Ich kann mich gut an meine eigenen ersten Gebetserfahrungen erinnern. Meine Eltern haben mit meiner Schwester und mir jeden Abend «I ghöre es Glöggli» gesungen. Dieses Lied hat mir Halt gegeben, besonders die Zeile «de lieb Gott im Himmel wird au bi mir si». Ich war froh, dass Gott bei mir ist, wenn das Licht gelöscht wurde.
Im Primarschulalter hatte ich ein schweizerdeutsches Hörspiel auf Kassette, das ich mir sehr oft angehört habe: «Die Abenteuer des Tom Sawyer und Huckleberry Finn». Die gruselige Szene nachts auf dem Friedhof, während der die beiden Verbrecher beobachten, hat mir immer wieder Schauer über den Rücken gejagt. Die beiden Buben haben Angst und Finn fragt Tom mit klappernden Zähnen: «Kannst Du beten?» Tom verneint und stimmt dann doch das Lied an, das ihm abends Halt gibt: «I ghöre es Glöggli».
Ein Schatz im Herz
Auswendig gelernte Gebete und Lieder helfen Kindern (und Erwachsenen) in vielen Situationen, zu Gott zu sprechen. Ein kurzes Tischgebet vor dem Essen kann schon mit kleinen Kindern eingeübt werden. Die häufige Wiederholung des gleichen Gebetes oder Liedes macht das Lernen leicht. So wird das Gebet verinnerlicht und zu einem Schatz im Herzen. Nicht umsonst heisst auswendig lernen im Englischen «learning by heart», im Französischen «apprendre par cœur». Auch Gebete wie das «Vater unser» können mit Kindern gesprochen werden. Selbst wenn sie noch nicht alles erfassen, sind sie doch stolz darauf, dass sie mitbeten können. Es gibt mehrere gute Erklärungsbilderbücher für ein erstes Verständnis dieses Gebetes. Genauso wichtig scheint mir, dass Kinder lernen, ihre Erlebnisse zu erzählen und in Worte zu fassen, was sie bewegt. So erfahren sie Gott und Jesus als ein DU, dem sie alles anvertrauen können. Z. B. haben wir mit unseren Kindern einander beim Gute-Nacht-Sagen die Frage gestellt:
– Wofür möchte ich Gott heute danken?
– Worum möchte ich Gott heute bitten?
Zur Ruhe kommen lassen
Unsere Erfahrung ist, dass dieses Ritual Kinder und Erwachsene zur Ruhe kommen lässt und beim Einschlafen hilft. Wir werden uns bewusst, wenn ein Erlebnis noch nicht verarbeitet ist und unseren Schlaf stören könnte. Ich nenne dies das freie Gebet und versuche es auch im Religionsunterricht mit den Kindern zu üben. Viele Kinder haben grossen Spass daran. Gebete dürfen nicht zum Zwang werden. Kindern soll nicht das Gefühl gegeben werden, dass sie etwas leisten müssen, damit Gott zufrieden gestellt wird. Ein solches Gottesbild würde Kinder belasten und nicht zu innerer Ruhe führen. Wenn ein Gebet freiwillig ist, kann es von Herzen kommen.
Kurze, kindgerechte Gebete finden Sie z. B. im Buch Margot und Lea Kässmann, Du gibst immer auf mich acht. Mit Kindern beten, empfohlen ab 4 Jahren, 2019. Oder: Das Vaterunser den Kindern erzählt, Georg Schwikart, 2014.
Daniela Gremminger
Seelsorgerin Katholische Kirche Uzwil und Umgebung
Leserfragen an info@pfarreiforum.ch
Veröffentlichung: 9. August 2023