Beim Eurovision Song Contest gibt es fast nichts, das es noch nicht gab – und doch dieses Jahr neu: Alyona Alyona & Jerry Heil, die die Ukraine beim europäischen Wettbewerb vertreten, lösten eine kleine Kontroverse aus. Denn sie widmen ihren Song Maria und Mutter Teresa.
Mit viel nackter Haut, Glitzer und raffinierten Choreografien versuchen Anfang Mai beim Eurovision Song Contest, dieses Mal live aus dem schwedischen Malmö, wieder Bands aus rund fünfzig Teilnahmeländern zu punkten. Unter den Favoriten: die Rapperin Alyona Alyona und die Sängerin Jerry Heil aus der Ukraine mit ihrem Song «Teresa & Maria» – eine Hommage an die Muttergottes Maria und Teresa von Kalkutta, die 2016 von Papst Franziskus heilig gesprochen wurde.
Für Emanzipation
Die 28-jährige Jerry Heil (mit richtigem Namen Yana Shemayeva) schrieb den Song gemeinsam mit Rapperin Aliona Savranenko. Letztere ist seit einigen Jahren in der europäischen Rap-Szene ein grosser Name. Die ehemalige Kindergärtnerin rappt ohne Fluchausdrücke und macht sich mit ihren Songs für die Emanzipation und für Bodypositivity stark. Sie setzt aber auch auf Nachhaltigkeit: Bei ihren Auftritten trägt sie Second-Hand-Outfits. Warum will sie mit ihrer Kollegin jetzt mit Maria und Teresa den Eurovision-Sieg für sich entscheiden?

Durchhaltewillen
In dem eingängigen Song klingt es fast schon wie in einem Gebet: «Maria und Mutter Teresa sind mit uns!». Es geht im Text, so die beiden Künstlerinnen gegenüber den Medien, um weibliches Durchhaltevermögen in schwierigen Zeiten und das am Beispiel Mutter Teresas und der Jungfrau Maria. Diese Statements sorgten nicht nur in der Ukraine für Schnappatmung. Die Kritiker störten sich gar nicht so sehr an der Tatsache, dass es sich bei Maria und Teresa um zwei religiöse Frauen handelt. Als Affront empfanden sie die Sicht auf die als «Mutter Teresa» weltweit bekannte Albanerin: Es sei deplatziert, die heilige Teresa von Kalkutta als Vorbild zu nennen, wo doch seit Langem feststehe, dass sie alles andere als perfekt war. Während des langjährigen Verfahrens zur Selig- und Heiligsprechung, bei der der Vatikan lange und intensiv prüft, ob die Person tatsächlich ein heiligengemässes Leben geführt hat und alles mitbringt, um den Status einer Heiligen zu haben, machten Zeitzeugen und auch Medien publik: Unbestritten ist die beeindruckende und unermüdliche Arbeit von Mutter Teresa und ihrer Ordensgemeinschaft für die Nächstenliebe. Doch Mutter Teresa, die für ihre Arbeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, hatte offensichtlich auch andere Seiten. Eine Studie kam sogar zum Urteil, dass sie alles andere als eine Heilige gewesen sei. Es war darin von der Überforderung von Mutter Teresas und ihren Ordensschwestern mit der Arbeit für Kinder und Kranke die Rede und einer «fragwürdigen Art», sich um Kranke zu kümmern.
Niemand ist perfekt
Alyona Alyona betonte: Der Song sei nicht missionarisch, sondern symbolisch zu verstehen. Es gehe um weibliches Durchhaltevermögen. «Teresa führte ein asketisches Leben», wird die Rapperin in ukrainischen Medien zitiert. Sie sei vergleichbar mit Menschen von heute, die sich für etwas einsetzen und ein Vorbild für alle Frauen: «Wir sind alle Maria und Teresa, die es ohne Geld oder sonst irgendwas geschafft haben.» Und mit Bezug auf Mutter Teresas radikale Ablehnung der Sterbehilfe: «Sie wollte, dass die Menschen leben und nicht sterben.» Das Newsportal «The New Voice of Ukraine» bringt ein Zitat von Alyona Alyona, das auch von einer modernen Theologin oder einem Theologen stammen könnte: Alle haben auch dunkle Seiten, selbst die Heiligen waren nicht perfekt. “Erst nach ihrem Tod denkt man: Wow, sie waren heilig, sie haben so viel getan. Alle Heiligen sind als Menschen geboren. Und wir dachten, das ist ein grossartiges Thema.”
Text: Stephan Sigg
Bild: zVg. / EBU
Veröffentlicht: 06.05.2024