Erfolgsmodell
Nach Speicher-Trogen-Wald starteten bald auch die Pfarreien Uzwil, Flawil, Herisau, Rorschach-Rorschacherberg mit dem Experiment Firmung ab 18. Und bald kamen weitere Pfarreien dazu. Bischof Ivo Fürer, ab 1994 Nachfolger von Bischof Otmar Mäder, entschied im April 2003, «Firmung ab 18» für das ganze Bistum einzuführen. «Er war persönlich vom Modell Firmung ab 18 überzeugt, aber die Grundlage dafür war, dass dieser Entscheid vom Seelsorge- und vom Priesterrat mitgetragen wird.» Firmung ab 18 ist ein Erfolgsmodell – nicht nur im Bistum St. Gallen: Inzwischen haben auch einige andere deutschsprachige Bistümer das Firmalter heraufgesetzt.
Text: Stephan Sigg
Bild: Regina Kühne
Veröffentlicht: 24.04.2023