Mit Visionen eine Diskussion anregen

Eine Ausstel­lung im Seifen­mu­se­um St. Gallen beschäf­tig­te sich kürz­lich mit der Zukunft des ÖV in St. Gallen und wirft die Frage nach einem Gratis-Konzept in den Raum. Noch ist es eine Utopie. Dass aus einer Visio­nen aber Reali­tät werden kann, zeigen verschie­de­ne Beispiele.

Wir alle haben Visio­nen und Träu­me. Sie halten uns bei der Stan­ge und helfen uns, unse­re Ziele zu verfol­gen. Der erfolg­rei­che deut­sche Fuss­ball­tor­hü­ter Oliver Kahn sagte einst über die Visi­on, die seine Karrie­re begrün­de­te: „Meine Visi­on, und sie stand schon sehr früh für mich fest, war folgen­de: Ich woll­te der beste Torhü­ter der Welt werden.“ Kahns Biogra­fie zeigt: Aus einer Visi­on kann Reali­tät werden. Davon zeugen seine drei Titel als Welt­tor­hü­ter des Jahres. Wer Visio­nen hat, arbei­tet darauf hin und kann diese mit der nöti­gen Stra­te­gie viel­fach auch errei­chen. Kürz­lich hat sich eine Ausstel­lung im Seifen­mu­se­um St. Gallen mit dem Thema Visio­nen ausein­an­der­ge­setzt. Genau­er mit der Visi­on eines Gratis-ÖV in St. Gallen.

Zahl­rei­che Besu­che­rin­nen und Besu­cher fanden den Weg ins Seifen­mu­se­um St. Gallen.

Unter­schied­li­che Vorstellungen

An der Ausstel­lung der Juso St. Gallen haben fünf Künst­le­rin­nen und Künst­ler teil­ge­nom­men. Diese haben sich der Frage ange­nom­men, wie ein St. Gallen mit kosten­lo­sem ÖV ausse­hen würde und welche Auswir­kun­gen ein solches auf die Bevöl­ke­rung hat. Die Werke könn­ten unter­schied­li­cher nicht sein: Eini­ge zeigen einfa­che Lini­en oder geben Kurz­sät­ze wieder, ande­re sind kompak­ter und farben­froh. Dies zeigt: Nicht nur unse­re Visio­nen unter­schei­den sich, sondern auch unse­re Vorstel­lun­gen und Blick­win­kel auf Dinge. Wir alle setzen unse­re eige­nen Schwer­punk­te und wir ordnen anders ein. Der St.Galler Künst­ler Beni Bischof bringt das in einem seiner gezeig­ten Werke gut zum Ausdruck.

Beni Bischof weiss: Unse­re Vorstel­lun­gen klaf­fen manch­mal stark auseinander.

Maj Lisa Dörig setzt in ihren Werken das Augen­merk auf ihre persön­li­chen Busfahr­ten und verwebt in den klein­tei­li­gen Zeich­nun­gen Wirk­lich­keit und Traum miteinander.

„Der ÖV lässt nieman­den kalt“

Künst­le­rin Kata­lin Deér drückt ihre Gedan­ken mit einem Farb­fo­to aus. Es zeigt eine Stras­sen­sze­ne in Neapel im Jahr 2006. Zwei kurz nach­ein­an­der aufge­nom­me­ne Bilder — ein Gewu­sel an Menschen, Vespas und Autos. Kurz: Ein Durcheinander.

Kata­lin Deérs Farb­fo­tos zeigt eine Stras­sen­sze­ne in Neapel im Jahr 2006.

Anna Harb zeigt uns ihren Blick aus dem Zugfens­ter auf Mogels­berg und Linus Lutz hat für die Ausstel­lung ein Bus-Mobile gefer­tigt. „Es ist für uns sehr inter­es­sant zu sehen, dass alle Künst­le­rin­nen und Künst­ler einen ande­ren Zugang zum Thema Gratis-ÖV haben“, sagt Muse­ums­di­rek­tor Vasco Hebel. 

Anna Harb zeigt uns ihren Blick aus dem Zugfenster.

Dass er für die Ausstel­lung in Rekord­zeit namhaf­te Künst­le­rin­nen und Künst­ler mobi­li­sie­ren konn­te, freut ihn. „Das Thema ÖV lässt nieman­den kalt. Alle haben eine Meinung und alle haben einen Berührungspunkt.“

Raum für Diskus­sio­nen schaffen

Das Seifen­mu­se­um hat zum ersten Mal eine Kunst­aus­stel­lung orga­ni­siert. Vasco Hebel erklärt: „Als Muse­um sehen wir unse­re Aufga­be auch darin, Räume zu schaf­fen, in denen Diskus­sio­nen statt­fin­den. Wir wollen im Seifen­mu­se­um den Meinungs­aus­tausch möglich machen.“ Für den 21-Jährigen ist klar: Künf­tig soll es mehr Ausstel­lun­gen und Anläs­se dieser Art im Seifen­mu­se­um geben. Das Muse­um soll auch Möglich­keit bieten, um über Ideen, Visio­nen oder Proble­me in ganz verschie­de­nen Berei­chen zu disku­tie­ren und so einen neuen Zugang zu gesell­schaft­li­chen oder poli­ti­schen Themen zu erlangen. 

An der Vernis­sa­ge lausch­ten über 50 Perso­nen einem Podi­ums­ge­spräch über die Chan­cen und Heraus­for­de­run­gen eines Gratis-ÖV.

Die Ausstel­lung sei, auch im Hinblick auf die Besu­cher­zah­len, ein Erfolg gewe­sen, so Vasco Hebel. Dass an der Vernis­sa­ge über 50 Perso­nen anwe­send waren und über die Chan­cen und Heraus­for­de­run­gen eines Gratis-ÖV disku­tiert haben, freut ihn beson­ders. „Es gibt kein rich­tig oder falsch. Es geht darum, den Diskurs brei­ter und für alle zugäng­lich zu machen.“

Verstoss gegen über­ge­ord­ne­tes Recht

Und wie sieht es nun mit dem Gratis-ÖV aus? Die Juso St. Gallen spre­chen noch von „einer Utopie für ein St. Gallen der Zukunft“. 

Linus Lutz fertig­te für die Ausstel­lung ein Bus-Mobile.

Sie wissen: Die recht­li­chen Hürden für die Umset­zung von Gratis-Bus und ‑Bahn sind in der Schweiz nicht gege­ben. Der Grund: Ein Gratis-ÖV würde gegen die Schwei­zer Verfas­sung verstos­sen. Dort steht, dass die Kosten des öffent­li­chen Verkehrs zu einem ange­mes­se­nen Teil von den Nutze­rin­nen und Nutzern über­nom­men werden müssen. Dennoch fordert die Juso St. Gallen Mobi­li­tät für alle Menschen als Grund­recht. In der Ausstel­lung zeigt sie auch mögli­che Wege dahin, unter ande­rem die Finan­zie­rung durch höhe­re Steu­ern auf hohe Einkom­men und Vermö­gen oder die Umnut­zung von Flächen, die heute den Autos gehö­ren, hin zu Frei­räu­men für alle Menschen.

Die Visi­on eines Gratis-ÖV soll zur Diskus­si­on anregen. 

Dass das System eines Gratis-ÖV umsetz­bar ist und funk­tio­nie­ren kann, zeigt das Ausland. Wer etwa in der fran­zö­si­schen Gross­stadt Mont­pel­lier lebt, fährt seit Dezem­ber 2023 gratis mit dem Öffent­li­chen Verkehr. Wie der Tages-Anzeiger schreibt, hat die ÖV-Nutzung seit­her um gut einen Vier­tel zuge­nom­men. Finan­ziert wird das Projekt durch zusätz­li­che Einnah­men aus der Mobi­li­täts­steu­er für Firmen. In Tallinn, der Haupt­stadt von Estland, können Bürge­rin­nen und Bürger bereits seit 2013 kosten­los den öffent­li­chen Nahver­kehr nutzen. Mitt­ler­wei­le kennen verschie­de­ne euro­päi­sche Städ­te das System. Aber auch Staa­ten haben bereits landes­weit flächen­de­ckend den Gratis-ÖV einge­führt. 2020 war Luxem­burg das erste Land der Welt, das den gesam­ten öffent­li­chen Verkehr kosten­frei mach­te. 2022 folg­te Malta. Im klei­nen Insel­staat fahren die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner kosten­los Bus. Ob die Hürden für einen Gratis-ÖV auch in der Schweiz dereinst abge­baut werden können und ein solcher in St. Gallen n wird, steht in den Ster­nen. Noch ist es eine Vision.

Beni Bischof
Beni Bischof ist in Widnau im St.Galler Rhein­tal aufge­wach­sen. Nach dem Vorkurs an der Hoch­schu­le für Gestal­tung in Zürich folg­te 2004 der Abschuss der Grafik­fach­klas­se an der Schu­le für Gestal­tung in St. Gallen. Beni Bischof hat zahl­rei­che Stipen­di­en erhal­ten und Prei­se gewon­nen, unter ande­rem drei Mal einen Werk­bei­trag des Kantons St. Gallen sowie zwei Mal den Eidge­nös­si­schen Preis für Kunst.

Anna Harb
Anna Harb ist Psychologie-Studentin an der Univer­si­tät Zürich und arbei­tet neben­bei an der Uni im Insti­tut für Rechts­me­di­zin. Ihre gros­se Leiden­schaft ist das Zeich­nen. Seit ihrer Schul­zeit an der Kantons­schu­le am Burg­gra­ben in St. Gallen liegt ihr Fokus auf anime- und comic­ar­ti­gen Charak­te­ren. Anna Harb inter­es­sie­ren an Kunst­wer­ken vor allem die Geschich­te und die Ideen hinter dem Werk und sie analy­siert gerne deren Farben und Ästhe­tik. Dadurch bekommt sie immer wieder Inspi­ra­tio­nen für die eige­nen Werke.

Maj Lisa Dörig
Maj Lisa Dörig hat in Luzern Illus­tra­ti­on studiert und ist momen­tan an der Royal Drawing School in London. In ihren Bildern verwe­ben sich Reali­tät und Traum zu einem Ganzen. Für Maj Lisa Dörig ist Zeich­nen ein Dialog zwischen Zeich­nungs­stift und Gedan­ken, und eine Metho­de, um in das komple­xe Gewe­be der Welt einzu­tau­chen.

Kata­lin Deér
Kata­lin Deér ist in Palo Alto in den USA gebo­ren und lebt und arbei­tet seit 2004 in St. Gallen. Ihre Werke werden regel­mäs­sig an Ausstel­lun­gen im In- und Ausland gezeigt. 2007 erhielt Kata­lin Deér einen Werk­bei­trag der Stadt St. Gallen, 2012 einen Werk­bei­trag des Kantons St. Gallen und 2013 einen Förder­preis der Stadt St. Gallen.

Linus Lutz
Linus Lutz unter­sucht in seiner Praxis handels­üb­li­che sowie indus­tri­el­le Rohstof­fe unter­schied­li­cher Herkunft und setzt diese neu zusam­men. Er stellt sie in skulp­tu­ra­ler sowie instal­la­ti­ver Form gegen­über und macht sie so sicht­bar. Mit dem GAFFA Kollek­tiv St. Gallen hat Linus Lutz 2019 und 2022 einen Werk­bei­trag der Stadt St. Gallen erhalten.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: zVg.
Veröf­fent­li­chung: 18. Juli 2024

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