Barfuss über Sand und Heu

Seit Juni gibt es beim Psych­ia­tri­schen Zentrum Appen­zell (PZA) in Heris­au einen ­Barfuss­weg. Finan­ziert wird das Projekt vom Appen­zel­li­schen Hilfs­ver­ein für Psychisch­kran­ke, der sich seit Jahr­zehn­ten für deren Heilung und Inte­gra­ti­on enga­giert. Bis heute sind Vorur­tei­le ­gegen­über psychi­schen Krank­hei­ten weit verbreitet.

Inspi­ra­ti­on für den öffent­li­chen Barfuss­weg war eine Post­kar­te mit dem Zitat «Im Herzen barfuss», die Jürgen Kaes­ler, Klinik­seelsorger, im vergan­ge­nen Sommer erhielt. «Ich hatte schon länger den Wunsch, ein nieder­schwel­li­ges Ange­bot mit und ohne thera­peu­ti­sche Beglei­tung zu schaf­fen», sagt er und erklärt weiter: «Der Weg ist für alle zugäng­lich und soll auch ein Treff­punkt für die Bevöl­ke­rung sowie Besuch und Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten des Psych­ia­tri­schen Zentrums sein.» Das Projekt hat Kaes­ler mit der Klinik­lei­tung konkre­ti­siert und mit der inter­nen Gärt­ne­rei gestal­tet und umge­setzt. Dabei haben auch Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mitge­hol­fen, die bei der Gärt­ne­rei arbei­ten. Dem Klinik­seel­sor­ger ist die inte­gra­ti­ve Arbeit mit ande­ren Abtei­lun­gen wich­tig: «Der Barfuss­weg ist auch ein neues Element für die Ergo- oder Beschäftigungstherapie.» 

Barfussweg Herisau

«Sand im Getriebe»

Der rund 20 Meter lange Barfuss­weg erstreckt sich zwischen Tages­klink und Restau­rant entlang des bestehen­den Spiel­plat­zes. Das neue Terrain fügt sich harmo­nisch in das bestehen­de Areal mit altem Baum­be­stand ein. Der Barfuss­weg ist jeweils von Mai bis Septem­ber begeh­bar. Der Weg wird im Spät­herbst abge­baut und im Früh­ling wieder neu instal­liert. «Wir möch­ten eine gepfleg­te Anla­ge, deshalb erneu­ern wir den Barfuss­weg jede Saison», erläu­tert Kaes­ler. Entlang des Barfuss­we­ges, der mit Holz­wol­le und Holz­schnit­zel ausge­legt ist, stehen zehn Kisten mit unter­schied­li­chem Füll­ma­te­ri­al wie etwa Sand, Tannen­zap­fen, Rinden­mulch, Heu oder Ästen. Sie laden ein, diese mit den nack­ten Füssen zu ertas­ten. Bei jeder Stati­on steht eine Tafel mit Gedan­ken zum jewei­li­gen Rohstoff. Bei der Sand­kis­te ist beispiels­wei­se zu lesen: «Sand ist, neben Luft und Wasser, die meist­ge­nutz­te, natür­li­che Ressour­ce auf der Erde. Sand findet sich in vielen Rede­wen­dun­gen wie etwa Sand im Getrie­be als Meta­pher für einen gestör­ten Ablauf. Sand ist jedoch auch sehr anpas­sungs­fä­hig.» Die körper­li­che und geis­ti­ge Wahr­neh­mung wird noch inten­si­ver, wenn man beim Gehen die Augen schliesst: «Dann verschärft sich der Tast­sinn und man spürt die Verbun­den­heit zur Erde noch stär­ker», sagt der Barfussweg-Initiant.

«Im Appen­zel­ler­land wurden psychi­sche Krank­hei­ten lange totge­schwie­gen und leider werden Menschen mit einer psychi­schen Erkran­kung bis heute noch stig­ma­ti­siert. Gera­de in länd­li­chen Regio­nen geht man lieber zum Ortho­pä­den als zum Psychiater.»

Jürgen Kaes­ler

Unbü­ro­kra­ti­sche Hilfe

Der Barfuss­weg ist dank der finan­zi­el­len Unter­stüt­zung des Appen­zel­li­schen Hilfs­ver­eins für Psychisch­kran­ke entstan­den. Kaes­ler steht diesem Verein seit letz­tem Jahr vor. Der Verein hat eine lange Geschich­te: 1877 wurde der Appen­zel­li­sche Verein zur Unter­stüt­zung «armer Geis­tes­kran­ker» in Heiden gegrün­det. Seit­her setzt er sich für die Verbes­se­rung der Lebens­si­tua­ti­on von psychisch kran­ken Menschen ein. Zu oft erhiel­ten diese nicht die Hilfe, die sie benö­ti­gen: «Im Appen­zel­ler­land wurden psychi­sche Krank­hei­ten lange totge­schwie­gen und leider werden Menschen mit einer psychi­schen Erkran­kung bis heute noch stig­ma­ti­siert. Gera­de in länd­li­chen Regio­nen geht man lieber zum Ortho­pä­den als zum Psych­ia­ter», stellt Kaes­ler fest. Ein wich­ti­ges Ziel des Vereins ist nach wie vor, die Gesell­schaft auf psychi­sche Erkran­kun­gen zu sensi­bi­li­sie­ren und Vorur­tei­le abzu­schaf­fen. Der Verein ist mit verschie­de­nen Sozi­al­in­sti­tu­tio­nen gut vernetzt: «So können wir Betrof­fe­nen direkt und unbü­ro­kra­tisch helfen oder exter­ne Unter­stüt­zung orga­ni­sie­ren. Manch­mal sind es auch klei­ne­re Herzens­an­ge­le­gen­hei­ten wie zum Beispiel ein kran­kes Haus­tier zum Tier­arzt bringen.»

Text: Katja Hongler

Bild: zVg.

27.06.2022

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