Pflegekindersystem aufarbeiten

Pfle­ge­kin­der hatten schon immer ein schwe­res Los und erle­ben bis heute Belas­ten­des, weiss Chris­toph Wick, Geschäfts­lei­ter der Kinder- und Jugend­hil­fe St. Gallen – ein Sozi­al­werk des Bistums St. Gallen. Er half mit, für das Buch «Auf-gefangen» die Geschich­te der Insti­tu­ti­on aufzuarbeiten.

Das kürz­lich erschie­ne­ne Buch beleuch­tet die Entwick­lung vom Sera­phi­schen Liebes­werk zur Kinder- und Jugend­hil­fe (KJH) St. Gallen. Der Geschäfts­lei­ter und Sozi­al­ar­bei­ter Chris­toph Wick (63) erklärt, dass die histo­ri­sche Aufar­bei­tung schon länger ein Thema gewe­sen sei: «Wir sind schon seit über 50 Jahren an der Fron­gar­ten­stras­se und im Estrich unter­hiel­ten wir ein Archiv mit jahrzehnte-alten Dossiers. Dazu kamen die öffent­li­chen Diskus­sio­nen über Verding­kin­der. Wir woll­ten die eige­ne Geschich­te kennen und dabei auch die Schat­ten­sei­ten beleuch­ten.» Der Vorstand des Vereins KJH hat deshalb zwei Histo­ri­ke­rin­nen und einen Histo­ri­ker beauf­tragt, anhand von Archiv­ma­te­ri­al sowie Gesprä­chen mit Betrof­fe­nen die Entwick­lung dieser Orga­ni­sa­ti­on, die 1891 von Pries­ter Johann Josef Eber­le gegrün­det wurde, zu doku­men­tie­ren. Nun ist daraus ein Buch für die Öffent­lich­keit entstan­den, das Einbli­cke in die Lebens­um­stän­de von Kindern und Fami­li­en gibt. Bei der Aufar­bei­tung wurden die Einzel­schick­sa­le in den Kontext der Sozial- und Kirchen­ge­schich­te gestellt. Dabei werden aus heuti­ger Sicht proble­ma­ti­sche Seiten in der Betreu­ung von Kindern und Jugend­li­chen, insbe­son­de­re die Fremd­plat­zie­run­gen, thematisiert.

Margi­na­le Überprüfung

Wick war als Beirat bei der Erar­bei­tung dieses Buches betei­ligt. Aufgrund seiner 20-jährigen Erfah­rung hatte er schon Einbli­cke in die Dossiers und kann­te die Geschich­te vieler Einzel­schick­sa­le. «Durch diese Arbeit wurde mir erneut vor Augen geführt, wie viele Kinder damals in Pfle­ge­fa­mi­li­en vermit­telt wurden. Zwischen 1948 und 1980 betraf es rund 100 Kinder pro Jahr, heute sind es jähr­lich durch­schnitt­lich fünf.»  Ein Teil der Kinder sei unter sehr schwie­ri­gen Bedin­gun­gen aufge­wach­sen; ande­re wieder­um hätten sich in der Pfle­ge­fa­mi­lie wohl und aufge­ho­ben gefühlt. Die Kinder hatten kaum Kontak­te zu den Eltern oder Vertrau­ens­per­so­nen. Die Über­prü­fung der Pfle­ge­fa­mi­li­en war margi­nal, erklärt er. Mit der Neuaus­rich­tung in den 1980er-Jahren verän­der­te sich nicht nur der Name und das Erschei­nungs­bild des Kinder­hilfs­wer­kes, die Orga­ni­sa­ti­on erhielt auch neue Struk­tu­ren. Heute ist die KJH eine konfes­sio­nell neutra­le und profes­sio­nel­le Anlauf­stel­le für Fami­li­en. Recht­lich als Verein orga­ni­siert, ist die KJH ein Sozi­al­werk des Bistums St. Gallen.

Der schwe­re Ruck­sack bleibt

«Für Pfle­ge­kin­der haben sich die gesetz­li­chen, fach­li­chen und sozia­len Rahmen­be­din­gun­gen inso­fern verbes­sert, dass sich mehre­re Fach­leu­te engma­schig um sie, ihre Eltern und Pfle­ge­fa­mi­li­en kümmern. Früher hatte oftmals nur eine Person über das Schick­sal der betrof­fe­nen Kinder entschie­den. Nicht selten wuss­ten die Kinder nicht, weshalb sie nicht bei ihren Eltern aufwach­sen konn­ten. Manche litten auch, da sie sich gegen­über leib­li­chen Kindern der Pfle­ge­el­tern diskri­mi­niert fühl­ten», sagt Wick. Auch heute seien Pfle­ge­kin­der belas­tet. Der Umstand, dass sie nicht bei den eige­nen Eltern aufwach­sen, sei für Kinder eine gros­se Heraus­for­de­rung. Sie kämen nicht darum herum, sich mit ihrem Leben auf eine ande­re Art ausein­an­der­zu­set­zen im Gegen­satz zu Kindern, die in ihrer Herkunfts­fa­mi­lie aufwachsen. 

Bera­tung und prak­ti­sche Hilfe

Die KJH wird vom Katho­li­schen Konfes­si­ons­teil des Kantons St. Gallen finan­ziert. Sie hat je eine Bera­tungs­stel­le in St. Gallen und in Sargans mit 20 Fach­per­so­nen, 40 Pfle­ge­fa­mi­li­en und rund 40 Frei­wil­li­gen. Das Ange­bot umfasst Bera­tung für Fami­li­en, Kinder und Jugend­li­che, Fami­li­en­be­glei­tung sowie die Beglei­tung von Pfle­ge­fa­mi­li­en. Dazu kommt das Ange­bot «well­co­me – Prak­ti­sche Hilfe nach der Geburt» für Eltern, die in der ersten Phase mit einem Neuge­bo­re­nen Unter­stüt­zung benö­ti­gen. Wick erklärt: «Wir vermit­teln frei­wil­li­ge Mitar­bei­ten­de zur Entlas­tung von Müttern mit Baby und/oder Klein­kin­dern im ersten Lebens­jahr. Die Frei­wil­li­gen leis­ten prak­ti­sche Hilfe wie etwa einen Spazier­gang mit einem Kind oder eine Beglei­tung zum Kinder-Arzttermin». Laut Wick sind viele Eltern froh, mit einer Fach­per­son über ihre Sorgen spre­chen zu können und gemein­sam Lösun­gen zu erar­bei­ten. Die Proble­me seien sehr breit gefä­chert, von Über­for­de­rung, über einschnei­den­de Ereig­nis­se, bis alltäg­li­che Konfliktsituationen.

Pfle­ge­el­tern und Frei­wil­li­ge gesucht

Die KJH sucht Perso­nen, die ein Pfle­ge­kind bei sich aufneh­men, und Frei­wil­li­ge für das Ange­bot «well­co­me». → http://www.kjh.ch

Text: Katja Hong­ler, Bild: Regi­na Kühne

Veröf­fent­licht: 24.1.24

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