Ein langer Prozess liess mich step by step auf dem dritten Bildungsweg Theologie studieren. Es war eine geniale, interessante Zeit, für die ich sehr dankbar bin.
Ursprünglich war der Abschluss zur Theologin nicht geplant. Er ist geworden dank vielen Menschen und Erfahrungen auf dem Weg. Da waren junge Menschen. Es waren Erfahrungen als Mutter, die mich den mütterlich-väterlichen Gott entdecken liessen. Da waren aber auch die Menschen im Alters- und Pflegeheim, die ich in den Tod begleiten durfte. Die Not der sterbenden Menschen, die sich in Sätzen zeigte wie: «Schwester Judith, bringen Sie mir nie einen Priester!» oder die Aussage von Frauen: «Wie schön, Sie dürfen eine theologische Ausbildung machen – ich wäre so gerne Priesterin geworden» haben mich dazu gedrängt, den Abschluss zu machen. Ich wollte und will den Menschen, denen Gott – einfach durch ihr Menschsein und besonders in der Taufe – die königliche, prophetische und priesterliche Würde ein für alle Mal zugesprochen hat, Raum und Stimme geben.
Die aktuelle Situation in der Kirche?
Die Missbrauchsstudie – sie hat mich nicht überrascht. Ich verstehe die Menschen, die den Kirchenaustritt geben. Dabei geht es nicht um den Austritt aus dem Glauben, es geht um die Unglaubwürdigkeit unserer kirchlichen Strukturen. Leider sind sich die Austretenden oft nicht bewusst, dass sie damit hauptsächlich die Pfarreien vor Ort schwächen, denn nur ein ganz kleiner Teil der Kirchensteuer geht ans Bistum oder noch weiter. Ich bin aber auch für all jene dankbar, die trotz allem bleiben, uns so in der Pfarreiarbeit unterstützen und dadurch Hoffnungsträger:innen sind. Die Weltsynode, die momentan in Rom stattfindet: Was ich da erwarte? Ein Wunder!
Warum ich immer noch in der Kirche arbeite?
Weil für mich der christliche Glaube das Potenzial hat, Sinn und Hoffnung in frohe und in schwierige Lebenssituationen zu geben. Und weil ich mich freue, in all diesen unterschiedlichen Situationen Menschen begleiten zu dürfen. Weil da Menschen sind vor Ort, die miteinander und füreinander da sind. Weil ich dankbar bin fürs Team, die Räte und Ehrenamtlichen, dass wir einander unterstützen. Weil da Menschen sind, die aufstehen für not-wendende Reformen in der Kirche. Ich denke an die Junia-Initiative, Maria 2.0, die Allianz gleichwürdig katholisch, «So nicht!» und viele mehr. Weil ich dankbar bin für die vielen, die beten und mit denen ich beten darf und so im Vertrauen auf Gottes Geistkraft die Anliegen der Welt vor ihn bringen. Auch wenn immer wieder düstere Wolken über der Kirche und unserem Leben kreisen, so wünsche ich uns allen das Vertrauen in die Lebens- und Liebeskraft. Ich wünsche uns allen den Mut, für nötige Veränderungen einzustehen und die Hoffnung und Zuversicht, dass Gottes Geistkraft uns begleitet.
Judith Romer-Popp
Seelsorgerin, Seelsorgeeinheit Steinerburg
Leserfragen an info@pfarreiforum.ch
Veröffentlichung: 10. November 2023