Über Walenstadt thront auf einer Felszinne die Kapelle St. Georg. Wieso es nebst Spaziergängern auch Kopfwehgeplagte zum Aussichtspunkt zieht, erklärt Apothekerin Doris Sonderegger-Marthy unterwegs zur ältesten romanischen Kapelle der Ostschweiz.

Bereits der zehnminütige Fussmarsch hinauf zur Kapelle St. Georg, oberhalb des Dörfchens Berschis, lässt einen zur Ruhe
kommen. Vor rund hundert Jahren wurden hier erste Siedlungsspuren entdeckt, die über 3000 Jahre alt sind. Funde aus der Bronzezeit, ein römischer Weg, Zinnen und schliesslich die im 11./12. Jahrhundert errichtete Kapelle St. Georg sind Zeugnisse aus längst vergangenen Zeiten. «Ich bin nicht besonders gläubig und schon gar nicht esoterisch veranlagt, aber hier oben spüre ich jedes Mal eine ganz besondere Energie», erzählt Doris Sonderegger- Marthy. Die gebürtige Sarganserländerin führte bis vor wenigen Jahren eine Apotheke in Walenstadt. Vor 13 Jahren absolvierte sie einen Studiengang in Ethnobotanik und Ethnomedizin. Im Zuge dieser Weiterbildung verfasste die 63-Jährige eine Projektarbeit zur Kapelle «Sant Jöüri», wie sie im Volksmund genannt wird. «Während meinen Recherchen erzählte mir der ehemalige Walenstadter Arzt Hansjörg Keel vom sogenannten Kopfwehloch, das sich in der Kapelle auf der Rückseite des Altars befindet. Leider musste ich schnell erkennen, dass die Geschichte des Kopfwehlochs vor allem auf mündlichen Überlieferungen beruht. Schriftliche Dokumente existieren nur sehr wenige», erzählt Doris Sonderegger, während sie die Fensterläden der Kapelle öffnet und die Herbstsonne das zweischiffige Gewölbehaus beleuchtet. Wer dieses betrachten will, muss vorgängig den Schlüssel beim Pfarramt in Berschis abholen oder eine der Schlüsselwärterinnen und ‑wärter im Dorf aufsuchen. Die Kontaktdaten finden sich unter www.sesowa.ch.

Als Kraftort erwähnt
Der erste schriftliche Nachweis des Kopfwehlochs stammt aus dem 17. Jahrhundert: «Hinden im Altar ist ein Loch, darin viel Leut ihre Kopf für dz Hauptwe halten», schrieb 1631 Caspar Sain, damaliger Churer Generalvikar. Zu dieser Zeit gehörte Berschis noch zum Bistum Chur, bevor es zum Bistum St. Gallen überging. Einen Bekanntheitsschub erlangte die Kapelle 1998 mit dem Buch von Blanche Merz. Die Geobiologin erwähnte darin «Sant Jöüri» als Kraftort.

Geköpfter Heiliger
Bereits nach wenigen Augenblicken in der ältesten romanischen Kapelle der Ostschweiz, spürt man die besonderen energetischen Verhältnisse an diesem Ort. Auf der rechten Gewölbeseite, vorbei am Opferstock, der auch Twint-Zahlungen
entgegennimmt, offenbart sich auf der Hinterseite des Altars das besagte Kopfwehloch. Wer sein Haupt hineinstecken will, wird tief in die Knie gezwungen. Die Nische befindet sich nur etwa dreissig Zentimeter über dem Boden. «Ob und wie das Loch gegen Kopf- und Halsschmerzen wirkt, ist nicht wissenschaftlich belegt. Hansjörg Keel erzählte mir beispielsweise von einem Buben, der sein Patient war und unter starken Migräneattacken litt. Nach einem Besuch des Kopfwehlochs erfuhr der Bub merkliche Besserung», hält Doris Sonderegger fest. Kopfwehlöcher finden sich auch anderswo, wie beispielsweise in der Kapelle St. Placidus in Graubünden. Eindeutige Parallelen dieser Nische zu jener auf dem Georgberg konnte Doris Sonderegger keine ziehen: «Placidus war ein Märtyrer, der geköpft wurde. Dadurch könnte im Volksmund ein Bezug zum Kopfweh hergestellt worden sein. Auf dem Altarbild der Jöüri-Kapelle ist indes der drachentötende Georg dargestellt, was diese Theorie widerlegen würde.» Was genau das Phänomen des Kopfwehlochs ausmacht, konnte die Apothekerin während ihrer Recherche nicht abschliessend eruieren. «Es sind Mutmassungen, die den Mythos zu erklären versuchen. Aber sei es drum: Hauptsache ist doch, das dieser Ort irgendetwas Positives mit einem macht.»
Text: Rosalie Manser

