Nach einer Überlastungskrise beschliesst Martin Rusch, seine Selbstständigkeit aufzugeben und Seelsorger zu werden. Den Entschluss hat er nie bereut — im Gegenteil.
«Ich habe meine Arbeit sehr gerne gemacht. Was das betrifft, hätte ich keinen Wechsel gebraucht», sagt Martin Rusch. Der gelernte Schreiner hat die Holzfachschule in Biel absolviert und sich im Jahr 2000 mit einem Planungsbüro für Architektur und Innenarchitektur selbstständig gemacht. In der Freizeit engagierte sich Martin Rusch in der Bergrettung, war ab 2000 als Obmann für die Einsatzleitung zuständig. Was viele sich wünschen, wurde dem heute 51-Jährigen irgendwann zu viel: der berufliche Erfolg. Mitten im Berufsleben stehend, erlitt Martin Rusch 2006 eine Überlastungskrise und spürte, dass es mehr gibt als volle Auftragsbücher.
Dankbarkeit überwiegt
Beim Interview sitzt Martin Rusch in einem Café in St. Gallen. Man merkt ihm an, dass er glücklich ist und nicht mit dem Schicksal hadert: «Die ganze Sache hatte viel Positives. Es ist gut so, wie es jetzt ist. Ich empfinde meine jetzige Arbeit als sinnvoller.» Martin Rusch hat nach der Zwangsarbeitspause umgesattelt: Gemeinsam mit seiner Frau hat er 2008 den vierjährigen Studiengang Theologie am Theologisch-pastoralen Bildungsinstitut in Zürich begonnen. Von 2013 bis 2018 hängte er ein Studium an der Theologischen Hochschule in Chur an. «Im ersten Moment war das schon viel, aber es hat mir so gut gefallen. Es hat einfach so sein müssen.» Im Jahr 2022 wurde Martin Rusch zum Diakon geweiht. Heute begleitet der zweifache Vater im Regensamt des Bistums St. Gallen angehende Priester, Seelsorgerinnen und Seelsorger oder Religionspädagoginnen und ‑pädagogen bei der Aus- und Weiterbildung. «Ich bin einfach nur dankbar, dass alles so gekommen ist.» Seinen Sinn hat er darin gefunden, die christliche Botschaft mit den Mitmenschen zu teilen und mit diesen unterwegs zu sein.
Drei tragende Elemente
Unterstützung erhielt Martin Rusch stets von seiner Frau und den beiden Söhnen. «Es gab in all diesen Jahren drei Sachen, die mich aufgefangen haben: eine tolle Frau und tolle Kinder beziehungsweise Freunde, tolle Ärzte und ein toller Glaube.» Das Planungsbüro konnte Martin Rusch mittlerweile seinem Mitarbeiter übergeben. Für den Innerrhödler ein Glücksfall. «Es ist schön zu wissen, dass es weitergeht und dass das Unternehmen in guten Händen ist.» Reinreden möchte er ihm nicht. Martin Rusch schaut nicht mehr zurück. Im Gegenteil. Er freut sich auf alles, was kommt, beruflich und mit seinen Liebsten und Bekannten. «Wenn ich mit etwas abgeschlossen habe, dann habe ich abgeschlossen. Das war schon immer so.»
Text: Alessia Pagani
Bild: Roger Fuchs
Veröffentlichung: 25. März 2025