Helfen, eine Meinung zu bilden

Sich mit frechen, toben­den Jugend­li­chen ausein­an­der­set­zen, die Hamas, Putin und Trump ­zu verste­hen versu­chen oder den Umgang mit dem Sack­mes­ser erler­nen – seit 40 Jahren bietet das Haus Guten­berg im liech­ten­stei­ni­schen Balzers Weiter­bil­dun­gen für Erwach­se­ne an.

«Wir wollen immer unse­re Nase im Wind haben und Themen aufneh­men, die die Gesell­schaft aktu­ell beschäf­ti­gen», sagt Bruno Fluder, Theo­lo­ge und Geschäfts­lei­ter des Hauses Guten­berg. Die Insti­tu­ti­on in Balzers FL steht seit 40 Jahren für Erwach­se­nen­bil­dung. Sie bietet exter­nen Refe­ren­ten und Grup­pen Veran­stal­tungs­räu­me und Über­nach­tungs­mög­lich­kei­ten. Jedes Jahr werden im eige­nen Programm rund 150 bis 170 Veran­stal­tun­gen ange­bo­ten. Die Themen­ge­bie­te reichen von Spiri­tua­li­tät und Persön­lich­keit über Fami­lie und Gesell­schaft bis zu Kultur und Gesund­heit. Das Bildungs­haus verste­he sich als Hilfe zur Meinungs­bil­dung – als Antwort auf die Tendenz, dass sich Menschen immer mehr in ihre Blasen zurück­zie­hen und nur sehen und denken, was sie kennen und wissen, so Fluder. «Wir wollen die Menschen dazu verfüh­ren, nicht nur über die eige­ne Welt­an­schau­ung nachzudenken.»

Kirch­li­che Wurzeln

Das Haus Guten­berg hat eine beweg­te Vergan­gen­heit: 1854 wurde im Auftrag der Fürs­tin Fran­zis­ka von Liech­ten­stein mit dem Bau begon­nen. Geplant war gemäss Über­lie­fe­rung eine Erzie­hungs­an­stalt für Buben. Diese zogen aller­dings nie ein, das Haus stand eini­ge Jahre leer. Eine Lösung gab es, als die Schwes­tern von der christ­li­chen Liebe ihr Töch­ter­in­sti­tut in Konstanz auflö­sen muss­ten. Von 1920 bis 1934 bilde­ten die Schwes­tern vom Kost­ba­ren Blut in Balzers junge Ordens­frau­en zu Kran­ken­schwes­tern und Lehre­rin­nen aus. 1935 über­nahm der Salettiner-Orden das Haus, junge Menschen berei­te­ten sich in Guten­berg auf den Eintritt in die reli­giö­se Gemein­schaft (Novi­zi­at) vor. Von 1954 bis 1973 beher­berg­ten die Räume ein Progymnasium. 

Seit 1985 versteht sich das Haus Guten­berg im liech­ten­stei­ni­schen Balzers als Begegnungs- und Bildungs­stät­te für Jugend­li­che und Erwachsene.

1985 wurde das wieder eröff­ne­te Haus Guten­berg unter der Leitung der Salet­ti­ner zur Begegnungs- und Bildungs­stät­te für Jugend­li­che und Erwach­se­ne. Ende 2022 lösten die Salet­ti­ner ihre Gemein­schaft in Balzers auf, seit­her wohnen unter ande­rem Flücht­lin­ge in den frei­en Räumen.

«Kein Selbst­läu­fer»

Heute ist das Haus Guten­berg eine Platt­form für Ausein­an­der­set­zung und Dialog. «Es geht darum, über unse­re Werte zu disku­tie­ren und Hilfe bei persön­li­chen Fragen zu bieten. Wir wollen zum Denken und allen­falls Umden­ken anre­gen. Aber wir sind kein Bildungs­haus, das abschlies­sen­de Antwor­ten gibt», erklärt Fluder beim Rund­gang. An diesem windi­gen Nach­mit­tag sind alle fünf Veran­stal­tungs­räu­me belegt. Dies ist nicht immer der Fall. 

Das Haus Guten­berg bietet fünf Veran­stal­tungs­räu­me. Die Nach­fra­ge war zuletzt rückläufig.

Eben­so stür­misch wie das Wetter an diesem Tag waren auch die vergan­ge­nen Mona­te und Jahre für die Verant­wort­li­chen des Seminar- und Bildungs­hau­ses. Viele Verän­de­run­gen stan­den an – noch weite­re werden folgen. Das Haus Guten­berg ist längst kein Selbst­läu­fer mehr, wie Bruno Fluder erklärt. «Viele Menschen sind müde, sich mit komple­xen Themen zu befas­sen. Weni­ge sind bereit, die Frei­zeit dafür aufzu­wen­den, wenn es sich nicht um eine beruf­li­che Weiter­bil­dung handelt, sondern um eine persön­li­che.» Eine gros­se Heraus­for­de­rung sei es vor allem, neue junge Gäste zu gewin­nen. Die Coro­na­pan­de­mie hat die Besu­cher­zah­len klei­ner werden lassen.

Dialog verstär­ken

Dies spüren die Verant­wort­li­chen nicht zuletzt in der Kasse. Mass­nah­men wurden ergrif­fen. Neu werden die Über­nach­tungs­räu­me im Inter­net als öffent­li­ches Hotel bewor­ben. Damit erhof­fen sich die Verant­wort­li­chen Mehr­ein­nah­men. Das Perso­nal wurde in den vergan­ge­nen Jahren von neun auf sechs Mitar­bei­te­rin­nen gekürzt. Vor weni­gen Wochen wurde bekannt, dass auch der Geschäfts­füh­rer Spar­mass­nah­men Raum gibt und das Haus per Ende Febru­ar verlas­sen wird. Künf­tig wollen die Verant­wort­li­chen den Schwer­punkt noch mehr auf Dialo­ge setzen und haben neue Veran­stal­tungs­rei­hen wie «Dinner plus …» ins Leben geru­fen, wo ein Gast­ge­ber zwischen den Menü­gän­gen philo­so­phi­sche Anstös­se gibt, über welche beim Essen disku­tiert wird. Bruno Fluder hofft, dass es das Ange­bot des Hauses Guten­berg noch lange geben wird. «Wir hatten immer den Anspruch, keine Alltags­flie­ge zu sein, sondern nach­hal­tig gesell­schaft­li­che Wirkung zu erzie­len. Das ist uns nicht immer gleich gut gelun­gen, aber wir haben immer gelernt und blei­ben dran.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: zVg

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