Wie finden wir einen gemeinsamen Weg, obwohl wir geteilter Meinung sind? Diese Frage wurde am 13. Mai 2022 beim Ethik-Bistro in Buchs SG debattiert. Vorab hat das Pfarreiforum mit den beiden Podiumsteilnehmerinnen über konstruktive Lösungsansätze gesprochen.
«Zumindest eine Frage stellen»
Alexandra Gloor (rechts auf dem Bild): «Streitpunkte gibt es überall. Am Familientisch, am Arbeitsort, im Verein und in der Politik. Ich sehe in meinem Arbeitsalltag in verschiedene Konfliktbereiche hinein. Es sind persönliche Konflikte, oft auch Team-Konflikte bezüglich Hierarchie oder interne Kommunikation. Im Business-Coaching geht es in erster Linie darum, das Unternehmen voranzutreiben. Mein Ziel ist es, Führungskräfte und ihre Teams ins Handeln und Umsetzen zu bringen. Für die Lösungsfindung gilt im Prinzip für alle Bereiche dasselbe: Zuhören ohne zu interpretieren ist das Allerwichtigste und macht in der Mediation rund 80 Prozent aus. Das aktive Zuhören ist allerdings für viele Menschen enorm schwierig und anstrengend, weil sie sich selbst zurücknehmen müssen und nicht vorschnell antworten oder urteilen dürfen. Dann folgt die sogenannte ‹Spiegelung›. Das heisst, man versucht die Situation des anderen nachzuvollziehen und in eigene Worte zu fassen oder bei Unverständnis nachzufragen, bis man zum eigentlichen Kern des Problems durchdringt. Durch diese Selbstklärung ist eine gemeinsame Konfliktlösung erst möglich. Natürlich gibt es auch sehr emotionale Streitpunkte. Übersteigen die Emotionen ein gewisses Level, macht es neurologisch gesehen keinen Sinn mehr weiter zu diskutieren. Dann ist Denken unmöglich, weil sich ein Teil des Gehirns ausschaltet. Gegenseitiges Verständnis kann nur durch stetiges Nachfragen, Erklären und Zuhören entstehen. Was ich persönlich vermisse in unseren alltäglichen Debatten, ist das Nachfragen. Jeder hat sofort eine Meinung. Aber jeder Mensch hat Gründe warum er tut, was er tut. Dafür sollte man sich interessieren. Man sollte zumindest eine Frage stellen, bevor man sich eine Meinung über einen Menschen bildet oder ihn gar verurteilt.»
Alexandra Gloor, Gründerin und Mitinhaberin des Zentrums für Mediation und Konfliktmanagement (ZMK) in Buchs SG, coacht international Führungskräfte und leitet Wirtschaftsmediationen.
«Grundlagen unserer Demokratie»
Petra Näf: «Aktives Zuhören ist für mich der Schlüssel zu einer konstruktiven Kommunikation. Das heisst, ich versuche zu verstehen, worum es dem Gegenüber wirklich geht. Mir hilft es dabei, meine Perspektive zu wechseln und mich in die Situation und Gefühle der Konfliktpartei hineinzuversetzen. In meiner Funktion als Stadträtin vertrete ich die Bürgerinnen und Bürger mit ihren unterschiedlichen Interessen, Blickwinkeln und Wertvorstellungen. Das birgt Konfliktpotenzial, deshalb ist es essentiell, sich auf den Gesprächspartner einzulassen. Das Interesse an Menschen war meine Hauptmotivation für den Einstieg in die Politik. Ich gehe offen auf Menschen zu, denn mir ist wichtig, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu kennen. Im Stadtrat sind wir sieben Räte aus unterschiedlichen Parteien. Das ist gut so, denn es sollen möglichst viele unterschiedliche Standpunkte vertreten sein. Gäbe es keine kontroverse Auseinandersetzung, würden wir die Themenvielfalt einschränken und nur einen kleinen Teil der Interessen aus der Bevölkerung vertreten. Eine faire Streitkultur und das Ringen um vernünftige Kompromisse bilden die Grundlage unserer Demokratie. Ich bezeichne diese Vielschichtigkeit gerne als Schwarmintelligenz, denn verschiedene Ideen und Kompetenzen führen letztlich auch zu breiter abgestützten Lösungen. Mir scheint, dass es bei Konfliktsituationen oft nur zwei Möglichkeiten gibt. Entweder die Fronten verhärten sich oder einer der Gesprächspartner blockiert und weicht dem Gespräch aus. Ich denke, das gründet in der Einstellung, dass bei jeder Diskussion ein Gewinner und ein Verlierer hervorgehen müssen. Wichtig wäre, streiten nicht als Kampf, sondern als einen kooperativen Prozess anzusehen. Oder kurz gesagt: eine gelungene Kommunikation ist konstruktiv, sachlich und unmissverständlich.»
Petra Näf ist Betriebswirtschafterin und ist seit 2021 Stadträtin von Buchs SG. Sie leitet das Resort Gesundheit und Alter.
Diskurs im Ethik-Bistro
Das Podium — moderiert von Thomas Wallimann (siehe Bild oben) — zum Thema «Gesunder Umgang mit Meinungsverschiedenheiten» wurde von Caritas St. Gallen-Appenzell, der Seelsorgeeinheit Werdenberg und der Christlichen Sozialbewegung KAB SG organisiert.
Text: Katja Hongler
Bild: Hanspeter Thurnheer
12.05.2022