Ob ein Löwe auf dem Oberarm, eine Trauerweide auf dem Unterschenkel oder Jesus auf dem Rücken: Das Pfarreiforum hat drei Personen aus dem Bistum St.Gallen gefragt, was ihnen ihre Tätowierungen bedeuten und warum sie sich für diese Motive entschieden haben.
Länger als zwei Stunden am Stück hältst du das nicht aus, das ist sehr schmerzhaft», sagt Christoph Brems aus Grub SG. Es ist bereits sein siebter Termin im St. Galler Tattoo-Studio von Pele Brunner. Das Jesus-Motiv auf seinem Rücken nimmt Monat für Monat Gestalt an. «Ich habe mich bewusst dafür entschieden, dass das Tattoo über einen längeren Zeitraum entsteht. Es muss nicht von heute auf morgen fertig sein.» Er hat dem Tätowierer keine einfache Aufgabe gestellt: Es handelt sich um ein Cover-up – das neue Tattoo soll ein altes überdecken. «Das alte Tattoo hatte ich mir vor zwanzig Jahren stechen lassen. Da war ich ein ganz anderer Mensch und an einem ganz anderen Punkt im Leben», erzählt Brems. Bei einem Untersuch kam vor einigen Jahren heraus, dass er zeugungsunfähig sei. Und jetzt ist er doch vor zwei Jahren Vater einer Tochter geworden. «Das war für mich ganz klar ein Zeichen», sagt er, «ich habe durch dieses Ereignis zum Glauben zurückgefunden. Bei der Taufe meiner Tochter ist mir bewusst geworden, dass ich jetzt ein ganz anderer Mensch bin und dies auch mit einem klaren Zeichen sichtbar machen möchte. Es stand für mich schnell fest, dass ich mir ein christliches Symbol auf den Rücken stechen lassen möchte.» Online machte er sich auf die Suche nach geeigneten Motiven. «Doch es war gar nicht so einfach, einen Tätowierer zu finden», erklärt der 54-Jährige, «mehrere sagten mir ab, weil sie sich das Cover-up nicht zutrauten.» Das Motiv auf seinem Rücken sei ein deutliches Statement. «Für mich haben Tattoos auch mit Kommunikation zu tun. Sie teilen anderen mit, was einem wichtig ist oder woran man sich orientiert.»

Drei Punkte als Dreieck zwischen Daumen und Zeigefinger: Diese Tätowierung sah Matthias Wenk vor drei Jahren auf dem Handrücken einer Mitarbeiterin in einer Berliner Bar. «Diese kleine und feine Tätowierung gefiel mir so gut, dass ich wusste, dass ich etwas Ähnliches haben wollte», sagt der St. Galler Seelsorger. Die drei Punkte hätten auf den ersten Blick symbolisiert, was für ihn zu den wichtigsten Dingen im Leben gehört. «Sie stehen für die Dreifaltigkeit und das christliche Verständnis von Gott. Zugleich stellen sie die drei Werte Glaube, Liebe und Hoffnung dar, wie sie Paulus im Hohelied der Liebe beschreibt», sagt er. «Und dann symbolisieren die drei Punkte auch meine Familie, also meine Frau, meine Tochter und mich.» Wenn Matthias Wenk nicht über die drei Punkte, die er sich mittlerweile oberhalb des linken Handgelenks hat tätowieren lassen, sprechen würde, würden diese einem kaum auffallen. «Meine Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht dachten anfangs auch, es seien Filzstift-Punkte. Erst nach einiger Zeit realisierten sie, dass es sich um eine Tätowierung handelt und fragten nach», sagt Matthias Wenk. Er erhalte allerdings nur selten Reaktionen auf seine Tätowierungen. «Für Kinder und Jugendliche scheint es nichts Aussergewöhnliches zu sein und ältere Personen erlebe ich diesbezüglich als sehr dezent.» Dann erzählt er von einem Vater, den er an einem Taufgespräch kennengelernt hatte. Dieser sei so begeistert von der Bedeutung der Tätowierung gewesen, dass er ihm nach der Taufe eine gerahmte Zeichnung der drei Punkte sowie der Worte Glaube, Liebe, Hoffnung geschenkt habe.

Der Leib als Gottes Tempel
Tätowierungen sind für Matthias Wenk eine Möglichkeit, über seinen Körper nach aussen zu tragen, was ihm wichtig und was bleibend ist. «Die Haut ist unsere Verbindung zur Umwelt. Wieso sollen wir sie also nicht für Botschaften nutzen?», sagt der 44-Jährige. Ob die Bibel dies vant. «So heisst es in der Bibel, der Leib sei Gottes Tempel. Wenn wir diesen Tempel also verschönern, dann ist das in meinen Augen eine Aufwertung. Auch die Kirchen sind ja nicht leer, sondern mit Wandmalereien verziert.» Abgesehen davon sei ihm das Körperliche nicht so wichtig, dass er Angst habe, seine Tätowierungen könnten eines Tages nicht mehr so gut aussehen. Etwas anders sehe das seine 16-jährige Tochter, die ihn regelmässig zu Krafttraining überreden möchte, damit seine Tätowierungen auch in zwanzig Jahren noch gut aussehen.
Als erste Person tätowiert
Auf seinem Oberarm trägt Matthias Wenk seine erste Tätowierung. Diese liess er sich als Mitte 20-Jähriger von einer Freundin stechen. «Sie war Kunstlehrerin, schnitzte Birkenhäuschen und brachte sich immer wieder andere kunsthandwerkliche Techniken bei, bevor sie sich selbst zur Tätowiererin weiterbildete», sagt er. Als sie nun nach einer Person für ihre erste Tätowierung suchte, sagte Matthias Wenk zu. Damals war er Theologiestudent an der Universität Münster in Westfalen. In den Büchern der Bibliothek suchte er nach Symbolen, die ihm gefallen könnten. Schliesslich entdeckte er im Markusevangelium eines Codex aus Irland einen Löwen, der Kraft und Freiheit symbolisierte. Das Tätowieren selbst wurde blutig. «Vom vielen Blut auf meinem Oberarm verwischte die ganze Zeichnung, so dass meine Freundin meinte, sie müsse die Tätowierung freihand vollenden. Da sie Zeichnungslehrerin war, vertraute ich ihr», sagt Matthias Wenk. Bereut hat er das bis heute nicht.

Sich selbst sein
Wie für Matthias Wenk sind Tätowierungen auch für Andrea Richner aus Staad eine Möglichkeit, nach aussen zu zeigen, was ihr wichtig ist. «Ich wusste schon mit 18 Jahren, dass ich mir mein Sternzeichen, den Skorpion, tätowieren lassen möchte», sagt die 46-Jährige, die als Jugendarbeiterin in der St. Galler Pfarrei St. Otmar arbeitet. «Skorpione gelten als schwierig, stachelig und giftig. Aber ich war schon immer gerne so wie ich bin und wollte mit der Sternzeichentätowierung zeigen, dass ich stolz darauf bin.» Bis sich Andrea Richner tatsächlich tätowieren liess, vergingen allerdings 15 Jahre. Zunächst galt es, ein Symbol des Skorpions zu finden, das ihr gefiel. Darauf stiess sie per Zufall in einem Magazin, in welchem der Skorpion als Schriftzeichen dargestellt war. Nochmals einige Zeit brauchte sie, um sich für ihren Hals als passende Stelle für die Tätowierung zu entscheiden. Jahrelang auf Suche Mittlerweile hat Andrea Richner vier Tätowierungen. Nebst dem Skorpion auf ihrem Hals, zieren ein Kreuz, ein Herz und ein Anker ihren Oberarm. Auf ihrem Unterarm ist ihr Lebensmotto Carpe Diem zu sehen. Und auf dem Unterschenkel sind eine Trauerweide und Vögel zu sehen, die wegfliegen. «Gemeinsam ist allen meinen Tätowierungen, dass ich immer zuerst den Wunsch nach einer neuen Tätowierung hatte, bevor ich wusste, welche Körperstelle ich tätowieren wollte. Das ging einher mit dem Wunsch, dass ich etwas neues oder besonderes ausdrücken wollte», sagt sie. Oft seien aber Jahre vergangen, bis sie eine konkrete Form dafür gefunden habe. «Hatte ich mich für ein Motiv entschieden, stellte sich immer die Frage, wo ich es würde tätowieren
lassen», sagt sie.

Lebensfreude ausdrücken
Auf ihre Tätowierungen angesprochen zu werden, stört Andrea Richner nicht. «Für die Oberstufenschüler und ‑schülerinnen ist es kein Thema. Sie sind in einem Alter, in dem sie das einfach nicht interessiert», sagt sie. Anders sei dies hingegen in den Jugendverbänden, wo Andrea Richner als Präses mit Jugendlichen ab 16 oder 17 Jahren zu tun hat. «Oft fragen sie mich nach der Bedeutung, ob ich Schmerzen hatte oder ob ich es wieder tun würde», sagt sie. «Und ich merke, dass viele Jugendliche Tätowierungen als eine Form verstehen, um Lebensfreude auszudrücken. » Kürzlich wurde Andrea Richner während einer Wanderung von einer älteren Frau auf ihre Oberarmtätowierung angesprochen. Dieser gefiel vor allem die Idee, ein Holzkreuz auf diese Weise mit sich zu tragen. «Für mich persönlich symbolisiert das Holzkreuz zusammen mit dem Herz und dem Anker ‹Glaube, Liebe und Hoffnung›. Meine Liebe zu Jesus, die Hoffnung auf die Auferstehung und den Glauben an mich selbst und an meine Kinder, etwa dass sie ihren Weg gehen werden», sagt sie.

Das Lebensmotto vor Augen
Für Andrea Richner ist jede Tätowierung einzigartig. Gerade das Einzigartige kann aber auch das Verbindende sein. Als Beispiel erzählt sie von ihrem Familienhund Flo. Als dieser vor einigen Jahren starb, war ihr und ihren vier erwachsenen Kindern klar, dass sie Flo auf ihrem Körper verewigen lassen wollten. «Mein Sohn tätowierte sich einen Fussabdruck von Flo auf den Oberschenkel, während sich meine Tochter für einen Schriftzug mit Herz auf ihrem Brustkorb entschied», sagt sie. Auch für Andrea Richner wird es wahrscheinlich die nächste Tätowierung sein. Wie genau diese aussehen wird, weiss sie aber noch nicht. Immer auf sich tragen zu können, was einem wichtig ist, ist für Andrea Richner einer der wichtigsten Gründe für eine Tätowierung. Die Trauerweide mit ihren zartgrünen Blättern im Frühling ist für sie der schönste Baum, den es gibt. Ihre Kinder – die Vögel – sind für sie das Wichtigste. «Ich lebe im Hier und Jetzt. Wenn ich mich beschreiben müsste, würde ich sagen, ich bin eine, die immer schaut, was sie aus einer Situation machen kann. Eine, die reagiert», sagt Andrea Richner und streicht über ihren Unterarm. Carpe Diem – nutze den Tag – steht dort. «An dieser Stelle kann ich mein Lebensmotto immer sehen», sagt sie. (nar/ssi)