Unerwartetes im Estrich

Die Kunst­his­to­ri­ke­rin Ulri­ke Ganz kümmert sich um den Schutz kirch­li­cher Kultur­gü­ter im Bistum St. Gallen. Allein die Kathe­dra­le verfügt über 1200 Kultur­gü­ter. Im Estrich und in ande­ren Räum­lich­kei­ten rund um die Kathe­dra­le stösst sie immer wieder auf Unerwartetes.

Ulri­ke Ganz öffnet die Tür und schon stehen wir auf dem Estrich der Kathe­dra­le. Nicht nur hier und in der Sakris­tei, sondern über­all im Stifts­be­zirk war sie in den letz­ten Mona­ten oft anzu­tref­fen, um den Fundus zu sich­ten: Kruzi­fi­xe, Mess­kel­che, Gemäl­de, Reli­qui­en, Heiligen- und Bischofs­fi­gu­ren, Mess­ge­wän­der, Möbel und Kurio­si­tä­ten… «Beim Öffnen der Schach­teln und Kisten insbe­son­de­re in der Stifts­bi­blio­thek ist mir schon die eine oder ande­re Über­ra­schung begeg­net», sagt sie und lacht. Als Beispie­le nennt sie zwei kost­ba­re, seit 1930 verschol­le­ne Holz­schnit­te aus der Samm­lung des Mönchs Gallus Kemli (um 1475). Solche Momen­te machen sie rich­tig glück­lich. Die Leiden­schaft und die Neugier, mit der sich Ulri­ke Ganz ihrer Arbeit widmet, sind spür­bar. «Wir gingen ursprüng­lich davon aus, dass der Fundus im Stifts­be­zirk etwa 1500 Gegen­stän­de enthält. Inzwi­schen ist klar: es sind unend­lich viel mehr.» Konkret gehe es darum, jedes einzel­ne Kultur­gut rich­tig zu lagern, zu benum­mern und digi­tal zu erfas­sen, so die promo­vier­te Kunst­his­to­ri­ke­rin. Ihre Stel­le umfasst dreis­sig Stel­len­pro­zent und wird vom Konfes­si­ons­teil finanziert.

Ulri­ke Ganz sich­tet das Inven­tar im Estrich der Kathe­dra­le in St. Gallen.

Gros­se Nachfrage

Dane­ben arbei­tet Ulri­ke Ganz in der Fach­stel­le kirch­li­ches Kulturerbe, die von der Stifts­bi­blio­thek finan­ziert wird. Eine zentra­le Aufga­be ist die kosten­lo­se Bera­tung von Pfar­rei­en, Kirch­ge­mein­den und Klös­tern. «Die Nach­fra­ge ist gross, ich bekom­me viele Anfra­gen, auch für Inven­ta­re», sagt sie. Es sei viel Aufklä­rungs­ar­beit notwen­dig, wie zum Beispiel Infor­ma­tio­nen  darüber, wie die Kultur­gü­ter gela­gert oder gesi­chert werden sollen. «Oft werden gera­de Kelche oder ande­re Objek­te in einem Tresor aufbe­wahrt, die mate­ri­ell eher wert­los sind. Die wirk­lich wert­vol­len Objek­te hinge­gen stehen nur in einem gewöhn­li­chen Schrank.» TV-Sendungen wie «Bares für Rares» wecken auch bei immer mehr Privat­leu­ten die Neugier an geerb­ten Kruzi­fi­xen, Reli­qui­en und Hand­schrif­ten. So komme es auch vor, dass sich Privat­per­so­nen an die Fach­stel­le wenden und den Wert einer geerb­ten Trou­vail­le schät­zen lassen. Auch darum kümmert sich Ulri­ke Ganz, aber gegen eine Aufwandsentschädigung.

Über 1200 Kultur­gü­ter verfügt die Kathe­dra­le St. Gallen.

Ein neues Online-Verzeichnis

«Beson­ders stolz sind wir auf unser brand­neu­es Online-Kulturerbeverzeichnis», sagt sie. Dieses ist auf der Website des katho­li­schen Konfes­si­ons­teils zu finden. 2023 haben der Katho­li­sche Konfes­si­ons­teil des Kantons St. Gallen und das Bistum St. Gallen ein eige­nes Kultur­gü­ter­de­kret erlas­sen. Weil wert­vol­le kirch­li­che Kultur­gü­ter vielen Gefah­ren wie etwa Dieb­stahl, Beschä­di­gung oder Verlust durch Verräu­men ausge­setzt sind, können Kirch­ge­mein­den, Pfar­rei­en und Klös­ter ihre wert­volls­ten Gegen­stän­de in das Verzeich­nis eintra­gen lassen. So kann das Kultur­er­be wirk­sam geschützt werden. Es ist also eine Art «virtu­el­les» Label, das die Kultur­gü­ter erhal­ten. Es sorgt zum Beispiel für eine besse­re Auffind­bar­keit und Sicher­heit vor Dieb­stahl. Wenn ein geraub­tes Objekt inter­na­tio­nal in den Handel gelangt, finden Händ­le­rin­nen und Händ­ler dieses im Kata­log, das Objekt ist als Raub­gut iden­ti­fi­zier­bar. Umge­kehrt klärt auch Ulri­ke Ganz jeweils die Prove­ni­enz, die Herkunft der Kultur­gü­ter. Dabei geht es nicht nur um mate­ri­ell wich­ti­ge Kultur­gü­ter. «Im Fokus steht auch die Frage: Ist das Objekt ein Zeug­nis unse­rer katho­li­schen Kultur und Iden­ti­tät? Das ist ein wich­ti­ges Krite­ri­um für die Unter­schutz­stel­lung und gera­de das ist das Span­nen­de an meiner Arbeit. Das Ziel ist, ein Bewusst­sein für den Wert dieser Güter zu schaffen.»

Immer macht Ulri­ke Ganz über­ra­schen­de Entdeckungen.

Loka­le Bräu­che schützen

Wenn das mate­ri­el­le katho­li­sche Kultur­er­be unter Schutz gestellt worden ist, soll als nächs­tes auch imma­te­ri­el­les katho­li­sches Kultur­er­be ins Verzeich­nis aufge­nom­men werden. «Dazu gehö­ren bestimm­te litur­gi­sche Tradi­tio­nen oder Feste im Kirchen­jahr, die für die Regi­on von Bedeu­tung sind  wie zum Beispiel das Gallus­fest oder Aller Äbte Jahreszeit.»

Links

Kultur­er­be­ver­zeich­nis Kath. Konfes­si­ons­teil des Kantons St.Gallen

Samm­lung Kunstgegenstände

Text: Stephan Sigg

Bilder: Urs Bucher

Veröf­fent­licht: 22. Janu­ar 2025

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
Webergasse 9
9000 St.Gallen

+41 71 230 05 31
info@pfarreiforum.ch