Die katholische Kirchgemeinde St. Gallen steigt Ende 2022 aus der Offenen Kirche und deren ökumenischen Trägerverein aus. Stattdessen will sie andere Projekte mit ähnlicher Stossrichtung finanzieren. Die Ökumene sei heute an einem anderen Punkt als in den 1990er-Jahren.
«Wir wollen mit dem Geld künftig andere Projekte unterstützen», sagt Armin Bossart, Präsident der katholischen Kirchgemeinde der Stadt St. Gallen gegenüber dem Pfarreiforum. «Wir haben in den letzten Jahren mit dem Verein WirkRaumKirche sowie dessen andere Träger zahlreiche Gespräche zur Weiterentwicklung der Offenen Kirche geführt.» In den Entscheid seien auch die katholischen Seelsorgerinnen und Seelsorger miteinbezogen worden. Die katholische Kirchgemeinde sei zum Schluss gekommen, dass mit projektbezogener Arbeit mehr Menschen und auch eine grössere Aussenwirkung erzielt werden kann. 2018 habe sie die Cityseelsorge gestartet. «Diese hat innovative Projekte wie Wiborada2021 oder StadtWald lanciert.» Die Cityseelsorge ist ein katholisches Angebot. Bleibt die Ökumene auf der Strecke? «Die Ökumene ist und bleibt für uns ein wichtiges Anliegen», betont Armin Bossart.

Ökumene beibehalten
Auch Beat Grögli, Dompfarrer und Vertreter der katholischen Seelsorgerinnen und Seelsorger in der Stadt, sieht die ökumenische Zusammenarbeit nicht in Gefahr. Er steht hinter dem Entscheid der Kirchgemeinde. «Die Ökumene ist heute an einem ganz anderen Punkt als vor über zwanzig Jahren, als die Offene Kirche gegründet wurde. Damals war das ein innovatives, zukunftsweisendes Angebot.» Heute gebe es eine «Ökumene von unten», an der Basis werde intensiv über die Konfessionsgrenzen hinweg zusammengearbeitet. Auch die Akzeptanz gegenüber unkonventionellen und experimentellen Angeboten sei heute viel grösser: «Angebote, die früher nur in der Offenen Kirche stattfinden konnten, lassen sich heute auch in anderen Kirchen oder kirchlichen Räumlichkeiten durchführen, ohne dass sich jemand daran stösst.»
Hinaus zu den Menschen
Die Offene Kirche richtet sich mit der Ausrichtung an kirchenferne Menschen. Finden diese tatsächlich den Weg in ‹klassischere› kirchliche Räumlichkeiten? «Wer heute Distanzierte ansprechen will, muss raus und darf nicht in einem Raum warten, dass die Menschen zu einem kommen», so Beat Grögli, «gerade deshalb bin ich vom Konzept der Cityseelsorge überzeugt.» Als Beispiel nennt er deren Adventsprojekt StadtWald, das im vergangenen Dezember in einem leerstehenden Ladenlokal mitten in der St. Galler Fussgängerzone angeboten wurde. «Von vornherein ökumenisch aufgegleist waren Projekte wie die Corona-Bibel oder das Gedenken an die Opfer der Migration nach Europa ‹Beim Namen nennen›.»

Kirche wird abgerissen
Die Offene Kirche wird vom Verein WirkRaumKirche betrieben. Hauptträger des Vereins waren bisher neben der katholischen Kirchgemeinde die drei städtischen evangelisch-reformierten Kirchgemeinden sowie die christkatholische Kirche. In der Offenen Kirche finden niederschwellige Anlässe statt wie zum Beispiel das Café International, ein Mittagsgebet oder auch Queer-Gottesdienste. Bereits vor dem Entscheid der Katholiken sah sie sich mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert: Für den Bau des HSG-Campus wird die Kirche voraussichtlich 2024 abgerissen. Ein neuer Standort wurde noch nicht gefunden, der Umzug in die benachbarte St. Mangen-Kirche stellte sich als nicht realisierbar heraus. Armin Bossart geht davon aus, dass WirkRaumKirche die Offene Kirche bis zum Abbruch weiter betreiben kann. «Durch das Geld, welches wir in früheren Jahren eingeschossen haben, verfügt der Verein über ein stattliches Vermögen.» Vielleicht ist es Ende 2022 doch nicht ganz aus mit der katholischen Beteiligung: Laut Bossart prüft die Kirchgemeinde die Weiterfinanzierung des Stattklosters, einem Projekt von WirkRaumKirche: «Das Stattkloster ist ein faszinierendes Projekt, das allerdings noch nicht ganz zum Fliegen gekommen ist.» Ein Projektteam sei daran, Entwicklungsmöglichkeiten auszuarbeiten.
Andere Zielgruppen?
Bei WirkRaumKirche zeigt man sich vom Entscheid betroffen. «Es liefen Gespräche zur Weiterentwicklung, doch die Rückzugsandrohung der katholischen Kirche kam sehr früh», sagt Daniel Konrad, Präsident und Pfarrer der christkatholischen Kirche St. Gallen. Er bezeichnet WirkRaumKirche als ein einzigartiges ökumenisches Angebot in St. Gallen. «Selbstverständlich gibt es zahlreiche andere ökumenische Angebote in der Innenstadt und in den verschiedenen Quartieren, doch WirkRaumKirche als übergeordnete Organisation für die ganze Stadt, bei dem alle drei Landeskirchen beteiligt sind, ist eine eigene Dimension.» Der Ausstieg der katholischen Kirche sei ein Einschnitt und wirke sich massgeblich auf die Finanzen aus. «Die reformierten Kirchgemeinden haben zwar Interesse an einer Zukunft der Offenen Kirche signalisiert. Aber es stellt sich die Frage, ob auch ausreichende Ressourcen dafür vorhanden sind.» Auch beschäftigen ihn die Anstellungen der Mitarbeitenden, die jetzt auf dem Spiel stehen. «Gleichzeitig fragt sich, ob und wie die Offene Kirche nach dem Abriss des heutigen Gebäude weitergehen kann», so Konrad. Aus seiner Sicht braucht es einen konkreten Ort, da dieser Anknüpfungs- und Identifikationspunkte schafft. «Wenn die Angebote dezentral an verschiedenen Orten stattfinden, hat das nie die gleiche Ausstrahlung.»
Text: Stephan Sigg, 18. Januar 2022